Unverhältnismäßige
Aufwendungen und Unmöglichkeit - "Modellfall" zu § 275 Abs. 2 BGB n.F.
BGH, Urteil v. 02.10.1987 – V ZR 140/86
(Koblenz)
Fundstelle:
NJW 1988, 699
Zur Lösung nach neuem Schuldrecht (mit exakt denselben Kriterien!) s. den
Übungsfall 7
aus der Vorlesung
"Schuldrechtsreform
nach Anspruchsgrundlagen"
Amtl. Leitsätze:
1. Nach dem in § 633 II 2 und § 251 II BGB ausgedrückten allgemeinen
Rechtsgedanken kann auch das Verlangen nach Herstellung eines vertraglich
geschuldeten Zustandes rechts mißbräuchlich sein, wenn ihm der in Anspruch
Genommene nur unter unverhältnismäßigen, billigerweise nicht zumutbaren
Aufwendungen entsprechen könnte (Ergänzung zu BGHZ 62, 388 (390 ff.)
2. Bei der Frage nach der Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen sind auch
andere Umstände als das reine Wertverhältnis, namentlich der Grad des
Verschuldens, zu berücksichtigen.
Zum Sachverhalt:
Im Jahre 1973 erwarb der Bekl. als Landwirt ein 4659 qm großes
Grundstück zu einem Preis von 4659 DM. Den für den Erwerb erforderlichen
Geldbetrag hatte er von dem Kl., einem Makler, erhalten. Die Parteien
waren sich darüber einig, daß der Kl. wirtschaftlich Eigentü mer des
Grundstücks werden sollte. Mit notariellem Vertrag vom 1. 4. 1977
verkaufte der Bekl. das erwähnte Grundstück und andere Flurstücke an den
Kaufmann S; zu dessen Guns ten wurde am 1. 10. 1979 eine - vom Bekl.
bewilligte - Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Der Kl.
setzte seinen Übereignungsanspruch gegen den Bekl. gerichtlich durch und
ist inzwischen als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetra gen.
Er verlangte nunmehr vom Bekl., eine Bewilligung zur Löschung der
zugunsten des S eingetragenen Auflassungsvormerkung beizubringen. S
forderte als Abfindung hierfür 50 DM je qm, insgesamt 232900 DM. Der Bekl.
widersetzte sich dem Begehren des Kl., da S ihm seinerzeit nur 1,50 DM je
qm gezahlt habe und das Grundstück nicht mehr wert sei. Gegen S erhob er
Klage mit dem Antrag, die Löschung der zu seinen Gunsten eingetragenen
Auflas sungsvormerkung zu bewilligen. Im vorliegenden Rechtsstreit
verlangt der Kl. vom Bekl. die Beibringung der Löschungsbewilligung für
die zugunsten des S eingetragene Auflassungsvormerkung.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Bekl.
führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
... II. Die Klage ist zulässig.
1. Zu Unrecht rügt die Revision, daß dem Klageantrag die gem. § 253 II Nr.
2 ZPO erforderli che Bestimmtheit fehle. Der Kl. verlangt die Verurteilung
des Bekl. zur Vornahme einer bestimmten Handlung, nämlich der Beibringung
einer Löschungsbewilligung des S für dessen Auflassungsvormerkung
betreffend das im Klageantrag näher bezeichnete Grundstück. Damit ist der
Gegenstand der begehrten Leistung konkret bezeichnet (vgl. auch BGHZ 97,
178 (181) = NJW 1986, 1676 = WM 1986, 645 (646)). Die von der Revision
vermißte Ergänzung des Klageantrages dahin, daß der Bekl. auch 232900 DM
(die von S verlangte Abfindungs summe) aufwenden müsse, wäre sachwidrig,
denn der Gläubiger kann dem Schuldner nicht vorschreiben, welche Maßnahmen
dieser zu ergreifen hat, um die geschuldete Löschungs bewilligung
beizubringen (BGHZ 97, 178 (181) = NJW 1986, 1676 = 1986, 645 (646)). Der
Bekl. kann auch ohnedies das Risiko aufgrund einer Verurteilung
einschätzen und sich dementsprechend verteidigen.
2. Der Klage fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil, wie die
Revision meint, eine Verurteilung nach dem Klageantrag keinen
vollstreckbaren Inhalt hätte. Wie der Senat in seinem vorgenannten Urteil
ausgeführt hat, ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf
Beibringung der Löschungsbewilligung eines Dritten schon im Hinblick auf
die Regelung des § 283 BGB; dem Kl. muß die Möglichkeit erhalten bleiben,
vom Schuldner zunächst aufgrund des Titels die Leistung zu verlangen, um
dann auf vereinfachtem Wege zu einem Geldersatzanspruch zu gelangen. Der
Kl. hat ein schützenswertes Interesse, daß bereits in diesem Rechtsstreit
bindend über den Einwand des Bekl. entschieden wird, es sei ihm
unzumutbar, den 33fachen Betrag des Grundstückswerts aufzubringen.
III. Die Begründung, mit welcher das BerGer.
den Klageanspruch für gerechtfertigt erklärt hat, beruht auf einer
fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts.
1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsurteils,
wonach der Bekl. dem Kl. das Grundstück in der "Buchposition" zu
übertragen hatte, in der es sich befand, als der
Eigentumsverschaffungsanspruch des Kl. entstand. Wie bereits in dem
Vorprozeß gleichen Rubrums klargestellt wurde (vgl. Senat, BGHZ 82, 292
ff. = NJW 1982, 881 = WM 1982, 206) und auch von der Revision nicht in
Zweifel gezogen wird, bestand zwischen den Parteien ein Auftragsverhältnis
(unechte Treuhand), wonach der Bekl. das Grundstück als mittelbarer
Stellvertreter im Interesse und für Rechnung des Kl. erwerben sollte.
Demgemäß war der Bekl. als Beauftragter nach § 667 BGB verpflichtet, dem
Kl. als Auftraggeber das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte
herauszugeben. Er mußte ihm mit hin das Grundstückseigentum verschaffen,
und zwar ohne die relative Unwirksamkeit des Rechtserwerbs gegenüber S
aufgrund der inzwischen zu dessen Gunsten eingetragenen
Auflassungsvormerkung (vgl. § 883 II BGB) und ohne die Gefährdung der
Eigentümerpo sition durch eine Verpflichtung gegenüber S, auf dessen
Verlangen seiner Eintragung in das Grundbuch als Eigentümer zuzustimmen (§
888 I BGB). Diese Herausgabepflicht nach § 667 BGB hat der Bekl. nicht
vollständig erfüllt (vgl. BGH, WM 1962, 1056 (1057); vgl. auch Westhelle,
Nichterfüllung und Vermögensschaden, S. 59 ff., 93; Larenz, SchuldR I, 14.
Aufl., § 24 Ia).
Das BerGer. geht auch mit Recht davon aus, daß der Erfüllungsanspruch
insoweit nicht wegen Unmöglichkeit der Leistung untergegangen (§ 275 BGB)
oder in einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung
übergegangen (§ 280 BGB) ist. Auch nach dem Vortrag des Bekl. liegt eine
solche Unmöglichkeit nicht vor, weil S gegen eine Abfindung bereit ist,
die Löschungsbewilligung zu erteilen.
2. Zu Unrecht meint das BerGer. jedoch, die Höhe dieser Abfindung könne
erst im Voll streckungsverfahren berücksichtigt werden.
a) Dies kann allerdings nicht schon mit der - von der Revision wieder
aufgegriffenen - Behauptung des Bekl. in Frage gestellt werden, wonach S
und der Kl. dessen formale Rechtsposition ausnutzen wollen, um aus der
rechtlichen Zwangslage des Bekl. das etwa 33-fache des nur 6988,50 DM
(1,50 DM je qm) betragenden Grundstückswertes herauszu holen. Diesen
Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens hat das BerGer. nicht als be
wiesen angesehen. Die Revision hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben.
Das Ergebnis der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist damit für das RevGer.
bindend (§ 561 II ZPO).
b) Aber auch ohnehin kann das Verlangen des Kl. wegen
Unverhältnismäßigkeit unzumut bar und deshalb nach Treu und Glauben
ausgeschlossen sein. Den gesetzlichen Anhalts punkt für eine solche
Opfergrenze bieten die §§ 633 II 2, 251 II BGB. Nach dem in diesen
Vorschriften ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedanken kann das Verlangen
nach Her stellung eines an sich gebotenen - auch eines vertraglich
geschuldeten - Zustandes rechts mißbräuchlich sein, wenn ihm der in
Anspruch Genommene nur unter unverhältnismäßi gen, billigerweise nicht
zumutbaren Aufwendungen entsprechen könnte (BGHZ 62, 388 (390, 391, 394) =
NJW 1974, 1552 - Grenzüberbau; BGH, NJW 1976, 235 (236) -
Wiederherstellung eines ausgebeuteten Pachtgrundstücks; vgl. auch BGHZ 59,
365 (366 ff.) = NJW 1973, 138; BGHZ 63, 295 (297) = NJW 1975, 640). Das
gilt grundsätzlich auch für den - hier gegebenen - Anspruch gegen den
Beauftragten wegen unvollständiger Erfüllung der Pflicht zur Herausgabe
des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten (§ 677 BGB). Das Vorbringen des
Bekl. könnte zu der Würdigung führen, daß die Beibringung der Lö
schungsbewilligung in diesem Sinne einen unverhältnismäßigen Aufwand
erfordern würde. Nach seinem Vortrag beträgt der Verkehrswert des
Kaufgrundstücks nur 1,50 DM je qm (insgesamt 6988,50 DM), so daß die von S
verlangte Abfindung von 50 DM je qm (ins gesamt 232900 DM) mehr als das
33fache hiervon betrüge; demgegenüber wäre das Interesse des S an einer
Konsolidierung seines (relativ unwirksamen) Eigentumserwerbs wohl eher
geringer als der einfache Verkehrswert. Bei der Frage nach der
Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen sind im Rahmen der
Zumutbarkeitsprüfung allerdings auch andere Umstände als das reine
Wertverhältnis zu berücksichtigen. So können vor allem bei vorsätzlichen
Vertragsverletzungen (BGHZ 62, 388 (394) = NJW 1974, 1552) oder sonstigem
schweren Verschulden (Senat, NJW 1970, 1180 (1181); BGHZ 59, 365 (368) =
NJW 1973, 138) dem Schuldner sonst unverhältnismäßige Aufwendungen
zuzumuten sein. In dieser Richtung fällt hier allerdings zum Nachteil des
Bekl. ins Gewicht, daß dieser seine Pflicht zur Verschaffung
unbeschränkten Eigentums durch die Bewilligung einer Auflassungsvormerkung
für S vorsätzlich verletzt hat. Zugunsten des Bekl. wäre dagegen zu be
rücksichtigen, daß der Kl., wie das BerGer. unterstellt, das Grundstück
ohnehin nicht be halten, sondern an S übereignen will. Aber auch ohnedies
wäre es dem Bekl. trotz vorsätzlicher Vertragsverletzung billigerweise
jedenfalls nicht zumutbar, das 33fache des Grundstückswerts aufzuwenden,
um seiner Herausgabepflicht nach § 677 BGB voll zu genügen. Vielmehr wäre
es dann dem Kl. zuzumuten, analog § 280 BGB Schadensersatz wegen
Nichterfüllung zu verlangen und sich mit dem Ausgleich des ihm etwa
entstandenen Vermögensschadens (Entschädigung in Geld nach §§ 251, 252
BGB) zu begnügen. Ob aber der Grundstückswert wirklich nur 1,50 DM je qm
beträgt, hat das BerGer. - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht
festgestellt. Das RevGer. kann diese Feststellung nicht nachholen.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur
anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen. |