IPR: Internationales Namensrecht und Freizügigkeit
(Art. 21 AEUV); "hinkende" Namen als Einschränkung der Freizügigkeit - Einschränkung der Freizügigkeit beim Verbot von Adelstiteln
EuGH, Urteil vom 22.12.2010 - C-208/09 „Sayn-Wittgenstein“
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Tenor:
Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es den
Behörden eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens die Anerkennung des Nachnamens eines Angehörigen dieses
Staates in allen seinen Bestandteilen, wie er in einem zweiten
Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt, bei seiner Adoption als
Erwachsener durch einen Staatsangehörigen dieses zweiten Staates bestimmt
wurde, abzulehnen, wenn dieser Nachname einen Adelstitel enthält, der im
ersten Mitgliedstaat aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig ist,
sofern die in diesem Zusammenhang von diesen Behörden ergriffenen Maßnahmen
aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sind, d. h. zum Schutz
der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind und in einem
angemessenen Verhältnis zu dem legitimerweise verfolgten Zweck stehen.
Zentrale Probleme:
Eine etwas merkwürige Entscheidung zum internationalen
Namensrecht. Der Name des Betroffenen war (auch nach der Adoption) sowohl
nach österreichischem IPR als auch nach deutschem IPR nach österreichischem
materiellen Recht zu beurteilen. Anders als im Fall "Grunkin-Paul" (EuGH,
Urt. v. 14.10.2008, Rs. C-353/06) ging es also nicht um die
Anerkennung eines in einem Mitgliedstaat legal geführten Namen (das deutsche
Gericht hatte bei der Adoption den Namen schlicht falsch festgestellt, ohne
dass dem gestaltende Wirkung zugekommen wäre), sondern letztlich um die
Anerkennung eines "faktisch" geführten Namens (s. dazu die
Einlassung der deutschen und österreichischen Regierung bei Tz.
57). Auch das fällt nach Ansicht
des EuGH offenbar unter den Schutz der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV.
Immerhin wird aber anerkannt, dass die Einschränkung hier aus Gründen der
Gleichbehandlung zulässig ist. Insofern ist die Entscheidung eine wichtige
Folgeentscheidung von
Grunkin und Paul (s. zu jener Entscheidung auch OLG München v. 19.1.2010 - 31
Wx 152/09).
©sl 2011
Urteil:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21
AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau
Sayn‑Wittgenstein, einer in Deutschland wohnenden österreichischen
Staatsangehörigen, und dem Landeshauptmann von Wien über dessen
Entscheidung, die Eintragung des in Deutschland nach einer Adoption durch
einen deutschen Staatsangehörigen erworbenen Familiennamens Fürstin von
Sayn‑Wittgenstein im Geburtenbuch zu berichtigen und durch den Namen
Sayn‑Wittgenstein zu ersetzen.
Rechtlicher Rahmen
Österreichisches Recht
Adelsaufhebungsgesetz und Vollzugsanweisungen
3 Das Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und
Damenorden und gewisser Titel und Würden vom 3. April 1919 (StGBl.
Nr. 211/1919) in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (BGBl.
Nr. 1/1920) (im Folgenden: Adelsaufhebungsgesetz) steht nach Art. 149 Abs. 1
des Bundes-Verfassungsgesetzes im Verfassungsrang.
4 § 1 des Adelsaufhebungsgesetzes lautet:
„Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung
verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer
wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange
stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge
österreichischer Staatsbürger werden aufgehoben.“
5 § 4 dieses Gesetzes sieht vor:
„Die Entscheidung darüber, welche Titel und Würden nach § 1 als aufgehoben
anzusehen sind, steht dem Staatssekretär für Inneres und Unterricht zu.“
6 Die Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht
und des Staatsamtes für Justiz, im Einvernehmen mit den beteiligten
Staatsämtern, vom 18. April 1919 über die Aufhebung des Adels und gewisser
Titel und Würden (StGBl. Nr. 237/1919) bestimmt in ihrem § 1:
„Die Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzüge, weiters der bloß zur
Auszeichnung verliehenen, mit einer amtlichen Stellung, dem Berufe oder
einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im
Zusammenhange stehenden Titel und Würden und der damit verbundenen
Ehrenvorzüge trifft alle österreichischen Staatsbürger, und zwar,
gleichviel, ob es sich um im Inlande erworbene, oder um ausländische Vorzüge
handelt.“
7 In § 2 der Vollzugsanweisung heißt es:
„Durch § 1 des [Adelsaufhebungsgesetzes] sind aufgehoben:
1. das Recht zur Führung des Adelszeichens „von“;
…
4. das Recht zur Führung der adeligen Standesbezeichnungen, wie z. B.
Ritter, Freiherr, Graf und Fürst, dann des Würdetitels Herzog, sowie anderer
einschlägiger in- und ausländischer Standesbezeichnungen;
…“
8 § 5 der Vollzugsanweisung sieht verschiedene Sanktionen für den
Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot vor.
Internationales Privatrecht
9 Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über
das internationale Privatrecht (BGBl. Nr. 304/1978) in der für das
Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (BGBl. I Nr. 58/2004) (im Folgenden:
IPRG) ist das Personalstatut einer natürlichen Person das Recht des Staates,
dem diese Person angehört.
10 Nach § 13 Abs. 1 IPRG ist die Führung des Namens einer Person nach
ihrem jeweiligen Personalstatut zu beurteilen, auf welchem Grund auch immer
der Namenserwerb beruht.
11 § 26 IPRG bestimmt, dass die Voraussetzungen der Annahme an
Kindesstatt nach dem Personalstatut jedes Annehmenden und dem Personalstatut
des Kindes zu beurteilen sind, während ihre Wirkungen, im Fall der Adoption
durch nur eine Person, dem Personalstatut des Annehmenden unterliegen. Nach
den Erklärungen der österreichischen Regierung und der von ihr zitierten
Rechtsliteratur sind von dieser Regelung nur die familienrechtlichen
„Wirkungen“ umfasst und nicht die Bestimmung des Namens des Angenommenen,
die weiterhin § 13 Abs. 1 IPRG unterliegt.
Zivilrecht
12 § 183 Abs. 1 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in der für
das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (BGBl. Nr. 25/1995) sieht
Folgendes vor:
„Wird das Wahlkind nur von einer Person an Kindesstatt angenommen und
erlöschen die familienrechtlichen Beziehungen zum anderen Elternteil im Sinn
des § 182 Abs. 2 zweiter Satz, so erhält das Wahlkind den Familiennamen des
Annehmenden. …“
Personenstandsgesetz
13 Nach § 15 Abs. 1 des Personenstandsgesetzes (BGBl.
Nr. 60/1983) ist eine Beurkundung zu berichtigen, wenn sie bereits zur Zeit
der Eintragung unrichtig gewesen ist.
Deutsches Recht
Rechtsvorschriften über die Abschaffung des Adels
14 Art. 109 der Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August
1919 schuf u. a. alle Vorzüge aufgrund der Geburt oder des Standes ab und
sah vor, dass Adelsbezeichnungen nur mehr als Teil des Namens gelten und
nicht mehr verliehen werden dürfen.
15 Nach Art. 123 Abs. 1 des Grundgesetzes gilt diese Vorschrift als
einfaches Bundesrecht fort (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom
11. März 1966 und vom 11. Dezember 1996).
Internationales Privatrecht
16 Art. 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche
(im Folgenden: EGBGB) lautet:
„Der Name einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person
angehört.“
17 Art. 22 Abs. 1 und 2 des EGBGB sieht vor, dass die Annahme als Kind
und ihre Auswirkungen auf die familienrechtlichen Beziehungen zwischen den
Beteiligten dem Recht des Staates unterliegen, dem der Annehmende angehört.
18 In der Vorlageentscheidung wird jedoch darauf hingewiesen, dass die
Wirkungen der Adoption in Bezug auf die Bestimmung des Namens gemäß Art. 10
Abs. 1 EGBGB nach dem Recht jenes Staates zu beurteilen sind, dem das
angenommene Kind angehört; die deutsche Regierung hat dies bestätigt. Das
auf die Bestimmung des Nachnamens anwendbare Recht ist also nach deutschem
internationalem Privatrecht anhand des Kriteriums der Staatsangehörigkeit
der Person zu ermitteln.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
19 Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens (im
Folgenden: Beschwerdeführerin) ist 1944 in Wien geboren und österreichische
Staatsbürgerin.
20 Mit Beschluss des Kreisgerichts Worbis (Deutschland) vom 14. Oktober
1991 wurde nach den §§ 1752 und 1767 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs
die Adoption der Beschwerdeführerin durch einen deutschen Staatsangehörigen,
Herrn Lothar Fürst von Sayn‑Wittgenstein, ausgesprochen. Es ist unstreitig,
dass die Adoption keine Auswirkungen auf ihre Staatsangehörigkeit hatte.
21 Die Beschwerdeführerin lebte zum Zeitpunkt ihrer Adoption in
Deutschland und wohnt nach wie vor dort. Das vorlegende Gericht hat nicht
mitgeteilt, in welcher Eigenschaft sie sich in Deutschland aufhält. In der
mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beschwerdeführerin jedoch
erklärt, sie sei hauptsächlich in Deutschland, aber auch außerhalb dieses
Mitgliedstaats, im oberen Segment des Immobilienmarkts geschäftlich tätig.
Sie sei insbesondere unter dem Namen Ilonka Fürstin von Sayn-Wittgenstein
mit dem Verkauf von Schlössern und Herrenhäusern befasst.
22 Mit Ergänzungsbeschluss vom 24. Jänner 1992 sprach das Kreisgericht
Worbis aus, dass die Beschwerdeführerin infolge der Adoption als
Geburtsnamen den Nachnamen ihres Adoptivvaters in der Form erhalte, dass sie
„Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ heiße.
23 Die österreichischen Behörden trugen diesen Nachnamen in das
österreichische Geburtenbuch ein.
24 Nach den Antworten auf die vom Gerichtshof zur Vorbereitung der
mündlichen Verhandlung sowie in der mündlichen Verhandlung selbst gestellten
Fragen wurde der Beschwerdeführerin in Deutschland eine Fahrerlaubnis auf
den Namen Ilonka Fürstin von Sayn-Wittgenstein ausgestellt, und sie gründete
dort unter diesem Namen ein Unternehmen. Außerdem erneuerte die
österreichische Konsularbehörde in Deutschland mindestens einmal, im Jahr
2001, ihren österreichischen Reisepass und stellte zwei
Staatsbürgerschaftsnachweise aus, sämtlich auf den Namen Ilonka Fürstin von
Sayn-Wittgenstein.
25 Am 27. November 2003 fällte der Verfassungsgerichtshof (Österreich)
ein Erkenntnis in einer Rechtssache, der ein ähnlicher Sachverhalt wie der
Fall der Beschwerdeführerin zugrunde lag. Er beurteilte zusammenfassend die
österreichische Rechtslage dahin, dass es nach dem im Verfassungsrang
stehenden und insoweit den Gleichheitsgrundsatz ausführenden
Adelsaufhebungsgesetz unzulässig sei, dass ein österreichischer Staatsbürger
aufgrund einer Adoption durch einen deutschen Staatsangehörigen, der einen
Adelstitel rechtmäßig als Teil des Namens führe, einen Familiennamen
erwerbe, der einen früheren Adelstitel enthalte. Österreichische
Staatsbürger seien nach dem Adelsaufhebungsgesetz nämlich nicht berechtigt,
Adelstitel – einschließlich solcher ausländischen Ursprungs – zu führen.
Dieses Erkenntnis bestätigte auch die frühere Rechtsprechung, wonach das
österreichische Recht im Gegensatz zum deutschen bei der Ableitung von
Familiennamen unterschiedliche Regelungen für Personen männlichen und
weiblichen Geschlechts ablehne.
26 Nach diesem Erkenntnis gelangte der Landeshauptmann von Wien zu der
Ansicht, dass die im Anschluss an die Adoption vorgenommene Eintragung der
Beschwerdeführerin in das Geburtenbuch unrichtig sei. Mit Schreiben vom
5. April 2007 teilte er ihr unter Bezugnahme auf dieses Erkenntnis mit, dass
eine Berichtigung des in das Geburtenbuch eingetragenen Familiennamens auf „Sayn-Wittgenstein“
beabsichtigt sei.
27 Entgegen den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwänden, die
insbesondere auf ihr unionsrechtlich verankertes Recht verwies, in den
Mitgliedstaaten zu reisen, ohne den Namen wechseln zu müssen, sprach der
Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 24. August 2007 aus, dass der
Familienname der Beschwerdeführerin nunmehr berichtigend mit „Sayn‑Wittgenstein“
in das Geburtenbuch einzutragen sei.
28 Nachdem die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung
mit Bescheid vom 31. März 2008 abgewiesen worden war, beantragte sie die
Aufhebung dieses Bescheids durch den Verwaltungsgerichtshof.
29 Vor diesem Gericht beruft sich die Beschwerdeführerin vor allem auf
ihr Freizügigkeitsrecht und ihre Dienstleistungsfreiheit, wie sie durch die
Verträge garantiert würden.
30 Die Nichtanerkennung der namensrechtlichen Folgen der Adoption führe
zu einer Behinderung des freien Personenverkehrs, weil sie in verschiedenen
Mitgliedstaaten unterschiedliche Nachnamen führen müsse. Die Mitgliedstaaten
seien untereinander verpflichtet, die Anwendung des Ordre public auf die
notwendigsten und unerträglichsten Fälle einzuschränken und im Übrigen den
Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten das größtmögliche Vertrauen
entgegenzubringen sowie diese anzuerkennen. Die Anwendung des Ordre public
setze auch einen starken Inlandsbezug voraus, der durch die
Staatsbürgerschaft allein nicht hergestellt werde.
31 Die Beschwerdeführerin bringt außerdem vor, dass eine Änderung des
Nachnamens Fürstin von Sayn‑Wittgenstein, den sie 15 Jahre lang geführt
habe, einen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstelle, das durch
Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt sei. Zwar sei der Eingriff
durch ein Gesetz (hier das österreichische Personenstandsgesetz) erlaubt,
doch erfolge er in ein gutgläubig erlangtes, wohlerworbenes Recht, in
welches nicht ohne besondere Notwendigkeit eingegriffen werden dürfe.
32 Der Landeshauptmann von Wien beantragte vor dem
Verwaltungsgerichtshof, die Beschwerde abzuweisen. Insbesondere lägen im
vorliegenden Fall keine Umstände vor, die eine Verletzung der Freizügigkeit
nach Art. 21 AEUV und schwerwiegende Nachteile für die Beschwerdeführerin
bewirkten, wie sie im Urteil des Gerichtshofs vom 14. Oktober 2008, Grunkin
und Paul (C‑353/06, Slg. 2008, I‑7639), beschrieben seien. Von der
Beschwerdeführerin werde nämlich nicht verlangt, verschiedene Namen zu
führen, sondern nur den Teil „Fürstin von“ aus dem Familiennamen Sayn-Wittgenstein,
der unverändert bleibe, zu entfernen. Selbst wenn die Berichtigung des
Geburtenbuchs zu Nachteilen beruflicher oder privater Art für die
Beschwerdeführerin führen sollte, könne diesen nicht eine solche Bedeutung
zugemessen werden, die eine Außerachtlassung des im Verfassungsrang
stehenden, mit der Gründung der Republik Österreich einhergehenden und
insoweit den Gleichheitsgrundsatz ausführenden Adelsaufhebungsgesetzes
rechtfertigte. Widrigenfalls würden im Ergebnis tragende Grundwertungen der
österreichischen Rechtsordnung schwer verletzt.
33 Der Landeshauptmann von Wien macht schließlich geltend, dass nach
den deutschen Kollisionsnormen der Name einer Person dem Recht jenes Staates
unterliege, dem die Person angehöre. Bei richtiger Anwendung des Gesetzes
hätte das Kreisgericht Worbis zu dem Schluss gelangen müssen, dass der Name
der Beschwerdeführerin nach österreichischem Recht bestimmt werden hätte
müssen. Da die Form „Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ nach österreichischem
Recht unzulässig sei, sei es auch nach deutschem Recht unrichtig, der
Beschwerdeführerin diesen Namen zu erteilen.
34 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs kann sich die
Beschwerdeführerin, die in Deutschland wohne und österreichische
Staatsbürgerin sei, grundsätzlich auf Art. 21 AEUV berufen. Da der
Gerichtshof im Urteil Grunkin und Paul, in dem er festgestellt habe, dass
eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit allenfalls dann gerechtfertigt sei,
wenn sie auf objektiven Erwägungen beruhe und in einem angemessenen
Verhältnis zum legitimerweise verfolgten Zweck stehe, keinen Anlass gehabt
habe, über Fragen des Ordre public zu befinden, fragt sich der
Verwaltungsgerichtshof, ob im vorliegenden Fall eine mögliche Beschränkung
des Freizügigkeitsrechts der Beschwerdeführerin infolge der Änderung ihres
Nachnamens im Hinblick auf das im Verfassungsrang stehende Verbot der
Führung von Adelstiteln dennoch gerechtfertigt sein könnte, da
österreichischen Staatsangehörigen nach diesem Verbot das Führen dieser
Titel selbst dann untersagt sei, wenn sie dazu nach deutschem Recht
berechtigt seien.
35 Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Steht Art. 21 AEUV einer Regelung entgegen, wonach die zuständigen Behörden
eines Mitgliedstaats es ablehnen, den Nachnamen – soweit er ein im
Mitgliedstaat (auch verfassungsrechtlich) unzulässiges Adelsprädikat enthält
– eines (erwachsenen) Adoptivkindes anzuerkennen, der in einem anderen
Mitgliedstaat bestimmt wurde?
Zur Vorlagefrage
36 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 21
AEUV es den Behörden eines Mitgliedstaats unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens verwehrt, die Anerkennung des Nachnamens eines
Angehörigen dieses Staates in allen seinen Bestandteilen, wie er in einem
zweiten Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt, bei seiner
Adoption als Erwachsener durch einen Staatsangehörigen dieses zweiten
Staates bestimmt wurde, abzulehnen, wenn dieser Nachname einen Adelstitel
enthält, der im ersten Mitgliedstaat aus verfassungsrechtlichen Gründen
unzulässig ist.
Vorbemerkungen zu den anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts
37 Zunächst ist festzustellen, dass die Situation der
Beschwerdeführerin in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts
fällt.
38 Das Recht zur Regelung des Nachnamens einer Person und des Führens
von Adelstiteln fällt zwar beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts in die
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese bei der Ausübung dieser
Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht beachten (vgl. in diesem Sinne
Urteil
Grunkin und Paul, Randnr. 16).
39 Es ist unstreitig, dass die Beschwerdeführerin Staatsangehörige
eines Mitgliedstaats ist und als Unionsbürgerin von ihrem
Freizügigkeitsrecht und ihrem Recht auf freien Aufenthalt in einem anderen
Mitgliedstaat Gebrauch gemacht hat. Sie kann sich daher auf die Freiheiten
berufen, die Art. 21 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt.
40 In der mündlichen Verhandlung ist ferner darauf hingewiesen worden,
dass die Beschwerdeführerin in Deutschland beruflich Dienstleistungen an
Empfänger in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten erbringt. Sie
könnte sich daher grundsätzlich auch auf die durch Art. 56 AEUV zuerkannten
Freiheiten berufen.
41 Es steht fest, dass das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall den
Gerichtshof nach der Auslegung von Art. 21 AEUV im Zusammenhang mit dem
Urteil
Grunkin und Paul
sowie der Nichtanerkennung des in einem
Mitgliedstaat erworbenen Nachnamens durch einen anderen Mitgliedstaat fragt,
unabhängig davon, ob die betroffene Person eine wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt oder nicht. Insoweit ist bemerkenswert, dass es das vorlegende
Gericht nicht als sachdienlich ansieht, anzugeben, in welcher Eigenschaft
sich die Beschwerdeführerin in Deutschland aufhält. Mit seiner Frage möchte
es im Wesentlichen wissen, ob verfassungsrechtliche Gründe einen
Mitgliedstaat dazu berechtigen können, den von einem seiner
Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namen nicht in
allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, und nicht, ob das Nichtanerkennen
eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erworbenen Namens eine
Beeinträchtigung der durch Art. 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit
bewirkt.
42 Die Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats, den Nachnamen eines
Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats, den dieser durch Adoption in einem
anderen Mitgliedstaat, in dem er wohnt, erworben hat, in allen seinen
Bestandteilen anzuerkennen, ist daher im Hinblick auf Art. 21 AEUV zu
prüfen.
Zum Vorliegen einer Beschränkung der Freizügigkeit und des Rechts auf
freien Aufenthalt von Unionsbürgern
Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen
43 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die auf den
österreichischen Rechtsvorschriften über die Adelsaufhebung beruhende
Nichtanerkennung des rechtmäßig in Deutschland aufgrund eines nicht mehr
anfechtbaren und daher für den deutschen Rechtsbereich verbindlichen
gerichtlichen Beschlusses erworbenen Namens in Bezug auf die in ihm
enthaltene Adelsbezeichnung zur Folge habe, dass ihr Name in den ihr in
Österreich künftig ausgestellten Identitätsnachweisen anders geschrieben
würde als der Name, den sie in Deutschland zu führen habe. Nach dem Urteil
Grunkin und Paul führten die Nichtanerkennung eines in einem Mitgliedstaat
erworbenen Namens durch einen anderen Mitgliedstaat und der daraus
resultierende Zwang, in diesen beiden Mitgliedstaaten verschiedene Namen zu
führen, zu einer Beeinträchtigung des Rechts aller Unionsbürger auf
Freizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV.
44 Die Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben
haben, sind hingegen der Auffassung, dass keine Beeinträchtigung der
Freizügigkeit der Beschwerdeführerin vorliege.
45 Nach Ansicht der österreichischen und der deutschen Regierung
unterscheidet sich zum einen die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende
Situation von der im Urteil Grunkin und Paul als Beeinträchtigung
qualifizierten Verpflichtung einer Person, die von ihrem Recht auf
Freizügigkeit und freien Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat Gebrauch
gemacht habe, in dem Mitgliedstaat, dem sie angehöre, einen anderen Namen
als den zu führen, der ihr bereits im Geburts- und Wohnsitzmitgliedstaat
erteilt und dort eingetragen worden sei. Da die Beschwerdeführerin
österreichische Staatsangehörige und in Österreich geboren sei, könne sie
ihre Identität nur anhand von Urkunden und Schriftstücken nachweisen, die
von den österreichischen Behörden ausgestellt worden seien. Die
Beschwerdeführerin sei in Deutschland nicht in das Personenstandsregister
eingetragen, so dass es hinsichtlich der Formen der Eintragung ihres
Nachnamens in diesen Büchern in Deutschland bzw. in Österreich keine
Abweichung geben könne.
46 Zum anderen erfahre ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats
dadurch, dass nach dem für die Namensbildung in diesem Staat maßgeblichen
nationalen Recht ein Adelsprädikat nicht integraler Bestandteil des
Familiennamens sein könne, keine Nachteile in Bezug auf die
Freizügigkeitsgarantie. Im vorliegenden Fall sei keiner der Nachteile zu
erwarten, die im Rahmen der mit dem Urteil Grunkin und Paul abgeschlossenen
Rechtssache festgestellt worden seien. Insbesondere führe die Berichtigung
der Namenseintragung im Geburtenbuch nicht zu einer konkreten Gefahr von
Zweifeln an der Identität der Beschwerdeführerin.
47 Nach Ansicht der österreichischen Regierung blieben, selbst wenn
nach österreichischem Recht das Adelsprädikat „Fürst“ und das Adelszeichen
„von“ wegfielen, die wesentlichen Individualisierungsmerkmale des Nachnamens
erhalten. Die Beschwerdeführerin sei nämlich für die deutschen Behörden,
wenn sie in Deutschland im alltäglichen Leben den Namen Fürstin von Sayn-Wittgenstein
verwende und einen Ausweis auf den Namen Frau Sayn-Wittgenstein vorzeige,
immer noch zweifelsfrei identifizierbar und erkennbar, da zwischen
Österreich und Deutschland keine Sprachbarriere bestehe.
48 Nach Ansicht der tschechischen Regierung stellt es keinen Verstoß
gegen Art. 21 AEUV dar, wenn es ein Mitgliedstaat in Anwendung von
Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ablehne,
einen Namensteil, der in einem anderen Mitgliedstaat zugewiesen worden sei,
anzuerkennen. Die Funktion von Titeln unterscheide sich nämlich wesentlich
von der von Nachnamen. Während der Name die Funktion habe, seinen Träger zu
identifizieren, habe der Titel die Funktion, einer Person eine bestimmte
soziale Stellung zuzuerkennen. Die Entscheidung darüber, ob einer bestimmten
Person ein bestimmter sozialer Status zuerkannt werden solle, falle jedoch
in die ausschließliche Zuständigkeit jedes einzelnen Mitgliedstaats.
49 Die italienische Regierung ist der Ansicht, dass keiner der
Nachteile, die im Urteil
Grunkin und Paul als potenziell nachteilige Folgen
der Unterschiedlichkeit der ein und derselben Person von verschiedenen
Mitgliedstaaten zugewiesenen Nachnamen genannt worden seien, im
Ausgangsverfahren vorzuliegen scheine. Es stünden keine voneinander
abweichenden Nachnamen in Rede, sondern vielmehr das Vorhandensein oder
Fehlen eines Adelstitels als Zusatz zu diesem Nachnamen. Dieser Titel weise
auf eine bestimmte soziale Stellung hin und sei vom Familiennamen, der
allein die Person wirklich identifiziere, verschieden. Es bestehe keine
Gefahr eines Zweifels an der Identität der Person oder der
Wahrheitsgemäßheit der sie betreffenden Dokumente, unabhängig davon, ob in
ihnen dieser Adelstitel angeführt sei oder nicht.
50 Die slowakische Regierung weist darauf hin, dass nach den Regeln des
österreichischen und des deutschen internationalen Privatrechts der Name
einer Person dem Recht des Staates unterliege, dem diese Person angehöre.
Auch nach internationalen Abkommen, deren Vertragspartei die Bundesrepublik
Deutschland sei, unterliege der Vorname und der Nachname einer Person
grundsätzlich dem Recht des Staates, dessen Staatsangehöriger die Person
sei, und der Vertragsstaat dürfe keine Namensänderungen für Staatsangehörige
eines anderen Mitgliedstaats bewilligen, es sei denn, dass diese Personen
zugleich auch seine eigenen Staatsangehörigen seien.
51 Nach Ansicht der Europäischen Kommission steht Art. 21 AEUV der
Nichtanerkennung von Namensbestandteilen, die in einem anderen Mitgliedstaat
als dem, dem die betreffende Person angehöre, rechtmäßig erworben worden
seien, grundsätzlich entgegen. Es sei mit der Unionsbürgerschaft als
grundlegendem Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten grundsätzlich
unvereinbar, wenn ein Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit
Gebrauch gemacht habe, in seinem Heimatstaat nicht den Familiennamen führen
dürfe, den er rechtmäßig durch Adoption in einem anderen Mitgliedstaat
erworben habe. Allerdings sei es nicht ausgeschlossen, dass besondere Gründe
die Beeinträchtigung der Freizügigkeit in einem Fall wie dem des
Ausgangsverfahrens rechtfertigen könnten.
Antwort des Gerichtshofs
52 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Name einer Person Teil
ihrer Identität und ihres Privatlebens ist, deren Schutz in Art. 7 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in Art. 8 der Europäischen
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt
ist. Auch wenn der Name der Person in Art. 8 dieser Konvention nicht
ausdrücklich erwähnt wird, betrifft er dennoch als Mittel der persönlichen
Identifizierung und der Zuordnung zu einer Familie das Privat- und
Familienleben dieser Person (vgl. insbesondere Urteile des EGMR vom
22. Februar 1994, Burghartz/Schweiz [Serie A, Nr. 280‑B, S. 28, § 24], und
vom 25. November 1994, Stjerna/Finnland [Serie A, Nr. 299‑B, S. 60, § 37]).
53 Eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige
allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen
anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht
haben, stellt eine Beschränkung der Freiheiten dar, die Art. 21 Abs. 1 AEUV
jedem Unionsbürger verleiht (vgl. insbesondere Urteile in der Rechtssache
Grunkin und Paul, Randnr. 21, vom 4. Dezember 2008, Zablocka-Weyhermüller,
C‑221/07, Slg. 2008, I‑9029, Randnr. 35, sowie vom 23. April 2009, Rüffler,
C‑544/07, Slg. 2009, I‑3389, Randnr. 73).
54 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann es die Ausübung des
durch Art. 21 AEUV gewährten Rechts behindern, sich im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn einer Person, die von
ihrem Recht Gebrauch gemacht hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu
begeben und sich dort aufzuhalten, die Verpflichtung auferlegt wird, in dem
Mitgliedstaat, dem sie angehört, einen anderen Namen als den zu führen, der
bereits im Geburts- und Wohnsitzmitgliedstaat erteilt und eingetragen wurde
(Urteil in der Rechtssache
Grunkin und Paul, Randnrn. 21 f.).
55 Im Urteil vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, Slg. 2003,
I‑11613), sind Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für mit den
Art. 12 EG und 17 EG unvereinbar erklärt worden, die eine Person im Ergebnis
dazu zwangen, in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche
Familiennamen zu führen. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in Bezug
auf Kinder mit der Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten festgestellt,
dass unterschiedliche Nachnamen für die Betroffenen zu schwerwiegenden
Nachteilen beruflicher wie auch privater Art führen können, die insbesondere
aus den Schwierigkeiten resultieren können, in dem Mitgliedstaat, dem sie
angehören, rechtliche Wirkungen von Diplomen oder Schriftstücken in Anspruch
zu nehmen, die auf den Namen ausgestellt wurden, der in einem anderen
Mitgliedstaat anerkannt ist, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls
besitzen. Der Betroffene kann insbesondere auch im Zusammenhang mit der
Ausstellung von Bescheinigungen, Zeugnissen und Diplomen auf Schwierigkeiten
stoßen, die hinsichtlich seines Nachnamens klar eine Divergenz erkennen
lassen. Diese Tatsache kann Zweifel an der Identität der Person, der
Echtheit der vorgewiesenen Dokumente oder der Wahrheitsgemäßheit der darin
enthaltenen Angaben wecken (vgl. in diesem Sinne Urteil Garcia Avello,
Randnr. 36).
56 In Randnr. 24 des Urteils
Grunkin und Paul
hat der Gerichtshof
entschieden, dass solche schwerwiegenden Nachteile sich in gleicher Weise
ergeben können, wenn das betreffende Kind die Staatsangehörigkeit nur eines
Mitgliedstaats besitzt, aber dieser Herkunftsstaat den vom Kind im Geburts-
und Wohnsitzstaat erworbenen Familiennamen nicht anerkennt.
57 Die österreichische und die deutsche Regierung sind der Ansicht,
dass sich das Ausgangsverfahren von der mit dem Urteil
Grunkin und Paul
abgeschlossenen Rechtssache unterscheide, da es dort um die Weigerung
gegangen sei, den in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß von der Personenstandsbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit eingetragenen Namen
anzuerkennen. Die jener Rechtssache zugrunde liegende Situation sei Folge
des Umstands gewesen, dass im Geburts- und Wohnsitzstaat die Bestimmung des
Namens an den Wohnort, in dem Staat jedoch, dem der Betroffene angehört
habe, an die Staatsangehörigkeit angeknüpft worden sei. Hingegen sei im
Ausgangsverfahren sowohl nach den deutschen als auch nach den
österreichischen Kollisionsnormen allein das österreichische materielle
Recht anwendbar.
58 Das Kreisgericht Worbis sei daher weder nach deutschem noch nach
österreichischem Recht befugt gewesen, den Familiennamen der
Beschwerdeführerin so zu bestimmen, wie es dies getan habe, da der von ihm
festgelegte Familienname nach österreichischem Recht in zweifacher Hinsicht,
nämlich hinsichtlich der Aufnahme eines früheren Adelstitels mit dem
Adelszeichen „von“ und hinsichtlich der Verwendung einer weiblichen Form,
unzulässig gewesen sei. Anders als in der dem Urteil
Grunkin und Paul
zugrunde liegenden Rechtssache hätten die verschiedenen nationalen Behörden
nicht divergierende Familiennamen in ihre jeweiligen Personenstandsbücher
eingetragen. Folglich betreffe der in Österreich berichtigte Eintrag keinen
rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat verliehenen Familiennamen, sondern
einen Namen, der zuerst vom Kreisgericht Worbis und sodann von den
österreichischen Personenstandsbehörden irrtümlich verliehen worden sei.
59 Außerdem vertreten mehrere der Regierungen, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin im
Fall der Berichtigung ihres Nachnamens in den österreichischen
Personenstandsbüchern keinen Nachteil erlitte. Zum einen werde von ihr nicht
verlangt, in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Nachnamen zu
verwenden, da der in den österreichischen Registern berichtigte Eintrag
künftig unter allen Umständen verbindlich sei. Zum anderen werde der
zentrale, kennzeichnende Teil ihres Familiennamens − Sayn-Wittgenstein −
beibehalten, während nur der nicht kennzeichnende Zusatz „Fürstin von“
entfernt werde, so dass Missverständnisse hinsichtlich ihrer Identität
ausgeschlossen seien.
60 Dazu ist zunächst festzustellen, dass nach den Angaben in der Akte
der Name der Beschwerdeführerin nur in einem Personenstandsbuch, nämlich dem
österreichischen, eingetragen ist, und nur die österreichischen Behörden ihr
amtliche Dokumente wie Reisepässe oder Staatsangehörigkeitsnachweise
ausstellen können, so dass eine Änderung des Eintrags ihres Namens keinen
Widerspruch zu Registern, die in einem anderen Mitgliedstaat geführt werden,
oder zu amtlichen Dokumenten, die dort ausgestellt werden, auslösen wird.
61 Sodann ist zu beachten, dass viele alltägliche Handlungen im
öffentlichen wie im privaten Bereich den Nachweis der Identität erfordern,
der normalerweise durch den Reisepass erbracht wird. Da die
Beschwerdeführerin nur die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, fällt
die Ausstellung dieses Dokuments in die alleinige Zuständigkeit der
österreichischen Behörden.
62 In der mündlichen Verhandlung ist jedoch darauf hingewiesen worden,
dass in den 15 Jahren, die zwischen der ersten Eintragung ihres Nachnamens
als „Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ in Österreich und der Entscheidung, ihn
auf „Sayn-Wittgenstein“ zu berichtigen, vergangen seien, der
Beschwerdeführerin von den österreichischen Konsularbehörden in Deutschland
ein Reisepass auf den Namen Fürstin von Sayn-Wittgenstein ausgestellt worden
sei. Nach den Angaben in der Akte wurde der Beschwerdeführerin außerdem in
Deutschland eine Fahrerlaubnis ausgestellt, und auf sie ist im dortigen
Handelsregister ein Unternehmen eingetragen, jeweils auf den Namen Ilonka
Fürstin von Sayn-Wittgenstein.
63 Wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt
hat, ist es wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin von den deutschen
Behörden als gebietsansässige ausländische Staatsangehörige eingetragen
wurde und bei den deutschen Sozialversicherungsträgern kranken- und
rentenversichert ist. Über solche amtliche Aufzeichnungen ihres Namens
hinaus wird sie zweifellos in den 15 Jahren seit der ersten Eintragung ihres
Familiennamens in Österreich als „Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ bis zur
Entscheidung, ihn auf „Sayn-Wittgenstein“ zu berichtigen, in Deutschland
Bankkonten eröffnet und noch laufende Verträge, wie Versicherungspolicen,
geschlossen haben. Sie lebt auf diese Weise seit geraumer Zeit in einem
Mitgliedstaat unter einem bestimmten Namen, der viele förmliche Spuren im
öffentlichen wie auch im privaten Bereich hinterlassen haben dürfte.
64 Was schließlich das Vorbringen betrifft, die Berichtigung des Namens
der Beschwerdeführerin werde nicht zu Schwierigkeiten beim Nachweis ihrer
Identität führen, da nur die Adelsbezeichnung „Fürstin von“ nicht anerkannt
werde, ist zu berücksichtigen, dass nach deutschem Recht die Worte „Fürstin
von“ nicht als Adelsbezeichnung, sondern als Bestandteil des im
Wohnsitzstaat rechtmäßig erworbenen Namens gelten.
65 Der Name Fürstin von Sayn‑Wittgenstein ist in Deutschland folglich
ein einziger, aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzter Nachname. Ebenso
wie in der mit dem Urteil
Grunkin und Paul abgeschlossenen Rechtssache sich
der Name Grunkin‑Paul von den Namen Grunkin und Paul unterschied, sind im
Ausgangsverfahren die Namen Fürstin von Sayn‑Wittgenstein und Sayn-Wittgenstein
nicht identisch.
66 Ein Unterschied zwischen zwei Namen, mit denen dieselbe Person
bezeichnet wird, kann jedoch zu Missverständnissen und Nachteilen führen.
67 So stellt es für die Beschwerdeführerin einen „schwerwiegenden
Nachteil“ im Sinne des Urteils
Grunkin und Paul dar, alle förmlichen Spuren,
die der Name Fürstin von Sayn-Wittgenstein im öffentlichen wie auch im
privaten Bereich hinterlassen hat, ändern zu müssen, da sie in ihren
offiziellen Ausweispapieren derzeit mit einem anderen Namen bezeichnet wird.
Auch wenn die einmal erfolgte Änderung alle künftigen Abweichungen
beseitigen wird, ist wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin Dokumente
besitzt und künftig vorweisen wird müssen, die vor der Änderung auf einen
anderen Nachnamen als den ausgegeben oder erstellt worden sind, der in ihren
neuen Identitätspapieren angeführt sein wird.
68 Die Beschwerdeführerin wird daher jedes Mal, wenn sie in
Deutschland, ihrem Wohnsitzstaat, mit einem auf den Namen Sayn‑Wittgenstein
ausgestellten Reisepass ihre Identität oder ihren Nachnamen nachweisen muss,
Gefahr laufen, den Verdacht von Falschangaben ausräumen zu müssen, der durch
die Divergenz zwischen dem in ihren österreichischen Identitätspapieren
angeführten berichtigten Namen und dem Namen hervorgerufen wird, den sie
seit 15 Jahren im täglichen Leben benutzt, der in Österreich bis zu der in
Rede stehenden Berichtigung anerkannt wurde und der in den für sie in
Deutschland ausgestellten Dokumenten, wie ihrem Führerschein, angeführt ist.
69 Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass jedes Mal, wenn der
in einer konkreten Situation benutzte Name nicht dem Namen entspricht, der
in dem Dokument steht, das zum Nachweis der Identität einer Person vorgelegt
wird, oder wenn in zwei zusammen vorgelegten Dokumenten nicht derselbe Name
steht, eine solche Divergenz hinsichtlich des Nachnamens Zweifel an der
Identität der Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der
Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben wecken kann (Urteil
Grunkin und Paul, Randnr. 28).
70 Auch wenn diese Gefahr möglicherweise nicht so schwerwiegend ist wie
die Nachteile, die das Kind zu befürchten hatte, um das es in der mit dem
Urteil Grunkin und Paul abgeschlossenen Rechtssache ging, ist die konkrete
Gefahr, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens aufgrund der
Verschiedenheit der Namen Zweifel an der Identität der eigenen Person
ausräumen zu müssen, ein Umstand, der geeignet ist, die Ausübung des von
Art. 21 AEUV gewährten Rechts zu behindern.
71 Folglich stellt es eine Beschränkung der Freiheiten dar, die Art. 21
AEUV jedem Unionsbürger gewährt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es
ablehnen, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Staates, wie er in einem
zweiten Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt, bestimmt wurde
und wie er 15 Jahre lang im Personenstandsregister des ersten Mitgliedstaats
eingetragen war, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen.
Zum Vorliegen einer Rechtfertigung für die Beschränkung des Rechts der
Unionsbürger auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt
Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen
72 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin setzt die Anwendung des Ordre
public stets das Vorliegen eines hinreichenden Bezugs zum betreffenden
Mitgliedstaat voraus. In ihrem Fall fehle dieser hinreichende Bezug zu
diesem Mitgliedstaat, da die Beschwerdeführerin seit dem Tag ihrer Adoption
in Deutschland wohne.
73 Die österreichische, die tschechische, die italienische, die
litauische und die slowakische Regierung bringen für den Fall, dass nach
Auffassung des Gerichtshofs das Ablehnen der Anerkennung bestimmter Teile
eines Nachnamens in Anwendung des Adelsaufhebungsgesetzes eine
Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger darstellt, vor,
dass eine solche Beeinträchtigung durch objektive und in einem angemessenen
Verhältnis zum verfolgten Zweck stehende Erwägungen gerechtfertigt sei.
74 Die österreichische Regierung macht insbesondere geltend, dass die
im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen der Wahrung der
verfassungsrechtlichen Identität der Republik Österreich dienten. Das
Adelsaufhebungsgesetz, auch wenn es nicht Teil des republikanischen
Baugesetzes des Bundes-Verfassungsgesetzes sei, stelle eine fundamentale
Entscheidung zugunsten einer formellen Gleichbehandlung aller Staatsbürger
vor dem Gesetz dar; kein österreichischer Staatsbürger solle durch
Namenszusätze in Form von Adelsprädikaten, Titel und Würden, die bloß zur
Auszeichnung zu verstehen seien und nicht mit dem Beruf oder dem Abschluss
eines Studiums in Verbindung stünden, hervorgehoben werden.
75 Nach Ansicht der Republik Österreich sind allfällige Beschränkungen
der Freizügigkeitsrechte, die sich für österreichische Staatsbürger aus der
Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen ergeben,
im Licht der Entstehungsgeschichte und der Grundwertungen der Republik
Österreich gerechtfertigt. Die genannten Bestimmungen schränkten die
Ausübung der Freizügigkeitsrechte auch nicht mehr ein, als zur Erreichung
der vorstehend erwähnten Zielsetzung erforderlich sei.
76 Ferner verstieße es gegen den Ordre public in Österreich, wenn der
dem Nachnamen des Adoptierenden in seiner weiblichen Form entsprechende und
in Deutschland mit Beschluss des Kreisgerichts Worbis vom 24. Januar 1992
bestimmte Familienname der Beschwerdeführerin anerkannt werden müsste. Eine
solche Anerkennung wäre mit den Grundwertungen der österreichischen
Rechtsordnung unvereinbar, insbesondere mit dem in Art. 7 des
Bundes‑Verfassungsgesetzes verankerten und durch das Adelsaufhebungsgesetz
ausgeführten Gleichheitsgrundsatz.
77 Die tschechische Regierung bringt vor, dass zwar nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs die festgestellten Unterschiede im
Namensrecht der einzelnen Mitgliedstaaten zu einer Verletzung des
AEU-Vertrags führen könnten, dies jedoch in zwei Fällen nicht so sein könne,
nämlich zum einen, wenn der Name einen Adelstitel enthalte, den die
betreffende Person in dem Mitgliedstaat, dem sie angehöre, nicht führen
dürfe, und zum anderen, wenn der Name eine Bezeichnung enthalte, die gegen
den Ordre public in einem anderen Mitgliedstaat verstoße.
78 Die italienische und die slowakische Regierung sind der Auffassung,
dass eine Beschränkung der Freizügigkeit, sollte sie festgestellt werden,
einem legitimen Zweck, nämlich der Einhaltung einer Verfassungsnorm
entspreche, die einen zum Ordre public gehörenden Grundsatz zum Ausdruck
bringe, der in der republikanischen Ordnung einen hohen Stellenwert habe.
Sie beruhe auf objektiven Erwägungen und sei gemessen am verfolgten Zweck
verhältnismäßig, da sie die einzig mögliche Maßnahme zur Erreichung dieses
Ziels sei.
79 In diesem Sinne vertritt auch die litauische Regierung die Ansicht,
es müsse, wenn es notwendig sei, grundlegende verfassungsrechtliche Werte
des Staates zu schützen, wie u. a. die Nationalsprache im Fall der Republik
Litauen oder tragende Grundwertungen der Rechtsordnung oder des
Staatsaufbaus im Fall der Republik Österreich, dem Mitgliedstaat erlaubt
sein, selbst die angemessene Entscheidung über den Familiennamen einer
Person zu treffen und – in bestimmten Fällen – den im Ausland zugewiesenen
Familiennamen zu berichtigen.
80 Die Kommission weist darauf hin, dass der Name Fürstin von Sayn‑Wittgenstein in Deutschland rechtmäßig, wenn auch aufgrund eines
Irrtums, erworben worden sei. Außerdem sei dieser Name bereits von den
österreichischen Behörden, wenn auch ebenfalls infolge eines Irrtums,
anerkannt worden. Gleichwohl sei das Adelsaufhebungsgesetz im Kontext der
österreichischen Verfassungsgeschichte als Teil der nationalen Identität zu
berücksichtigen. Um beurteilen zu können, ob die mit diesem Gesetz
verfolgten Ziele eine Beschränkung der Freizügigkeit in einem Fall wie dem
des Ausgangsverfahrens rechtfertigten, sei das verfassungsrechtliche
Interesse an der Entfernung der Adelsbezeichnung aus dem Namen der
Beschwerdeführerin auf der einen Seite gegen das Interesse an der Erhaltung
dieses Namens, der 15 Jahre lang im österreichischen Geburtenbuch
eingetragen gewesen sei, auf der anderen Seite abzuwägen.
Antwort des Gerichtshofs
81 Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich eine Beeinträchtigung der
Freizügigkeit von Personen nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven
Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem
nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht (Urteile vom 18. Juli
2006, De Cuyper, C‑406/04, Slg. 2006, I‑6947, Randnr. 40, vom 11. September
2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz, C‑76/05, Slg. 2007, I‑6849, Randnr. 94,
Grunkin und Paul, Randnr. 29, sowie Rüffler, Randnr. 74).
82 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts und der Regierungen, die vor
dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, könnte im Ausgangsverfahren in
Verbindung mit dem Adelsaufhebungsgesetz, das im Verfassungsrang steht und
auf diesem Gebiet den Gleichheitsgrundsatz ausführt, sowie mit der
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2003 eine objektive
Erwägung als Rechtfertigungsgrund angeführt werden.
83 Insoweit ist einzuräumen, dass im Kontext der österreichischen
Verfassungsgeschichte das Adelsaufhebungsgesetz als Teil der nationalen
Identität bei der Abwägung legitimer Belange auf der einen Seite und dem vom
Unionsrecht gewährten Recht der Freizügigkeit von Personen auf der anderen
berücksichtigt werden kann.
84 Die Rechtfertigung, auf die sich die österreichische Regierung unter
Bezugnahme auf die österreichische Verfassungssituation beruft, ist als
Berufung auf die öffentliche Ordnung anzusehen.
85 Mit der öffentlichen Ordnung verbundene objektive Erwägungen können
es rechtfertigen, dass es ein Mitgliedstaat ablehnt, den Nachnamen eines
seiner Angehörigen, wie er in einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde,
anzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil
Grunkin und Paul, Randnr. 38).
86 Der Gerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Begriff
der öffentlichen Ordnung, wenn er eine Ausnahme von einer Grundfreiheit
rechtfertigen soll, eng zu verstehen ist, so dass seine Tragweite nicht von
jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der
Europäischen Union bestimmt werden darf (vgl. Urteile vom 14. Oktober 2004,
Omega, C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Randnr. 30, und vom 10. Juli 2008, Jipa,
C‑33/07, Slg. 2008, I‑5157, Randnr. 23). Folglich ist eine Berufung auf die
öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend
schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt
(vgl. Urteil Omega, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Allerdings können die konkreten Umstände, die möglicherweise die
Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, von einem
Mitgliedstaat zum anderen und im zeitlichen Wechsel verschieden sein.
Insoweit ist den zuständigen innerstaatlichen Behörden daher ein
Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen
zuzubilligen (vgl. Urteil Omega, Randnr. 31 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
88 Zum Ausgangsverfahren hat die österreichische Regierung darauf
hingewiesen, dass das Adelsaufhebungsgesetz die Ausführung des allgemeineren
Grundsatzes der Gleichheit aller österreichischen Staatsbürger vor dem
Gesetz darstelle.
89 Die Unionsrechtsordnung zielt unbestreitbar darauf ab, den
Gleichheitsgrundsatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz zu wahren. Dieser
Grundsatz ist auch in Art. 20 der Charta der Grundrechte niedergelegt. Es
besteht daher kein Zweifel, dass das Ziel, den Gleichheitsgrundsatz zu
wahren, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
90 Maßnahmen, durch die eine Grundfreiheit eingeschränkt wird, können
nur dann durch Gründe der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden, wenn
sie zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind,
und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit weniger einschränkenden
Maßnahmen erreicht werden können (vgl. Urteile Omega, Randnr. 36, und Jipa,
Randnr. 29).
91 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass es insoweit nicht
unerlässlich ist, dass die von den Behörden eines Mitgliedstaats erlassene
beschränkende Maßnahme einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung
darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte
Interesse zu schützen ist, und dass vielmehr die Notwendigkeit und die
Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen nicht schon deshalb
ausgeschlossen sind, weil ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein
anderer Mitgliedstaat erlassen hat (Urteil Omega, Randnrn. 37 f.).
92 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV
die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, zu der auch die
republikanische Staatsform gehört.
93 Im vorliegenden Fall erscheint es nicht unverhältnismäßig, wenn ein
Mitgliedstaat das Ziel der Wahrung des Gleichheitssatzes dadurch erreichen
will, dass er seinen Angehörigen den Erwerb, den Besitz oder den Gebrauch
von Adelstiteln oder von Bezeichnungen verbietet, die glauben machen
könnten, dass derjenige, der den Namen führt, einen solchen Rang innehat. Es
ist nicht zu erkennen, dass die zuständigen österreichischen Personenstandsbehörden dadurch, dass sie es ablehnten, die in einem Namen
wie dem der Beschwerdeführerin enthaltene Adelsbezeichnung anzuerkennen,
über das hinausgegangen wären, was zur Erreichung des von ihnen verfolgten
grundlegenden verfassungsrechtlichen Ziels erforderlich ist.
94 Vor diesem Hintergrund ist es nicht als eine Maßnahme anzusehen, die
das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt
ungerechtfertigt beeinträchtigt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es
ablehnen, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Staates, wie er in einem
zweiten Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt, bei seiner
Adoption als Erwachsener durch einen Staatsangehörigen dieses zweiten
Staates bestimmt wurde, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, wenn
dieser Nachname einen Adelstitel enthält, der im ersten Mitgliedstaat aus
verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig ist.
95 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 21 AEUV dahin
auszulegen ist, dass er es den Behörden eines Mitgliedstaats unter Umständen
wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verwehrt, die Anerkennung des
Nachnamens eines Angehörigen dieses Staates in allen seinen Bestandteilen,
wie er in einem zweiten Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt,
bei seiner Adoption als Erwachsener durch einen Staatsangehörigen dieses
zweiten Staates bestimmt wurde, abzulehnen, wenn dieser Nachname einen
Adelstitel enthält, der im ersten Mitgliedstaat aus verfassungsrechtlichen
Gründen unzulässig ist, sofern die in diesem Zusammenhang von diesen
Behörden ergriffenen Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung
gerechtfertigt sind, d. h. zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten
sollen, erforderlich sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem
legitimerweise verfolgten Zweck stehen.
Kosten
96 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil
des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
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