Sittenwidrigkeit des Hehlergeschäfts bei grobfahrlässiger Unkenntnis der Herkunft der Kaufsache, Haftung aus § 826 BGB und Mitverschuldenseinwand; (keine) Ausdehnung von § 817 S. 2 auf deliktische Ansprüche
BGH, Urteil v. 09.10.1991  - VIII ZR 19/91 (Hamm)
Fundstellen:

NJW 1992, 310 


Zentrale Probleme:

s. Anm. zu RGZ 145, 152 sowie zu BGH v. 10.2.2005 - III ZR 258/04 (zur Problematik des Mitverschuldens)


Amtl. Leitsätze:

1. Gegenüber einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, durch die der Schädiger sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hat, ist grobe Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht anspruchsmindernd anzurechnen.
2. § 817 S. 2 BGB findet auf Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung keine Anwendung.



Zum Sachverhalt:

Ende Januar 1987 bot der Bekl. dem für die Kl. handelnden Zeugen P, dem Ehemann der Geschäftsführerin der Kl., einen Mercedes Benz 500 SL zum Preis von 67000 DM zum Kauf an. Das Fahrzeug, dessen Neupreis bei 100000 DM lag, war damals ein Jahr alt und 5000 km gefahren. Es war im April 1986 aus den Ausstellungsräumen einer Mercedes Benz Niederlassung gestohlen worden. Dies war dem Bekl. bekannt. Der Zeuge P ließ das Fahrzeug durch den bei der Kl. angestellten Kraftfahrzeugmeister M und durch eine Mercedes Benz Niederlassung überprüfen. Dabei wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Daraufhin kaufte er das Fahrzeug namens der Kl. zum Preis von 59500 DM. Der vom Bekl. entworfene Formularkaufvertrag bezeichnet als Verkäufer einen gewissen W in K. und ist auf Verkäuferseite mit einem entsprechenden Namenszug unterschrieben. Auf denselben Namen lautete die Haltereintragung in den - gefälschten - Kraftfahrzeugpapieren. Der Bekl. erklärte seinem Verhandlungspartner, er habe das Fahrzeug von W, der es wegen Spielschulden habe verkaufen müssen, erworben. Als der Zeuge P das Fahrzeug nach Abwicklung des Kaufs bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle abmelden ließ, wurde die Fälschung der Kraftfahrzeugpapiere entdeckt, das Fahrzeug daraufhin beschlagnahmt und an den Versicherer des bestohlenen Eigentümers herausgegeben.
Die auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete Klage ist vor dem LG erfolglos geblieben. Das BerGer. hat ihr stattgegeben. Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. sieht - von der Revision unbeanstandet - den Bekl. als den Verkäufer des Fahrzeugs an. Es hält den Kaufvertrag nicht gem. § 138 I BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für unwirksam, weil nicht bewiesen sei, daß der Zeuge P von dem Diebstahl des Fahrzeugs gewußt oder sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschlossen habe. Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. a) Ein Hehlergeschäft ist, wie das BerGer. nicht verkennt, gem. § 138 I BGB sittenwidrig und infolgedessen nichtig, wenn alle Beteiligten sittenwidrig handeln, also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis zumindest grob fahrlässig verschließen (Senat, NJW 1990, 567 = WM 1990, 519 = LM § 138 (Ca) BGB Nr. 19 (unter B I 1a bb), insoweit in BGHZ 109, 314 nicht abgedruckt; Erman-Brox, BGB, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 41; Palandt-Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 138 Rdnr. 41).
b) Das BerGer. hat das Verhalten des Zeugen P nicht als grob fahrlässig gewertet und dazu ausgeführt:
Der von dem Bekl. geforderte und schließlich ausgehandelte Kaufpreis sei nicht so erheblich vom Zeitwert des Fahrzeugs abgewichen, daß der Zeuge hätte Verdacht schöpfen müssen. Daß er sich nicht nachdrücklicher um eine Rückfrage bei dem im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Fahrzeughalter bemüht habe, falle angesichts des positiven Untersuchungsergebnisses und des weiteren Umstandes, daß der Bekl. auch im Besitz eines in Folie eingeschweißten Zweitschlüssels für das Fahrzeug gewesen sei, nicht entscheidend ins Gewicht.
c) Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
aa) Zwar ist die Entscheidung, ob ein vorwerfbares Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist, nach ständiger Rechtsprechung dem Tatrichter vorbehalten, der im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber zu befinden hat. Das RevGer. hat seine Wertung aber darauf zu überprüfen, ob er ihr fehlerhaft gewonnene Feststellungen zugrunde gelegt oder den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt hat (BGHZ 89, 153 (160) = NJW 1984, 789). Letzteres ist hier der Fall.
bb) Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 10, 14 (16) = NJW 1953, 1139 = LM § 932 BGB Nr. 2; BGHZ 89, 153 (161) = NJW 1984, 789; Senat, LM § 932 BGB Nr. 21 =WM 1966, 678 (unter 3); LM § 142 BGB Nr. 8 = WM 1987, 1282 = NJW-RR 1987, 1456 (unter II 3 b)). Beim Erwerb vom Nichtberechtigten ist dies regelmäßig anzunehmen, wenn der Erwerber trotz Vorliegens von Verdachtsgründen, die Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, sachdienliche Nachforschungen nicht unternimmt (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13 = WM 1975, 362, 735 (unter II c); NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8). Wann eine solche Nachforschungspflicht besteht, ist eine Frage des Einzelfalles. Für den Gebrauchtwagenhandel hat der erkennende  Senat indessen wegen der dort nicht selten vorkommenden Unregelmäßigkeiten in ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen, einen strengen Maßstab angelegt (vgl. LM § 392 BGB Nr. 21; NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13; NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8; ferner LM § 932 BGB Nr. 23 = WM 1966, 1325).
cc) Eine Nachforschungspflicht löste bereits der Umstand aus, daß der Bekl. nicht als Halter im Fahrzeugbrief eingetragen war (Senat, NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8 (unter II 4a)). Das ist hier nicht deswegen anders, weil der Bekl. der Kl. oder dem Zeugen P bereits zuvor mehrfach gebrauchte Kraftfahrzeuge verkauft hatte. Zwar ist es - anders als bei einer Veräußerung durch eine Privatperson - nicht außergewöhnlich, wenn ein Kraftfahrzeughändler im Rahmen seines Geschäftsbetriebs ein gebrauchtes Fahrzeug verkauft, ohne daß zuvor der Kraftfahrzeugbrief auf ihn als Halter umgeschrieben worden ist (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13 (unter II c); NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8 (unter II 4b)). Auch ein Händlerverkauf  entbindet den Käufer aber dann nicht von der Nachforschungspflicht, wenn Umstände hinzutreten, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des Vorerwerbs wecken müssen (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13; NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8). Das ist nach der Rechtsprechung des Senats u. a. dann der Fall, wenn ein Fahrzeug auf der Straße verkauft wird (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13). Die Tatsache, daß der Bekl. als nebenberuflicher Gebrauchtwagenhändler kein Geschäftslokal unterhält und Fahrzeuge deshalb stets nur "auf der Straße" verkaufen konnte, gibt keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzurücken. Der Straßenverkauf gebietet deswegen besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert. Das ist für den Käufer erkennbar auch dann nicht anders, wenn ein Händler ein Geschäftslokal erst gar nicht unterhält.
dd) Das BerGer. hat Nachforschungen bei dem im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Halter hier deswegen für entbehrlich gehalten, weil die von dem Zeugen P veranlaßten Untersuchungen des Fahrzeugs keine Verdachtsgründe ergeben hatten und der Bekl. auch den Zweitschlüssel für das Fahrzeug besaß. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Die Überprüfung des Fahrzeugs konnte allenfalls Manipulationen der Fahrgestellnummer oder Unstimmigkeiten zwischen Fahrzeugdaten und Kraftfahrzeugbrief zutage fördern. Zur Absicherung gegen die nicht minder naheliegende Möglichkeit, daß die Kraftfahrzeugpapiere gleichfalls gestohlen oder aber gefälscht sein könnten, waren sie dagegen offensichtlich ungeeignet.
Die Kl. hätte sich demnach mit den Fahrzeugüberprüfungen und den drei erfolglosen Versuchen des Zeugen P, den eingetragenen Fahrzeughalter telefonisch zu erreichen, nicht begnügen dürfen. Die sich aufdrängenden Zweifel an der Berechtigung des Bekl. hätten sie vielmehr veranlassen müssen, die Herkunft des Fahrzeugs durch Rückfragen bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle oder beim Kraftfahrtbundesamt zu klären (vgl. Senat, LM § 932 BGB Nr. 21 (unter 3); LM § 932 BGB Nr. 23 (unter I 4)). Ebenso naheliegend und erfolgversprechend wäre eine Rückfrage bei der Polizei gewesen. Hätte die Kl. auch nur eine dieser Maßnahmen ergriffen, so hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfahren, daß das Fahrzeug gestohlen war. Daß sie all diese naheliegenden Nachforschungen unterlassen hat, begründet den Vorwurf grober Fahrlässigkeit.
2. Da die Kl. sich die grobfahrlässige Unkenntnis des die Sittenwidrigkeit begründenden Umstandes, daß das Fahrzeug gestohlen war, gem. § 166 I BGB zurechnen lassen muß (RGZ 100, 246 (249); BGH, LM § 166 BGB Nr. 8), ist der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag gem. § 138 I BGB nichtig. Damit entfällt ein Schadensersatzanspruch aus §§ 440 I, 325 BGB, auf den das BerGer. die Verurteilung des Bekl. gestützt hat.
II. Das Berufungsurteil erweist sich indes aus einem anderen Grund als richtig (§ 563 ZPO).
1. Allerdings steht der Kl. ein Anspruch aus § 812 I BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu. Ihm steht, da der Kaufpreis zur Erfüllung des sittenwidrigen Hehlergeschäfts geleistet worden ist, das Rückforderungsverbot des § 817 S. 2 BGB entgegen. Diese Vorschrift schließt die Rückforderung zwar grundsätzlich nur bei einem bewußten Sittenverstoß aus (BGHZ 50, 90 (92) = NJW 1968, 1329 = LM § 817 BGB Nr. 25; BGH, NJW 1980, 452 = LM ArbeitnehmerüberlassungsG Nr. 2 (unter II für Verstöße gegen gesetzliche Verbote); BGH, NJW 1983, 1420 = LM § 22 GenG Nr. 1 (unter V 1b)). Auch hier steht es indessen vorsätzlichem Handeln gleich, wenn der Leistende sich der Einsicht in den Gesetzesverstoß oder die Sittenwidrigkeit seines Handelns leichtfertig verschließt (BGH, NJW 1983, 1420 = LM § 22 GenG Nr. 1; NJW 1989, 3217 = LM § 55 GewO Nr. 6 (unter 2b)).
2. a) Der Bekl. schuldet der Kl. aber Schadensersatz nach § 826 BGB, denn er hat ihr durch den Verkauf des gestohlenen Fahrzeugs unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt. Das kann der Senat aufgrund der vom BerGer. getroffenen Feststellungen selbst abschließend entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Hiernach hat der Bekl. den Zeugen P über die Herkunft des Fahrzeugs und über die Eigentumsverhältnisse an demselben arglistig getäuscht. Eine solche Täuschung verpflichtet stets zum Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung (BGH, NJW 1974, 1505 (unter I); Senat, NJW 1984, 2284 = LM § 823 (Bc) BGB Nr. 26 = ZIP 1984, 439 (unter IV 3) m. w. Nachw.; Soergel-Hönn, BGB, 11. Aufl., § 826 Rdnrn. 109, 110; Staudinger-Schäfer, BGB, 12. Aufl., § 826 Rdnr. 8; Mertens, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 826 Rdnr. 117).
b) Die auf Leichtfertigkeit beruhende Unkenntnis der Kl. von der Herkunft des Fahrzeugs läßt weder die Sittenwidrigkeit des Vorgehens des Bekl. noch dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden entfallen. Die Kl. muß sich das leichtfertige Verhalten des Zeugen P auch nicht anspruchsmindernd anrechnen lassen. Wer wie der Bekl. einen anderen vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat, kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, jener habe sich dagegen nicht ausreichend gesichert, ihm, dem Schädiger, vielmehr zu sehr vertraut (BGHZ 76, 216 (218) = NJW 1980, 1618 = LM § 249 (A) BGB Nr. 52; Soergel-Hönn, § 826 Rdnr. 93). Dieser Grundsatz gilt zwar nicht uneingeschränkt. Im Einzelfall kann auch gegenüber einer vorsätzlichen Schädigung eine jedenfalls grob fahrlässige Schadensmitverursachung des Geschädigten ins Gewicht fallen (BGH, WM 1970, 633 (unter B 3 c); NJW 1984, 921 = LM § 254 (F) BGB Nr. 23 (unter II 2); Soergel-Hönn, § 826 Rdnr. 93; Mertens, in: MünchKomm, § 826 Rdnr. 80; Staudinger-Schäfer, § 826 Rdnr. 19). Dafür ist aber dann kein Raum, wenn der Schädiger wie hier mit direktem Schädigungsvorsatz gehandelt und sich auf Kosten des Geschädigten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hat.
c) Der Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs steht § 817 S. 2 BGB nicht entgegen. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift verbietet es, ihr einen über das Bereicherungsrecht hinausreichenden allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen und das Rückforderungsverbot auf andere als bereicherungsrechtliche Ansprüche auszudehnen (BGH, NJW 1951, 643 = LM § 817 BGB Nr. 1 (unter II 1); BGHZ 41, 341 (349) = NJW 1964, 1791 = LM § 817 BGB Nr. 21; BGHZ 44, 1 (6, 7) = NJW 1965, 1585 = LM § 16 AVB f. Feuer-Vers. Nr. 2; Lieb, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 817 Rdnrn. 24, 25; Palandt-Thomas, § 817 Rdnr. 2).