NJW 1995, 1757
LM H. 8/1995 § 322 ZPO Nr. 142
MDR 1995, 1062
VersR1995, 1507
Bei einer aus Sachgründen abgewiesenen
negativen Feststellungsklage ist Folge der Rechtskraftwirkung die Präklusion
aller Einwendungen gegen den bekämpften Anspruch, unabhängig
davon, ob sie der Kläger seinerzeit vorgetragen hat oder nicht und
ob das Gericht sich damit auseinandergesetzt hat, sofern die Einwendungen
denselben Streitgegenstand betreffen.
Der Bekl. ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen,
mit einem Kotten bebauten Grundbesitzes in S. Mit notariellem Vertrag vom
6. 12. 1974 pachtete der Kl. einen Teil dieses Grundstücks zu einem
vom Bekl. bereits angepachteten Besitz hinzu. Die Pachtzeit war bis zum
30. 9. 1992 befristet. Mit weiterem notariellem Vertrag vom selben Tage
räumte der Bekl. dem Kl. an einem Teil der gepachteten Fläche,
nämlich an dem Kotten und dem umliegenden Land in einer Größe
von etwa 2500 qm, ein Ankaufsrecht ein. Dieser Teil war nicht durch Grundbuch-
oder Katasterbezeichnungen festgelegt, sondern wurde auf einer als Anlage
zu den notariellen Verträgen genommenen Flurkarte schraffiert und
rot dargestellt. Der Ankaufspreis wurde mit 16000 DM vereinbart. Das Ankaufsrecht
konnte nicht vor dem 1. 1. 1992 ausgeübt werden und war bis zum 31.
12. 1992 befristet. Schließlich schlossen die Parteien am selben
Tage einen privatwirtschaftlichen, notariell beglaubigten Vertrag, nach
dem der Kl. dem Bekl. ein bis zum 30. 9. 1992 unkündbares, verzinsliches
Darlehen in Höhe von 16000 DM gewährte, das bereits ausgezahlt
worden war. Der Bekl. wollte sich später wegen einer von ihm behaupteten
Schwarzgeldabrede von der Vereinbarung über das Ankaufsrecht lösen.
Seine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Ankaufsrechts wurde jedoch
durch Urteil des LG Münster vom 27. 12. 1983 rechtskräftig abgewiesen.
Mit Schreiben vom 7. 5. 1992 übte der Kl. das Ankaufsrecht gegenüber
dem Bekl. aus. Er verlangt Übereignung der entsprechenden Grundstücke,
die nach seiner Behauptung im Flurbereinigungsverfahren die Bezeichnung
Gemarkung F, Flur 141 Nr. 54 und 53 erhalten hätten, und zwar Zug
um Zug gegen Zahlung von 16000 DM. Ferner begehrt er die Feststellung,
daß sich der Kl. hinsichtlich des Kaufpreises in Annahmeverzug befinde.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung
des Bekl. hat das OLG die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. führte
zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat die Auffassung vertreten, die
Vereinbarung über das Ankaufsrecht sei wegen unvollständiger
Beurkundung unwirksam, §§ 313 S. 1, 125 S. 1 BGB. Die am 6. 12.
1974 geschlossenen Verträge seien nämlich nach den Vorstellungen
der Parteien als rechtliche Einheit zu werten, so daß auch der Darlehensvertrag
der Beurkundungspflicht unterlegen habe. Der Formmangel führe zur
Nichtigkeit des gesamten Vertragswerkes. Von einem wirksam begründeten
Ankaufsrecht sei auch nicht mit Rücksicht auf das rechtskräftige
Urteil des LG Münster vom 27. 12. 1983 auszugehen. Die Streitgegenstände
seien nämlich nicht identisch. Damals sei es um die Unwirksamkeit
wegen der vom Bekl. behaupteten Schwarzgeldabrede gegangen, heute um die
Unwirksamkeit wegen Formmangels. Diese unterschiedlichen Unwirksamkeitsgründe
beeinflußten den Streitgegenstand.
II. Diese Ausführungen halten einer Nachprüfung
nicht stand.
1. Die Frage, ob der Darlehensvertrag der notariellen
Beurkundung bedurfte und welche rechtlichen Folgen gegebenenfalls die Nichtbeachtung
der Form hat, stellt sich hier nicht. Entgegen der Auffassung des BerGer.
ist nämlich durch das rechtskräftige Urteil des LG Münster
vom 27. 12. 1983 mit bindender Wirkung festgestellt, daß das Ankaufsrecht
wirksam begründet worden ist.
a) Nach § 322 I ZPO ist ein Urteil insoweit
der Rechtskraft fähig, als darin über den durch Klage- und Widerklage
erhobenen Anspruch entschieden ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung
des BGH (BGHZ 93, 287 (288f.) = NJW 1985, 1711 = LM § 322 ZPO Nr.
103; BGHZ 123, 137 (139ff.) = NJW 1993, 2684 = LM H. 12/1993 § 322
ZPO Nr. 135) und der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. nur Gottwald,
in: MünchKomm-ZPO, § 322 Rdnrn. 9ff.; Zöller/Vollkommer,
ZPO, 19. Aufl., Vorb. § 322 Rdnr. 19 m.w. Nachw.) bedeutet dies zum
einen, daß eine erneute Klage mit identischem Streitgegenstand unzulässig
ist. Ist die in einem Vorprozeß entschiedene Rechtsfolge nur Vorfrage
für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits, so besteht die
Rechtskraftwirkung in einer Bindungswirkung (BGH, NJW 1993, 3204f. = LM
H. 1/1994 § 322 ZPO Nr. 136; Zöller/Vollkommer, Vorb. §
322 Rdnr. 19 m.w. Nachw.). Dabei ist eine Identität der Streitgegenstände
nicht nur dann anzunehmen, wenn der nämliche Streitgegenstand zwischen
denselben Parteien rechtshängig gemacht wird. Vielmehr sind die Streitgegenstände
auch identisch, wenn im Zweitprozeß der Ausspruch des "kontradiktorischen
Gegenteils" begehrt wird (BGHZ 123, 137 (139) = NJW 1993, 2684 = LM H.
12/1993 § 322 ZPO Nr. 135; Senat, NJW 1995,
967 = LM H. 4/1995 § 322 ZPO Nr. 139). Infolgedessen hat ein Urteil,
das eine negative Feststellungsklage aus sachlichen Gründen abweist,
dieselbe Rechtskraftwirkung wie ein Urteil, das das Gegenteil dessen, was
mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (BGH,
NJW 1986, 2508 = LM § 256 ZPO Nr. 144). Daher hat das LG Münster
durch Abweisung der auf Negation des Ankaufsrechts gerichteten Feststellungsklage
zugleich positiv mit Rechtskraftwirkung festgestellt, daß das Ankaufsrecht
besteht. Da dies eine Vorfrage für die Entscheidung des vorliegenden
Prozesses darstellt, besteht insoweit eine Bindungswirkung.
b) Das BerGer. geht allerdings zu Recht davon
aus, daß die Bindungswirkung auf den Streitgegenstand des früheren
Rechtsstreits beschränkt ist. Dieser erschließt sich bei einem
klageabweisenden Urteil, dessen Urteilsformel keine Aufschlüsse zuläßt,
stets erst aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen einschließlich
des Parteivorbringens (BGH, NJW 1986, 2508 = LM § 256 ZPO Nr. 155;
NJW 1990, 1795 (1796) = LM § 322 ZPO Nr. 126). Das bedeutet jedoch
nicht, daß die Parteien den Streitgegenstand durch die Gestaltung
ihres Vortrages willkürlich begrenzen könnten (vgl. Gottwald,
in: MünchKomm-ZPO, § 322 Rdnr. 107). Der Steitgegenstand wird
vielmehr durch den prozessualen Anspruch und den ihm zugrundeliegenden
Lebenssachverhalt bestimmt, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen
dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder
nicht. Infolgedessen gehört zu den Rechtskraftwirkungen die Präklusion
nicht nur der im ersten Prozeß vorgetragenen Tatsachen, sondern auch
der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluß
der mündlichen Verhandlung im ersten Prozeß entstanden
sind (st. Rspr., vgl. BGHZ 98, 353 (358) NJW 1987, 1201 = LM § 323
ZPO Nr. 53 BGH, NJW 1993, 3204 = LM H. 1/1994 § 322 ZPO Nr. 136; Senat,
Umdruck S. 6, 7).
Das hat folgende Auswirkungen. Ein Sachurteil,
das eine Leistungsklage abweist, stellt grundsätzlich fest, daß
die begehrte Rechtsfolge aus dem Lebenssachverhalt unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt hergeleitet werden kann, und zwar auch dann, wenn das Gericht
nicht alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ins Auge gefaßt
hat (BGH, NJW 1990, 1795 (1796) = LM § 322 ZPO Nr. 126). Entsprechendes
gilt für ein Urteil, das einer Feststellungsklage stattgibt. Der Bekl.
ist in einem späteren Prozeß mit Einwendungen, die das Bestehen
des rechtskräftig festgestellten Anspruchs betreffen, ausgeschlossen,
sofern diese schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
im Vorprozeß bestanden haben. Dabei ist es unerheblich, ob die Einwendungen
vorgetragen, aber nicht berücksichtigt worden sind, oder ob sie vom
Bekl. in den Prozeß nicht eingeführt worden sind (BGH, NJW 1989,
105 = LM § 322 ZPO Nr. 122 = BGHRZPOO § 322 Abs. 1 - Feststellungsurteil
1 m.w. Nachw.). Schließlich bedeutet dies für den vorliegenden
Fall der aus Sachgründen abgewiesenen negativen Feststellungsklage
eine Präklusion hinsichtlich aller Einwendungen gegen den bekämpften
Anspruch, unabhängig davon, ob sie der Kl. vorgetragen hat oder nicht
und ob das Gericht sich damit auseinandergesetzt hat (st. Rspr. schon desRG,
der sich der Senat anschließt, vgl. RGZ 78, 389 (396f.); JW 1935,
2814).
Nach allem könnte das Berurungsurteil nur
dann Bestand haben, wenn die Frage, ob das Ankaufsrecht wegen unterlassener
Beurkundung des damit in Zusammenhang stehenden Darlehensvertrages unwirksam
ist, einen anderen Lebenssachverhalt beträfe als der seinerzeit vorgetragene
Tatsachenkomplex, das Ankaufsrecht sei wegen Vereinbarung einer Schwarzgeldzahlung
nichtig. Das ist entgegen der Auffassung des BerGer. zu verneinen. Der
Lebenssachverhalt wird hier gekennzeichnet durch die Gesamtumstände,
die der Vereinbarung des Ankaufsrechts zugrunde lagen. Dazu zählt
die vom Bekl. im Vorprozeß geltend gemachte Schwarzgeldabrede ebenso
wie die Beurkundung des Pachtvertrages und die am selben Tage vereinbarte
Darlehenshingabe. Wenn letztere - wie der Bekl. selbst vorträgt -
in enger Beziehung zum Ankaufsrecht stand, gehört sie auch zu demselben
Lebenssachverhalt, zu den Umständen nämlich, die zu dem notariellen
Vertrag vom 6. 12. 1974 geführt haben. Das wird insbesondere auch
dadurch deutlich, daß es in beiden Fällen um dieselbe Frage
geht, ob dem Vertragswerk wegen unvollständiger Beurkundung die Wirksamkeit
zu versagen ist.
c) An der Präklusionswirkung ändert
sich auch dadurch nichts, daß der Bekl. im Vorprozeß nur deswegen
unterlegen ist, weil er den von ihm behaupteten Unwirksamkeitsgrund nicht
beweisen konnte. Dies hat auf die Rechtskraftwirkung keinen Einfluß
(BGH, NJW 1983, 2032 = LM § 256 ZPO Nr. 123).
2. Die Hilfserwägungen des BerGer., das Ankaufsrecht
sei möglicherweise mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam, tragen
die Klageabweisung ebenfalls nicht. Auch diese Einwendung gegen die wirksame
Begründung des Ankaufsrechts wird von der Präklusion des rechtskräftig
entschiedenen Vorprozesses erfaßt. Sie gründet sich auf denselben
Lebenssachverhalt und hätte in dem damaligen Prozeß vorgebracht
werden können.
III. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache
an das BerGer. zurückzuverweisen, § 565 I, III Nr. 1 BerGerusgehend
davon, daß das vom Kl. innerhalb des vorgesehenen Zeitraumes wirksam
ausgeübte Ankaufsrecht besteht, ist der darauf gestützte Anspruch
auf Übertragung des Grundstücksteils nur gegeben, wenn die von
dem Ankaufsrecht erfaßte Grundstücksfläche (im Plan schraffiert
und rot dargestellt, in einer Größe von ca. 2500 qm) mit den
im Klageantrag bezeichneten Flurstücken identisch ist. Das ist zwischen
den Parteien streitig und bedarf der weiteren Aufklärung durch das
BerGer. Dabei werden die handschriftlichen Markierungen auf der Flurkarte
nicht als maßstabsgerecht angesehen werden können, so daß
die Vorstellungen der Parteien bei Begründung des Ankaufsrechts sowie
die damaligen örtlichen Verhältnisse zur Konkretisierung mitzuberücksichtigen
sein werden.