Verhältnis der §§ 320 ff BGB zu den §§ 459 ff BGB (Erfüllungstheorie und Gewährleistungstheorie)


BGH, Urt. vom 10.3.1995


Amtl. Leitsatz:

Wird dem Grundstücksverkäufer vor Gefahrübergang ohne sein Verschulden die Vertragserfüllung deswegen teilweise unmöglich, weil das mitverkaufte Gebäude durch einen Brand zerstört worden ist, so kann der Käufer die Rechte aus § 323 BGB geltend machen.



Fundstellen:

BGHZ 129, 103
NJW 1995, 1737 ff
LM H. 9/1995 § 323 BGB Nr. 11 m. Anm. Pfeiffer
MDR 1995, 790
JZ 1996, 102
BB 1995, 1261
DB 1995, 2264
ZIP 1995, 1019
Besprechungsaufsatz von Tiedtke NJW 1995, 3081



Zentralprobleme des Falles:

Im Zentrum des Falles steht ein Schadensersatzanspruch des Kl. (Käufer) wegen anfänglichen Unvermögens des Bekl. (Verkäufer), der ein Grundstück zu einem Zeitpunkt gekauft hat, in welchem es ihm noch nicht gehörte.

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Höhe dieses Schadens: Geht man davon aus, daß der Käufer wegen des vereinbarten Haftungsausschluß das Grundstück, hätte es der Verkäufer übereignen können, in mangelhaften Zustand hätte annehmen und dafür ungemindert den Kaufpreis zahlen müssen, hat er durch die nunmehrige Nichterfüllung keine Schaden in der geltendgemachten Höhe erlitten. Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, ob man mit der wohl herrschenden sog. Erfüllungstheorie eine Verpflichtung des Verkäufers eines Speziessache zur Übereignung einer mangelfreien Sache annimmt. Das führt dann dazu, daß auch im Falle eines Gewährleistungsausschlusses der Käufer die mangelhafte Sache nicht annehmen muß und gegen den Kaufpreisanspruch die Einrede des nichterfüllten Vertrags aus § 320 BGB hat, obwohl er - hätte er die Sache abgenommen - keinerlei Rechte geltend machen könnte (so in der Tat BGH NJW 1997, 652). Beachte: Der Theorienstreit besitzt praktische Relevanz nur bezüglich der Rechte des Käufers vor Gefahrenübergang.


Zum Sachverhalt:

Durch notariellen Vertrag vom 18. 5. 1990 verkaufte der Bekl. den Kl. für 1200000 DM einen aus mehreren Flurstücken bestehenden und bebauten Grundstückskomplex (nachfolgend: "das Grundstück"). Er hatte das Grundstück am 12. 5. 1990 von W und J gekauft, die es ihrerseits von dem Eigentümer K gekauft hatten. Der Vertrag zwischen dem Bekl. und den Kl. enthält einen Gewährleistungsausschluß. Das Grundstück sollte den Kl. unter bestimmten Voraussetzungen am 1. 8. 1990 übergeben und übereignet werden. In der Nacht zum 24. 5. 1990 wurden die Gebäude durch einen Brand weitgehend zerstört. Der Eigentümer K erklärte gegenüber W und J am 8. 6. 1990 den Rücktritt von dem mit ihnen geschlossenen Kaufvertrag. Sie einigten sich aber darauf, daß der Vertrag "nicht zustande gekommen ist". Für den Brandschaden erhielt K von seiner Versicherung einen Betrag von 1543000 DM. Die Kl. verlangen vom Bekl. Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages. Sie behaupten, der Verkehrswert des Grundstücks habe sich vor dem Brand auf 1900000 DM belaufen, so daß ihnen nach Abzug des Kaufpreises von 1200000 DM und weiterer Beträge von insgesamt 29512,24 DM ein Schaden von 670487,76 DM entstanden sei. Davon machen sie mit der Klage einen Teilbetrag von 390000 DM nebst Zinsen geltend.
Das LG hat der Klage stattgegeben; das OLG hat sie abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

1. Das BerGer. unterstellt, daß der Bekl. aufgrund des Vertrages vom 18. 5. 1990 den Kl. gegenüber verpflichtet war, sich die Verfügungsmöglichkeit über das Grundstück zu verschaffen, und daß er, weil ihm dies nicht gelungen ist, ihnen grundsätzlich Schadensersatz wegen Nichterfüllung schuldet. Es meint aber, die Kl. wären auch dann, wenn der Bekl. seine Pflichten so erfüllt hätte, wie er sie nach Eintritt des Brandschadens schuldete, nicht besser gestellt gewesen, als sie es jetzt seien. Dabei zieht das BerGer. allerdings nur eine von zwei Alternativen in Betracht, nämlich die, daß die Kl. "von der ihnen rechtlich eingeräumten Möglichkeit, die infolge des Brandschadens mangelhafte und damit vertragswidrige Kaufsache nicht abzunehmen und die Kaufpreiszahlung zu verweigern", nicht Gebrauch gemacht hätten. Es bleibt also offen, wie sich die Kl. gestanden hätten, wenn sie - was angesichts der durch den Brand verursachten Zerstörung der Gebäude näher läge - das Kaufgrundstück zurückgewiesen hätten.
Unzutreffend ist die Ansicht des BerGer., der vereinbarte Gewährleistungsausschluß habe schon für die Zeit vor Gefahrübergang den Umfang der Leistungspflicht des Bekl. eingeschränkt. Zum Beleg dafür verweist es auf das Senatsurteil vom 8. 3. 1991 (BGHZ 114, 34 = NJW 1991, 1675 = LM § 281 BGB Nr. 11), das sich aber mit dieser Frage nicht befaßt. Soweit der Standpunkt des BerGer. auch im Schrifttum vertreten wird, beruht dies auf der Annahme, die Belange des Käufers seien dadurch gewahrt, daß er die mangelhafte Sache zurückweisen könne (so z.B. Tiedtke, NJW 1992, 3213). Das ist jedoch nicht folgerichtig; denn wenn der Gewährleistungsausschluß die Leistungspflicht des Verkäufers auf die mangelhafte Sache beschränkt, dann muß sich der Käufer damit abfinden, so daß er die Sache nicht zurückweisen darf (Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., Vorb. § 45 Rdnr. 185).

2. Das angefochtene Urteil kann deshalb mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Es ist auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis richtig.
a) Das BerGer. hat, aus seiner Sicht zu Recht, offengelassen, ob der Kaufvertrag nur unter der - nicht eingetretenen - Bedingung geschlossen worden ist, daß der Bekl. Eigentümer des Grundstücks wird. Für eine dahingehende Auslegung bietet der Vertrag jedoch keinen Anhaltspunkt. Die Erklärung des Bekl., er werde Eigentümer, konnten die Kl. nur so verstehen, daß er zur Vertragserfüllung bei Fälligkeit in der Lage ist. Diese Auslegung kann auch das RevGer. vornehmen, weil hierzu tatsächliche Feststellungen nicht mehr erforderlich sind (BGHZ 65, 107 (112) = NJW 1976, 43 = LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 79a).
b) Der Bekl. hat durch den Abschluß des Kaufvertrages die Garantie übernommen, daß er den Kl. gem. § 433 I 1 BGB Besitz und Eigentum an dem Kaufgrundstück verschaffen kann (st.Rspr. des Senats, vgl. WM 1972, 656; BGHZ 62, 119 (120) = NJW 1974, 692 = LM § 278 BGB Nr. 65). Dazu war er aber nicht imstande. Deshalb ist er den Kl. zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages verpflichtet. Maßgebend für die Höhe des Schadens ist, wie sich die Kl. bei Erfüllung des Vertrages gestanden hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, welcher Verlauf sich bis dahin ergeben hätte.
Auch wenn der Bekl. Eigentümer des Grundstücks gewesen wäre, so wäre ihm die Erfüllung seiner Leistung infolge der durch den Brand verursachten Zerstörung der Gebäude teilweise unmöglich geworden; denn Gegenstand des Kaufvertrages waren auch die Gebäude als wesentliche Bestandeile des Grundstücks. Der Bekl. hatte den Brandschaden nicht zu vertreten. Dieser ist aber vor Gefahrübergang entstanden. Daher hätten sich die Rechtsfolgen dieser Leistungsstörung nicht aus den Gewährleistungsvorschriften, sondern aus den allgemeinen Bestimmungen hergeleitet (BGHZ 34, 32 (37) = NJW 1961, 772 = LM § 459 BGB Nr. 9 (L); BGH, LM § 346 BGB Nr. 13 = WM 1984, 936 (938)). Das entspricht der Regelung in § 459 I 1 BGB, denn danach entsteht ein Gewährleistungsanspruch erst mit Gefahrübergang. Eine im Schrifttum verbreitete Auffassung sieht den Zweck dieser Vorschrift darin, die Haftung des Verkäufers auch auf solche Sachmängel zu erweitern, die in der Zeit bis zum Gefahrübergang entstanden sind (Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., Vorb. § 459 Rdnr. 184). Diese an sich zutreffende Meinung ändert aber nichts daran, daß der Käufer grundsätzlich erst nach Gefahrübergang Gewährleistungsansprüche geltend machen kann. Allerdings wird ihm dieses Recht ausnahmsweise schon vorher zugebilligt, nämlich dann, wenn der Verkäufer den Sachmangel - was hier der Fall gewesen wäre - nicht beheben kann oder dessen  Beseitigung verweigert (BGHZ 34, 32 (34, 35) = NJW 1961, 772 = LM § 459 BGB Nr. 9 (L); Westermann, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 459 Rdnr. 5). Dadurch soll aber der Käufer begünstigt und nicht benachteiligt werden; deshalb kann er nach den allgemeinen Bestimmungen vorgehen, wenn sie ihn besser stellen als die Gewährleistungsvorschriften (BGHZ 34, 32 (37) = NJW 1961, 772 = LM § 459 BGB Nr. 9 (L); Erman/Grunewald, BGB, 9. Aufl., Vorb. § 459 Rdnr. 16, § 459 Rdnr. 25). So verhält es sich hier.
Die Kl. hätten gem. § 323 II i.V. mit § 281 BGB vom Bekl. gegen Zahlung des Kaufpreises Herausgabe der Brandentschädigung von 1543000 DM verlangen können, weil er diese erhalten hätte, wenn er Eigentümer des Grundstücks am 1. 8. 1990 gewesen wäre, dem Zeitpunkt, zu dem er den Kl. nach Kaufpreiszahlung Übereignung schuldete. Voreigentümer wären dann W und Jgewesen, von denen der Bekl. das Grundstück gekauft hatte. Sie wiederum hätten es von dem Erstverkäufer K erworben. Dieser hatte die Brandversicherung abgeschlossen. Seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag wären nach § 69 I VVG auf W und J übergegangen; denn sie wären bei Eintritt des Brandschadens am 23./24. 5. 1990 Grundstückseigentümer oder aufgrund der Auflassungsvormerkung jedenfalls Anwartschaftsberechtigte gewesen, falls sie vertragsgemäß am 30. 4. 1990 den Kaufpreis an K gezahlt hätten. Ihnen wäre infolge der durch den Brand verursachten Zerstörung der Gebäude die Erfüllung des mit dem Bekl. geschlossenen Kaufvertrages unverschuldet teilweise unmöglich geworden. Daher hätte der Bekl. von ihnen nach §§ 323 II, 281 BGB gegen Zahlung des Kaufpreises Herausgabe der Brandentschädigung verlangen können. Allerdings ist es zu diesem Ablauf, der sich normalerweise ergeben hätte, nicht gekommen, da Wund J mangels Eigentumserwerb nicht in der Lage waren, dem Bekl. an dem ihm verkauften Grundstück Eigentum zu verschaffen. Dafür muß der Bekl. einstehen, weil er - wie dargelegt - mit dem Weiterverkauf an die Kl. die Erfüllung seiner Übereignungspflicht garantiert hat.
3. Der Rechtsstreit ist noch nicht zu einer Endentscheidung reif. Nach dem vom LG eingeholten Gutachten des Sachverständigen W hatte das Grundstück vor Eintritt des Brandschadens einen Verkehrswert von 1900000 DM. Von diesem Wert wären die Leistungen abzuziehen, welche die Kl., sofern der Bekl. den Vertrag erfüllt hätte, hätten aufbringen müssen, nämlich den Kaufpreis von 1200000 DM und Kosten von 29512,24 DM. In Höhe der sich daraus ergebenden Differenz von 670487,76 DM könnten die Kl. als Nichterfüllungsschaden geltend machen, daß sie die Brandentschädigung erhalten hätten, wenn der Bekl. Eigentümer des Grundstücks gewesen wäre. Demnach wäre die eingeklagte Teilforderung von 390000 DM berechtigt. Der Bekl. hat jedoch in den Vorinstanzen das Gutachten beanstandet. Daher muß das BerGer. feststellen, welchen Wert das Grundstück hatte. Deswegen ist die Zurückverweisung der Sache geboten.