NJW 1999, 365 f
Im Zentrum des Falle steht die Anfechtung nach
§ 119 II BGB wegen des Irrtums über die verkehrswesentliche Eigenschaft
einer Person. Die maßgebenden Kriterien werden hier lehrbuchartig
dargestellt und subsumiert. Auch die Ausführungen zur (fehlenden)
Aufklärungspflicht und die daraus folgende Verneinung einer Anfechtungbarkeit
nach § 123 I BGB sind schulmäßig. Die Entscheidung übergeht
allerdings bezüglich der Widerklage, daß der Beklaget ja bereits
einen Teil seiner Beraterleistung gegenüber der Beklagten erbracht
hatte. Diesbezüglich wäre eine Bereicherungsanspruch des Beklagten
hinsichtlich des Wertersatzes bereits geleisteter Dienste bzw. erbrachter
Tätigkeiten aus §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II BGB zumindest
zu prüfen gewesen.
Denkbar ist in einer solchen Fallkonstellation
ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. wegen Verletzung einer vorvertraglichen
Aufklärungspflicht, vgl. OLG Stuttgart NJW
1999, 3640.
Die Parteien schlossen unter dem 23. 12. 1994 einen
Vertrag, nach dem sich der Bekl. verpflichtete, für die Kl. einen
Mitarbeiter, nämlich einen Projektleiter für schlüsselfertiges
Bauen zu suchen. Für diese Tätigkeit schuldete die Kl.
dem Bekl. ein Honorar von 20000 DM zuzüglich Insertionskosten. In
der Folgezeit erstellte der Bekl., teilweise in Zusammenarbeit mit der
Kl., verschiedene "Profile" (Firmen-, Arbeitsplatz-, Stellen-, Anforderungs-
und Projektprofil) und konzipierte dann gemeinsam mit der Firma D eine
Stellenanzeige, die in mehreren Zeitungen erschien. Die Kl. zahlte an den
Bekl. einen Abschlag in Höhe von 10000 DM und an die Firma D die reinen
Insertionskosten in Höhe von 5630,81 DM. Danach ging bei der Kl. ein
anonymes Schreiben ein, in dem auf Verbindungen des Bekl. zur Scientology-Sekte
hingewiesen wurde. Nachdem der Bekl. auf Nachfrage der Kl. seine Zugehörigkeit
zu dieser Sekte bestätigt hatte, kündigte die Kl. den Beratungsvertrag
mit Anwaltsschreiben und focht ihn gleichzeitig aus allen rechtlichen Gründen
an. Auch die Firma D steht - wie die Kl. später durch Einsichtnahme
in eine sogenannte WISE-Liste erfüht - der Scientology-Sekte nahe.
Die Kl. meint, der Bekl. habe sie arglistig getäuscht, indem er ihr
seine Zugehörigkeit zur Scientology-Sekte verschwiegen habe. Da eines
der Ziele der Scientology-Sekte die Unterwanderung der Wirtschaft sei und
der Bekl. die Ziele dieser Bewegung verfolge, sei es für die Kl. unzumutbar
mit Hilfe des Bekl. als Personalberater eine Führungsposition in ihrem
Unternehmen zu besetzen. Es sei zudem rufschädigend für die Kl.,
wenn bekannt würde, daß sie mit Mitgliedern der Scientology-Sekte
zusammenarbeite. Sie fordert die Rückzahlung der bisher geleisteten
15630,81 DM nebst Zinsen. Der Bekl. hat demgegenüber Widerklage auf
Zahlung von 4400 DM nebst Zinsen erhoben. Er meint, seine Zugehörigkeit
zur Scientology-Sekte sei seine Privatsache. Er habe nie versucht, Mitglieder
der Scientology-Sekte als Mitarbeiter bei der Kl. einzuschleusen. 60% seiner
Arbeit für die Kl. habe er bereits geleistet gehabt, als die Kl. die
weitere Zusammenarbeit verweigerte; für die restlichen 40% der Arbeit
lasse er sich 70% ersparte Aufwendungen anrechnen, so daß die Kl.
an ihn noch Zahlungen in Höhe der Widerklageforderung leisten müsse
Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben und
die Widerklage abgewiesen.
Aus den Gründen:
Der Anspruch der Kl. auf Rückzahlung der 10000
DM, die die Kl. als Honorarabschlag bereits an den Bekl. gezahlt hat, ergibt
sich aus § 812 I BGB. Die Kl. hat den zwischen den Parteien am 23.
12. 1994 abgeschlossenen Beratervertrag wirksam angefochten. Das Anfechtungsrecht
der Kl. ergibt sich aus § 11911 BGB. Die Kl. war bei Vertrags-schluß
im Irrtum über eine Eigenschaft der Person des Bekl., die im Verkehr
als wesentlich angesehen wird, weil sie nicht wußte, daß der
Bekl. der Scientology-Sekte angehört. Bei der Prüfung, welche
Eigenschaften verkehrswesentlich sind, ist nach Sinn und Zweck des §
119 II BGB von dem konkreten Rechtsgeschäft auszugehen (vgl. Palandt/Heinrichs,
BGB, 56. Aufl., § 119 Rdnr. 25); es ist also zu prüfen, ob die
Eigenschaft für das konkrete Geschäft von Bedeutung ist (vgl.
Soergel/Hefermehl, BGB, § 119 Rdnr. 38). Dies ist im vorliegenden
Fall zu bejahen. Der Bekl. war als Unternehmens- und Personalberater für
die Kl. tätig. Wie sich aus den vorgelegten Unterlagen zur "Vereinbarten
Vorgehensweise" ergibt, erhielt der Bekl. zahlreiche Informationen über
die Firma der Kl. Insbesondere in der ersten Phase der Vertrags-ausführung
teilte die Kl. dem Bekl. Firmeninterna mit, indem sie ihm auf der Grundlage
der vom Bekl. entworfenen Fragebögen zu den verschiedenen Profilen
Informationen gab. Fragen nach der Zielsetzung und den Zukunftsplänen
der Firma, nach Führungsstil und Betriebsklima ließen für
den Bekl. tief-gehende Einblicke in die Firma der Kl. zu. Damit der Bekl.
seine konkrete Aufgabe, nämlich die Suche nach einem geeigneten leitenden
Mitarbeiter erfüllen konnte, brachte die Kl. ihm Vertrauen durch Offenlegung
von Firmeninterna entgegen. Bei dieser Sachlage sind persönliche Eigenschaften
des Bekl. eher als verkehrswesentlich anzusehen als in Fällen, in
denen es um einen reinen Warenaustausch geht. Die Art der vereinbarten
Tätigkeit mit der geschilderten Notwendigkeit, Vertrauen zu gewähren
und in Anspruch zu nehmen, läßt die Sektenzugehörigkeit
des Bekl. im vorliegenden Fall als verkehrs- wesentlich erscheinen: Hätte
die Kl. gewußt, daß der Bekl. der Scientology-Sekte angehört,
hätte sie ihm den Beratungsauftrag nicht erteilt, da sie nicht wollte,
daß ein Mitglied dieser Sekte Einblick in ihre Firmeninterna nahm.
Zudem befürchtete die Kl. eine Schädigung ihres guten Rufs in
ihrer Branche, wenn bekannt werden würde, daß sie mit Hilfe
eines Mitglieds der Scientology-Sekte nach Führungskräften suchte.
Allein die Tatsache, daß der Bekl. der Scientology-Sekte
angehört, ist somit im vorliegenden Fall als verkehrswesentliche Eigenschaft
anzusehen, so daß die Kl. zur Anfechtung berechtigt war. Auf die
zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Bekl. es tatsächlich
versucht hat oder versucht hätte, einer der Scientology-Sekte nahestehenden
Person eine Anstellung bei der Kl. zu verschaffen, kommt es daher nicht
an.
Ein Anfechtungsrecht aus § 123 BGB steht
der Kl. dagegen nicht zu. Der Bekl. hat die Kl. nicht arglistig getäuscht.
Für eine Täuschung durch positives Tun sind konkrete Anhaltspunkte
nicht ersichtlich. Eine arglistige Täuschung durch Unterlassen könnte
nur angenommen werden, wenn der Bekl. eine Rechtspflicht zur Aufklärung
der Kl. über seine Zugehörigkeit zur Scientology-Sekte gehabt
hätte. Eine solche Aufklärungspflicht des Bekl. ist zu verneinen.
Nach Treu und Glauben sowie nach der Verkehrsanschauung kann nicht erwartet
werden, daß ein Mitglied der Scientology-Sekte seine Sektenzugehörigkeit
ungefragt offenbart. Grundsätzlich ist es nämlich Sache jeder
Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen. Ungefragt muß
ein möglicher Geschäftspartner Dinge, die die Entschließung
des anderen Teils in einer bestimmten Richtung beeinflussen könnten,
grundsätzlich nicht offenbaren (vgl. Palandt/Heinrichs, § 123
Rdnr. 5). Eine Frage nach der Sektenzugehörigkeit hat die Kl. dem
Bekl. unstreitig nicht gestellt. Ein Anfechtungsrecht aus § 123 BGB
scheidet damit aus. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß
der Bekl. der Kl. die Rückzahlung des Honorarabschlags aus §§
119 II, 142, 812 I BGB schuldet.
Ein Anspruch der Kl. auf Rückzahlung der
Insertionskosten, die die Kl. an die Firma D gezahlt hat, besteht nicht.
Ein Anspruch aus § 812 BGB gegenüber dem Bekl. scheidet aus,
da der Bekl. um die Insertionskosten nicht bereichert ist. Ein Schadensersatzanspruch
aus culpa in contrahendo steht der Kl. gegen den Bekl. nicht zu. Zwar kann
ein solcher Anspruch einem Anfechtenden dann zustehen, wenn der Vertragspartner
ihn schuldhaft in die Irre geführt hat (vgl. hierzu Kramer, in: MünchKomm,
§ 122 Rdnr. 6), jedoch kann im vorliegenden Fall von einem schuldhaften
Verhalten des Bekl. der Kl. gegenüber nicht ausgegangen werden. Wie
oben dargelegt, hatte der Bekl. nicht die Rechtspflicht, die Kl. über
seine Sektenzugehörigkeit zu informieren. Durch das Unterlassen dieser
Information hat er somit auch keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen.
Das Anfechtungsrecht der Kl. beruht, wie dargelegt, auf einem vom Verschulden
des Bekl. unabhängigen Eigenschaftsirrtum der Kl.
Weitere Anspruchsgrundlage, auf die die Kl. ihren
Anspruch auf Rückzahlung der Insertionskosten stützen könnte,
sind nicht ersichtlich. Insbesondere kommt ein Anspruch aus § 122
BGB nicht in Betracht, da dieser ein Recht des Anfechtungsgegners normiert.
Für deliktische Ansprüche, etwa aus § 823 II BGB, §
263 StGB, fehlt es - mangels Bestehens einer Aufklärungspflicht -
an einem Täuschungsvorsatz des Bekl.
Die Widerklage ist unbegründet. Den Beratungsvertrag,
aus dem der Bekl. seinen restlichen Honoraranspruch herleitet, hat die
Kl., wie oben dargelegt, gem. § 119 II BGB wirksam angefochten, so
daß er nicht mehr besteht. Auch aus § 122 BGB ergibt sich nicht
der vom Bekl. hier geltend gemachte Anspruch auf restliche Vergütung
abzüglich ersparter Aufwendungen. Nach § 122 BGB wird nämlich
nur das negative Interesse ersetzt, also der Vertrauensschaden. Der entgangene
Gewinn dagegen gehört nicht zu den nach § 122 BGB ersatzfähigen
Schäden.