Gewährleistungsausschluß
und Surrogat: Ergänzende Vertragsauslegung
BGH, Urt. v. 20.12.1996
Amtl. Leitsatz:
Beim Weiterverkauf eines Grundstücks unter
Gewährleistungsausschluß, dessen Belastung mit einem Ölschaden
vom Erstverkäufer arglistig verschwiegen wurde, kann nach den konkreten
Umständen des einzelnen Falles Raum für eine ergänzende
Vertragsauslegung dahingehend sein, daß die Parteien des Zweitvertrages
die Abtretung etwaiger Gewährleistungsansprüche des Verkäufers
gegen den Erstverkäufer vereinbart hätten.
Fundstellen:
NJW 1997, 652
ZIP 1997, 242
BB 1997, 439
LM H. 2/1997 § 157 (D) BGB Nr. 68
WM 1997, 481
Zentralprobleme des Falles:
Im Zentrum des Falles steht die ergänzende
Vertragsauslegung eines Gewährleistungsausschlusses. Bedenklich und
nur auf dem Hintergrund der sog. Erfüllungstheorie (vgl.
Anmerkung zu BGH NJW 1995, 1737 = BGHZ 129, 103)
verständlich ist dabei aber die hier vom BGH für die ergänzende
Vertragsauslegung herangezogene, sich auf BGH
aaO berufende Argumentation, der Käufer hätte trotz des wirksam
vereinbarten Gewährleistungsausschlusses die Kaufsache bei Entdeckung
des Mangels vor Gefahrübergang zurückweisen können.
Zur Rechtslage nach neuem Schuldrecht s. die Anm. zu
BGH,
Urt. v. 13. Februar 2004 - V ZR 225/03 = NJW 2004, 1873.
Zum Sachverhalt:
Die Bekl. hatte 1980 für 2300000 DM unter
Ausschluß jeglicher Gewährleistung ein gewerblich genutztes
Grundstück erworben. 1987 veräußerte sie dieses Grundstück
ebenfalls unter Gewährleistungsausschluß an die Kl. zum Preis
von 5300000 DM. Diese stellte später fest, daß der Boden mit
Ölrückständen verunreinigt ist, die auf das Auslaufen von
etwa 8000 bis 10000 Litern Heizöl im Jahr 1970 zurückzuführen
sind und deren Beseitigung einen Aufwand von etwa 355000 DM erfordert.
Die Erstverkäuferin wußte von diesem Heizölschadensfall,
offenbarte ihn der Bekl. beim Verkauf des Grundstücks aber nicht;
diese hatte auch beim Weiterverkauf an die Kl. keine Kenntnis von diesem
Ölschaden. Die Kl. verlangt von der Bekl. die Abtretung ihrer Gewährleistungsansprüche
aus dem Vertrag mit der Erstverkäuferin.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr
stattgegeben. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. ist der Auffassung, eine Pflicht
der Bekl. zur Abtretung von Gewährleistungsansprüchen könne
hier nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden,
denn der Vertrag enthalte insoweit keine ausfüllungsbedürftige
Regelungslücke. Der Anspruch der Kl. ergebe sich aber aus den Grundsätzen
von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Dem zwischen den Parteien vereinbarten
Gewährleistungsausschluß könne nur Wirkung beigemessen
werden, wenn damit gleichzeitig die Verpflichtung der Bekl. verbunden werde,
die ihr gegen die Erstverkäuferin zustehenden Gewährleistungsansprüche
an die Kl. abzutreten. Dies stelle einen Ausgleich dafür dar, daß
die Bekl. durch den Ausschluß der Gewährleistung die Kl. auf
den unsicheren Weg der deliktsrechtlichen Schadloshaltung gegenüber
der Erstverkäuferin beschränkt habe. Durch die Abtretung entstünden
der Bekl. weder wirtschaftliche noch rechtliche Nachteile.
II. Diese Ausführungen sind nicht frei von
Rechtsirrtum. Zu Recht rügt die Revision, daß der Ansatz des
BerGer., der vereinbarte Gewährleistungsausschluß sei nur wirksam,
wenn er gleichzeitig die Verpflichtung der Bekl. umfasse, ihre Ansprüche
gegen die Erstverkäuferin an die Kl. abzutreten, verfehlt sei. Ein
Gewährleistungsausschluß ist nach § 476 BGB nichtig, wenn
der Verkäufer einen Sachmangel arglistig verschweigt; eine Unwirksamkeit
kommt auch in Betracht, wenn eine solche Freizeichnung unangemessen wäre
und zu einem mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr im Einklang
stehenden Ergebnis führen würde. Diese Voraussetzungen liegen
hier nicht vor. Haben die Kaufvertragsparteien die gesetzlichen Gewährleistungsregeln
aber wirksam abbedungen, ist der Verkäufer grundsätzlich nicht
verpflichtet, etwaige Gewährleistungsansprüche, die ihm gegen
Dritte zustehen, an den Käufer abzutreten. Das BerGer. verkennt bei
seinem Ansatz Wirksamkeit und Tragweite des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses.
Ein Anspruch des Kl. auf Abtretung von Gewährleistungsansprüchen
kann deshalb hier nicht mit der Begründung bejaht werden, daß
der vereinbarte Gewährleistungsausschluß ohne einen solchen
Abtretungsanspruch unwirksam wäre. Das angefochtene Urteil kann daher
mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
III. Gleichwohl bleibt die Revision ohne Erfolg.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Auffassung
gefolgt werden kann, bei einer wie hier gegebenen Fallgestaltung sei z.B.
durch Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 281 BGB oder in
entsprechender Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation
von einer Verpflichtung des Erstkäufers zur Abtretung etwaiger Gewährleistungsansprüche
auszugehen (vgl. z.B. Palandt/Putzo, BGB, Vorb. § 459 Rdnr. 30 m.
Hinw. auf Wolter,NJW 1975, 622 (623); H.P. Westermann, in: MünchKomm,
§ 462 Rdnr. 15 a.E.; Erman/Weitnauer, BGB, 9. Aufl., Vorb. §
459 Rdnr. 51b, jeweils m.w. Nachw.; a.A. z.B. Staudinger/Honsell, BGB §
463 Rdnr. 73; Soergel/Huber, BGB § 463 Rdnr. 58, jew. m.w. Nachw.).
2. Das angefochtene Urteil ist aus einem anderen
Grunde im Ergebnis richtig.
a) Die Revisionserwiderung weist zutreffend darauf
hin, das BerGer. habe zu Unrecht eine ergänzende Auslegung der vertraglichen
Vereinbarung der Parteien abgelehnt. Die ergänzende Auslegung setzt
eine Regelungslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit
in den Bestimmungen des Rechtsgeschäfts voraus (vgl. BGHZ 90, 69 (72ff.)
= NJW 1984, 1177 = LM § 6 AGBG Nr. 3). Das hat das BerGer. nicht verkannt.
Seine Begründung, es fehle an einer solchen ausfüllungsbedürftigen
Lücke, ist jedoch nicht zutreffend, weil sie allein darauf abstellt,
es handle sich hier um einen "normalen Grundstückskaufvertrag, der
insoweit weder sachlich noch persönlich Besonderheiten aufweise" und
eine "Gefährdung des gesamten Vertragszweckes oder eine nicht gewollte
Benachteiligung der Kl. durch die Nichtaufnahme einer Abtretungsverpflichtung
nicht gegeben sei". Dabei wird nicht berücksichtigt, daß die
Parteien bei der Vereinbarung des Gewährleistungsausschlusses nur
von dem allgemeinen Mängelrisiko bei einem bebauten Grundstück
ausgingen, das die Kl. übernehmen sollte; den hier maßgeblichen
Gesichtspunkt des zusätzlichen Risikos einer Bodenbelastung durch
Schadstoffe zu bedenken und gegebenenfalls zu regeln, hatten sie keinen
Anlaß. Die auf dem Gelände stehenden Gebäude wurden nach
dem Erwerb des Grundstücks von der damaligen Nutzerin umgebaut, die
Beheizung auf Gas umgestellt und die Gebäude als Verwaltungssitz genutzt.
Es bestand für beide Parteien kein Anlaß, das Risiko einer Bodenverunreinigung
durch die Nutzung des Erstverkäufers zu bedenken und entsprechend
zu regeln. Insbesondere den Umstand, daß die Erstverkäuferin
der Bekl. insoweit einen offenbarungspflichtigen Mangel verschwiegen haben
könnte und der Bekl. deshalb noch Gewährleistungsansprüche
zustehen könnten, haben die Parteien nicht bedacht.
b) Die vom BerGer. unterlassene Auslegung
kann das RevGer. nach dem festgestellten Sachverhalt des angefochtenen
Urteils selbst nachholen, weil insoweit weitere tatrichterliche Feststellungen
nicht mehr in Betracht kommen (st. Rspr., vgl. z.B. BGHZ 65, 107 (112)
= NJW 1976, 43 = LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 79a; BGH, NJW 1988,
2099 = LM § 157 (D) BGB Nr. 50 = WM 1988, 767 (769)). Die ausfüllungsbedürftige
Lücke in den Vereinbarungen der Parteien ist durch ergänzende
Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) in der Weise zu schließen,
wie die Parteien den Fall im Hinblick auf den mit dem Vertrag verfolgten
Zweck bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach
Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte geregelt
hätten (BGHZ 90, 69 (75) = NJW 1984, 1177 = LM § 6 AGBG Nr. 3).
c) Diese nach beiden Seiten hin interessengerecht
ausgerichtete Auslegung (vgl. zu diesem Grundsatz BGH, NJW 1991, 2488 (2489)
= LM H. 5/1992 § 747 BGB Nr. 3) führt zu dem Ergebnis, daß
die Parteien das Risiko einer Ölbelastung des Grundstücks durch
den Erstverkäufer jedenfalls mit der Abtretung etwaiger Gewährleistungsansprüche
geregelt hätten. Für die Bekl. lag das Interesse an dem vereinbarten
umfassenden Gewährleistungsausschluß in erster Linie darin,
das Grundstück veräußert zu haben und keine Auseinandersetzungen
über etwaige Mängel befürchten zu müssen sowie insbesondere
den Kaufpreis in voller Höhe zu behalten und weiter verwenden zu können.
Etwaige Gewährleistungsansprüche gegen die Erstverkäuferin
zu erhalten, konnte bereits im Hinblick auf ihre fehlende Kenntnis davon
nicht ihren Interessen bei Vertragsschluß mit der Kl. entsprechen.
Andererseits hätte die Kl. trotz des Gewährleistungsausschlusses
die Kaufsache bei Entdeckung des Mangels vor Gefahrübergang zurückweisen
(BGH, NJW 1995, 1737 = LM H. 9/1995 § 323 BGB Nr. 11) oder das Grundstück
übernehmen und mit der Bekl. die Abtretung von Gewährleistungsansprüchen
gegen die Erstverkäuferin vereinbaren können. Dem hätte
jedenfalls dann kein erkennbares Interesse der Bekl. entgegengestanden.
Diese Interessenlage der Parteien bei Vertragsschluß wird durch den
Umstand, daß der bereits vorhandene Ölschaden erst durch die
von der Kl. nach Gefahrübergang veranlaßten Feststellungen offengelegt
wurde, nicht in Frage gestellt.
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