(Keine) Ausdehnung von § 817 S. 2 BGB auf konkurrierende Ansprüche (Herausgabeanspruch aus § 985 BGB)
Reichsgericht, IV. Zivilsenat. Urt. v. 17. September 1934 i. S. Ehefrau W. (Kl.) v. Ehemann W. (Bekl.). IV 75/34.


Amtl. Leitsatz:

Unter welchen Vorausssetzungen ergreift die Nichtigkeit eines zwischen Eheleuten vor der Scheidung geschlossenenen sittenwidrigen Unterhaltsabfindungs- und Auseinandersetzungsvertrages auch die zur Erfüllung des Vertrags vorgenommene Ausflassung eines Grundstücks?


Fundstelle:

RGZ 145, 152



Zentrales Problem:

Es geht um die Frage, inwieweit die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB auch auf andere als Bereicherungsansprüche, insbesondere den Anspruch aus § 985 BGB (Vindikation) ausgedehnt werden kann. Die h.M. bejaht dies, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, während die Rechtsprechung ausgehend von vorliegender Entscheidung des RG die Ausdehnung von § 817 S. 2 BGB verneint. Dabei wird das Ergebnis in Kauf genommen, daß eine Vindikation stattfinden kann, wenn der Sittenverstoß ausnahmsweise so gravierend ist, daß auch das dingliche Rechtsgeschäft nach §138 nichtig ist, während eine Kondiktion ausgeschlossen ist, wenn lediglich das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft sittenwidrig und damit nichtig ist (BGHZ 63, 365 [zum Nutzungsersatz nach §§ 987, 990 beim "Bordellpachtvertrag"]; BGH NJW 1992, 310 [zu § 826]).
 
Zur Vertiefung: Larenz/Canaris Schuldrecht II/2 § 68 III 3 e
Zum Überblick: Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR I Rn. 412
Zur Übung: Köhler, PdW Schuldrecht II Fall 144


Die Ehe der Parteien ist auf Klage der Klägerin durch Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 13. Juni 1929 rechtskräftig geschieden worden. Vor Erhebung der Scheidungsklage hatten die Parteien am 29. März 1929 für den Fall der Ehescheidung einen notariell beurkundeten Unterhalts- und Auseinandersetzungsvertrag geschlossen. In diesem Vertrag übertrug der beklagte der Klägerin zur Abfindung ihrer Unterhaltsansprüche das ihm gehörende Bäckereianwesen in Bad H. zu Eigentum. Da das Anwesen einen höheren Wert hatte, als der Klägerin nach dem Willen der Parteien zufließen sollte, bestellte die Klägerin für den Beklagten an dem Grundstück eine Hypothek, die jetzt noch 6250 RM beträgt.
Die Klägerin macht geltend, daß der Auseinandersetzungsvertrag nichtig sei, weil er zur Ermöglichung der Ehescheidung geschlossen worden sei und daher gegen die guten Sitten verstoße. Von der nichtigkeit seien aber nach bekannten Rechtsgrundsätzen die dinglichen Erfüllungsgeschäfte, die Eigentumsübertragung und die Hypothekbestellung nicht berührt worden. Jedoch sei die Hypothek Eigentümergrundschuld der Klägerin geworden, da die zu sichernde Forderung infolge der Nichtigkeit des Grundgeschäfts nicht entstanden sei. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die für den Beklagten eingetragene Hypothek von 6250 RM als Eigentümergrundschuld ihr - der Klägerin - zustehe, sowie die Beurteilung des Beklagten dazu, seine Einwilligung in die Umschreibung der Hypothek auf die Klägerin zu erteilen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin mit Einwilligung des Beklagten unmittelbar eingelegte Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden

Gründen:

Das Landgericht stellt fest, daß der Vertrag vom 29. März 1929 nichtig sei, weil er geschlossen worden sei, um die Klägerin durch eine besonders günstige Regelung des Unterhalts zur Einreichung der Scheidungsklage zu bewegen, also eine Ehescheidung überhaupt zu ermöglichen. Es entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß derartige Verträge gegen die guten Sitten verstoßen und daher nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind (vgl. u.a. WarnRspr 1931 Nr. 99). Die Nichtigkeit erstreckt sich aber nach Ansicht des Landgerichts nur auf das Grundgeschäft, nicht auf die dinglichen Erfüllungsgeschäfte. Die Übereignung des Grundstücks an die Klägerin sei also, so führt das Landgericht weiter aus, rechtswirksam erfolgt und auch die Hypothek sei als dingliche Belastung wirksam geworden, jedoch gemäß den §§ 1163, 1177 BGB nicht als Hypothek, sondern als Eigentümergrundschuld, weil die zugrundeliegende Forderung nicht entstanden sei. Das Klagebegehren sieht das Landgericht hiernach an sich als begründet an. Trotzdem gelangt es zur Abweisung der Klage, weil dem Begehren der Klägerin die vom Beklagten erhobene Einrede der allgemeinen Arglist entgegenstehe. Die Klägerin begehe einen groben Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn sie sich durch die erstrebte Beseitigung der Hypothek einen größeren Vermögenswert verschaffen wolle, als sie nach den Abmachungen mit dem Beklagten habe bekommen sollen. Sie könne auch nicht in ihrem Vorbringen gehört werden, daß sie bereit sei, das Grundstück Zug um Zug gegen Rückzahlung der dem Beklagten gegebenen Barbeträge und Ersatz der Aufwendungen für das Haus zurückzugeben. Denn sie wisse genau, daß der Beklagte gegenwärtig und in absehbarer Zeit nicht in der Lage sei, die genannten Beträge aufzubringen. Das Ergebnis, das die Klägerin erstrebe, spreche jeder Gerechtigkeit Hohn.
Diese Ausführungen des Landgerichts unterliegen Bedenken (vgl. RGRKomm. z. BGB 8.Aufl. Anm. 1 Abs. 3 zu § 817 Satz 1 sowie WarnRspr. 1931 Nr. 119), denen jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden braucht, da die Klagabweisung aus einem anderen Grunde gerechtfertigt ist. Der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß von der Nichtigkeit die dinglichen Erfüllungsgeschäfte im vorliegenenden Falle nicht betroffen würden, kann nicht als zutreffend angesehen werden. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Grundsatz aufgestellt worden, daß im allgemeinen die Unsittlichkeit des Veräußerungsgeschäfts die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts wegen dessen abstrakter Natur nicht zur Folge habe. Von diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen anerkannt worden, und zwar u.a. für den Fall, daß gerade mit dem dinglichen Rechtsvorgang unsittliche Zwecke verfolgt werden oder daß in ihm die Unsittlichkeit begründet liegt (RG Urteile vom 8. Januar 1930 I 178/29 in SeuffUrch. Bd. 84 S. 97 mit weiteren Nachweisen, vom 13. April 1931 VIII 582/30 bei WarnRspr. 1931 Nr. 100 und vom 6. Juli 1932 V 168/32 HRR 1933 Nr. 469). Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Der festgestellte Sachverhalt ergibt einwandfrei, daß die Klägerin nicht durch die bloße schuldrechtliche Verplichtung des Beklagten zur Übereignung des Grundstücks, deren Erfüllung er nach erfolgter Scheidung unter Hinweis auf § 138 Abs. 1 BGB hätte verweigern können, sondern nur dadurch zur Erhebung der Scheidungsklage bestimmt werden sollte und bestimmt worden ist, daß der Beklagte gleichzeitig die Übereignung selbst vornahm. Diese schon ohne weiteres nach der Sachlage gebotene Auffassung wird auch durch den vom Beklagten überreichten Briefwechsel bestätigt. Insbesondere ergibt sich aus dem Brief des Anwalts des Beklagten Dr. J. an den Anwalt der Klägerin Dr. W. vom 24. Januar 1929 sowie aus dem Brief des Rechtsanwalts Dr. J. an den Beklagten vom 31. Mai 1929, daß die Klägerin als “Gegenleistung” für die Erhebung der Scheidungsklage die sofortige Vornahme der Übereignung des Grundstücks gefordert hat. Es liegt mithin so, daß gerade mit dem dinglichen Rechtsvorgang der unsittliche Zweck verfolgt wurde, die Klägerin zur Erhebung der Scheidungsklage zu bestimmen. Sie hat sich durch die Übereignung des Grundstücks ihren Entschluß, die Scheidungsklage zu erheben, abkaufen lassen. Die im Vertrag vom 29. März 1929 vorgenommene Auflassung des Grundstücks an die Klägerin ist daher nichtig. Ist hiernach die Klägerin nicht Eigentümerin des Grundstücks geworden, so konnte sie schon aus diesem Grunde die für den Beklagten eingetragene Hypothek von jetzt noch 6250 RM nicht als Eigentümergrundschuld erwerben, und es braucht nicht weiter erörtert zu werden, ob mit Rücksicht auf die Richtigkeit der Auflassung eine dingliche Belastung des Grundstücks überhaupt wirksam entstanden ist.