Einredecharakter der
Verjährung und richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO: Keine
Hinweispflicht auf eingetretene Verjährung
BGH, Beschl. v. 2. 10. 2003
- V ZB 22/03 - LG Dessau AG Zerbst
Fundstelle:
NJW 2004, 164
BGHZ 156, 269
S. auch BGH v. 27.1.2010 - VIII ZR 58/09.
Amtl. Leitsatz:
Weist der Richter nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid den Bekl. mit
der Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift darauf hin, dass der Anspruch
verjährt sei, besteht Grund, ihn abzulehnen; dasselbe gilt, wenn der Hinweis
zwar an den Kl. gerichtet, aber auch dem Bekl. zuzustellen ist.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. hat im Wege eines Mahnbescheides von der Bekl. Herausgabe von
Nutzungsentgelt nach den Vorschriften über das Sachenrechtsmoratorium (Art.
233 § 2a I Satz 4 und Satz 8 EGBGB) geltend gemacht. Nach Widerspruch hat
das AG im schriftlichen Vorverfahren dem Bekl. die
Anspruchsbegründungsschrift und eine beglaubigte Abschrift folgenden, an den
Kl. ergangenen Hinweises zugestellt: „Der Anspruch nach Satz 4 dürfte gem.
Satz 7 verjährt sein, wenn der Bekl. die Einrede der Verjährung erhebt.“ Der
Bekl., der zunächst nur Einwendungen gegen das Bestehen der Ansprüche
erhoben hatte, berief sich in der Folge auch auf Verjährung. Die Kl. hat den
Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt die Kl. ihr Ablehnungsgesuch weiter. Die Beschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
…
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 I Nr. 2 ZPO) und auch im
übrigen zulässig. In der Sache hat sie Erfolg.
1. Nach § 42 II ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung
statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die
Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob aus der
Sicht der den Richter ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller
Umstände Anlass gegeben ist, an dessen Unvoreingenommenheit und objektiver
Einstellung zu zweifeln (st. Rspr. BGHZ 77, 70, 72; BGH, Urt. v. 15. 12.
1994, I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1679; zu § 19 BVerfGG: BVerfGE 20, 1, 5;
BVerfGE102, 122, 125). Kriterium für die Unparteilichkeit des Richters ist
die Gleichbehandlung der Parteien. Der Ablehnung setzt er sich aus, wenn er,
ohne Stütze im Verfahrensrecht, die Aequidistanz zu den Parteien aufgibt und
sich zum Berater einer Seite macht. Bei der materiellen Prozeßleitung, zu
der die in § 139 ZPO vorgesehenen Erörterungen, Fragen und Hinweise zählen
(vgl. auch §§ 136 III, 141, 279 III ZPO), hat er, soweit für besondere
Verfahrensarten nichts Abweichendes bestimmt ist (für Familiensachen vgl. §§
616, 617 ZPO), das Verfügungsrecht der Parteien über das Streitverhältnis
und deren alleinige Befugnis zur Beibringung des Prozeßstoffes zu
respektieren. Es ist ihm deshalb verwehrt, auf die Einführung selbständiger,
einen gesetzlichen Tatbestand eigenständig ausfüllender Angriffs- und
Verteidigungsmittel (vgl. § 146 ZPO) in den Prozess hinzuwirken. Dies gilt
für weitere Klagegründe (BGHZ 7, 208, 211; Senatsurteil vom 16. 7. 1999, V
ZR 56/98, WM 1999, 1891, 1893, jeweils für die Klageerweiterung), für die
Ausübung von Gestaltungsrechten (Senat aaO), aber auch für
Leistungsverweigerungsrechte (BGH, Urteil vom 18. 11. 1968, II ZR 152/67,
NJW 1969, 691, 693 für das Zurückbehaltungsrecht).
2. Die Verjährung berührt nach der Konzeption des Bürgerlichen
Gesetzbuchs den anspruchsbegründenden Tatbestand und mithin das Bestehen des
Rechts des Gläubigers nicht. Ihr Eintritt verschafft dem Schuldner vielmehr
ein Gegenrecht, nämlich die Befugnis, die Leistung zu verweigern (§ 214 I
BGB). Die Geltendmachung des Gegenrechts, die Erhebung der Einrede der
Verjährung, ist eine geschäftsähnliche Handlung des sachlichen Rechts
(allg. M., vgl. statt aller MünchKomm-BGB/Grothe, 4. Aufl. § 222 Rdnr. 3).
Sie setzt die Bekundung des Willens des Schuldners voraus, die Leistung
endgültig zu verweigern und dies - jedenfalls dem Sinne nach - mit dem
Ablauf der Verjährungsfrist zu begründen. Bevor dies geschehen ist, steht
dem Verlangen des Gläubigers auf Erbringung der Leistung nichts entgegen. Im
Rechtsstreit hat deshalb, auch wenn die verjährungsbegründenden Umstände vom
Kl. selbst vorgetragen werden, auf Antrag Versäumnisurteil gegen den
ausgebliebenen Bekl. zu ergehen (§ 331 II ZPO). An dieser Konzeption
(bisher § 222 BGB) hat der Gesetzgeber bei der Novellierung des
Verjährungsrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz festgehalten.
Überlegungen zur Zweckmäßigkeit der Einredelösung (Nachweise bei
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 139 Rdnr. 24a; aus der Sicht des § 42
II ZPO vgl. auch Feiber, Anm. zu BGH, Urteil vom 12. 11. 1997, IV ZR 214/96,
LM ZPO § 42 Nr. 7 und Deubner, JuS 1998, 249, 250) erübrigen sich daher. Zu
Unrecht meint mithin das BeschwGer., der Amtsrichter habe sich mit seinem
Hinweis auf die Wiedergabe der materiellen Rechtslage beschränkt. Seine
prozeßleitende Verfügung führte dem Bekl. vielmehr die Möglichkeit vor
Augen, durch eine geschäftsähnliche Handlung die bestehende, für das Gericht
verbindliche Rechtslage zum Nachteil des Kl. und zu seinen eigenen Gunsten
zu verändern. Ein solcher Hinweis wirkt wie eine Aufforderung, die Einrede
auch zu erheben.
3. Für den Hinweis bietet § 139 ZPO keine Grundlage. Der BGH hat zwar
bisher die Frage, ob das Gericht nach dieser Vorschrift den Anspruchsgegner
auf die Möglichkeit hinweisen darf, sich mit der Einrede der Verjährung zu
verteidigen (zum Streitstand in Rechtsprechung und Literatur vgl.
Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl. §139 Rdnr. 9 mit Fn. 64), noch nicht
ausdrücklich entschieden. Die Verneinung des Rechts, auf ein
vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht (Zurückbehaltungsrecht)
aufmerksam zu machen (oben zu 1.), nimmt die Entscheidung aber im Grundsatz
vorweg. Der Gesetzgeber hat sich mit der Neufassung des § 139 ZPO durch das
Zivilprozeßreformgesetz diesen Standpunkt zu eigen gemacht. Die neuen Regeln
der materiellen Prozeßleitung sehen nach Wortlaut und Gesetzesbegründung (BTDrucks.
14/4722, S. 77) davon ab, den Gerichten inhaltlich engere oder
detailliertere Vorgaben zu machen als das bisherige Recht. § 139 I ZPO hebt
danach zwar insgesamt hervor, dass das Gericht im offenen Gespräch mit den
Parteien die entscheidungserheblichen rechtlichen und tatsächlichen
Gesichtspunkte erörtern und auf eine allseits sachdienliche
Verfahrensführung hinwirken soll. Er beläßt es jedoch bei dem Grundsatz,
dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, durch Fragen oder Hinweise neue
Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die in dem
streitigen Vortrag der Parteien nicht zumindest andeutungsweise bereits eine
Grundlage haben. Das Ausbleiben von Hinweisen, für die danach kein Raum
besteht, macht eine Entscheidung auch nicht überraschend i.S. des § 139 II
ZPO (ausdrücklich zu § 139 II der Referentenentwurf des BMJ, Stand 23.
12. 1999, Entwurfsbegründung S. 109). Hiermit weicht der Senat nicht von der
vom IV. Zivilsenat in der Entscheidung vom 12. 11. 1997 (oben zu 2.) zu §
278 III ZPO a.F. vertretenen Meinung ab. Der IV. Zivilsenat hat aus der in
den Grundzügen § 139 II ZPO entsprechenden Vorschrift nicht die allgemeine
Befugnis des Richters hergeleitet, den Anspruchsgegner auf die Möglichkeit
hinzuweisen, er könne sich mit dem Eintritt der Verjährung verteidigen. Bei
dem vom IV. Zivilsenat zu beurteilenden Sachverhalt war es vielmehr geboten,
die Revisionsparteien auf eine bestimmte Rechtsprechung hinzuweisen, aus der
unübersehbar die Anwendung einer bestimmten Verjährungsvorschrift folgte.
Daß der abgelehnte Richter bei den Vergleichsgesprächen in der
Revisionsinstanz auf diese Rechtsfolge hingewiesen hatte, machte ihn nicht
befangen.
4. Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob andere Vorschriften, etwa die
Pflicht, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht zu sein (§
278 ZPO), überhaupt, unter welchen Voraussetzungen und wenn ja, in welcher
Weise, den Hinweis auf die Einrede erlauben. Er hat sich deshalb auch nicht
mit der Gesamtheit der in Rechtsprechung und Literatur geführten Diskussion
über das Ablehnungsrecht der Parteien im Falle des Hinweises auf die
Verjährung zu befassen (zum Streitstand vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23.
Aufl. § 42 Rdnr. 27). Im Streitfalle entbehrte der Hinweis jeder in Frage
kommenden Rechtsgrundlage. Der Richter hat, noch bevor der Bekl. überhaupt
Gelegenheit hatte, sich zu äußern, diesem einen Weg aufgezeigt, der nach
seiner Auffassung zum Erfolg der Rechtsverteidigung und zum Mißerfolg der
Klage führte. Damit hat er sich aus der verständlichen Sicht der Kl.
parteilich gezeigt. Dass der Hinweis unmittelbar gegenüber der Kl. erfolgte,
ändert hieran angesichts des Umstandes, dass er nach der Anordnung des
Richters dem Bekl. bekanntzugeben war, entgegen der Auffassung des
Beschwerdegerichts, nichts. Ohne Einfluß auf den Erfolg des
Ablehnungsgesuches ist auch der Umstand, dass der Hinweis inhaltlich
unzutreffend war (die Zustellung des Mahnbescheides hatte die am 8. 11. 2000
begonnene, zweijährige Verjährungsfrist des Art. 233 § 2a I Satz 7 gehemmt;
§ 204 I Nr. 3 BGB, Art. 229 § 6 I EGBGB).
5. Der Ablehnungsgrund entfällt nicht deshalb, weil das Verhalten des
Richters jedenfalls vertretbar gewesen wäre (zu diesem Gesichtspunkt statt
aller Zöller/Vollkommer aaO, Rdnr. 27 m.w. Nachw.). Das war nicht der Fall.
Im übrigen ist, wenn man bei der Beurteilung der Befangenheit des Richters
auf diesen Gesichtspunkt abstellen will (dazu auch BGH, Urteil vom 12. 11.
1997, oben zu 2; Beschluss vom 29. 11. 1995, XII ZR 140/94, BGHR ZPO § 42
II, Rechtsauffassung 1), zwischen Äußerungen über Rechtsund tatsächliche
Fragen im allgemeinen und einem Hinweis darauf, dass ein selbständiges
Angriffs- oder Verteidigungsmittel in den Prozess eingeführt werden könne,
zu unterscheiden. Im letzteren Fall müssen, wegen der eklatanten Gefahr, von
einer Gleichbehandlung der Parteien abzuweichen, an die Vertretbarkeit des
Hinweises strenge Anforderungen gestellt werden. Anderenfalls wäre es dem
Richter an die Hand gegeben, über die Grenzen seiner Neutralitätspflicht
selbst zu entscheiden. Die danach zu stellenden Anforderungen wären im
Streitfall unter keinem Gesichtspunkt erfüllt gewesen.
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