"Mißlungenes Scheingeschäft" und § 242 BGB


RG, II. Zivilsenat, Urt. v. 24.11.1941 - II 97/41
Fundstelle:

RGZ 168, 204


Zentrale Probleme:

s. Anm. zu  BGH v. 26.5.2000, V ZR 399/99 = NJW 2000, 3127


Leitsatz:

Ist der Vertragspartner, der eine in der Vertragsurkunde enthaltene Erklärung rechtsgeschäftlichen Inhalts nicht ernst gemeint und billigerweise angenommen hat, der Vertragsgegner sei mit ihn über die Nichternstlichkeit einig, an diese Erklärung gebunden?


Die Klägerin beliefert die Beklagte mit Gas. Der erste Liefervertrag stammt aus dem Jahre 1910. Im Jahre 1931 wurde nach vorausgegangenen Verhandlungen ein neuer schriftlicher Vertrag für die Zeit vom 1. April 1936 bis zum 31. März 1956 geschlossen. Die Vertragsurkunde ist für die Beklagte vom damaligen Oberbürgermeister und von dem 1932 verstorbenen Stadtrat Kr. unterzeichnet. Beide Verträge enthalten Bestimmungen über den Heizwert des zu liefernden Gases und über die Ansprüche, die der Beklagten zustehen sollen, wenn es den angegebenen Heizwert nicht enthält. Nach der Vertragsurkunde von 1931 ist die untere Grenze des oberen Heizwertes auf mindestens 4900 WE. bei 15 Grad Celsius und 760 mm Barometerstand für den Regelfall festgelegt. In Jahre 1938 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, weil die Klägerin Gas mit geringeren Heizwert lieferte. Die Beklagte kürzt er den von der Klägerin in Rechnung gestellten Betrag für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 1938 um 19248,62 RM. Die Klägerin fordert mit der Klage den nicht gezahlten Rechnungsbetrag. Sie vertritt die Ansicht, sie habe trotz des Wortlaut des Vertrages nur Gas mit einem Heizwert von 4900 WE, gemessen bei 0 Grad und 760 mm Barometerstand, zu liefern. Nach ihrer Behauptung sind die Parteien beim Vertragsschluß hierüber stillschweigend einig gewesen. Der abweichende Wortlaut erkläre sich daraus, daß Kr. äußerlich am " alten Vertrage " möglichst wenig habe ändern wollen, da er anderenfalls Schwierigkeiten mit der Stadtverordnetenversammlung befürchtet habe.

Die Klägerin ist in allen Rechtszügen unterlegen.

Aus den Gründen:

Die Klägerin hat in der Revisionsverhandlung gebeten, die im schriftlichen Vertrage der Parteien von 1931 abgegebenen Erklärungen über die Heizwerteigenschaft unter den rechtlichen Gesichtspunkten des Erklärungszwiespalts (Dissenses) und des Irrtums zu berufen. Durch den "Irrtum" der Klägerin wird jedoch die Rechtsgültigkeit des Vertrages mit den beurkundeten Inhalt nicht in Frage gestellt. Ein Erklärungszwiespalt kommt schon begrifflich nicht in Betracht. Der Zwiespalt zwischen Wille und Erklärung, um den sich hier handelt wurde (Nichternstlichkeit des Erklärten), regelt sich zunächst nach den besonderen Vorschriften der §§ 116 bis 118 BGB. Die §§ 114, 117 BGB scheiden für die Begründung etwaiger Nichtigkeit einer von der Klägerin abgegebenen Willenserklärung aus, weil die Beklagte nicht wußte, daß die Klägerin ihre Erklärung zum Teil nicht ernstlich meinte, und mit der Abgabe einer Scheinerklärung (Vornahme eines Scheingeschäfts) nicht einverstanden war. Lediglich § 118 BGB könnte in Frage kommen, der auch den Fall des sogenannten mißlungenen Scheingeschäfts erfaßt (vgl. Staudinger BGB Bem. 3 zu § 118). Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Falle zur Anwendung des § 118 - dessen Schutz die Klägerin nicht ausdrücklich in Anspruch genommen hat - überhaupt genügen könnte, daß die Klägerin angenommen hat, Kr., der die Beklagte nicht allein vertreten konnte und bei Abschluß auch nicht allein vertreten hat, wisse um die Nichternstlichkeit ihrer Erklärung und wünsche selbst die Vornahme eines Scheingeschäfts, oder ob die Klägerin nicht hätte behaupten und beweisen müssen, sie habe das gleiche auch vom Oberbürgermeister Dr. B. angenommen, der für die Beklagte den Vertrag mitgezeichnet hat. Denn wenn sich die Klägerin in der hier in Frage stehenden "Erwartung" geirrt hat, so erfordern es Treu und Glauben und die Bedürfnisse des redlichen Geschäftsverkehrs, ihr die Berufung auf ihrer einseitige Nichternstlichkeit zu versagen. Die Herstellung einer Vertragsurkunde hat den Zweck, das, was vereinbart ist, wahr und klar zu bezeugen. Jede bewußte falsche Beurkundung kann nur irgendwelchen Täuschungzwecken dienen und ist daher verwerflich. Das gilt auch, wenn die Falschbeurkundung im Einzelfall keinen unlauteren Beweggründen entspringt. Die Herstellung eine Urkunde mit einem ganz oder teilweise falschem Inhalt muß oder kann besonders dann Anlaß zur Rechtsänderung und Störung des Rechtsfriedens geben, wenn sie sich auf langfristige Rechtsverhältnisse juristischer Personen bezieht, deren Vertretung nicht immer, jedenfalls nicht auf die Dauer, in den gleichen Händen bleibt. Der Vertragschließende, der in solchen Fällen dem anderen Teil fälschlicherweise unterstellt, dieser wolle die beurkundete Form zu Täuschungszwecken mißbrauchen, und hierzu mitwirken will, indem er selbst urkundliche, nicht ernstlich gemeinte Willenserklärungen abgibt, trägt, wenn der andere Teil den Mangel der Ernstlichkeit nicht erkennt, die Gefahr seines Irrtums und muß den Vertrag mit dem Inhalt, den die Urkunde bezeugt, stiegen sich gelten lassen. Danach bedarf es an dieser Stelle keiner Heranziehung anderer Umstände, die das Verhalten der Klägerin beim Vertragsschluß besonders erscheinen lassen.