Bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse: Rückabwicklung innerhalb
der Leistungsbeziehungen (Postanweisungsfall)
RG, Urteil v. 12.Januar
1904 Rep.VI.111/04.
Fundstelle:
RGZ 60, 24
Amtl. Leitsatz:
Ist, wenn ein Postbeamter in seiner
amtlichen Eigenschaft eine Postanweisung unter der Adresse einer Person, der
er Geld schuldet, abfertigt, ohne den angewiesenen Betrag bei der Postkasse
einzuzahlen, der Postfiskus berechtigt, den an den Adressaten gezahlten
Betrag von diesem wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückzufordern?
Zentrales
Problem:
S. die Anm.
und zugleich die Abgrenzung zu BGH v.
21.10.2004 - III ZR 38/04.
Aus den Gründen:
Am 13.,14, und 16 April 1902 hat der damalige
Verwalter des Postamtes in B., Ernst T., neun Postanweisungen über zusammen
7000 M an die Adresse der verklagten Bank als Absender ausgefertigt und bei
dem genannten Postamte aufgegeben. Die angewiesenen Beträge sind der
Beklagten zum Teil bar durch das Postamt Leipzig-Plagwitz ausgezahlt, im
übrigen auf ihren Wunsch durch Überweisung an ihr Girokonto bei der
Reichsbank gewährt worden. Nach den einwandfreien und nicht angegriffenen
Feststellungen der Beklagten unter Bürgschaft der Nebenintervenienten ein
Darlehen von 7000 M erhalten hatte, und der darüber von ihm akzeptierte
Wechsel am 13.April 1902 fällig wurde; diese Schuld sollte durch die
angewiesenen Beträge getilgt werden. Eine besondere Bemerkung hierüber
enthielten die Anweisungen nicht.
Der Kläger behauptet, T., der inzwischen wegen Verbrechen im Amte zu
Zuchthausstrafe verurteilt worden ist, habe die Anweisungen in seiner
Eigenschaft als Annahmebeamter abgefertigt, die angewiesenen Summen nicht
eingezahlt, sie aber als eingezahlt in die Bücher des damals von ihm
verwalteten Postamtes eingetragen. Der Kläger hält sich deswegen für
berechtigt, die 7000 M von der Beklagten zurückzufordern; seine Klage ist
indes von beiden Vorinstanzen abgewiesen worden.
Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, wie Postanweisungsgeschäfte
rechtlich aufzufassen seien, und führt aus: zweifellos entstehe für die Post
eine Verpflichtung zur Auszahlung des auf der Postanweisung angegebenen
Betrages nicht, wenn dieser bei Aufgabe der Anweisung nicht an die Post
gezahlt worden sei; es habe also, wenn die Angaben des Klägers über das
Verfahren des T. wahr seien, eine Verpflichtung der Post, die 7000 M an die
Beklagte auszuzahlen, nicht bestanden. Im Sinne von § 812 B.G.B. sei indes
im Verhältnis zur Post nicht die Beklagte, sondern allein T. Empfänger der
durch die Auszahlung des Geldes bewirkten Leistung, da der
Postanweisungsvertrag ein Schuldverhältnis nur zwischen dem Absender und der
Post begründet, diese also durch die Auszahlung des Geldes an den Adressaten
nur eine ihr gegenüber dem Empfänger obliegende Verpflichtung erfülle,
sonach ihm in der Person des Adressaten leiste.
Die gegen diese Ausführungen erhobenen Angriffe konnten keinen Erfolg haben.
Zutreffend erscheint es allerdings, wenn die Revision annimmt, es sei,
sofern man die Angaben des Klägers als wahr unterstelle, überhaupt gar kein
Anweisungsvertrag zustande gekommen. Ob dies aus § 181 B.G.B. abzuleisten
sein würde, kann dahingestellt bleiben; denn wenn T. so, wie vom Kläger
behauptet ist, gehandelt hat, so kann nicht angenommen werden, daß er die
Absicht gehabt habe, als Vertreter der Post mit sich selbst einen Vertrag
abzuschließen, vermöge dessen diese verpflichtet sein sollte, 7000 M an die
Beklagte auszuzahlen; der Natur der Sache entspricht es vielmehr allein,
anzunehmen, daß er lediglich beabsichtigt habe, durch Ausfertigung und
Absendung der Anweisungen in den Postbeamten des Ortes, wo die Auszahlung
erfolgen sollte, den Irrtum zu erregen, daß ein Vertrag über Vermittlung der
Zahlung der angewiesenen Beträge unter Einzahlung derselben an die Postkasse
zwischen dem Absender und dem die Anweisungen entgegennehmenden Beamten
abgeschlossen worden sei. Es ist dann bezüglich dieser Anweisungen gar kein
Vertrag, auch kein Scheinvertrag, geschlossen worden; es liegt vielmehr bloß
eine von T. gegenüber den Beamten der Auszahlungsstelle verübte betrügliche
Handlung vor.
Indes sind hieraus keine dem Kläger günstigere Folgerungen herzuleiten, als
sie sich auch bei der Annahme ergeben würden, daß formell ein
Postanweisungsvertrag zwischen T. und dem Postfiskus zustande gekommen sei,
aber aus materiellem Rechtsgrunde- wegen Nichteinzahlung der angewiesenen
Beträge – die einem solchen Vertrage an sich zukommenden Rechtswirkungen
nicht gehabt habe. Denn immerhin sind Urkunden hergestellt und an die
Auszahlungsstelle gesendet worden, die sich nach Form und Inhalt als
Postanweisungen darstellten und den Auftrag des Absenders enthielten, daß
die Post die angewiesenen Beträge an die Beklagte auszahlen solle, und die
Auszahlung ist vermöge dieses Auftrags erfolgt, weil die damit befaßten
Organe des Postfiskus irrigerweise annahmen, daß den Anweisungen auch
entsprechende rechtsgültige Einzahlungsverträge zugrunde lägen. Entscheidend
ist bei beiden vorstehend erwähnten Auffassungen, welcher Charakter der
infolge dieses Irrtums bewirkten Verabfolgung der angewiesenen Beträge an
die Beklagte zukommt, ob sie rechtlich bloß eine Leistung der Post an den
Absender T.; oder zugleich auch eine solche an die Beklagte darstellt.
Die Revision will das letztere angenommen wissen, weil der Vertrag zwischen
dem Absender und der Post, sofern nicht etwa Absender und Adressat identisch
seien, auch als ein Vertrag zugunsten des Adressaten anzusehen sei, durch
welchen dieser, wenn auch nicht sofort, so doch unter Voraussetzung, daß der
Absender die Postanweisung nicht vor der Auszahlung des Betrags zurücknehme,
das Recht auf Zahlung des angewiesenen Betrags gegen die Post erwerbe.
Hierfür spreche namentlich auch die Erwägung, daß das Postanweisungsgeschäft
wirtschaftlich auf ein Beförderungsgeschäft hinauslaufe (vgl. Schmidt, in
Grochot´s Beiträgen Bd.34 S.180), und daß dasselbe Verkehrsbedürfnis, das
bei den handelsrechtlichen Transportgeschäften zur gesetzlichen Statuierung
des Auslieferungsrechts für den Empfänger geführt habe (§ 435 H.G.B.), bei
den Postbeförderungsverträgen mindestens in gleichem Maße vorhanden sei…
Was die Sache selbst anlangt, so hat unter der Herrschaft des Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuchs allerdings die Meinung Vertretung gefunden, daß
die Bestimmung in Art.405 dieses Gesetzes auch auf Postsendungen Anwendung
finde, und dazu auch die Postanweisungen zu rechnen seien.
Vgl. Mittelstein, in Gruchot´s Beiträgen Bd.36 S.578 flg. und in seinen
Beiträgen zum Postrecht S.63 flg.
Indes ist schon vor dem Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs vom 10.Mai 1897
von dem Reichsgericht dahin entschieden worden, daß nach den Vorschriften in
Art.421 Abs.2 H.G.B. a.F. und § 35 der Postordnung vom 11.Juni 1892 das
postalische Sonderrecht einen selbständigen Auslieferungsanspruch des
Adressaten gegenüber der Post ausschließe (Entsch. In Zivilf. Bd.43 S.98 flg.).
Inzwischen ist durch § 452 des Handelsgesetzbuchs vom 10.Mai 1897 bestimmt
worden, daß auf die Beförderung von Postgütern durch die Postverwaltungen
des Reichs und der Bundesstaaten die Vorschriften des vom Frachtgeschäft
handelnden Abschnittes keine Anwendung finden; es ist dies geschehen, weil
die Rechte und Pflichten der Post aus den von ihr übernommenen Beförderungen
durch die Bestimmungen des Reichspostgesetzes und der auf Grund desselben
erlassenen Postordnung eine eingehende Regelung erfahren hätten, und ein
Bedürfnis für die Anwendung der handelsgesetzlichen Bestimmungen über den
Frachtvertrag nicht mehr bestehe.
Vgl. Denkschrift, Bemerkungen zu § 444 des Entwurfs.
Hiernach erscheint jede, auch eine nur analoge, Anwendung des dem älteren
Art. 405 entsprechenden § 435 H.G.B. n.F. ausgeschlossen. Die Postordnung
aber bestimmt auch in ihrer neuen Fassung vom20.März 1900 in § 33, daß der
Absender eine Postsendung zurücknehmen oder ihre Aufschrift ändern lassen
kann, solange sie dem Empfänger noch nicht ausgehändigt ist. Hieraus muß in
Übereinstimmung mit der vorstehend erwähnten Entscheidung des Reichsgerichts
(Entsch. in Zivils. Bd.43 S.98 flg.) entnommen werden, daß ein selbständiger
Auslieferungsanspruch des Adressaten einer Postsendung gegenüber der
Postanstalt nicht besteht, und diese daher auch bei Auszahlung des auf einer
Postanweisung angegebenen Betrags an den Adressaten lediglich den mit dem
Aufgeber der Anweisung geschlossenen Vertrag erfüllt.
Die Revision meint, daß auch bei dieser Auffassung die Beklagte im Sinne
von § 812 B.G.B. als Empfängerin der auf die Anweisungen gezahlten Beträge
anzusehen sei, da die Post nicht als Beauftragte oder Vertreterin des
Absenders an den Adressaten zahle, sondern für sich und aus ihrem Vermögen.
Auch hierin kann jedoch der Revision nicht beigetreten werden. Allerdings
beschränkt sich bei dem Postanweisungsverkehr die Aufgabe der Post darauf,
den Übergang der angewiesenen Summe in den Besitz des Adressaten zu
vermitteln; welcher Grund den Absender dazu veranlasst, diesen Übergang
unter Inanspruchnahme der Post herbeizuführen, und welchem rechtlichen
Zwecke die angewiesene Summe diesen soll, ist für die Post ohne Bedeutung;
diese auch dann, wenn der Zweck der Sendung unter richtiger Benennung des
Absenders auf dem für dessen Mitteilungen bestimmten Teile des
Anweisungsformulars genau angegeben ist. Denn die auf dem
Anweisungsabschnitt fehlenden Notizen sind bloß für den Adressaten bestimmt
und kommen für die Post nur insoweit in Betracht, als sie bei
Unbestellbarkeit der Anweisung zur Ermittlung der Person dienen, an welche
der eingezahlte Betrag zurückzuzahlen ist (vgl. Entsch. des R.G.´s in
Zivils. Bd.41 S.107). Es ist daher, auch abgesehen davon, daß im
vorliegenden Falle die Anweisungsabschnitte über den Zweck der
Geldübersendung keine Angaben enthielten, richtig, daß die Postanstalt nicht
in Vertretung des T. eine Schuld desselben an die Beklagte bezahlt hat, es
vielmehr ihr unbekannt und für sie bedeutungslos war, zu welchem Zwecke die
angewiesenen Beträge bestimmt waren. Allein andererseits erfolgt im
Postanweisungsverkehr die Zahlung, welche die Post dem Adressaten leistet,
mit dem Willen, daß dieser sie als eine ihm von dem Absender durch
Vermittlung der Post übersendete empfange; sie geschieht daher für Rechnung
des Absenders (vgl. dazu Entsch. des R.G.`s in Zivils. Bd.18 S.309 flg.).
Dementsprechend ist der Empfänger auch der Post gegenüber berechtigt, das
ihm von dieser ausgehändigte Geld so zu verwenden, wie es dem zwischen ihm
und dem Absender bestehenden Rechtsverhältnisse entspricht. Ist daher der
Empfänger Gläubiger des Absenders, und war nach dessen ausdrücklich
erklärten oder aus den Umständen zu entnehmenden Willen der angewiesene
Betrag zur Tilgung von dessen Schuld bestimmt, so erlischt zu dem
entsprechenden Betrage die Forderung des Empfängers, sofern auch er den
Willen hat, das ihm von der Post überantwortete Geld als Zahlung auf seine
Forderung anzunehmen und zu verwenden. Die Überantwortung des Geldes von
seiten der Post wirkt daher, obwohl diese in eigenem Namen, nicht als
Vertreterin des Absenders zahlt, wie eine Zahlung, die der Schuldner durch
einen Vertreter oder Boten an den Gläubiger leistet, und das
Rechtsverhältnis ist in derselben Weise zu beurteilen, wie in dem Falle,
wenn jemand, weil er einem anderen hierzu verpflichtet zu sein glaubt, eine
Schuld desselben an dessen Gläubiger bezahlt.
Für diesen Fall war nach gemeinem Recht, sofern der Zahlende sich bezüglich
seiner Verpflichtung, den andern von seiner Schuld zu befreien, in Irrtum
befunden hatte, als der rechtlos Bereicherte nicht der Empfänger des
gezahlten Betrages, sondern der, dessen Schuld getilgt worden war,
anzusehen.
Vgl. die bereits von der Vorinstanz angezogene Entscheidung des
Reichsgerichts in Seuffert´s Archiv Bd.44 Nr.257; Windscheid,
Pandektenrecht, Aufl. 6 Bd.2 § 424 unter 2; Dernburg, Pandekten, Aufl.5 Bd.2
§ 141 unter II; Witte, Bereicherungsklagen S.76, 81; Erzleben, Condictiones
sine causa S.171 flg.; Oertmann, im Archiv für civilist. Praxis Bd.82 S.457
flg.
Dafür, daß diese der Natur der Sache entsprechende Auffassung für das
gegenwärtige Recht keine Geltung mehr habe, bietet weder der Wortlaut der
einschlagenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, noch deren
Entstehungsgeschichte einen Anhalt.
Vgl. auch die Lehrbücher des bürg. Rechts von Dernburg, Bd.2 Abs.2 § 375
unter III 2; Goldmann u. Lilienthal, 2.Auf. § 255 unter 3; Enneccerus u.
Lehmann § 352 unter 2 b; ferner Mayer, Bereicherungsanspruch S.219 flg. 225;
Jung, Bereicherungsansprüche S.82 flg. 88 flg.
Im vorliegenden Fall ist von der Vorinstanz einwandfrei festgestellt, daß T.
die in Frage stehenden Postanweisungen angefertigt und abgesendet hat, damit
die Beklagte das ihr durch die Postanstalt zugehende Geld zur Ausgleichung
der Darlehns- und Wechselforderung, welche ihr gegen ihn und die Bürgen
zustand, verwende, und die Beklagte hat das Geld auch zu diesem Zwecke
angenommen; sie hat dies auch nach dem Inhalt ihrer Briefe vom 15. und 16.
April 1902 dem T. noch besonders mitgeteilt. Ihre Forderung an diesen und
ebenso die an die Bürgen ist daher erloschen; sie hat nicht mehr als ihr
zukam erhalten und ist nicht rechtlos bereichert.“…
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