Schadensersatzhaftung des Verkäufers: Widerlegung der Vermutung des Vertretenmüssens (§ 280 I 2 BGB); keine Zurechnung des Vertretenmüssens des Herstellers an den Verkäufer nach § 278 BGB


OLG Frankfurt v. 1.3.2006, 1 U 159/05.


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Leitsätze:

1. Herstellungs- und Konstruktionsfehler hat der Verkäufer, der nicht selbst Hersteller ist, gegenüber dem Käufer grundsätzlich nicht zu vertreten. Eine Zurechnung von Versäumnissen des Herstellers nach § 278 BGB scheidet aus.
2. Der ausdrücklich Schadensersatz statt der Leistung begehrende Käufer, der auf aus dem Verschuldenserfordernis abgeleitete Bedenken gegen den Schadensersatzanspruch hingewiesen worden ist, ist nicht auch noch auf die Möglichkeit hinzuweisen, einen Rücktritt zu erklären. Ein derartiger Hinweis würde die Ablehnung durch den Verkäufer wegen Besorgnis der Befangenheit begründen.


Zentrale Probleme:

Es geht um ein Standardproblem, welches das Gericht in der gebotenen Kürze abhandelt: Der Verkäufer haftet bei Lieferung einer mangelhaften Sache auf Schadensersatz (statt der Leistung) nur, wenn er die darin liegende Pflichtverletzung (Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 BGB) zu vertreten hat. Dies wird nach § 280 I 2 BGB vermutet. Was der Schuldner zu vertreten hat, ergibt sich aus § 276 und diversen Sonderregelungen (z. B. § 287 S. 2). I. d. R. setzt Vertretenmüssen danach Verschulden, d. h. Vorsatz und Fahrlässigkeit voraus. Während der Gläubiger die Pflichtverletzung zu beweisen hat, wird
das Vertretenmüssen nach § 280 I S. 2 vermutet. Zur Entlastung muss Schuldner nicht in jedem Fall speziell den Umstand beweisen, der die unverschuldete Schadensursache herbeigeführt hat. Auch rein abstrakte Möglichkeiten, für die es keinen Anhaltspunkt gibt, braucht er nicht zu widerlegen. Er muss aber nachweisen, dass er die als Ursachen in Betracht kommenden Umstände nicht zu vertreten
hat. Bleibt die ernstliche Möglichkeit des Vertretenmüssens auch nur hinsichtlich einer der in Betracht kommenden Ursachen bestehen, so ist die Vermutung nicht widerlegt (
BGH NJW 2005, 418 m. w. N.).
Ein Verkäufer kann sich, sofern er nicht eine Garantie übernommen hat und deshalb Vertretenmüssen auch ohne Verschulden vorliegt (s. § 276 I BGB) durch den Nachweis entlasten, dass er den Mangel weder vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat noch ihn kannte oder kennen musste. An die Widerlegung der Vermutung sind freilich keine übertriebenen Anforderungen zu stellen (s. BGH NJW-RR 1990, 446, 447 zu § 282 BGB a. F.; MüKo/Ernst, § 280 Rn. 33). I. d. R. treffen den Verkäufer, der nicht zugleich Hersteller der Sache ist, keine Untersuchungspflichten. Er haftet auch nicht nach § 278 BGB für ein Verschulden des Herstellers bei der Produktion. Dieser ist deshalb nicht Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB, weil der Verkäufer nicht die Herstellung, sondern nur die Lieferung schuldet. Der Verkäufer bedient sich damit nicht des Herstellers bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit (s. dazu auch PdW SchuldR I Fälle 33, 99; PdW SchuldR II Fall 48).

©sl 2006


Gründe

Die Klage richtet sich in der Berufungsinstanz nur noch gegen den Beklagten zu 1. Dessen Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Der Kläger macht wegen behaupteter Mängel des ihm vom Beklagten verkauften Motorrads Schadensersatz statt der Leistung ( § 437 Nr. 3 BGB ) geltend. Ein solcher Anspruch steht ihm gegen den Beklagten mangels Verschuldens, das nach §§ 437 Nr. 3 , 281 Abs. 1 Satz 1 , 280 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlich ist (vgl. Staudinger/Otto ([2004], § 281 Rn. C 30), nicht zu. Der Beklagte ist nicht Hersteller. Die Herstellung des Motorrads gehört nicht zu seinen Pflichten, so dass ihm Konstruktions- und Produktionsfehler nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden können (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 280 Rn. 19, § 278 Rn. 13). Einen Nachbesserungsfehler des Beklagten bezüglich der angeblichen aktuellen Mängel – sicherheitsrelevante Fehlkonstruktion des Getriebes, Blasen bildende Motorlackierung – behauptet der Kläger nicht, ebenso wenig, dass der Beklagte von diesen Mängeln bei Abschluss des Kaufvertrages gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst habe (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 280 Rn. 19).
Der Senat hat den Kläger auf seine Bedenken gegen den Schadensersatzanspruch mit der Terminsladung und nochmals in der Berufungsverhandlung hingewiesen. Nicht von seiner Hinweispflicht gedeckt gewesen wäre ein ausdrücklicher Hinweis auf die Möglichkeit, das Rückabwicklungsbegehren auf einen – noch zu erklärenden ( § 349 BGB ) – Rücktritt zu stützen. Der Klagevortrag enthielt keinerlei Anhaltspunkte für einen Rücktritt des Klägers oder für eine darauf gerichtete Absicht. Wenn der Senat dem Kläger einen Rücktritt ausdrücklich nahe gelegt hätte, hätte dies aus Sicht des Beklagten eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt.
Der Senat weist nur vorsorglich darauf hin, dass auch ein verschuldensunabhängiger Rückgewähranspruch ( §§ 437 Nr. 2 , 346 Abs. 1 BGB ) des Klägers den Nachweis vorausgesetzt hätte, dass das streitgegenständliche Motorrad den vom Kläger behaupteten, sicherheitsrelevanten Konstruktionsfehler am Getriebe aufweist. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 , 543 Abs. 2 , 708 Nr. 10 , 713 ZPO .