NJW 1999, 3640
Zentrales Problem:
Im Zentrum der Entscheidung steht
der schadensersatzrechtliche Anspruch auf Vertragsaufhebung und auf Rückzahlung
des auf den Vertrag geleisteten auf der Basis einer Haftung aus culpa in
contrahendo. Zur Haftungsbegründung bedurfte es einer Aufklärungspflicht
des Vertragspartners über seine Sektenzugehörigkeit. Das OLG
geht hier von der "Zauberformel" des allgemeinen Aufklärungspflichtstatbestandes
aus § 242 BGB aus: Grundsätzlich hat sich jeder Verhandlungspartner
selbst über die für den Vertragsschluß wesentlichen Tatsachen
zu informieren. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH besteht auch
bei Vertragsverhandlungen, in denen die Beteiligten entgegengesetzte Interessen
verfolgen, nach § 242 BGB die Pflicht, den anderen Teil über
solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen
vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher
Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten
durfte.
Bei Verletzung der Aufklärungspflicht
ist der andere Teil so zu stellen, wie er bei gehöriger Aufklärung
gestanden hätte (§ 249 S. 1 BGB). Daraus ergibt sich dann ein
Anspruch auf Vertragsaufhebung sowie auf Rückzahlung des Geleisteten,
der nicht der Verjährung des § 124 BGB unterliegt. Sofern der
Vertragspartner seinerseits Leistungen erbracht hatte, sind diese im Wege
der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen.
Denkbar wäre in der vorliegenden
Fallkonstellation auch eine Anfechtung nach § 119 II BGB (vgl. LG
Darmstadt NJW 1999, 365). Diese ist aber an eine wesentlich kürzere
Frist gebunden und hätte u.U. eine Schadensersatzverpflichtung nach
§ 122 I BGB nach sich gezogen (die aber - je nach Sachlage - i.d.R.
an § 122 II BGB scheitern dürfte).
Zum Konkurrenzproblem zwischen c.i.c.
und Anfechtung vgl. insbesondere die Anm. zu BGH
NJW 1998, 302 sowie
BGH NJW 1998, 898.
Zur Aufklärungspflicht eines Personalberaters über seine Zugehörigkeit zur Scientology-Sekte.
Die Bekl. hatte mit der Kl. einen Personalberatungsvertrag
geschlossen. Danach sollte sie eine besonders qualifizierte Fach- und Führungskraft
für die Position eines Architekten/Bauleiters, also eine Führungsposition,
bei der Kl. suchen. Sie verschwieg, daß sie Mitglied der Scientology
Church ist oder war und deren Ziele jedenfalls zeitweise aktiv gefördert
hat. Nachdem die Kl. hiervon Kenntnis erlangt hat, hat sie den mit der
Bekl. geschlossenen Vertrag gekündigt. Ihre Forderung auf Rückzahlung
des bereits geleisteten Honorars von 12266,67 DM hatte in zweiter Instanz
Erfolg.
Aus den Gründen:
Der Kl. steht jedoch ein Anspruch auf Ersatz des
ihr entstandenen Schadens von 12 266,67 DM aus culpa in contrahendo zu.
Die Bekl. hat die Kl. bei Vertrags-schluß arglistig getäuscht,
indem sie ihre Mitgliedschaft in der und ihre enge Verbindung zur Scientology
Church verschwiegen hat. Hierüber hätte die Bekl. die Kl. als
ihre Vertragspartnerin aufklären müssen.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH
besteht auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Beteiligten entgegengesetzte
Interessen verfolgen, die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände
aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können
und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind,
sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (BGH,
NJW 1971, 1795 [1799] = LM § 123 BGB Nr. 42; NJW 1979, 2243 = LM §
123 BGB Nr. 54; NJW 1980, 2460 [2461] = LM § 123 BGB Nr. 57). Das
Verschweigen von Tatsachen begründet also nur dann eine Haftung, wenn
der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung
redlicherweise Aufklärung erwarten durfte (Palandt/Heinrichs, BGB,
58. Aufl. [1999], § 276 Rdnr. 78). Diese Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt. Angesichts der konkreten Umstände des hier zu beurteilenden
Falls bestand eine Pflicht der Bekl., die Kl. darüber aufzuklären,
daß sie Scientology-Mitglied ist, sie enge Verbindungen zu der Scientology-Organisation
hat, insbesondere sich der dem Vertrag zugrunde liegende Dienstleistungsablauf
an der von World Institute of Scientology Enterprises (WISE) herausgegebenen
detaillierten Vorgehensweise orientiert.
Gegenstand des Vertrags der Parteien war die Suche
der Bekl. nach einer besonders qualifizierten Fach- und Führungskraft
für die Position eines Architekten/Bauleiters, also eine Führungsposition
bei der Kl. Die Suche nach einem geeigneten Bewerber für die hervorgehobene
Stelle im Betrieb der Kl. stellt eine Leistung dar, bei der besonderes
Vertrauen gefordert ist. Die enge Verbindung der Bekl. zur Scientology
Church stellt einen wesentlichen Umstand dar, der geeignet ist, den Vertragszweck
der Kl. zu vereiteln, eine fachlich qualifizierte, vertrauenswürdige
Person, die nicht mit einer möglichen Verbindung zur Scientology Church
belastet ist, auszuwählen und einzustellen. Sie ist für den Vertragsschluß
von wesentlicher Bedeutung. Dies wird auch dadurch belegt, daß die
Kl. nach Kenntniserlangung auf eine weitere Durchführung des Vertrags,
eine weitere Tätigkeit der Bekl. - eine geeignete Person war von der
Bekl. noch nicht präsentiert worden - verzichtet und den Vertrag gekündigt
hat.
Die Bekl. steht jedenfalls den Gedanken der Scientology-Organisation
sehr nahe: Die Bekl. ist Mitglied von Scientology. Der für die Kl.
zuständige Mitarbeiter der Bekl. ist ebenfalls Mitglied von Scientology;
nach eigenen Angaben der Bekl. ist die Mehrheit ihrer Mitarbeiter Mitglied.
Die Bekl. hat auch einen namhaften Betrag, nämlich mindestens 40000
$, in die sogenannte Kriegskasse (für Aktionen gegen Kritiker von
Scientology) einbezahlt; denn sie ist in der Zeitschrift "Impact", die
von der International Association of Scientology (ISA) herausgegeben wird,
als Patron erwähnt. Ein Patron ist eine Person, die einen Mindestbetrag
von 40000 $ in die sogeannte Kriegskasse einbezahlt hat. Dies steht aufgrund
der in erster Instanz erfolgten Vernehmung der Zeugin L fest. Durch die
Unterzeichnung der Beitrittserklärung in Verbindung mit der nicht
unerheblichen finanziellen Unterstützung der Scientology Church hat
die Bekl. ihre Ubereinstimmung mit deren Zielen zum Ausdruck gebracht (so
auch LG Bonn, NJW 1997, 2958 [2961]). Die Bekl. war darüber hinaus
unstreitig jedenfalls bis 1993 Mitglied im Verband WISE. Sie hat an diesen
Verband Lizenzgebühren bezahlt, hierfür Fragebögen, für
welche das Urheberrecht bei WISE liegt, erhalten und ihre Firma nach den
Verwaltungsdaten von Hubbard, dem Begründer der Scientology-Bewegung,
organisiert. Zielsetzung von WISE ist, Scientology und Scientology-Ethik
in der Geschäftswelt zu etablieren. Die Franchisegebühr wird
für die Verwendung von Unterlagen von Scientology bezahlt. Dies hat
die Vernehmung der Zeugin L in erster Instanz ergeben. Erklärtes Ziel
der Scientology-Organisation ist die Übernahme der Wirtschaft auf
der gesamten Welt. Hubbard hat hierzu die Handlungsmaxime für Scientologen
ausgegeben: "Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, die Position
als Vorsitzende des Frauenverbands, als Personalchef einer Firma, als Leiter
eines guten Orchesters, Sekretärin des Direktors, als Berater der
Gewerkschaft - irgendeine Schlüsselposition." Für die Umsetzung
dieser Strategie in der Wirtschaft ist WISE zuständig (Bauer/Baeck/Merten,
BB 1997, 2534, mit Fundstellennachweisen). Aufgrund der Aussagen der Zeugin
L steht auch fest, daß in den älteren Veröffentlichungen
von WISE die Bekl. als Mitarbeiterin der Organisation geführt wird.
Die Bekl. hat ihre Firma X, unter welcher sie den Vertrag mit der Kl. am
28. 2. 1994 noch abgeschlossen hat, etwa im Mai 1994 umfirmiert, nachdem
sie, wie sie im Termin vor dem LG bekundet und in der Anhörung in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, praktisch
drei Monate lang mit ihrem Unternehmen unter dem Druck von Presse und Fernsehkameras
stand und sie mit dem Logo, daher nicht mehr bestehen konnte. Unstreitig
entspricht auch der "Dienstleistungsablauf" der Bekl., welcher Bestandteil
des Vertrags zwischen den Parteien vom 28. 2. 1994 ist, den Grundsätzen
von WISE. Ob die Bekl. tatsächlich, wie sie behauptet, im Jahr 1993
ihre Mitgliedschaft beim Verband WISE gekündigt hat, kann dahinstehen.
Daß diese alle feststehenden Umstände
für den Vertragsschluß von wesentlicher Bedeutung sind, folgt
vor allem aus dem engen Zusammenhang zwischen dem Vertragsgegenstand, eine
Führungsposition im Betrieb der Kl. zu besetzen, und dem insbesondere
dem Verband WISE angelasteten Ziel der Unterwanderung. Hinzu tritt, daß
schon die Einschaltung der mit der Scientology-Organisation eng verbundenen
Bekl. geeignet ist, die Reputation der Kl. in der Öffentlichkeit erheblich
zu beeinträchtigen. Wegen der sich aus den Publikationen der Scientology
Church objektiv ergebenden Geisteshaltung empfinden Teile der Bevölkerung
eine Bedrohung durch diese Organisation (LG Bonn, NJW 1997, 2958 [2961])
und wird der Scientology Church in der Öffentlichkeit verbreitet der
Charakter einer unlauteren Ziele verfolgenden Sekte beigemessen (BVerfG,
NJW 1997, 2669 [2670]; vgl. auch AG Hagenow, zit. bei: Abel, NJW 1996,
91 [93 Fußn. 24]).
Da, wie der Bekl. durch die Belagerung ihres Büros
durch Presse und Fernsehen vor Vertragsschluß mit der Kl. bekannt
war, die Arbeit sehr kritisch betrachtet wird und der Organisation von
der Öffentlichkeit, wie dargelegt, der Charakter einer unlauteren
Ziele verfolgenden Sekte verbreitet beigemessen wird (BVerfG, NJW 1997,
2669 [2670]; LG Bonn, NJW 1997, 2958 [2961]; BAG, NJW 1996, 143), mußte
es sich der Bekl. aufdrängen, daß es sich bei ihrer Mitgliedschaft
in der Scientology-Organisation um einen bei ihrer Vertragspartnerin, die
mit ihrer Hilfe eine Führungsposition in ihrem Unternehmen besetzen
wollte, wesentlichen Umstand handelt. Und auch der Umstand, daß die
Kl. in eine geschäftliche Verbindung - zudem im Bereich Personalberatung
- mit einem Mitglied der Scientology-Organisation, das sich in der Vergangenheit
auch noch als Patron hervorgetan hatte, getreten ist, wirkt sich auf deren
Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit negativ aus, was sich der Bekl.
aufdrängen mußte.
Es ist davon auszugehen, daß bei Aufklärung
die Kl. den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Da die Bekl. schuldhaft
diese Aufklärung unterlassen hat, hat die Kl. einen Anspruch auf Rückgängigmachung
des Vertrags. Sie kann Rückzahlung des von ihr bei der Auftragserteilung
bezahlten Teilbetrags der Gesamtvergütung, nämlich von12 266,67
DM, verlangen.
Der auf der Täuschung durch Verschweigen
trotz Aufklärungspflicht beruhende Anspruch der Kl. aufgrund von culpa
in contrahendo wird durch den Ablauf der Frist des § 124 BGB nicht
berührt (BGH, NJW 1997, 254 = LM § 675 BGB Nr. 233; Palandt/Heinrichs,
§ 123 Rdnr. 27).
c) Der Bejahung der Aufklärungsverpflichtung
der Bekl. steht Art. 4 I, II GG nicht entgegen. Zwar hat das BVerfG (NJW
1997, 2669 [2670]) ausgesprochen, daß die Zugehörigkeit zu einer
umstrittenen Organisation, der in der Öffentlichkeit verbreitet der
Charakter einer unlautere Ziele verfolgenden Sekte beigemessen wird, die
aber nach dem Selbstverständnis der betroffenen Person eine Religions-
bzw. Weltanschauungsgemeinschaft ist, jedenfalls in den gegen beliebige
öffentliche Darstellung geschützten Persönlichkeitsbereich
fällt. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die jedenfalls
nach dem eigenen Verständnis der betroffenen Person weltanschaulich
oder religiös geprägt ist, rechne ebenso wie die finanzielle
Unterstützung einer solchen Organisation prinzipiell zur privaten
Lebensgestaltung, also zu dem der Öffentlichkeit abgewandten Bereich
(BVerfG, NJW 1997, 2669 [2670]). Jedoch war Gegenstand der Entscheidung
des BVerfG die Frage, ob die Veröffentlichung der Mitgliedschaft und
des Umstandes einer Spende in die Kriegskasse der Scientologen-Organisation
einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt. Hier liegt der Sachverhalt
anders. Die Bekl. selbst war es, die den Bereich der Privatsphäre
verlassen hat. Sie ist selbst aktiv an die Kl., die eine Stellenanzeige
aufgegeben hatte, mit dem Wunsch zum Abschluß eines Personalberatungsvertrags
herangetreten. Durch ihr Engagement im Geschäftsverkehr gerade im
Bereich der Besetzung hervorgehobener Positionen in Unternehmen, also in
dem Bereich, in welchem die Scientology-Organisation in der Öffentlichkeit
besonders kritisch wegen der erklärten Zielsetzung von WISE, die Wirtschaft
zu unterwandern, betrachtet wird, hat sie-den Bereich der Privatsphäre
verlassen, so daß ihr insoweit kein durch Art. 4 GG geschützter
Bereich zustehen kann. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es sich
bei der Scientology Church um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft
i. 5. der Art. 140 GG, Art. 137 WRV handelt, was das BAG (NJW 1996, 143)
für die ,,Scientology Kirche Hamburg e. V." verneint hat.
d) Die von der Bekl. erhobene Einrede der Verjährung
greift nicht. Die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre. § 196
I Nr. 7 BGB gilt nur für Ansprüche der Personen, die gewerbsmäßig
Dienste leisten bzw. fremde Geschäfte besorgen, nicht für den
Auftraggeber (§§ 195, 196 1 Nr. 7 BGB; Palandt/Heinrichs, §
195 Rdnr. 10).
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