NJW 1990, 3151
LM § 138 ZPO Nr. 28
MDR 1991, 226
JZ 1991, 630 mit Aufsatz P. Schlosser aaO
S. 599 ff
DB 1991, 1723
WM 1990, 1844
VersR1990, 1254
Vgl. auch BGH NJW 1999,1404
Die Zivilprozeßordnung kennt keine - über
die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende
- allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen
Partei.
B und seine erste Ehefrau waren ursprünglich
die alleinigen Gesellschafter der R & E B-OHG, eines Unternehmens,
das auf den Transport fabrikneuer Personenkraftwagen spezialisiert war.
Im Jahr 1951 trat der Bekl. als weiterer Gesellschafter in diese Gesellschaft
ein. Im Jahr 1957 wurde über die Privatvermögen von R und E B
der Konkurs eröffnet. In den Konkursverfahren schloß der Bekl.
mit den Konkursverwaltern Verträge ab, nach denen er Zahlungen zu
den Konkursmassen leistete, während die Konkursverwalter sich mit
dem Ausscheiden der Eheleute B aus der Gesellschaft einverstanden erklärten.
Der Bekl. setzte das Unternehmen auf eigene Rechnung fort. In einem im
Jahre 1958 begonnenen Vorprozeß hat das OLG festgestellt, der Bekl.
sei nicht berechtigt, das Unternehmen allein weiterzuführen, und sei
verpflichtet, den Eheleuten B allen Schaden zu ersetzen, der ihnen durch
die Konkurseröffnungen und durch seine Vereinbarungen mit den Konkursverwaltern
entstanden sei; er könne sich auf diese Vereinbarungen nicht berufen,
da er die Konkurse unter Verletzung seiner gesellschaftlichen Treuepflicht
herbeigeführt habe. Die Revision des Bekl. ist durch Urteil des Senats
vom 15. 6. 1964 (WM 1964, 1127) zurückgewiesen worden. Mehrere weitere
Prozesse, die sich auf den Ausschluß der Eheleute B von der Gewinnzuteilung
und auf Entnahmen des Bekl. bezogen, führten zu Verurteilungen des
Bekl. Im vorliegenden Rechtsstreit machen die Kl. als Rechtsnachfolger
von R B Ansprüche auf Schadensersatz wegen angeblich treuwidrig verlagerten
Gewinns auf andere Unternehmen des Bekl. für die Jahre 1958 bis 1971
in Höhe von 41000 DM geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen, das
OLG hat ihr stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Bekl. die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen:
I. Nach dem rechtskräftigen und damit bindenden
Senatsurteil vom 15. 6. 1964 (WM 1964, 1127) hatte der Bekl. R B nicht
nur finanziell so zu stellen, wie dieser vermutlich gestanden hätte,
wenn das Gesellschaftsunternehmen gemeinschaftlich weiter betrieben worden
wäre; er hatte ihn vielmehr als nicht ausgeschiedenen Gesellschafter
"anzuerkennen", mußte sich also so behandeln lassen wie ein Gesellschafter,
der bei ununterbrochen fortgesetzter Gesellschaft das Gesellschaftsunternehmen
unbefugt auf eigene Rechnung betrieben hat und die gezogenen Gewinne anteilig
herausgeben muß (vgl. Senat, WM 1974, 375, 376) ...
III. Das BerGer. hält den geltend gemachten
Schadensersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach für erwiesen.
Zwar hätten die Kl. keine konkreten Sachverhalte
vorgetragen, die im einzelnen die erhobenen Vorwürfe belegen könnten.
Sie hätten jedoch eine Reihe von Indizien und Anhaltspunkte dargetan,
welche die Möglichkeit des Bestehens eines konkreten, erheblichen
Verlagerungssachverhalts wahrscheinlich und plausibel machten. Mit diesem
"Substantiierungsersatz" hätten die Kl. ausnahmsweise ihrer Darlegungslast
Genüge getan, da in Fallkonstellationen wie der vorliegenden die Anspruchssteller
typischerweise keine Kenntnis von den erheblichen Tatsachen hätten
und damit außerstande seien, in umfassendem Maße substantiierte
Tatsachen vorzutragen. In einem solchen Fall sei die Substantiierungspflicht
der anspruchserhebenden Partei durch eine "Forcierung" der Aufklärungspflicht
der bekl. Partei zu mildern, wenn dieser eine solche erweiterte Aufklärungspflicht
zumutbar sei. Dieser ihm zumutbaren Aufklärungspflicht sei der Bekl.
nicht nachgekommen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben
Erfolg.
1. Den Ausführungen des BerGer. liegt
die Lehre von der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht (vgl.
zu deren Entwicklung Arens, ZZP 96, 1 ff.) zugrunde. In jüngerer Zeit
ist sie von Stürner (Die Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozeß,
1976) umfassend erörtert worden. Er geht davon aus, daß durch
Art. 2 GG und das Rechtsstaatsprinzip ein auf Wahrheitsfindung angelegtes
Rechtsschutzverfahren verfassungsrechtlich gewährleistet sei. Zweck
des Zivilprozesses sei dementsprechend der Individualschutz durch Findung
der materiellen Wahrheit. Diese sei ohne umfassende Aufklärungspflicht
der nicht beweisbelasteten Partei nicht möglich. In Fällen, in
denen die darlegungs- und beweispflichtige Partei sich in typischer Unkenntnis
der ihrer Substantiierungspflicht unterliegenden Tatsachen befinde, sollten
Anhaltspunkte als plausible Vermutungsbasis für die allgemeine Rechtsbehauptung
genügen. Die nicht beweispflichtige Partei sei dann gehalten, alle
denkbaren und zumutbaren Aufklärungsbeiträge zu leisten. Im Regelfall
führe eine vorwerfbare Verletzung der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht
dazu, daß das der beweispflichtigen Partei günstige Aufklärungsergebnis
zu unterstellen sei.
Die Lehre von der allgemeinen prozessualen
Aufklärungspflicht hat sich nicht durchsetzen können (abl. z.
B. Arens, ZZP 96, 1 (10 ff.); Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 20. Aufl., §
138 Rdnrn. 22 f. m. w. Nachw.; Rosenberg-Schwab, ZPR, 14. Aufl., §
65 VIII 3, S. 392 Fußn. 85 und § 118 VI, S. 726 m. w. Nachw.).
Daß im Zivilprozeß die Wahrheitspflicht wesentliche Bedeutung
hat, erlaubt nicht den Schluß, die Parteien seien generell zu dem
Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung dient. Weder
die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindern den
Gesetzgeber daran, den Zivilprozeß der Verhandlungsmaxime zu unterstellen
und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen
Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen. Darauf
beruht auch die Regelung der Behauptungs- und Beweislast im Zivilprozeß.
Ob eine Partei Ansprüche gegen die andere auf Erteilung von Auskünften,
Rechnungslegung, Herausgabe von Unterlagen usw. hat, ist eine Frage des
materiellen Rechts (vgl. Stein-Jonas-Leipold, § 138 Rdnrn. 22 f.).
Dieses enthält darüber eine Reihe ausdrücklicher Vorschriften;
zudem kann je nach dem Inhalt des Rechtsverhältnisses und der Interessenlage
der Gesichtspunkt von Treu und Glauben solche Pflichten rechtfertigen (vgl.
hierzu auch Gottwald, ZZP 92, 364 (366 ff.); Arens, ZZP 96, 1 (21 ff.)).
Eine allgemeine Auskunftspflicht kennt das materielle Recht jedoch nicht,
und es ist nicht Aufgabe des Prozeßrechts, sie einzuführen
(vgl. Stein-Jonas-Leipold, § 138 Rdnr. 22). Es bleibt vielmehr bei
dem Grundsatz, daß keine Partei gehalten ist, dem Gegner für
seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen, über das er nicht
schon von sich aus verfügt (vgl. Senat, NJW 1958, 1491 = LM §
109 HGB Nr. 3 = WM 1958, 961, 962). Aus diesen Gründen vermögen
die Ausführungen des BerGer. zur allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht
das angefochtene Urteil nicht zu tragen.
2. In bestimmten Fällen erlegt die Rechtsprechung
dem Gegner der primär behauptungs- und beweisbelasteten Partei allerdings
eine gewisse (sekundäre) Behauptungslast auf, nämlich vor allem
dann, wenn eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr
darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der
maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozeßgegner
sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGH, NJW 1987,
1201 m. w. Nachw. = LM § 323 ZPO Nr. 53 = BGHRZPOO § 138 III
- Bestreiten, substantiiertes 1, insoweit in BGHZ 98, 44 nicht abgedruckt;
BGH, NJW 1987, 2008 = LM § 823 (BE) BGB Nr. 29 = BGHRZPOO § 138
- Bestreiten, substantiiertes 2 m. w. Nachw.). Unter diesem rechtlichen
Gesichtspunkt hat das BerGer. das Vorbringen der Parteien bisher nicht
geprüft. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand läßt sich
nicht ausschließen, daß der Bekl. seiner Prozeßförderungspflicht
bisher nicht hinreichend nachgekommen ist.
IV. Ein materiellrechtlicher Anspruch auf Vorlage
der Unterlagen der von dem Bekl. betriebenen Konkurrenzunternehmen I und
A, wie ihn das BerGer. bejaht hat, besteht nach seinen bisherigen Feststellungen
nicht. Auch ein Auskunftsanspruch scheidet nach dem derzeitigen Stand des
Verfahrens aus. (Wird ausgeführt.)
2. Ein allgemeiner, auf § 242 BGB gestützter
Auskunftsanspruch besteht nicht (vgl. BGHZ 74, 379 (380) = NJW 1979, 1832
= LM § 75 KO Nr. 1). Die Rechtsprechung billigt einen Auskunftsanspruch
lediglich dann zu, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über
den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung
und Durchführung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht
auf zumutbare Weise selbst zu beschaffen vermag, der Verpflichtete sie
unschwer geben kann und zwischen dem Berechtigten und Verpflichteten eine
besondere rechtliche Beziehung besteht. Dafür hat sie im allgemeinen
für erforderlich erachtet, daß der Leistungsanspruch dem Grunde
nach besteht und nur der Anspruchsinhalt offen ist (vgl. BGH, NJW-RR 1987,
1296 = WM 1987, 1127 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen liegen nach dem
bisherigen Stand des Verfahrens nicht vor, insbesondere steht nicht fest,
daß der Leistungsanspruch dem Grunde nach gegeben ist.