Bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse: Leistungsbegriff, Empfängerhorizont und Vorrang der Leistungsbeziehung


BGH v. 21.10.2004 - III ZR 38/04


Fundstelle:

NJW 2005, 60


(Eigene) Leitsätze:

1. Unter Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist die bewußte und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Dabei kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, also zunächst darauf an, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben.
2. Stimmen die Vorstellungen der Beteiligten nicht überein, kommt es darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen mußte und durfte (objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers) – Bestätigung von (
BGHZ 105, 365, 369; 122, 46, 50 f; BGH NJW 1999, 1393, 1394).
3. Der Empfänger einer Leistung kann mit einer Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) allenfalls von seinem Vertragspartner belangt werden, und zwar nur dann, wenn nach den zwischen diesen beiden bestehenden Beziehungen die Leistung grundlos ist. Ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) kann nur dann entstehen, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden ist (Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion).


Zentrale Probleme (s. auch S. Lorenz LMK 2004, 217 f):

Es geht um ein Grundlagenproblem bereicherungsrechtlicher Dreiecksbeziehungen (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 1999, 1393, 1394; BGHZ 113, 62 ff; BGH NJW 2003, 582 sowie insbes. zu BGHZ 147, 269), nämlich den sog. Vorrang der Leistungsbeziehung. Danach hat sich der Empfänger einer "Leistung" grundsätzlich nur mit dem Leistenden auseinanderzusetzen. Besteht diesem gegenüber ein Rechtsgrund, ist die Leistung kondiktionsfest, besteht er nicht, kann nur der Leistende Bereicherungsansprüche geltend machen (s. dazu eingehend Lorenz JuS 2003, 729, 839). Entscheidend ist damit der Leistungsbegriff, den der BGH auch hier wieder als "bewußte, zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens" definiert. Damit bestimmt derjenige, der eine Vermögensmehrung (Zuwendung) vornimmt, den Leistungszweck. Ist nicht klar, wer Leistender ist, kommt es auf den objektivierten Empfängerhorizont an. Maßgebend ist, wie ein verständiger Dritter in der Position des Empfängers die Vermögensmehrung durch den Zuwendenden verstehen mußte. Im konkreten Fall war Zuwendender eine öffentliche Kasse. Der BGH stellt zu recht fest, daß hier aus dem Empfängerhorizont der Bekl. klar sein mußte, daß die Behörde hier eine (vermeintliche) eigene Verpflichtung (der öffentlichen Hand) erfüllen wollte. Damit lag keine Leistung des Behördenmitarbeiters vor, der durch unberechtigte Zahlungsanweisungen diese Überweisungen initiiert hatte. Der BGH betont zu Recht, daß man sich für diese Lösung (anders als die Vorinstanz) nicht von der Lehre des Empfängerhorizonts verabschieden muß, denn es war hier nicht zu fragen, wie die Bekl. das Verhalten des Beamten verstehen durfte und verstanden hat (dieser wollte in der Tat an sie leisten), sondern wie das Verhalten des Zuwendenden (hier also der Behörde) aus der Warte der Zahlungsempfängerin zu verstehen war.

Dadurch unterscheidet sich der Fall entscheidend von dem "Postanweisungsfall", den das Reichsgericht im Jahre 1904 zu entscheiden hatte (RGZ 60, 24 ff). Dort hatte der Leiter eines Postamts Postanweisungen an eigene Schuldner ausgestellt, ohne die Beträge zuvor selbst eingezahlt zu haben. Das RG verneinte hier zu Recht einen Anspruch der Post gegen die Zahlungsempfänger. In einem solchen Fall will nämlich
der Zuwendende (also die Post, die aufgrund der Anweisung Beträge auszahlt), aus dem Empfängerhorizont keine eigene Schuld begleichen, sondern wirtschaftlich gesehen das Geld anderer Leute transportieren. Daß derjenige, der dies veranlaßt hat, darauf mangels Einzahlung oder Guthaben, keinen Anspruch hierauf hat, ist im Verhältnis Post/Zahlungsempfänger grundsätzlich (d.h. vorbehaltlich der anerkannten Ausnahmen) irrelevant, weil eine Leistung des Anweisenden an den Empfänger vorliegt. Die Post agierte also (erkennbar) als Leistungsmittler für einen anderen, während im vorliegenden Fall die Behörde nicht eine fremde Leistung transportieren, sondern (aufgrund der Täuschung) erkennbar eine eigene erbringen wollte.

Kurz und sehr abstrakt formuliert:
Wenn für den Empfänger (hier die Bekl.) erkennbar ist, daß der Zuwendende (hier: die öffentliche Hand) eigene Zwecke verfolgt, also selbst "leisten" will, handelt es sich auch dann um eine "Leistung" des Zuwendenden im bereicherungsrechtlichen Sinn, wenn ein Dritter den Zuwendenden durch Täuschung zur Leistung veranlaßt hat (weil er selbst dem Empfänger einen Vermögensvorteil zukommen lassen will). Der Vorrang der Leistungsbeziehung i.V.m. dem Leistungsbegriff schützt nur das Vertrauen des Empfängers darauf, daß eine Zuwendung aus seiner Sicht die Leistung eines bestimmten Dritten darstellt, nicht aber daß eine rechtsgrundlose Leistung, zu der ein Dritter den Leistenden veranlaßt hat, um damit selbst an den Empfänger zu leisten, lediglich eine "Zuwendung" und damit bestandskräftig ist (weil gegenüber dem Dritten ein Rechtsgrund besteht).

Zum Rechtsweg: Trotz der Tatsache, daß hier ein Behörde Gelder überwiesen hat, ist hier nach h.M. der Zivilrechtsweg eröffnet. Der Fall ist zivilrechtlich und nicht öffentlich-rechtlich zu beurteilen, da die Zahlungen der öffentlichen Hand an eine nicht versorgungsberechtigte Empfängerin gingen. Damit bestand (anders als etwa bei einer Zahlung aufgrund eines Verwaltungsakts) kein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis (s. Staudinger-W. Lorenz Vorbem. zu § 812 Rn. 81, BGHZ 71, 180, 183 f ; 73, 202, 203)

©sl 2004


Tatbestand:

Der frühere Regierungsobersekretär K. war im Berufsförderungsdienst des Kreiswehrersatzamtes K. tätig. Aufgabe dieses Dienstes ist es, den aus der Bundeswehr ausscheidenden Zeitsoldaten nach Maßgabe der §§ 3 ff des Soldatenversorgungsgesetzes die Eingliederung in einen zivilen Beruf zu erleichtern. Das geschieht unter anderem durch die finanzielle Förderung von Fortbildungsmaßnahmen. K. hatte als sogenannter Kostenfestsetzer die von den Soldaten und den Bildungsträgern eingereichten Rechnungen auf rechnerische Richtigkeit zu prüfen und entsprechende Auszahlungsanordnungen an die Bundeswehrkasse, später an die Bundeskasse (im folgenden einheitlich: Bundeskasse) vorzubereiten. Diese Stellung nutzte K., um - ohne rechtliche Grundlage - Überweisungen der Bundeskasse in Höhe von insgesamt etwa 2,35 Mio. DM an Verwandte und Bekannte zu bewirken. Auf diese Weise erhielt auch die Beklagte in der Zeit von August 2001 bis Januar 2002 insgesamt 8.191,96 € aus der Bundeskasse; sie hatte K. sexuelle Dienste geleistet.

Die klagende Bundesrepublik Deutschland fordert von der Beklagten die empfangenen 8.191,96 € nebst Zinsen unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) zurück. Sie hat behauptet, die Beklagte habe gewußt, daß K. die Zahlungen der Bundeskasse in unrechtmäßiger Weise veranlaßt habe. Die Beklagte hat das bestritten und geltend gemacht, K. habe regelmäßig ihre Dienstleistungen in Anspruch genommen. Aufgrund seiner Angaben habe sie angenommen, bei den von der Bundeskasse überwiesenen Beträgen handele es sich um Teile von K. Gehalt; K. habe ihr die Überweisungen als Bezahlung für die gewährten sexuellen Handlungen angekündigt.

Landgericht und Berufungsgericht haben der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Klage könne sich auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB stützen; die Überweisungen der Bundeskasse seien eine rechtsgrundlose Leistung der Klägerin an die Beklagte gewesen. Die Überweisungen seien nicht im Rahmen einer - vorrangigen - Leistungsbeziehung zwischen der Beklagten und K. erfolgt.
Es sei zwar nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß sich der Zahlungsvorgang aus Sicht der Beklagten als Anweisungssituation, nämlich als Zahlung des Prostituiertenlohns im Wege der Anweisung von K. an die Bundeskasse, dargestellt habe. Die Beklagte habe offenbar gedacht, K. habe jeweils eine gerade Summe seines Gehalts sich und den ungeraden Restbetrag ihr zur Zahlung angewiesen oder anweisen lassen. Allein eine solche Vorstellung des Zuwendungsempfängers entscheide jedoch unter keinen Umständen über die Person des Leistenden und die Lage der Leistungsbeziehungen. Dementsprechend werde der gute Glaube der Beklagten, sie habe die Zahlungen kraft Anweisung von K. an die Bundeskasse erhalten, bereicherungsrechtlich nicht geschützt. Es hätten anweisungslose Zahlungsvorgänge der Bundeskasse vorgelegen, die sich fremder Zahlungsanweisung nicht unterwerfe. Der sogenannte Empfängerhorizont könne die fehlende Anweisung nicht ersetzen.
Die Überweisungen der Bundeskasse seien selbst dann als rechtsgrundlose Leistungen der Klägerin an die Beklagte zu qualifizieren, wenn es sich um eine sogenannte irrtümliche Eigenleistung handele. Das auf dem Empfängerhorizont beruhende bereicherungsrechtliche Zuordnungskonzept sei auch in soweit zu verabschieden. Es komme nicht auf das Sonderwissen der Beklagten an, daß K. ihr die Zahlungen avisiert und als eigene Leistungen hingestellt habe. Die Klägerin könne sich vielmehr auf den Verwendungszweck berufen, der auf den Überweisungsträgern vermerkt gewesen sei ("Geb" oder "Gebuehr"), und geltend machen, sie habe zur Erfüllung von - vermeintlichen - Versorgungsansprüchen der Beklagten gezahlt.

II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.

Die Klägerin kann aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) von der Beklagten Rückzahlung von 8.191,96 € nebst Zinsen verlangen.

1. Die Beklagte hat durch die Überweisungen der Bundeskasse auf Kosten der Klägerin Gutschriften in Höhe von insgesamt 8.191,96€ auf ihrem – zu nächst auf den Namen ihres Bekannten O.-R., später ihres Bekannten H. lautenden - Konto erlangt. Diesem Vermögensvorteil der Beklagten stand ein entsprechender Vermögensnachteil der Klägerin gegenüber. Für die Vermögensverschiebung gab es im Verhältnis zwischen den Parteien auch keinen rechtlichen Grund; die Beklagte hatte keinen Anspruch auf Leistungen des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr.
2. Der Beklagten steht nicht deshalb ein rechtlicher Grund für den Empfang der 8.191,96 € zur Seite, weil sie die entsprechenden Gutschriften durch eine Leistung von K. erhalten und sie hierauf wegen der mit ihm getroffenen Prostitutionsvereinbarung - jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) am 1. Januar 2002 - einen Anspruch gehabt hätte.
Allerdings kann der Empfänger einer Leistung mit einer Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) allenfalls von seinem Vertragspartner belangt werden, und zwar nur dann, wenn nach den zwischen diesen beiden bestehenden Beziehungen die Leistung grundlos ist. Ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) kann nur dann entstehen, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden ist (Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion, vgl. BGHZ 40, 272, 278; 56, 228, 240; 69, 186, 189; Senatsurteil vom 4. Februar 1999 - III ZR 56/98 - NJW 1999, 1393, 1394).
a) Unter Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist die bewußte und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Dabei kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, also zunächst darauf an, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Stimmen die Vorstellungen der Beteiligten nicht überein, ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzugehen kein Anlaß besteht, eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers geboten (BGHZ 105, 365, 369; 122, 46, 50 f; Senatsurteil vom 4. Februar 1999 aaO). Es kommt darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen mußte und durfte.
b) Das Berufungsgericht hat diesen rechtlichen Ansatz nicht hinreichend beachtet. Es ist ferner - wie die Klägerin in der Revisionsverhandlung zu Recht gerügt hat - aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zu der Feststellung gelangt, die Beklagte habe von ihrem Verständnishorizont aus annehmen dürfen, K. habe ihr gegenüber eine Leistung kraft Anweisung der Bundeskasse bewirkt. Sie habe sich offenbar vorgestellt, K. habe jeweils eine gerade Summe seines Gehaltes sich und den ungeraden Restbetrag ihr zur Zahlung angewiesen oder anweisen lassen.
Die angebliche Vorstellung der Beklagten, K. habe ihr Teile seines Gehaltes angewiesen oder anweisen lassen, entbehrte jeder vernünftigen Grundlage. Ein Beamter kann sich - was allgemein bekannt ist - nicht sein Gehalt selbst auszahlen oder seine Dienststelle entsprechend "anweisen".
Die Beklagte hat, wie die Revisionserwiderung mit Recht rügt, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keine plausible Erklärung dafür geliefert, daß ihr ungerade Beträge überwiesen wurden. Der Prostitutionslohn, der nach der Behauptung der Beklagten durch die von K.    veranlaßten Überweisungen ausgeglichen werden sollte, betrug, wie die Beklagte in ihrer Anhörung vor dem Landgericht erklärt hat, 1.600 DM für eine ganze Nacht, 200 DM oder 300 DM für eine Stunde. Die überwiesenen ungeraden Beträge können bestimmten Prostitutionsleistungen demnach nicht zugeordnet werden.
Mit der Revisionserwiderung ist weiter zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den auf dem Überweisungsbeleg von der Bundeskasse angegebenen Zahlungsgrund "Gebuehr" nicht berücksichtigt hat. Die Überweisung betraf erkennbar keine Gehaltszahlung an K., erst recht nicht den von der Beklagten verdienten Prostitutionslohn.
c) Die Feststellungen des Berufungsgerichts können mithin keinen Bestand haben. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts ist vielmehr davon auszugehen, daß hier aus objektivierter Empfängersicht nur eine - rechtsgrundlose - Leistung der Bundeskasse an die Beklagte in Betracht kam. Zu dieser abschließenden Würdigung ist der Senat befugt, weil weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist