Gewährleistungsrecht,
ergänzende Vertragsauslegung und stellvertretendes commodum (§ 285 BGB n.F.)
BGH,
Urt. v. 13. Februar 2004 - V ZR 225/03
Fundstelle:
NJW 2004, 1873
Amtl. Leitsatz:
Beim Weiterverkauf eines Grundstücks unter
Gewährleistungsausschluß ist für eine Verpflichtung zur Abtretung von
Gewährleistungsansprüchen gegen den Erstverkäufer im Wege ergänzender
Vertragsauslegung nur dann Raum, wenn besondere Anhaltspunkte dafür
vorliegen, daß der Gewährleistungsausschluß dem Zweitkäufer Ansprüche gegen
den Erstverkäufer nicht vorenthalten sowie den Erstkäufer wegen etwaiger
Mängel nicht abschließend entlasten und vor unvorhersehbaren Rückwirkungen
einer Inanspruchnahme des Erstverkäufers schützen sollte (Abgrenzung zum
Senatsurt. v. 20. Dezember
1996, V ZR 259/95, NJW 1997, 652).
Zentrale Probleme:
Die Bekl. hatten ein Hausgrundstück, das sie selbst erworben hatten, an
die Kl. weiterverkauft und dabei die Gewährleistung ausgeschlossen. Da das
Haus Mängel (Feuchtigkeitsschäden) aufwies verlangen die Kl. nunmehr
Abtretung der (angeblichen) Gewährleistungsansprüche, die den Bekl. als
Käufer gegen den Erstverkäufer zustehen. Da der Vertrag insoweit keine
Regelung enthielt, kam es darauf an, ob man diesem im Wege ergänzender
Auslegung eine solche Verpflichtung entnehmen kann. Der BGH verneint dies in
Abgrenzung zu BGH NJW 1997,
652.
Auch einen Anspruch aus § 281 BGB a.F. (Surrogat bei Unmöglichkeit) verneint
der BGH. Diese Frage ist unter dem neuen Schuldrecht, bei welchem das
Kaufrecht jetzt durch die Einführung einer Pflicht zur sachmangelfreien
Leistung zur sog. "Erfüllungstheorie" übergegangen ist, erneut von
Interesse. Es geht um die Frage, ob der Käufer beim Kauf einer Sache, die
unter einem unbehebbaren Mangel leidet (sog. "qualitative
Teilunmöglichkeit") nach § 285 BGB n.F. (der § 281 BGB a.F. entspricht) vom
Verkäufer auch Abtretung von Surrogaten, also insbes. auch von Ansprüchen
gegen dessen Verkäufer, verlangen kann. Nahezu alle Argumente, die der BGH
hier gegen die Anwendung von § 281 BGB a.F. vorbringt, passen nämlich zu §
285 BGB und dem neuen Gewährleistungssystem nicht mehr. Insbesondere erfaßt
§ 285 BGB durch den Verweis auf § 275 BGB nicht nur die nachträgliche,
sondern auch die anfängliche Unmöglichkeit. Gegen eine Anwendung könnte
allenfalls sprechen, daß § 285 in § 437 nicht erwähnt ist, jedoch ist dies
angesichts des deklaratorischen Charakters von § 437 BGB nach zutr. Ansicht
kein Hindernis (s. insbes. v. Olshausen ZGS 2002, 194 ff;
Bamberger/Roth-Faust, BGB, § 437 Rn. 147 ff; Palandt-Heinrichs § 285 Rn. 3).
Str. ist dabei freilich, ob auf einen solchen Anspruch die
Verjährungsregelung des § 438 BGB entsprechend anzuwenden ist und ob sich
ein vertraglicher Gewährleistungsanspruch sich auch auf den Surrogatanspruch
aus § 285 BGB erstreckte. M.E. ist ersteres zu verneinen, letzteres aber zu
bejahen (s. dazu sowie zur Anwendbarkeit von § 285 BGB im Mietrecht
BGH v. 10.5.2006 - XII ZR 124/02).
Kurz: Veräußert jemand eine mit einem unbehebbaren Mangel behaftete Sache,
so kann nach neuem Schuldrecht der Käufer nach § 285 BGB die Abtretung von
Ansprüchen verlangen, die der Verkäufer aufgrund der Mangelhaftigkeit gegen
Dritte hat.
©sl 2004
Tatbestand:
Die Kläger erwarben im Mai 2001 von den Beklagten ein Grundstück unter
Ausschluß der Sachmängelgewährleistung. Das darauf befindliche
Einfamilienhaus hatten diese von einem Architektenehepaar (nachfolgend:
Erstverkäufer) errichten lassen und 1992 gemeinsam mit dem Grundstück
erworben.
Bei Bezug des Hauses im September 2001 stellten die Kläger
Feuchtigkeitsschäden im Kellergeschoß fest. Sie behaupten unter Vorlage
eines Privatgutachtens, diese beruhten darauf, daß wesentliche Bauteile des
Hauses abweichend von den genehmigten Plänen und zudem fehlerhaft ausgeführt
worden seien. Die Mängel müßten zwar nicht den Beklagten, wohl aber den
Erstverkäufern bekannt gewesen sein. Daher stünden den Beklagten unverjährte
Gewährleistungsansprüche gegen die Erstverkäufer zu.
Die auf Abtretung dieser Ansprüche sowie Herausgabe einer Kopie des
Kaufvertrags mit den Erstverkäufern gerichtete Klage ist vor dem Landgericht
erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Kläger sind die Beklagten im
wesentlichen antragsgemäß verurteilt worden. Mit der von dem
Oberlandesgericht zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die
Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht
meint, ein Anspruch der Kläger auf Abtretung der den Beklagten gegen die
Erstverkäufer zustehenden Ansprüche folge aus einer ergänzenden Auslegung
des Kaufvertrags. Die Parteien hätten bei dessen
Abschluß nicht bedacht, daß Mängel vorhanden sein könnten, für die die
Erstverkäufer noch einstehen müßten. Bei Einbeziehung dieses Aspekts hätten
sich die Beklagten nach Treu und Glauben auf eine Abtretung ihrer
Gewährleistungsansprüche einlassen müssen. Ob die behaupteten Mängel
tatsächlich vorlägen, könne dahinstehen. Da die vertragliche Regelungslücke
lediglich die Möglichkeit betreffe, daß Mängel aufträten, die Ansprüche
gegen die Erstverkäufer begründeten, seien die Beklagten schon dann zur
Abtretung verpflichtet, wenn diese Möglichkeit ernsthaft bestehe; hiervon
sei nach dem Vorbringen der Kläger auszugehen.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht
stand.
1. Zwar gehört die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich in den Bereich
tatrichterlicher Feststellungen und ist deshalb revisionsrechtlich nur
darauf nachprüfbar, ob das Berufungsgericht Auslegungs- und Ergänzungsregeln
oder Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände
unbeachtet gelassen hat (Senat, BGHZ 111, 110, 115; Urt. v. 12. Dezember
1997, V ZR 250/96, NJW 1998, 1219, 1220; BGH, Urt. v. 17. April 2002,
VIII ZR 297/01, WM 2002, 1229, 1230). Ein solcher Rechtsfehler ist dem
Berufungsgericht aber unterlaufen.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht die
Voraussetzungen, unter denen der Senat mit Urteil vom 20. Dezember 1996 (V
ZR 259/95, NJW 1997, 652) eine Verpflichtung zur Abtretung etwaiger
Gewährleistungsansprüche des Verkäufers gegen den Erstverkäufer im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung angenommen hat, nicht für gegeben hält.
Denn anders als in dem der Senatsentscheidung zugrunde liegenden Fall, geht
es hier nicht um ein das „allgemeine Mängelrisiko“ übersteigendes
„zusätzliches Risiko“ einer Bodenbelastung durch Schadstoffe, das zu regeln
die Parteien nicht bedacht haben. Fehlerfrei geht das Berufungsgericht
vielmehr davon aus, daß die Qualität der behaupteten Mängel den Rahmen des
von den Parteien erwarteten und geregelten Risikos nicht übersteigt.
b) Dem Berufungsgericht ist dagegen nicht auch darin zu folgen, aus dem
Umstand, daß keine der Parteien vorgetragen habe, eine mögliche Haftung der
Erstverkäufer sei Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen,
könne auf eine Regelungslücke des Vertrags geschlossen werden. Fehlender
Vortrag indiziert ebenso wenig eine Regelungslücke im Sinne einer
planwidrigen Unvollständigkeit (vgl. BGHZ 127, 138, 142) wie die Tatsache,
daß der
Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält. Von einer
planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag
aufgrund einer an objektiven Maßstäben orientierten Bewertung des Inhalts
der getroffenen Vereinbarung und der daraus abgeleiteten Rechtsfolge (Senatsurt.
v. 12. Dezember 1997, V ZR 250/96, NJW 1998, 1219) eine Bestimmung vermissen
läßt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der
Parteien zu verwirklichen (vgl. BGHZ 90, 69, 74; 77, 301, 304;
Staudinger/Roth, BGB [2003], § 157 Rdn. 15). Sie ist dadurch gekennzeichnet,
daß die Parteien mit der getroffenen Regelung ein bestimmtes Ziel erreichen
wollten, dies aber wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten nicht
gelungen ist (Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 346/02, zur Veröffentl.
vorgesehen).
Hingegen darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht herangezogen werden,
um einem Vertrag aus Billigkeitsgründen einen zusätzlichen Regelungsgehalt
zu verschaffen, den die Parteien objektiv nicht vereinbaren wollten (BGHZ
77, 301, 304; 40, 91, 103).
c) Bei einem Grundstückskaufvertrag ist das Regelungskonzept der
Vertragsschließenden meist auf den Leistungsaustausch und darauf gerichtet,
die Haftung des Verkäufers für mögliche Sachmängel zu begrenzen.
Bestimmungen zur Haftung Dritter und der Abtretung etwaiger Ansprüche gegen
sie sind zur Verwirklichung dieser Ziele in der Regel nicht erforderlich.
Haben die Parteien die Gewährleistung für ein bebautes Grundstück - wie hier
- ausgeschlossen, so wird damit das „allgemeine Mängelrisiko“ auf den Käufer
verlagert.
Der Verkäufer soll wegen für möglich gehaltener Mängel nach Gefahrübergang
nicht mehr in Anspruch genommen werden können, die Angelegenheit insoweit
für ihn „erledigt“ sein. Dieses Regelungskonzept schließt zwar eine
Abtretung von Gewährleistungsansprüchen des Verkäufers gegen den
Erstverkäufer nicht aus, erfordert es aber auch nicht in dem Sinne, daß das
Fehlen der Abtretung die Regelung lückenhaft sein ließe. Von einer Lücke
kann nur dann gesprochen werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die
Verlagerung des allgemeinen Mängelrisikos auf den Käufer diesem Ansprüche
gegen den Erstverkäufer nicht vorenthalten und den Verkäufer nicht
abschließend wegen etwaiger Mängel entlasten sollte. Einen solchen
Anhaltspunkt hat der Senat in der Entscheidung vom 20. Dezember 1996 in dem
bei Vertragsabschluß nicht für möglich gehaltenen zusätzlichen Risiko einer
Bodenbelastung durch Schadstoffe gesehen. Einen vergleichbaren tatsächlichen
Anhaltspunkt gibt es hier jedoch nicht. Allein die rechtliche Überlegung,
daß die Rechtsstellung des Käufers nicht schwächer als möglich ausgestaltet
und der Erstverkäufer nicht begünstigt werden dürfe, genügt als
Billigkeitserwägung nicht zur Begründung einer Regelungslücke. Sie
berücksichtigt nicht das berechtigte Interesse des Verkäufers, über eine
Verfolgung von Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Erstverkäufer selbst
entscheiden zu können,
vor unvorhersehbaren Rückwirkungen einer Inanspruchnahme des Erstverkäufers
durch den Zweitkäufer verschont zu bleiben und nicht in Rechtsstreitigkeiten
zwischen beiden einbezogen zu werden. In diesem Zusammenhang kann hier nicht
unberücksichtigt bleiben, daß sich die Beklagten nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts vorgerichtlich zu einer Zession nur bereit erklärt haben,
sofern sie selbst abschließend von einer Inanspruchnahme freigestellt
werden, weil dieses Verhalten Rückschlüsse auf ihren tatsächlichen Willen
bei Vertragsschluß zuläßt. Widerstreiten aber in Bezug auf eine mögliche
Inanspruchnahme des Erstverkäufers durch den Zweitkäufer die Interessen von
Zweitkäufer und Zweitverkäufer, so kann aufgrund einer an objektiven
Maßstäben orientierten Bewertung des Inhalts der getroffenen Vereinbarung
ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine Lückenhaftigkeit des Vereinbarten
geschlossen werden. Damit scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus mit
der Folge, daß es bei der gesetzlichen Regelung verbleibt.
2. Nach den hier maßgeblichen, in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden
Fassung anwendbaren gesetzlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind die Beklagten, wie auch das
Berufungsgericht nicht verkennt, zu einer Abtretung etwaiger Ansprüche gegen
die Erstverkäufer nicht verpflichtet. Eine solche Verpflichtung folgt
insbesondere nicht aus § 281 BGB a.F. Bei einem im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses bereits vorhandenen Mangel der Kaufsache liegt, ungeachtet
der Frage, ob behebbare
Mängel überhaupt geeignet sind, eine (Teil-)Unmöglichkeit zu begründen (vgl.
dazu Staudinger/Honsell, BGB [1995], Vorbem. zu §§ 459 ff Rdn. 19;
MünchKomm-BGB/Westermann, 3. Aufl., § 459 Rdn. 3; Erman/Battes, BGB, 10.
Aufl., § 281 Rdn. 6), jedenfalls kein Fall der - von § 281 BGB a.F. allein
erfaßten - nachträglichen Unmöglichkeit vor (vgl. Staudinger/Honsell, aaO,
Rdn. 25). Demgemäß stellt sich - anders als bei einer nachträglichen
Verschlechterung der Kaufsache - nach Gefahrübergang auch nicht die Frage,
ob ein einmal begründeter, zu den allgemeinen Bestimmungen über
Leistungsstörungen zählender Anspruch aus § 281 BGB neben den Regeln über
die Sachmängelgewährleistung fortbestehen kann (offengelassen von Senat,
BGHZ 114, 34, 37). Vielmehr verbleibt es bei dem vom Bundesgerichtshof in
ständiger Rechtsprechung angewandten Grundsatz, daß die Vorschriften über
die Sachmängelgewährleistung beim Kauf nach Gefahrübergang als besondere und
abschließende Regelung die allgemeinen Bestimmungen über Leistungsstörungen
ausschließen (vgl. Senat, BGHZ 113, 232, 235; BGHZ 60, 319, 320; 10, 242,
248 f.).
Da eine Grundlage für die verlangte Abtretung somit fehlt, war das
Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das
klageabweisende Urteil erster Instanz zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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