NJW 1992, 310
Zentrale Probleme:
s. Anm. zu RGZ 145, 152
sowie zu BGH v. 10.2.2005 - III ZR 258/04 (zur
Problematik des Mitverschuldens)
Amtl. Leitsätze:
1. Gegenüber einer
vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, durch die der Schädiger
sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hat, ist grobe
Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht anspruchsmindernd anzurechnen.
2. § 817 S. 2 BGB
findet auf Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung keine Anwendung.
Ende Januar 1987 bot der
Bekl. dem für die Kl. handelnden Zeugen P, dem Ehemann der Geschäftsführerin
der Kl., einen Mercedes Benz 500 SL zum Preis von 67000 DM zum Kauf an.
Das Fahrzeug, dessen Neupreis bei 100000 DM lag, war damals ein Jahr alt
und 5000 km gefahren. Es war im April 1986 aus den Ausstellungsräumen
einer Mercedes Benz Niederlassung gestohlen worden. Dies war dem Bekl.
bekannt. Der Zeuge P ließ das Fahrzeug durch den bei der Kl. angestellten
Kraftfahrzeugmeister M und durch eine Mercedes Benz Niederlassung überprüfen.
Dabei wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Daraufhin kaufte
er das Fahrzeug namens der Kl. zum Preis von 59500 DM. Der vom Bekl. entworfene
Formularkaufvertrag bezeichnet als Verkäufer einen gewissen W in K.
und ist auf Verkäuferseite mit einem entsprechenden Namenszug unterschrieben.
Auf denselben Namen lautete die Haltereintragung in den - gefälschten
- Kraftfahrzeugpapieren. Der Bekl. erklärte seinem Verhandlungspartner,
er habe das Fahrzeug von W, der es wegen Spielschulden habe verkaufen müssen,
erworben. Als der Zeuge P das Fahrzeug nach Abwicklung des Kaufs bei der
Kraftfahrzeugzulassungsstelle abmelden ließ, wurde die Fälschung
der Kraftfahrzeugpapiere entdeckt, das Fahrzeug daraufhin beschlagnahmt
und an den Versicherer des bestohlenen Eigentümers herausgegeben.
Die auf Rückzahlung
des Kaufpreises gerichtete Klage ist vor dem LG erfolglos geblieben. Das
BerGer. hat ihr stattgegeben. Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. sieht - von
der Revision unbeanstandet - den Bekl. als den Verkäufer des Fahrzeugs
an. Es hält den Kaufvertrag nicht gem. § 138 I BGB wegen Verstoßes
gegen die guten Sitten für unwirksam, weil nicht bewiesen sei, daß
der Zeuge P von dem Diebstahl des Fahrzeugs gewußt oder sich dieser
Kenntnis grob fahrlässig verschlossen habe. Das hält der revisionsrechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
1. a) Ein Hehlergeschäft
ist, wie das BerGer. nicht verkennt, gem. § 138 I BGB sittenwidrig
und infolgedessen nichtig, wenn alle Beteiligten sittenwidrig handeln,
also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder
sich ihrer Kenntnis zumindest grob fahrlässig verschließen (Senat,
NJW 1990, 567 = WM 1990, 519 = LM § 138 (Ca) BGB Nr. 19 (unter B I
1a bb), insoweit in BGHZ 109, 314 nicht abgedruckt; Erman-Brox, BGB, 8.
Aufl., § 138 Rdnr. 41; Palandt-Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 138
Rdnr. 41).
b) Das BerGer. hat das Verhalten
des Zeugen P nicht als grob fahrlässig gewertet und dazu ausgeführt:
Der von dem Bekl. geforderte
und schließlich ausgehandelte Kaufpreis sei nicht so erheblich vom
Zeitwert des Fahrzeugs abgewichen, daß der Zeuge hätte Verdacht
schöpfen müssen. Daß er sich nicht nachdrücklicher
um eine Rückfrage bei dem im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Fahrzeughalter
bemüht habe, falle angesichts des positiven Untersuchungsergebnisses
und des weiteren Umstandes, daß der Bekl. auch im Besitz eines in
Folie eingeschweißten Zweitschlüssels für das Fahrzeug
gewesen sei, nicht entscheidend ins Gewicht.
c) Dagegen wendet sich die
Revision mit Recht.
aa) Zwar ist die Entscheidung,
ob ein vorwerfbares Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist,
nach ständiger Rechtsprechung dem Tatrichter vorbehalten, der im Einzelfall
unter Würdigung aller Umstände nach seinem pflichtgemäßen
Ermessen darüber zu befinden hat. Das RevGer. hat seine Wertung aber
darauf zu überprüfen, ob er ihr fehlerhaft gewonnene Feststellungen
zugrunde gelegt oder den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt
hat (BGHZ 89, 153 (160) = NJW 1984, 789). Letzteres ist hier der Fall.
bb) Die Rechtsprechung versteht
unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die erforderliche
Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem
Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben
ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ
10, 14 (16) = NJW 1953, 1139 = LM § 932 BGB Nr. 2; BGHZ 89, 153 (161)
= NJW 1984, 789; Senat, LM § 932 BGB Nr. 21 =WM 1966, 678 (unter 3);
LM § 142 BGB Nr. 8 = WM 1987, 1282 = NJW-RR 1987, 1456 (unter II 3
b)). Beim Erwerb vom Nichtberechtigten ist dies regelmäßig anzunehmen,
wenn der Erwerber trotz Vorliegens von Verdachtsgründen, die Zweifel
an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, sachdienliche
Nachforschungen nicht unternimmt (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366
HGB Nr. 13 = WM 1975, 362, 735 (unter II c); NJW-RR 1987, 1456 = LM §
142 BGB Nr. 8). Wann eine solche Nachforschungspflicht besteht, ist eine
Frage des Einzelfalles. Für den Gebrauchtwagenhandel hat der erkennende
Senat indessen wegen der dort nicht selten vorkommenden Unregelmäßigkeiten
in ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung der Umstände, die
für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs eine Nachforschungspflicht
hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers
begründen, einen strengen Maßstab angelegt (vgl. LM § 392
BGB Nr. 21; NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13; NJW-RR 1987, 1456
= LM § 142 BGB Nr. 8; ferner LM § 932 BGB Nr. 23 = WM 1966, 1325).
cc) Eine Nachforschungspflicht
löste bereits der Umstand aus, daß der Bekl. nicht als Halter
im Fahrzeugbrief eingetragen war (Senat, NJW-RR 1987, 1456 = LM §
142 BGB Nr. 8 (unter II 4a)). Das ist hier nicht deswegen anders, weil
der Bekl. der Kl. oder dem Zeugen P bereits zuvor mehrfach gebrauchte Kraftfahrzeuge
verkauft hatte. Zwar ist es - anders als bei einer Veräußerung
durch eine Privatperson - nicht außergewöhnlich, wenn ein Kraftfahrzeughändler
im Rahmen seines Geschäftsbetriebs ein gebrauchtes Fahrzeug verkauft,
ohne daß zuvor der Kraftfahrzeugbrief auf ihn als Halter umgeschrieben
worden ist (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB Nr. 13 (unter II c);
NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8 (unter II 4b)). Auch ein Händlerverkauf
entbindet den Käufer aber dann nicht von der Nachforschungspflicht,
wenn Umstände hinzutreten, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit
des Vorerwerbs wecken müssen (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366
HGB Nr. 13; NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8). Das ist nach
der Rechtsprechung des Senats u. a. dann der Fall, wenn ein Fahrzeug auf
der Straße verkauft wird (Senat, NJW 1975, 735 = LM § 366 HGB
Nr. 13). Die Tatsache, daß der Bekl. als nebenberuflicher Gebrauchtwagenhändler
kein Geschäftslokal unterhält und Fahrzeuge deshalb stets nur
"auf der Straße" verkaufen konnte, gibt keine Veranlassung, von diesem
Grundsatz abzurücken. Der Straßenverkauf gebietet deswegen besondere
Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung
eines gestohlenen Fahrzeugs mindert. Das ist für den Käufer erkennbar
auch dann nicht anders, wenn ein Händler ein Geschäftslokal erst
gar nicht unterhält.
dd) Das BerGer. hat Nachforschungen
bei dem im Kraftfahrzeugbrief eingetragenen Halter hier deswegen für
entbehrlich gehalten, weil die von dem Zeugen P veranlaßten Untersuchungen
des Fahrzeugs keine Verdachtsgründe ergeben hatten und der Bekl. auch
den Zweitschlüssel für das Fahrzeug besaß. Dem vermag der
Senat nicht zu folgen.
Die Überprüfung
des Fahrzeugs konnte allenfalls Manipulationen der Fahrgestellnummer oder
Unstimmigkeiten zwischen Fahrzeugdaten und Kraftfahrzeugbrief zutage fördern.
Zur Absicherung gegen die nicht minder naheliegende Möglichkeit, daß
die Kraftfahrzeugpapiere gleichfalls gestohlen oder aber gefälscht
sein könnten, waren sie dagegen offensichtlich ungeeignet.
Die Kl. hätte sich
demnach mit den Fahrzeugüberprüfungen und den drei erfolglosen
Versuchen des Zeugen P, den eingetragenen Fahrzeughalter telefonisch zu
erreichen, nicht begnügen dürfen. Die sich aufdrängenden
Zweifel an der Berechtigung des Bekl. hätten sie vielmehr veranlassen
müssen, die Herkunft des Fahrzeugs durch Rückfragen bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle
oder beim Kraftfahrtbundesamt zu klären (vgl. Senat, LM § 932
BGB Nr. 21 (unter 3); LM § 932 BGB Nr. 23 (unter I 4)). Ebenso naheliegend
und erfolgversprechend wäre eine Rückfrage bei der Polizei gewesen.
Hätte die Kl. auch nur eine dieser Maßnahmen ergriffen, so hätte
sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfahren, daß
das Fahrzeug gestohlen war. Daß sie all diese naheliegenden Nachforschungen
unterlassen hat, begründet den Vorwurf grober Fahrlässigkeit.
2. Da die Kl. sich die grobfahrlässige
Unkenntnis des die Sittenwidrigkeit begründenden Umstandes, daß
das Fahrzeug gestohlen war, gem. § 166 I BGB zurechnen lassen muß
(RGZ 100, 246 (249); BGH, LM § 166 BGB Nr. 8), ist der von den Parteien
geschlossene Kaufvertrag gem. § 138 I BGB nichtig. Damit entfällt
ein Schadensersatzanspruch aus §§ 440 I, 325 BGB, auf den das
BerGer. die Verurteilung des Bekl. gestützt hat.
II. Das Berufungsurteil
erweist sich indes aus einem anderen Grund als richtig (§ 563 ZPO).
1. Allerdings steht der
Kl. ein Anspruch aus § 812 I BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises
wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu. Ihm steht, da der Kaufpreis
zur Erfüllung des sittenwidrigen Hehlergeschäfts geleistet worden
ist, das Rückforderungsverbot des § 817 S. 2 BGB entgegen. Diese
Vorschrift schließt die Rückforderung zwar grundsätzlich
nur bei einem bewußten Sittenverstoß aus (BGHZ 50, 90 (92)
= NJW 1968, 1329 = LM § 817 BGB Nr. 25; BGH, NJW 1980, 452 = LM ArbeitnehmerüberlassungsG
Nr. 2 (unter II für Verstöße gegen gesetzliche Verbote);
BGH, NJW 1983, 1420 = LM § 22 GenG Nr. 1 (unter V 1b)). Auch hier
steht es indessen vorsätzlichem Handeln gleich, wenn der Leistende
sich der Einsicht in den Gesetzesverstoß oder die Sittenwidrigkeit
seines Handelns leichtfertig verschließt (BGH, NJW 1983, 1420 = LM
§ 22 GenG Nr. 1; NJW 1989, 3217 = LM § 55 GewO Nr. 6 (unter 2b)).
2. a) Der Bekl. schuldet
der Kl. aber Schadensersatz nach § 826 BGB, denn er hat ihr durch
den Verkauf des gestohlenen Fahrzeugs unter Vorspiegelung falscher Tatsachen
in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich
Schaden zugefügt. Das kann der Senat aufgrund der vom BerGer. getroffenen
Feststellungen selbst abschließend entscheiden (§ 565 III Nr.
1 ZPO). Hiernach hat der Bekl. den Zeugen P über die Herkunft des
Fahrzeugs und über die Eigentumsverhältnisse an demselben arglistig
getäuscht. Eine solche Täuschung verpflichtet stets zum Schadensersatz
wegen sittenwidriger Schädigung (BGH, NJW 1974, 1505 (unter I); Senat,
NJW 1984, 2284 = LM § 823 (Bc) BGB Nr. 26 = ZIP 1984, 439 (unter IV
3) m. w. Nachw.; Soergel-Hönn, BGB, 11. Aufl., § 826 Rdnrn. 109,
110; Staudinger-Schäfer, BGB, 12. Aufl., § 826 Rdnr. 8; Mertens,
in: MünchKomm, 2. Aufl., § 826 Rdnr. 117).
b) Die auf Leichtfertigkeit
beruhende Unkenntnis der Kl. von der Herkunft des Fahrzeugs läßt
weder die Sittenwidrigkeit des Vorgehens des Bekl. noch dessen Ursächlichkeit
für den eingetretenen Schaden entfallen. Die Kl. muß sich das
leichtfertige Verhalten des Zeugen P auch nicht anspruchsmindernd anrechnen
lassen. Wer wie der Bekl. einen anderen vorsätzlich und sittenwidrig
geschädigt hat, kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen,
jener habe sich dagegen nicht ausreichend gesichert, ihm, dem Schädiger,
vielmehr zu sehr vertraut (BGHZ 76, 216 (218) = NJW 1980, 1618 = LM §
249 (A) BGB Nr. 52; Soergel-Hönn, § 826 Rdnr. 93). Dieser Grundsatz
gilt zwar nicht uneingeschränkt. Im Einzelfall kann auch gegenüber
einer vorsätzlichen Schädigung eine jedenfalls grob fahrlässige
Schadensmitverursachung des Geschädigten ins Gewicht fallen (BGH,
WM 1970, 633 (unter B 3 c); NJW 1984, 921 = LM § 254 (F) BGB Nr. 23
(unter II 2); Soergel-Hönn, § 826 Rdnr. 93; Mertens, in: MünchKomm,
§ 826 Rdnr. 80; Staudinger-Schäfer, § 826 Rdnr. 19). Dafür
ist aber dann kein Raum, wenn der Schädiger wie hier mit direktem
Schädigungsvorsatz gehandelt und sich auf Kosten des Geschädigten
einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hat.
c) Der Geltendmachung dieses
Schadensersatzanspruchs steht § 817 S. 2 BGB nicht entgegen. Der Ausnahmecharakter
der Vorschrift verbietet es, ihr einen über das Bereicherungsrecht
hinausreichenden allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen und das Rückforderungsverbot
auf andere als bereicherungsrechtliche Ansprüche auszudehnen (BGH,
NJW 1951, 643 = LM § 817 BGB Nr. 1 (unter II 1); BGHZ 41, 341 (349)
= NJW 1964, 1791 = LM § 817 BGB Nr. 21; BGHZ 44, 1 (6, 7) = NJW 1965,
1585 = LM § 16 AVB f. Feuer-Vers. Nr. 2; Lieb, in: MünchKomm,
2. Aufl., § 817 Rdnrn. 24, 25; Palandt-Thomas, § 817 Rdnr. 2).