Abtretbarkeit von
selbständigen und unselbständigen Gestaltungsrechten, Ermächtigung zur
Ausübung eines Gestaltungsrechts im eigenen Namen nach § 185 BGB;
Voraussetzungen einer Umdeutung (§ 140 BGB)
BGH, Urteil vom 10.12. 1997 - XII ZR 119/96
Fundstelle:
NJW 1998, 896
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der sehr lehrreichen
Entscheidung steht die Frage der Abtretbarkeit von Gestaltungsrechten. Der
BGH läßt die str. Frage der Abtretbarkeit sog. unselbständiger
Gestaltungsrechte offen. Jedenfalls kann ein Dritter entspr. § 185 BGB zu
deren Ausübung im eigenen Namen ermächtigt werden und eine
Abtretung ggf. nach § 140 BGB in eine solche Ermächtigung umgedeutet
werden. S. dazu auch BGH NJW 2003, 2987.
Amtl. Leitsatz:
Der Verkäufer eines Grundstücks kann den
Käufer (jedenfalls) ermächtigen, einen bestehenden Mietvertrag im eigenen
Namen zu kündigen, schon bevor der Käufer mit der Eintragung im Grundbuch
in den Mietvertrag eintritt.
Zum Sachverhalt
Die W-GmbH war Eigentümerin eines gewerblichen Grundstücks, zu dem
eine Halle gehört. Durch Mietvertrag vom 8.1./1.3 . 1990 vermietete sie
die Halle mit dem dazugehörigen Hofgelände an den Bekl. zum Betriebe einer
Kfz-Reparaturwerkstatt. Durch notariellen Vertrag vom 6.10. 1994 verkaufte
sie das Grundstück an die Kl. Die Kl. ist aber bisher nicht als
Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 29.11. 1994 trat
die W-GmbH der Kl. auf deren Wunsch hin das Recht ab, die Mietverträge
„gegenüber den Mietern von Gewerbeobjekten“ zu kündigen. Mit Schreiben
ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 6.12. 1994 kündigte die
Kl. daraufhin das Mietverhältnis mit dem Bekl. unter Einhaltung der in dem
Mietvertrag vereinbarten Frist zum 31.3. 1995 und forderte ihn auf, das
Mietobjekt zu diesem Termin zu räumen. Dem Kündigungsschreiben beigefügt
war eine Fotokopie des Schreibens an die Kl. vom 29.11. 1994. Da der Bekl.
auf das Kündigungsschreiben nicht reagierte und das Anwesen nicht räumte,
erhob die Kl. mit Schriftsatz vom 8.6. 1995 Räumungsklage. Der Bekl. ist
der Meinung, die von der Kl. ausgesprochene Kündigung sei unwirksam, weil
das Recht, die Kündigung zu erklären, vom Vermieter nicht isoliert
abgetreten werden könne.
Das LG hat den Bekl. zur Räumung und zur Herausgabe an die Kl. verurteilt.
Die Berufung des und Revision des Bekl. blieben erfolglos..
Aus den Gründen
Der Bekl. ist zu Recht verurteilt worden, nach Beendigung des
Mietverhältnisses das Mietobjekt zu räumen und herauszugeben (§ 556 I BGB
[Anm.: jetzt § 546 I BGB]). Das Mietverhältnis ist durch die mit
Schreiben vom 6.12. 1994 ausgesprochene Kündigung zum 31.3. 1995 beendet
worden. Das BerGer. geht jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon aus, daß
diese Kündigung wirksam war.
1. Hierzu führt das BerGer. aus, die Kl. sei zwar noch nicht nach § 571
BGB [Anm.: jetzt § 566 I BGB] als Vermieterin in den bestehenden
Mietvertrag eingetreten, weil sie noch nicht in Abwicklung des
abgeschlossenen Kaufvertrags als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch
eingetragen worden sei. Vermieterin sei vielmehr noch die W-GmbH. Das
Recht, den Mietvertrag zu kündigen, stehe deshalb an sich ebenfalls noch
der W-GmbH zu. Diese habe das Kündigungsrecht aber mit dem Schreiben vom
29.11. 1994 wirksam an die Kl. abgetreten.
Ob das Recht, einen Mietvertrag zu kündigen, isoliert abgetreten werden
könne, sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Jedenfalls wenn es
sich um einen gewerblichen Mietvertrag handele, sei eine solche Abtretung
aber zuzulassen, weil gewerbliche Mietverträge in geringerem Maße als
Wohnungsmietverträge ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den
Mietparteien erforderten. Dem entspreche es, daß das Gesetz für
Wohnraummietverträge einen wesentlich umfangreicheren Kündigungsschutz zur
Verfügung stelle als für gewerbliche Mietverträge. Die von der Kl.
ausgesprochene Kündigung sei aber selbst dann wirksam, wenn das
Kündigungsrecht nicht wirksam an die Kl. abgetreten worden sei. In
diesem Fall sei nämlich die unwirksame Kündigung nach § 140 BGB in eine
wirksame Ermächtigung der Kl. umzudeuten, das Kündigungsrecht im eigenen
Namen geltend zu machen.
Zumindest diese Hilfsbegründung des BerGer. hält einer rechtlichen
Überprüfung stand und trägt für sich allein das Berufungsurteil.
2. Das Recht, einen Vertrag zu kündigen, ist ein Gestaltungsrecht. Nach
§ 413 BGB finden die Vorschriften über die Abtretung von Forderungen ( §§
398 f. BGB) auf die Übertragung anderer Rechte, soweit nicht das Gesetz
ein anderes bestimmt, entsprechende Anwendung. Daraus ergibt sich, daß
auch Gestaltungsrechte jedenfalls im Grundsatz abgetreten werden können.
In der Literatur wird in diesem Zusammenhang jedoch häufig
differenziert zwischen selbständigen Gestaltungsrechten, die ohne
Einschränkung übertragbar sein sollen, und unselbständigen
Gestaltungsrechten, deren Übertragung nur zusammen mit dem Hauptrecht
möglich sein soll (vgl. z.B. Kaduk, in: Staudinger, BGB, 13.Aufl., § 413
Rdnr.35; Soergel/Zeiss, BGB, 12.Aufl., § 413 Rdnr.4; Larenz, SchuldR I,
13.Aufl., § 35 VI [S. 545]; Enneccerus/Lehmann, SchuldR, 15.Bearb., § 83
Nr. 3; Esser/Schmidt, SchuldR AT I37 I [S. 251], jew. m.Nachw.). Zum Teil
wird die Meinung vertreten, auch unselbständige Gestaltungsrechte - auch
das Recht, einen Vertrag zu kündigen - könnten zusammen mit einem Teil der
Forderungen aus einem Vertrag abgetreten werden, ohne daß auf den
Abtretungsempfänger sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Vertrag
übergehen müßten (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 56.Aufl., § 413 Rdnr.7 m.w.
Nachw.). Der BGH hat bisher offengelassen, ob unselbständige
Gestaltungsrechte „im Hinblick auf ihre Verbindung mit dem
Schuldverhältnis“ isoliert abtretbar sind (vgl. z.B. BGHZ 95, 250
[254] = NJW 1985, 2822 = LM § 634 BGB Nr. 22).
In der Literatur wird das Recht, einen Mietvertrag zu kündigen,
überwiegend für ein unselbständiges Gestaltungsrecht gehalten, dessen
isolierte Abtretung unwirksam sei (so Kaduk, in: Staudinger, § 413
Rdnr. 35; Soergel/Zeiss, § 399 Rdnr.3; Roth, in: MünchKomm, 3.Aufl., § 399
Rdnr.18; Grapentin/Bub/Treier, in: Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete,
2.Aufl., IV Rdnr.3 und Heile/Bub/Treier, II Rdnr.865; Sternel, MietR,
3.Aufl., IV Rdnr.2, jew. m.w. Nachw.; a.M. Mayer, ZMR 1990, 121 [123];
jedenfalls für bestimmte Fälle auch Palandt/Heinrichs, § 413 Rdnr.7).
Das BerGer. will der h.M. nicht folgen und hält eine isolierte Abtretung
des Kündigungsrechts jedenfalls dann für wirksam, wenn das Kündigungsrecht
einen gewerblichen Mietvertrag betrifft. Folgt man dieser Ansicht, so ist
die Kl. durch die Abtretung Inhaberin des Kündigungsrechts geworden und
konnte es wirksam ausüben. Die Streitfrage kann jedoch, wie das BerGer. in
seiner Hilfsbegründung zutreffend ausführt, offen bleiben. Auch wenn
man nämlich der h.M. folgt und die Abtretung für unwirksam hält, konnte
die Kl. wirksam im eigenen Namen kündigen. Die unwirksame Abtretung ist
dann nämlich nach § 140 BGB umzudeuten in eine wirksame Ermächtigung zur
Kündigung nach § 185 I BGB.
3. Der BGH hatte sich bereits mit der ähnlich gelagerten Frage zu
befassen, ob die Befugnis, wegen eines Sachmangels die Wandlung eines
Vertrags [Anm.: jetzt Rücktritt i.S.v. § 437 Nr. 2 BGB] zu
verlangen, isoliert abtretbar ist. Gegen die Abtretbarkeit des
Wandlungsrechts bestehen in der Literatur ebenfalls Bedenken, weil auch
das Geltendmachen dieses Rechts das gesamte Rechtsverhältnis im weiteren
Sinne - den Vertrag - umgestaltet und weil die Entscheidung über den
Fortbestand des Vertrages den Vertragsparteien überlassen werden soll
(vgl. Nachw. in BGHZ 68, 118 [124f.] = NJW 1977, 848 = LM § 6 AbzG Nr.
22). Der BGH hat auch diese umstrittene Frage offengelassen mit der
Begründung, eine etwa unwirksame Abtretung des Wandlungsrechts sei
zumindest gem. § 140 BGB in eine - rechtswirksame - Ermächtigung
umzudeuten, die Wandlungsbefugnis im eigenen Namen geltend zu machen (BGHZ
68, 118 [125] = NJW 1977, 848 = LM § 6 AbzG Nr. 22). Im vorliegenden Fall
gilt nichts anders. Sinn und Zweck des § 140 BGB ist es, die Absicht
der handelnden Personen, einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg zu
erreichen, auch dann zu verwirklichen, wenn das von ihnen gewählte
rechtliche Mittel unzulässig ist, ein anderes zulässiges Mittel jedoch,
das ihrem hypothetischen Willen entspricht, den angestrebten
wirtschaftlichen Erfolg herbeizuführen vermag (so zutr. Soergel/Hefermehl,
§ 140 Rdnr.1; Krüger-Nieland/Zöller, in: RGRK, 12.Aufl., § 140 Rdnr.1 m.w.
Nachw.). Durch die Abtretung sollte die Kl. - auch nach der Vorstellung
der Verkäuferin - erkennbar in die Lage versetzt werden, das
Mietverhältnis (u.a.) mit dem Bekl. im eigenen Namen zu kündigen, schon
bevor sie nach § 571 BGB mit der Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch
auf Vermieterseite in den bestehenden Mietvertrag mit dem Bekl. eintreten
würde. Genau derselbe Erfolg war durch eine Ermächtigung nach § 185 I BGB,
die Kündigung des Mietvertrags im eigenen Namen zu erklären, zu erreichen.
Die Annahme des BerGer., nach dem hypothetischen Willen der Bet. hätten
sie bei Kenntnis der Nichtigkeit der Abtretung diesen Weg gewählt, ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einem allgemeinen
Erfahrungssatz und bedurfte keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen.
Die Gründe, die der Wirksamkeit einer Abtretung des Kündigungsrechts
entgegenstehen könnten, beeinträchtigen nicht die Wirksamkeit einer
Ermächtigung, das Kündigungsrecht im eigenen Namen auszuüben (vgl. hierzu
Mayer-Maly, in: MünchKomm, § 140 Rdnr.10 m.w. Nachw.; Krüger-Nieland/Zöller,
in: RGRK, § 140 Rdnr.17). Eine Ermächtigung zur Abgabe einer
Kündigungserklärung im eigenen Namen ist systematisch und funktionell der
Vollmacht verwandt (so zutr. Schramm, in: MünchKomm, § 185 Rdnr.1 m.
Nachw.). Die Stellvertretung ist auch bei der Ausübung unselbständiger
Gestaltungsrechte unbestritten zulässig. Die Stellvertretung unterscheidet
sich von einer Ermächtigung nach § 185 I BGB im wesentlichen dadurch, daß
der Stellvertreter die Erklärung im fremden Namen abgibt, der Ermächtigte
im eigenen Namen. Von diesem eher formalen Unterschied hängt es nicht ab,
in welchem Umfang der eigentlich berechtigte Vertragspartner das
Kündigungsrecht aus der Hand gibt. Während nach einer wirksamen Abtretung
des Kündigungsrechts der Zessionar anstelle des Zedenten frei entscheiden
könnte, ob er die Kündigung erklärt oder nicht, führt sowohl der von einem
Vertragspartner Bevollmächtigte als auch der von diesem Ermächtigte seine
Befugnis auf eine Erlaubnis des eigentlich Berechtigten zurück, die auch
im Falle der Ermächtigung regelmäßig bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts
widerruflich ist (§ 183 BGB). Der durch eine entsprechende Ermächtigung
herbeigeführte Erfolg hätte genauso erreicht werden können, wenn die
W-GmbH die Kl. bevollmächtigt hätte, in ihrem - der W-GmbH - Namen die
Kündigung zu erklären (Rdnr.865).
4. Die Kl. hat offengelegt, daß sie die Kündigung zwar im eigenen Namen,
aber aus einem von der Vermieterin abgeleiteten Recht erklärt. Ob der Bekl.
berechtigt gewesen wäre, die von der Kl. erklärte Kündigung
zurückzuweisen, z.B. weil ihm das die Ermächtigung der Kl. enthaltende
Schreiben der W-GmbH vom 29.11. 1994 lediglich in Form einer Fotokopie
überlassen worden ist (vgl. §§ 182 III , 111 BGB), kann dahingestellt
bleiben. Die Zurückweisung hätte unverzüglich erfolgen müssen (§ 111 BGB).
Es ist aber unstreitig, daß der Bekl. auf das Kündigungsschreiben der Kl.
vom 6.12. 1994 vor der Klageerhebung, die erst ein halbes Jahr später
erfolgt ist, nicht reagiert hat.
5. Die Kl. kann nach der wirksamen Kündigung im eigenen Namen Räumung des
Mietobjekts und Herausgabe an sich verlangen. Das BerGer. führt hierzu
aus, „das dafür von der Rechtsprechung für die gerichtliche Geltendmachung
geforderte eigene schutzwürdige Interesse der Kl.“ sei „offensichtlich“.
Diese Ausführungen sind dahin zu verstehen, daß die W-GmbH die Kl. auch
ermächtigt habe, im Wege einer gewillkürten Prozeßstandschaft den Anspruch
aus § 556 BGB im eigenen Nahmen geltend zu machen und daß die Kl. daran
ein eigenes schutzwürdiges Interesse habe. Diese Annahme wäre zwar an sich
nicht zu beanstanden, es kommt darauf aber nicht an. Die W-GmbH hat an die
Kl. in dem notariellen Kaufvertrag - wie die Revisionserwiderung
zutreffend ausführt - alle ihr aus dem Mietvertrag mit dem Bekl.
zustehenden Ansprüche abgetreten. Dazu gehört auch der Anspruch aus § 556
BGB. Daraus ergibt sich, daß die Kl. Inhaberin dieses Anspruchs und damit
ohne weiteres klagebefugt ist.
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