IPR: Abgrenzung von Sachstatut und Wertpapierrechtsstatut; auf die Eigentumsvermutung anwendbares Recht

BGH, Urteil v. 19.01.1994 - IV ZR 207/92


Fundstellen:

NJW 1994, 939
IPRax 1995, 163
s. auch
BGH NJW 1997, 392 und BGH v. 22.3.2006 - IV ZR 93/05


Amtl. Leitsätze:

1. Zur Behandlung von in Deutschland befindlichen Inhaberaktien an ausländischen Aktiengesellschaften.
2. Die Vorschrift des § 1006 I 1 BGB gilt auch für Inhaberaktien, die sich in Deutschland befinden.
3. Ist deutsches Recht anzuwenden, dann begründet § 1006 I 1 BGB die Vermutung, daß der unmittelbare Besitzer von Inhaberaktien Eigenbesitzer sowie aufgrund des Eigenbesitzes auch Aktieneigentümer und Aktionär geworden ist. Diese Vermutung dauert auch dann fort, wenn der Besitzer die Aktien ins Ausland verbringt und dort in einem Banksafe deponiert.


Zentrale Probleme (s. dazu auch Lorenz NJW 1995, 176):

Hinsichtlich des auf Wertpapiere anwendbaren Rechts ist zu unterscheiden zwischen dem Wertpapierrechtsstatut und dem Wertpapiersachstatut. Dem Wertpapierrechtsstatut unterliegt das in der Urkunde verbriefte Recht als solches, während das Wertpapiersachstatut das auf das Wertpapier selbst, d.h. als Sache, anwendbare Recht bezeichnet. Ob eine Urkunde den Charakter eines Wertpapiers hat, ergibt sich ohne Rücksicht auf den Lageort der Urkunde aus der Rechtsordnung, welcher das in ihr verbriefte Recht unterliegt (Wertpapierrechtsstatut). Handelt es sich dabei um ein Mitgliedschaftsrecht in einer Aktiengesellschaft, richtet sich das Wertpapierrechtsstatut nach dem Gesellschaftsstatut der jeweiligen Gesellschaft.
Das Wertpapierrechtsstatut, welches die Frage entscheidet, ob die entsprechende Urkunde überhaupt ein Wertpapier darstellt, ist auch für die weitere Frage maßgeblich, ob und inwieweit das verbriefte Recht durch das Eigentum am Papier beeinflußt wird und ob die Verfügung über das verbriefte Recht durch Verfügung über das verbriefende Wertpapier erfolgt. Ob, wie schlagwortartig gesagt wird, das Recht "aus dem Papier" dem Recht "an dem Papier" folgt, ist also eine Frage des Wertpapierrechtsstatuts.
Das Wertpapier als solches unterliegt hingegen der Belegenheitsregel (Situs-Regel) des internationalen Sachenrechts (jetzt: Art. 43 I EGBGB). Danach gilt der Grundsatz, daß Übertragung und Erwerb dinglicher Rechte an Sachen dem Recht des jeweiligen Belegenheitsortes (lex rei sitae) unterliegen. Die hier vom BGH gebrauchte und auch allgemein gebräuchliche Bezeichnung "lex cartae sitae" im internationalen Wertpapierrecht ist damit sinngleich, es handelt sich nur um eine terminologische Variante.
Über Erwerb und Verlust des Eigentums an einem Wertpapier entscheidet daher grundsätzlich das Recht des Ortes, an dem sich die Urkunde zum Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs- oder Verlusttatbestandes befindet. Stark verkürzt, aber für den vorliegenden Fall prägnant, kann man also das Verhältnis zwischen Wertpapierrechtsstatut und Wertpapiersachstatut wie folgt ausdrücken: Ersteres bestimmt, ob das verbriefte Recht durch Übertragung des Papiers veräußert werden kann und ob der Inhaber des Papiers als Inhaber des Rechts gilt, letzteres ist für die Frage maßgeblich, wie die Übertragung des Papiers zu erfolgen hat. Wenn also das Wertpapierrechtsstatut das rechtliche Schicksal des verbrieften Rechts an jenes der Urkunde bindet, wird dieses auch dann durch die Übereignung der Urkunde übertragen, wenn der Übereignungsvorgang lediglich den Sachnormen der lex cartae sitae, nicht aber denen des Wertpapierrechtsstatuts entspricht. Damit entscheidet das Wertpapiersachstatut, ob eine Person - gegebenenfalls gutgläubig - Eigentümer des Papiers geworden ist oder ob zugunsten des Besitzers des Papiers eine Eigentumsvermutung wirkt. Da sich im vorliegenden Fall die Aktienzertifikate im Inland im Besitz der Beklagten befanden, sprach somit für diese die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB. Deren Anwendbarkeit setzt, wie der BGH zu Recht betont, nicht voraus, daß der Besitz oder das behauptete Eigentum unter der Geltung deutschen Rechts erworben wurden. Dies ergibt sich schon daraus, daß § 1006 BGB tatbestandlich auf den Besitz als solchen, nicht aber auf dessen Erwerb abstellt.
Auch die vorliegende Entscheidung folgt letztlich der oben geschilderten Abgrenzung. Deren Begründung über eine Weiterverweisung des (schweizerischen bzw. liechtensteinischen) Wertpapierrechtsstatuts auf die lex cartae sitae ist allerdings mißverständlich: Der BGH scheint hierbei eine Verweisung des deutschen Kollisionsrechts hinsichtlich sämtlicher geschilderter Fragen auf das Recht des Sitzes der Gesellschaften anzunehmen und erst über eine Teilrückverweisung (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) des schweizerischen bzw. liechtensteinischen Kollisionsrechts hinsichtlich des Wertpapiersachstatuts zur Maßgeblichkeit der lex cartae sitae für Eigentumserwerb und -vermutung an den Aktienzertifikaten zu kommen. Sollte dies wirklich so gemeint sein, handelt es sich um einen methodischen Fehler: Die Unterscheidung ergibt sich bereits auf der Ebene des deutschen internationalen Privatrechts. Sie hängt damit nicht vom Inhalt ausländischer Kollisionsnormen ab. Sofern die Aktien zum maßgeblichen Zeitpunkt in Deutschland belegen waren, wovon im vorliegenden Fall ausgegangen werden mußte, kommt es insoweit nicht zu einer Verweisung auf liechtensteinisches oder schweizerisches Kollisionsrecht. Die Frage einer Rück- oder Weiterverweisung stellt sich also gar nicht.
Das Sachstatut ist unter dem Vorbehalt des Fortbestehens wohlerworbener Rechte wandelbar. Wird also eine Sache unter den Geltungsbereich einer anderen Rechtsordnung verbracht, so ist diese ab diesem Zeitpunkt für die eigentumsrechtliche Bedeutung des Besitzes maßgebend2. Für die Eigentumsvermutung bedeutet dies, daß es hinsichtlich der Vermutungswirkung gegenwärtigen Besitzes stets auf den aktuellen Lageort der Sache ankommt. Kommt es zu einem Wechsel des anwendbaren Rechts durch eine Veränderung des Lageorts (Statutenwechsel), so ist eine zu einem früheren Zeitpunkt etwa bestehende stärkere Eigentumsvermutung kein unter dem neuen Statut fortbestehendes wohlerworbenes Recht, denn es handelt sich hierbei nicht um einen abgeschlossenen Erwerbstatbestand, sondern um die inhaltliche Ausgestaltung eines Sachenrechts. Diese ist ohne Einschränkung wandelbar. Wird die Vermutung allerdings für einen früheren Zeitraum geltend gemacht, kommt es auf den Lageort der Sache in eben diesem Zeitraum an. Damit konnte der BGH im vorliegenden Fall den derzeitigen Lageort der Aktien nur deshalb offenlassen, weil zwischen den Parteien unstreitig war, daß sich jedenfalls nach dem Erbfall nichts an den Eigentumsverhältnissen an den Aktien geändert hatte. Nur aus diesem Grund, nicht aber aus rechtlichen Erwägungen, wirkte hier die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB für die Beklagte auch dann fort, wenn die Aktien mittlerweile im Ausland deponiert wären.

©sl 2003


Zum Sachverhalt:
 

Die Kl. zu 1 ist die Witwe des am 8. 11. 1988 verstorbenen Erblassers G; aus ihrer Ehe mit dem Erblasser sind die Kl. zu 2 und 3 hervorgegangen. Außerdem hatte der Erblasser drei nichteheliche Kinder von der Bekl. Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger; er hatte umfangreiches Vermögen im In- und Ausland, unter anderem die Aktien der A-AG, Zürich, und der M-AG, Vaduz. Er hinterließ ein maschinenschriftliches Testament, mit dem er unter anderem verfügte, die Bekl. solle Alleinerbin seines Vermögens in der S. (ausgenommen eine Liegenschaft in Flims), in Liechtenstein, Österreich und Italien sein. Weiter heißt es dort: "Ich stelle fest, daß meine eheliche Frau und meine ehelichen Kinder ... aus meinem in Deutschland liegenden Vermögen und aus meiner Liegenschaft in Flims/GR bedacht bzw. abgefunden sind.' Die Kl. verstehen das Testament dahin, daß es sich um Erbeinsetzung der Kl. einerseits und der Bekl. andererseits nach Vermögensgruppen (inländisches Vermögen zuzüglich Flims hier, übriges ausländisches Vermögen dort), verbunden mit entsprechenden Teilungsanordnungen handele. Nachdem die Kl. zu 1 die Erbschaft inzwischen ausgeschlagen hat und anderweit ihren Pflichtteil und Zugewinnausgleich beansprucht, errechnen die Kl. zu 2 und 3 aus den behaupteten Werten der zugewiesenen Vermögensgruppen für sich eine Erbquote von 43,14 % und für die Bekl. von 56,86 %. Auf dieser Grundlage haben die Kl. zahlreiche Auskünfte, Herausgabe sowie Unterlassung verlangt und Feststellung beantragt. Die Bekl. behauptet unter anderem, die A-Aktien seien ihr bereits im Jahre 1978 geschenkt worden, die M-Aktien 1983.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat der Bekl. unter anderem verboten, über dasjenige zu verfügen, das sie durch Veräußerung der M-Aktien erlangt hat, und andere nachteilige Handlungen in diesem Zusammenhang vorzunehmen. Dagegen richtet sich die - insoweit angenommene - Revision der Bekl. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Abgewiesen hat das BerGer. die Klage, soweit die Kl. zu 2 und 3 Herausgabe der A-Aktien und Auskunft über diese verlangen. Die dagegen gerichtete Revision der Kl. zu 2 und 3, die der Senat wegen der Auskunft angenommen hat, blieb erfolglos. Die Revision der Bekl. hatte im Umfang der - teilweisen - Annahme Erfolg.

Aus den Gründen:

A. ... I. Ein Anspruch auf Auskunft über den Verbleib der als Inhaberpapiere ausgestalteten A-Aktien gem. § 2028 BGB steht den Kl. zu 2 und 3 nicht zu.

1. Die Erbfolge nach dem deutschen Erblasser richtet sich, wie das BerGer. zutreffend annimmt, gem. Art. 220 I, Art. 25 I EGBGB n. F. nach deutschem Erbrecht. Das Testament vom 29. 3. 1977 ist zwar nicht eigenhändig, sondern mit der Schreibmaschine geschrieben und entspricht damit nicht der Form des § 2247 BGB. Da es aber in Vaduz errichtet worden ist, genügt nach Art. 1 I lit. a des Übereinkommens über die Testamentsform vom 5. 10. 1961 (BGBl 1965 II, 1145) die Einhaltung der Ortsform. Danach ist § 579 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) maßgebend, dessen erbrechtlicher Teil in Liechtenstein rezipiert worden ist (vgl. z. B. Brauneder, LJZ 1988, 94). Diese Vorschrift läßt die hier vorliegenden Unterschriften des Erblassers und dreier Zeugen ausreichen.

2. Das BerGer. legt das Testament dahin aus, daß es sich um "Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen" in Verbindung mit entsprechenden Teilungsanordnungen handele. Das ist rechtlich unbedenklich; auch die Bekl. erhebt insoweit keine Einwendungen. Ob die von der Kl. zu 1 nachträglich erklärte Ausschlagung wirksam ist oder nicht, ist hier nicht zu entscheiden, nachdem sie ihre Revision zurückgenommen hat. Danach hat der Senat davon auszugehen, daß der Erblasser von mehreren Erben beerbt worden ist und daß die Kl. zu 2 und 3 neben der Bekl. Mitglieder dieser Erbengemeinschaft sind. Als solche können sie von der Bekl., der Lebensgefährtin des Erblassers, gem. § 2028 BGB Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände verlangen ( § 2039 BGB). Indessen handelt es sich bei den A-Aktien nicht um Erbschaftsgegenstände.

3. Beide Vorinstanzen sehen als bewiesen an, daß der Erblasser der Bekl. die A-Aktien bereits im Jahre 1978 geschenkt, übergeben und übereignet hat. Auf die dagegen gerichteten Verfahrensrügen der Kl. zu 2 und 3 kommt es nicht an.
Entgegen der Auffassung des BerGer. greift die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB nicht erst dann ein, wenn feststeht, daß die Bekl. die Aktienurkunden bereits zu Lebzeiten des Erblassers in Besitz hatte.
Für die Rechtsverhältnisse einer ausländischen Aktiengesellschaft und damit auch für den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft in ihr ist nach deutschem Internationalen Privatrecht an den Sitz der Hauptverwaltung (RG, IPRspr 1934 Nr. 11; vgl. auch BGHZ 78, 318 (334) = NJW 1981, 522 = LM Art. 7 EGBGB (IPR) Nr. 50) anzuknüpfen, also hier an das schweizerische Recht. Dieses behandelt jedoch Inhaberaktien internationalprivatrechtlich wie bewegliche Sachen und verweist insoweit auf das Ortsrecht (lex chartae sitae) weiter (Vischer/v. Planta, IPR, 2. Aufl., S. 66 unter 2). Da die Übergabe und die Übertragung in Marquartstein/Chiemgau stattgefunden haben soll, und da die Aktien sich unstreitig im unmittelbaren Besitz der dort wohnenden Bekl. befinden, ist das deutsche Recht maßgebend (BGH, NJW 1960, 774 = LM Art. 7 ff. EGBGB - Deutsches internationales Privatrecht - Nr. 11 (unter III 2a, 3a und d)). Infolgedessen kommt es auf § 1006 BGB an, der - wie schon dessen Absatz 1 Satz 2 zeigt - auch für Inhaberpapiere gilt (vgl. BGH, WM 1974, 591). Demgemäß ist nach dessen Absatz 1 Satz 1 zugunsten der Bekl. zu vermuten, daß diese bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes Eigenbesitzerin sowie aufgrund des Eigenbesitzes auch Eigentümerin (BGH, NJW 1960, 1517 = LM § 1006 BGB Nr. 7; NJW 1967, 2008 = LM § 1006 BGB Nr. 10 und NJW 1975, 1269 = LM § 1006 BGB Nr. 7 (unter III 1a), Nr. 10 (unter 2b) und Nr. 14 (unter 2a)) und Aktionärin geworden ist. Dazu bedarf es entgegen der Auffassung des BerGer. keines weiteren Beweises von ihrer Seite, vielmehr hätten die Kl. das Gegenteil beweisen müssen (BGH, NJW 1958, 945 = LM § 929 BGB Nr. 8 (unter 5 Bl. 2 R); NJW 1962, 102 = LM § 1006 BGB Nr. 9; NJW 1975, 1269 = LM § 1006 BGB Nr. 14; LM § 1006 BGB Nr. 9 (unter 4), Nr. 14 (unter I 2a, b), Nr. 16 (unter I 2b cc Bl. 3)). Daran haben die Kl. es trotz entsprechender Hinweise der Bekl. vor dem Tatrichter fehlen lassen. Insbesondere haben sie nicht bewiesen, daß die Bekl. den Besitz nicht schon im Jahre 1978, sondern erst nach dem Erbfall (8. 11. 1988) erlangt habe. Der Vortrag der Kl. hierzu hat dem Tatrichter nicht ausgereicht. Die dagegen gerichteten Rügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.
II. Auf § 2314 BGB können die Kl. zu 2 und 3 sich wegen der Auskunft über die A-Aktien schon deshalb nicht stützen, weil diese Vorschrift nur pflichtteilsberechtigte Nichterben betrifft und also den Kl. nicht zugute kommen kann. Aber auch der aus § 242 BGB abgeleitete "allgemeine" Auskunftsanspruch (BGHZ 108, 393 (395) = NJW 1990, 180 = LM § 2314 BGB Nr. 17 - und öfter) hilft den Kl. hier nicht weiter. Dieser Anspruch dient im Erbrecht vor allem der Vorbereitung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen und setzt unter anderem voraus, daß der Pflichtteilsberechtigte über bestimmte Umstände im unklaren und deshalb auf die Auskunft angewiesen ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Den Kl. ist bekannt, um welche Aktien es sich handelt, die die Bekl. als vom Erblasser geschenkt für sich in Anspruch nimmt. Wo genau die Aktien derzeit verwahrt werden, ist für die Kl. ohne Bedeutung. Ihre Herausgabeklage ist insoweit rechtskräftig abgewiesen. Soweit es noch um einen etwaigen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Kl. zu 2 und 3 aus Anlaß der vom BerGer. festgestellten Schenkung gehen sollte, so bedarf es für eine hierzu etwa nötige Wertermittlung keiner Aufklärung über den derzeitigen Verwahrungsort der Aktien.

B. Dagegen hat die Revision der Bekl. Erfolg, soweit sie angenommen ist (Verbot von Verfügungen und Handlungen in bezug auf die Inhaberaktien der M-AG, Vaduz, IIIa und b der Urteilsformel).
I. 1. Mit Recht geht das BerGer. bei der Beurteilung der Frage, ob die Bekl. oder der Erblasser beim Erbfall Aktionär der M-AG war, von der Anwendung deutschen Rechts aus. Allerdings verweist das deutsche Internationale Privatrecht, wie bereits unter A I 3 angeführt ist, zunächst auf das Recht des Sitzes der Hauptverwaltung, also hier auf das liechtensteinische Recht. Aber auch dieses Recht behandelt Inhaberaktien internationalprivatrechtlich wie bewegliche Sachen und verweist insoweit auf das Recht der Belegenheit der Inhaberaktien (lex chartae sitae) weiter (Guido Meier, Grundstatut und Sonderanknüpfung im IPR des liechtensteinischen Gesellschaftsrechts S. 195 f.). Da bestritten und nicht festgestellt ist, daß der Erblasser das Aktienzertifikat Nr. 1 über 50 M-Aktien Nr. 1-50 vom 1. 7. 1982 der Bekl. bereits im Jahre 1983 übergeben und geschenkt hat, stellt der Senat für die Anwendung des deutschen Rechts nicht schon auf diesen Zeitpunkt ab. Andererseits ist unstreitig, daß die Bekl. die Aktien im September/Oktober 1989 verkauft und dem Käufer das Zertifikat von 1982 übergeben hat, sowie daß sie es jedenfalls nach dem Erbfall in ihrem unmittelbaren Besitz in Marquartstein hatte.
Auf dieses Zertifikat und nicht etwa auf die beiden weiteren Papiere kommt es an, die die M-AG am 6. 4. 1984 ausgestellt hat. Diese letzteren Papiere ('Nr. 1" über eine Aktie von 1000 SF und "Nr. 2-50" über 49 Aktien zu je 1000 SF) sind dem Erblasser nachträglich unter Verstoß gegen das Doppelverbriefungsverbot ausgehändigt worden. Sie konnten dem Erblasser keine zusätzlichen Anteile an der AG verschaffen und sind seit ihrer Vernichtung im Oktober 1989 ohne Bedeutung.
2. Der Umstand, daß die Bekl. Eigenbesitz an dem maßgebenden Aktienpapier von 1982 jedenfalls nach dem Erbfall hatte, reicht aus, um für die Zeit danach auf deutsches Recht abzustellen. Es entscheidet auch über die eigentumsrechtliche Bedeutung des Besitzes (v. Bar, IPR II, Rdnr. 759). Danach wird, wie ebenfalls bereits oben unter A I 3 angeführt ist, gem. § 1006 I 1 BGB zugunsten der Bekl. vermutet, daß sie bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes Eigenbesitzerin sowie aufgrund dieses Eigenbesitzes auch Eigentümerin des Papiers und Aktionärin geworden ist. Dadurch ist die Bekl. vorerst jedes weiteren Beweises dazu enthoben, ob der Erblasser ihr das Zertifikat tatsächlich bereits im Jahre 1983 übergeben und übereignet hat. Auch bedarf es von ihrer Seite keines weiteren Vortrags (und Beweises) dazu, in welchem Land und nach welchem Recht das geschehen sein soll. Das gilt auch dann, wenn feststeht oder nicht ausgeschlossen ist, daß der Eigenbesitz im Ausland erlangt worden ist (vgl. BGH, NJW 1960, 774 = LM Art. 7 ff. EGBGB - Deutsches internationales Privatrecht - Nr. 11 (unter III 3a bis d)) und der Erwerbsvorgang selbst nach ausländischem Recht zu beurteilen ist. Daher trägt entgegen der Auffassung des BerGer. nicht die Bekl. die Beweislast für den von ihr behaupteten Erwerbsvorgang, sondern umgekehrt müssen die Kl. beweisen, daß die Bekl. das Eigentum nicht erlangt hat. Das könnte etwa dadurch geschehen, daß sie den Tatrichter davon überzeugen, daß der behauptete Erwerb - sei es nun nach deutschem, schweizerischem oder liechtensteinischem Recht - im Jahre 1983 nicht zustande gekommen ist oder daß die Bekl. die Papiere überhaupt erst nach dem Erbfall einem Safe des Erblassers entnommen hat. Das hat das BerGer. verkannt.
Diese Eigentumsvermutung aus § 1006 I 1 BGB wirkt zugunsten der Bekl. auch dann fort, wenn die Bekl. das Zertifikat nachträglich nach Liechtenstein oder in die Schweiz verbracht und dort in einem Banksafe deponiert haben sollte. Die Parteien sind einig, daß sich in dieser Zeit bis zur Übergabe des Papiers an die A-AG im Herbst 1989 die Eigentumsverhältnisse nicht mehr verändert haben. Deshalb kann hier offen bleiben, ob die Eigentumsvermutungen des Art. 930 des schweizerischen ZGB und des daran angelehnten Art. 509 des liechtensteinischen Sachenrechts ebensoweit reichen wie diejenigen aus § 1006 BGB und ob sie, wenn deutsches Recht nicht eingriffe, auch ihrerseits die Bekl. von weiteren Beweisen freistellen würden.
II. Unter diesen Umständen kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, daß die M-Aktien und das dafür Erlangte kraft Surrogation gem. §§ 2041 oder 2019 BGB zum Nachlaß gehört. Die gegen die Bekl. ausgesprochenen Verbote können daher nicht bestehen bleiben. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das BerGer. die aus § 1006 BGB folgende Beweislast der Kl. zu beachten und in eigener Verantwortung zu prüfen haben, ob die auf dem Eigenbesitz der Bekl. beruhende Eigentumsvermutung zu ihren Gunsten widerlegt ist.