IPR: "talaq"-Scheidung (Verstoßung der Ehefrau nach pakistanisch-islamischen Recht) durch deutsche Gerichte


OLG Frankfurt v. 11.5.2009 - 5 WF 66/09


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Leitsatz:

1. Einer Ehescheidung durch deutsche Gerichte aufgrund einer einseitigen Verstoßung durch den Ehemann ("talaq") steht der ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht entgegen, wenn auch die Ehefrau mit der Scheidung einverstanden ist.
2. Die Scheidung wegen der Erklärung des talaq verstößt auch nicht gegen die wesenseigene Zuständigkeit deutscher Gerichte, denn das Gericht spricht keinen talaq, sondern es spricht die Scheidung in einem Verfahren nach der ZPO aus. Der talaq bildet in diesem Zusammenhang lediglich den Scheidungsgrund.


Zentrale Probleme:

S. AG Kulmbach v. 28.10.2003 - 1 F 512/00 sowie BGH/ 160, 332

©sl 2009


Günde:

I. Die Parteien sind Inhaber der pakistanischen Staatsangehörigkeit und gehören der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie schlossen unter dem …7.2000 in O2/ Pakistan miteinander die Ehe. Aus der Ehe ist das Kind B, geb. am …1.2002 hervorgegangen. Der gewöhnliche Aufenthalt der Parteien war zuletzt im Inland. Seit dem 1.10.2008 leben die Parteien dauerhaft voneinander getrennt. Der Antragsteller hat den talaq mündlich in Abwesenheit der Antragsgegnerin ausgesprochen.

Der Antragsteller begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Scheidung der am …7.2000 geschlossenen Ehe. Zugleich begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung.

Die Antragsgegnerin stimmt dem Scheidungsantrag zu.

Mit Beschluss vom 2.2.2009, wegen dessen Inhalt auf Bl. 15 f.d.A. verwiesen wird, wies das Amtsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, das pakistanische Scheidungsrecht könne vorliegend keine Anwendung finden, da es gem. Art. 6 EGBGB mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten offensichtlich unvereinbar sei. Der Talaq sei von den sonstigen richterlichen Tätigkeiten so wesensverschieden, dass er völlig aus dem in Deutschland dem Richter obliegenden Aufgabenkreis herausfalle.

Gegen diesen, dem Antragsteller am 25.2.2009 zugestellten Beschluss wendet sich dieser mit der Beschwerde vom 9.3.2009, bei Gericht eingegangen am 10.3.2009. Das Amtsgericht half der Beschwerde aufgrund Beschlusses vom 19.3.2009 nicht ab.

II.

Die nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen, unter denen einer Partei gem. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, liegen derzeit vor.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet gem. § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn aufgrund der im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren vorzunehmenden summarischen Schlüssigkeitsprüfung kommt eine Scheidung der Ehe der Parteien nach pakistanischem Recht in Betracht.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Ehesachen zwischen Ausländern richtet sich vorliegend nach § 606a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO. Nach dem Inhalt dieser Bestimmung sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn beide Ehegatten – wie hier – ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. [Red. Anm.: Ab 1.9.2009 gilt hierfür § 98 I Nr. 2 FamFG]

Bei beiderseitigem Aufenthalt der Parteien im Inland gem. § 606a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO steht der internationalen Zuständigkeit der Gerichte auch nicht eine etwaige fehlende Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung im Heimatstaat entgegen. (vgl. BGH FamRZ 1994, 827, 828; Zöller/Geimer 27. Aufl., § 606a Rn. 46 m.w.N.)

Die Scheidung richtet sich vorliegend gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB nach pakistanischem Recht, denn beide Parteien sind Inhaber der pakistanischen Staatsangehörigkeit.

Dafür, dass beide Parteien asylberechtigt sind, mit der Folge, dass gem. Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention i.V.m. § 2 Abs. 1 AsylVfG deutsches Scheidungsrecht zur Anwendung gelangt, bestehen keine Anhaltspunkte.

Nach pakistanischem Scheidungsrecht kommt es hinsichtlich des anzuwendenden Rechts darauf an, ob die Parteien Moslems sind oder nicht. (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, 1481 f. 1481; Bergmann/ Ferid, internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Pakistan,153. Lieferung, S. 25) Sind die Parteien Moslems, ist staatliches pakistanisches Scheidungsrecht zur Anwendung berufen, (OLG Köln a.a.O.), wobei zwischen schiitischem und sunnitischen Recht zu unterscheiden ist. (Bergmann/Ferid, a.a.O.)

Gem. Art. 260 Abs. 3 der pakistanischen Verfassung gelten Ahmadis zwar nicht als Moslems, indessen sind zivilrechtliche Aspekte, insbesondere im Bereich des Familien- und Erbrechts hiervon nicht berührt, mit der Maßgabe, dass Eheschließungen der Ahmadis in ihrem religiösen Zentrum O2 – dem Ort der Eheschließung der Parteien – nach islamischen Ritus vom Staat Pakistan anerkannt werden und pakistanischem Scheidungsrecht zuzuordnen sind. (vgl. OLG Köln a.a.O.; Bergmann/ Ferid a.a.O.) Für sie gilt sunnitisches Recht und damit das Recht der hanefitischen Rechtsschule. (Bergmann/Ferid, a.a.O.)

Die internen Regeln der sog. „Fikah Ahmadiyya“ kommen demgegenüber allein da zur Anwendung, wo das staatliche pakistanische Recht hierfür Raum lässt. (vgl. OLG Köln a.a.O.; Bergmann/Ferid a.a.O.)

Nach dem Gesagten findet auf die Scheidung der Parteien nach ihrem derzeitigen Vortrag das Recht der hanefitischen Rechtsschule Anwendung.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts kann auch eine Scheidung ausgesprochen werden.

Dem muslimisch pakistanischen Ehemann steht das einseitige Recht zu, die Ehefrau ohne Gründe zu verstoßen (talaq), wobei nach sunnitischem Recht die mündliche Aussprache auch in Abwesenheit der Ehefrau genügt. (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Pakistan, 153. Lieferung, S. 49)

Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der Antragsteller hat gegenüber der Antragsgegnerin in deren Abwesenheit den talaq ausgesprochen.

Die Bestimmung des Art. 6 EGBGB steht der Anwendung des talaq nicht entgegen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das pakistanische und das deutsche Recht auf widerstreitenden Prinzipien beruhen, sondern allein darauf, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des pakistanischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist. (vgl. BGH, FamRZ 2004, 1952, 1955 für die Scheidung aufgrund talaq nach iranischem Recht; Andrae, NJW 2007, 1730, 1731)

Letzteres ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Ausspruch der Scheidungsformel nach pakistanischem Recht nicht gegen den Willen der Ehefrau erfolgt (vgl. BGH a.a.O.; Andrae a.a.O.; Palandt-Heldrich, 68. Aufl., Art. 6 EGBGB, Rn. 21) So verhält es sich vorliegend. Die Antragsgegnerin ist mit der Scheidung ausdrücklich einverstanden, so dass das Ergebnis der Anwendung des talaq – die Ehescheidung – nicht gegen den ordre public verstößt.

Darüber hinaus ist der deutsche ordre public gem. Art. 6 EGBGB auch dann nicht verletzt, wenn die Ehe auch unter Anwendung deutschen Rechts zu scheiden wäre. (vgl. BGH a.a.O.; Andrae, a.a.O.)

Dies kann derzeit nicht mit hinreichender Verlässlichkeit festgestellt werden. Die Parteien leben noch nicht ein Jahr getrennt, denn die Trennung erfolgte erst am 1.10.2008. Die Voraussetzungen für eine Härtefallscheidung gem. § 1565 Abs. 2 BGB wurden von dem Antragsteller bislang nicht vorgetragen.

Die Scheidung wegen der Erklärung des talaq verstößt auch nicht gegen die wesenseigene Zuständigkeit deutscher Gerichte, denn das Gericht spricht keinen talaq, sondern es spricht die Scheidung in einem Verfahren nach der ZPO aus. Der Talaq bildet in diesem Zusammenhang lediglich den Scheidungsgrund. (Andrae, FamRZ 2007, 1730, 1732)

Die Einschränkung der Beiordnung folgt aus § 121 Abs. 3 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO, Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses, (Anlage 1) zum GKG.