Verzugsbeendigung bei
Zahlungspflichten unter Unternehmern erst mit Zahlungseingang, nicht bereits
mit Vornahme der Leistungshandlung; Richtlinienvorgaben
EuGH, Rs. C‑306/06 v.
3.4.2008 (Telekom)
Fundstelle:
NJW 2008, 1935
Tenor:
Art. 3 Abs. 1 Buchst. c
Ziff. ii der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist
dahin auszulegen, dass bei einer Zahlung durch Banküberweisung der
geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben sein
muss, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden oder beendet werden
soll.
Zentrale Probleme:
Eine wichtige Entscheidung für den Zahlungsverzug: Nach
deutschem Zivilrecht ist anerkannt, daß es für die Frage der Rechtzeitigkeit
einer Leistung auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung, nicht aber des
Leistungserfolgs ankommt. So wird bei Zahlungsverpflichtungen der Verzug
bereits dann beendet, wenn der Schuldner den Betrag überwiesen hat und sein
Konto Deckung aufweist und nicht erst mit Gutschrift auf dem Empfängerkonto
(erst dann tritt der Leistungserfolg ein). Für den "B2B"-Bereich ist dies
nach der vorliegenden Entscheidung des EuGH nicht mit der
Zahlungsverzugsrichtlinie vereinbar. Vgl. dazu
BGH v. 5.10.2016 - VIII ZR 222/15.
©sl 2008
1 Das Vorabentscheidungsersuchen
betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie
2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur
Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 200, S. 35).
2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der 01051 Telecom
GmbH (im Folgenden: 01051 Telecom) und der Deutsche Telekom AG (im
Folgenden: Deutsche Telekom) um die Zahlung von Verzugszinsen wegen
vermeintlich zu spät gezahlter Rechnungsentgelte.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie 2000/35 will bestimmte Aspekte der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
harmonisieren.
4 Die Erwägungsgründe 7, 9, 10 und 16 der Richtlinie lauten:
„(7) Den Unternehmen, insbesondere kleinen und mittleren, verursachen
übermäßig lange Zahlungsfristen und Zahlungsverzug große Verwaltungs‑ und
Finanzlasten. Überdies zählen diese Probleme zu den Hauptgründen für
Insolvenzen, die den Bestand der Unternehmen gefährden, und führen zum
Verlust zahlreicher Arbeitsplätze.
…
(9) Die Unterschiede zwischen den Zahlungsbestimmungen und ‑praktiken in den
Mitgliedstaaten beeinträchtigen das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarktes.
(10) Dies hat eine beträchtliche Einschränkung des Geschäftsverkehrs
zwischen den Mitgliedstaaten zur Folge. Es widerspricht Artikel 14 des
[EG-]Vertrags, da Unternehmer in der Lage sein sollten, im gesamten
Binnenmarkt unter Bedingungen Handel zu treiben, die gewährleisten, dass
grenzüberschreitende Geschäfte nicht größere Risiken mit sich bringen als
Inlandsverkäufe. Es käme zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn es für den Binnen‑
und den grenzüberschreitenden Handel Regeln gäbe, die sich wesentlich
voneinander unterscheiden.
…
(16) Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in
den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige Verzugszinsen und/oder langsame
Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender
Wandel, der auch eine Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen
Kosten vorsieht, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und um
sicherzustellen, dass die Folgen des Zahlungsverzugs von der Überschreitung
der Zahlungsfristen abschrecken.“
5 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2000/35 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen Folgendes sicher:
a) Zinsen gemäß Buchstabe d) sind ab dem Tag zu zahlen, der auf den
vertraglich festgelegten Zahlungstermin oder das vertraglich festgelegte
Ende der Zahlungsfrist folgt.
b) Ist der Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist nicht vertraglich
festgelegt, so sind Zinsen, ohne dass es einer Mahnung bedarf, automatisch
zu zahlen:
i) 30 Tage nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer
gleichwertigen Zahlungsaufforderung beim Schuldner, oder
ii) wenn der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen
Zahlungsaufforderung unsicher ist, 30 Tage nach dem Zeitpunkt des Empfangs
der Güter oder Dienstleistungen, oder
iii) wenn der Schuldner die Rechnung oder die gleichwertige
Zahlungsaufforderung vor dem Empfang der Güter oder Dienstleistungen erhält,
30 Tage nach dem Empfang der Güter oder Dienstleistungen, oder
iv) wenn ein Abnahme‑ oder Überprüfungsverfahren, durch das die
Übereinstimmung der Güter oder Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt
werden soll, gesetzlich oder vertraglich vorgesehen ist und wenn der
Schuldner die Rechnung oder die gleichwertige Zahlungsaufforderung vor oder
zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abnahme oder Überprüfung erfolgt, erhält, 30
Tage nach letzterem Zeitpunkt.
c) Der Gläubiger ist berechtigt, bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit geltend
zu machen, als er
i) seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat und
ii) den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass
der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.“
Nationales Recht
6 § 269 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bestimmt:
„(1) Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen,
insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die
Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der
Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte.
(2) Ist die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden, so
tritt, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen
Ort hatte, der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes.
(3) Aus dem Umstand allein, dass der Schuldner die Kosten der Versendung
übernommen hat, ist nicht zu entnehmen, dass der Ort, nach welchem die
Versendung zu erfolgen hat, der Leistungsort sein soll.“
7 § 270 BGB lautet:
„(1) Geld hat der Schuldner im Zweifel auf seine Gefahr und seine Kosten dem
Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln.
(2) Ist die Forderung im Gewerbebetrieb des Gläubigers entstanden, so tritt,
wenn der Gläubiger seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hat,
der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes.
(3) Erhöhen sich infolge einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses
eintretenden Änderung des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung des
Gläubigers die Kosten oder die Gefahr der Übermittelung, so hat der
Gläubiger im ersteren Falle die Mehrkosten, im letzteren Falle die Gefahr zu
tragen.
(4) Die Vorschriften über den Leistungsort bleiben unberührt.“
8 § 286 BGB in der zur Umsetzung der Richtlinie 2000/35 geänderten Fassung
sieht vor:
„(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach
dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in
Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die
Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.
(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn
1. für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2. der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für
die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an
nach dem Kalender berechnen lässt,
3. der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4. aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der
sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.
(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er
nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder
gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem
Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung
oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der
Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist,
kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach
Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.
(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines
Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
9 01051 Telecom und Deutsche Telekom bieten
Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit und für
Netzbetreiber an. Deutsche Telekom bietet darüber hinaus für andere
Netzbetreiber wie 01051 Telecom Fakturierungsleistungen an.
10 Diese beiden Gesellschaften sind seit 1998 durch einen
Zusammenschaltungsvertrag miteinander verbunden, nach dem sie sich die im
Rahmen dieses Vertrags erbrachten Leistungen wechselseitig in Rechnung
stellen und auf dieser Grundlage Rechnungsentgelte verrechnen. Der Vertrag
wurde mehrfach geändert. Seine von beiden Parteien vor dem vorlegenden
Gericht zugrunde gelegte Fassung vom 26. Juni 2002 enthält die folgenden
Klauseln:
„17.4 Fälligkeit
Die Entgeltforderungen zwischen den Vertragspartnern werden mit Zugang der
Rechnung fällig.
Der Rechnungsbetrag ist auf ein in der Rechnung angegebenes Konto zu zahlen.
17.5 Zahlungsverzug
Der Verzug tritt, sofern er nicht bereits mit einer Mahnung begründet wurde,
30 Tage nach Fälligkeit und Zugang der Rechnung ein.
Kommt einer der Vertragspartner mit den Zahlungen in Verzug, so wird
folgender Schadensersatz berechnet:
– Verzugszinsen in Höhe von 8 % über dem im Verzugszeitraum geltenden
Basiszinssatz gem. § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB);
…“
11 Im Jahr 2001 schlossen 01051 Telecom und Deutsche Telekom einen
Fakturierungs‑ und Inkassovertrag, der in Ziff. 8 folgende Klausel enthält:
„Der Vertragspartner kann jeweils in der Mitte und am Ende eines
Kalendermonats in einer Rechnung die von ihm gelieferten und von der
Deutschen Telekom als fakturierbar erkannten Nettoentgelte zu den Leistungen
zuzüglich Umsatzsteuer mit der Deutschen Telekom abrechnen. … Der
Rechnungsbetrag muss spätestens 30 Tage nach dem Zugang der Rechnung auf dem
in der Rechnung angegebenen Konto gutgeschrieben oder verrechnet sein.“
12 Im Rahmen ihrer Klage vor dem in erster Instanz befassten Landgericht
Bonn vertrat 01051 Telecom die Auffassung, dass die Klausel in Ziff. 8 des
Fakturierungs‑ und Inkassovertrags auch im Rahmen des
Zusammenschaltungsvertrags anwendbar sei. Sie verlangte von Deutsche Telekom
daher jeweils dann, wenn nach der von dieser Gesellschaft vorgenommenen
Verrechnung ein Restbetrag verblieb, Verzugszinsen, die sie für einen
Zeitraum vom 30. Tag nach Zugang der betreffenden Rechnung bis zur
Gutschrift des geschuldeten Betrags auf dem Konto von 01051 Telecom
ermittelte.
13 Das Landgericht Bonn hat der Klage teilweise stattgegeben und ausgeführt,
dass die von Deutsche Telekom geschuldete Leistung nicht nur in der Vornahme
der Überweisung des zu zahlenden Betrags, sondern in dessen Gutschrift auf
dem Konto von 01051 Telecom bestanden habe. Diese Schlussfolgerung ergebe
sich zwingend aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35,
wonach der Gläubiger berechtigt sei, bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit
geltend zu machen, als er den fälligen Betrag „nicht rechtzeitig erhalten“
habe. Entgegen der bisher in Deutschland vorherrschenden Auslegung werde
der Zahlungsverzug somit nicht durch die verspätete Durchführung des
Zahlungsauftrags, sondern dadurch begründet, dass der Gläubiger den
geschuldeten Betrag verspätet erhalte.
14 Deutsche Telekom legte beim Oberlandesgericht Köln Berufung gegen das
Urteil des Landgerichts Bonn ein und trat der Wertung des erstinstanzlichen
Gerichts entgegen. Das vorlegende Gericht weist in seinem
Vorabentscheidungsersuchen darauf hin, dass eine Leistung im Fall einer
Banküberweisung nach der überwiegenden Auslegung durch die Gerichte in
Deutschland als rechtzeitig angesehen werde, wenn, erstens, der
Überweisungsauftrag vor Ablauf der Zahlungsfrist beim Geldinstitut des
Schuldners eingehe, zweitens, das Konto des Schuldners gedeckt sei oder eine
Kreditzusage in ausreichender Höhe vorliege und schließlich dieses
Geldinstitut den Überweisungsauftrag fristgerecht annehme.
15 Das vorlegende Gericht räumt jedoch ein, dass eine bestimmte Auslegung
von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35 zu einer anderen
Wertung führen könne. Insbesondere könne die Verwendung der Begriffe
„erhalten“, „received“ und „reçu“ in der deutschen, der englischen und der
französischen Sprachfassung der Richtlinie darauf hinweisen, dass der
geschuldete Betrag vor Ablauf der Zahlungsfrist auf dem Konto des Gläubigers
gutgeschrieben sein müsse, um einen Zahlungsverzug im Sinne der Richtlinie
zu vermeiden.
16 Daher hat das Oberlandesgericht Köln das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht eine nationale Regelung, dass es für die den Eintritt des
Schuldnerverzugs vermeidende oder den eingetretenen Schuldnerverzug
beendende, per Banküberweisung abgewickelte Zahlung nicht auf den Zeitpunkt
der Gutschrift des Betrags auf dem Gläubigerkonto, sondern auf den Zeitpunkt
des von dem Schuldner bei ausreichender Kontodeckung oder entsprechendem
Kreditrahmen erteilten und von der Bank angenommenen Überweisungsauftrags
ankommt, in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie
2000/35?
Zur Vorlagefrage
17 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, zu welchem
Zeitpunkt eine Zahlung durch Banküberweisung im Rahmen eines
Geschäftsvorgangs als rechtzeitig bewirkt anzusehen ist, so dass für die
Forderung keine Verzugszinsen nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der
Richtlinie 2000/35 zu zahlen sind.
18 01051 Telecom, die tschechische Regierung und die Kommission der
Europäischen Gemeinschaften machen geltend, dass sich sowohl aus den
vorbereitenden Arbeiten und dem Wortlaut der Richtlinie 2000/35 als auch aus
deren Zielsetzung ergebe, dass Zahlungsverzug vorliege, wenn der Gläubiger
den geschuldeten Betrag nicht innerhalb der gesetzten Fristen erhalten habe,
d. h. bei einer Banküberweisung, wenn dieser Betrag nicht bei Ablauf der
Zahlungsfrist auf dem Konto des Gläubigers gutgeschrieben sei. Für die
Frage, ob der Gläubiger Verzugszinsen verlangen könne, sei daher auf den
Zeitpunkt abzustellen, zu dem der geschuldete Betrag auf dem Konto des
Gläubigers gutgeschrieben werde.
19 Deutsche Telekom sowie die deutsche, die österreichische und die
finnische Regierung machen demgegenüber hauptsächlich geltend, dass die
Richtlinie 2000/35 bei der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im
Geschäftsverkehr lediglich Mindestanforderungen aufstelle und im Rahmen
dieses Ziels den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einen erheblichen
Ermessensspielraum zuerkenne. Insbesondere überlasse es Art. 3 der
Richtlinie dadurch, dass er lediglich regele, zu welchen Bedingungen und
innerhalb welcher Fristen bei Fehlen einer Vertragsabrede Verzugszinsen
verlangt werden könnten, den Mitgliedstaaten, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu
dem eine Zahlung durch Banküberweisung als rechtzeitig ausgeführt anzusehen
sei.
20 In diesem Zusammenhang führe eine Auslegung, wonach der Schuldner seine
Überweisung innerhalb der vorgeschriebenen Fristen vornehmen müsse, zu einem
angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers und denen des
Schuldners, wobei insbesondere berücksichtigt werde, dass die für die
Ausführung des Überweisungsauftrags erforderliche Zeit von der Bearbeitung
des Vorgangs durch die Banken und nicht vom Tätigwerden des Schuldners
abhänge. Unter diesen Bedingungen sei es unangemessen, eventuelle
Verzögerungen, die den Bearbeitungsfristen für Bankgeschäfte zuzuschreiben
seien, einem Schuldner zuzurechnen, der bei der rechtzeitigen Vornahme
seiner Überweisung, d. h. vor Ablauf der Zahlungsfrist, in gutem Glauben
gehandelt habe.
21 Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage ist vorab
daran zu erinnern, dass die Richtlinie, wie Deutsche Telekom sowie die
deutsche, die österreichische und die finnische Regierung ausführen, zwar
keine vollständige Harmonisierung aller Vorschriften im Zusammenhang mit dem
Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vornimmt, jedoch einige spezifische
Bestimmungen in diesem Bereich enthält. Zu diesen gehören, wie der
Gerichtshof bereits entschieden hat, die Bestimmungen über Zinsen bei
Zahlungsverzug (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2006,
Kommission/Italien, C‑302/05, Slg. 2006, I‑10597, Randnr. 23).
22 Nach der Festlegung einer Zahlungsfrist von 30 Tagen in Art. 3 Abs. 1
Buchst. b Ziff. i, die bei fehlender vertraglicher Festlegung gilt, sieht
die Richtlinie 2000/35 insoweit in demselben Absatz unter Buchst. c Ziff. ii
vor, dass der Gläubiger berechtigt ist, gegenüber dem Schuldner Zinsen
insoweit geltend zu machen, als er „den fälligen Betrag nicht rechtzeitig
erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht
verantwortlich ist“.
23 Aus dem Wortlaut letzterer Bestimmung ergibt sich somit ausdrücklich,
dass die Zahlung des Schuldners im Hinblick auf die Fälligkeit von
Verzugszinsen als verspätet angesehen wird, wenn der Gläubiger nicht
rechtzeitig über den geschuldeten Betrag verfügt. Bei einer durch
Banküberweisung abgewickelten Zahlung versetzt aber nur die Gutschrift des
geschuldeten Betrags auf dem Konto des Gläubigers diesen in die Lage, über
diesen Betrag zu verfügen.
24 Diese Auslegung wird durch die verschiedenen Sprachfassungen der
Richtlinie 2000/35 gestützt, die übereinstimmend auf einen Erhalt des
geschuldeten Betrags innerhalb der Zahlungsfrist abstellen. Dies gilt
insbesondere für die Begriffe „erhalten“, „received“, „reçu“ und „ricevuto“
in der deutschen, der englischen, der französischen und der italienischen
Sprachfassung der Richtlinie 2000/35.
25 Im Übrigen ergibt sich klar aus den vorbereitenden Arbeiten zu der
Richtlinie, dass der Begriff „erhalten“ nicht zufällig in die Richtlinie
gelangt ist, sondern vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewusst gewählt worden
ist. Wie die Kommission hervorhebt, wurde nämlich in den Beratungen, die dem
Erlass dieser Richtlinie im Rat der Europäischen Union vorausgingen, diesem
Begriff der Vorzug vor mehreren Ausdrücken gegeben, die im Hinblick auf die
Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem eine Zahlung im Rahmen eines
Geschäftsvorgangs als fristgerecht bewirkt anzusehen ist, weniger genau
sind.
26 Außerdem steht die Auslegung, wonach die Gutschrift des geschuldeten
Betrags auf dem Konto des Gläubigers das für die Zahlung entscheidende
Kriterium ist, da sie auf den Zeitpunkt abstellt, zu dem der geschuldete
Betrag diesem Gläubiger sicher zur Verfügung steht, in Einklang mit dem von
der Richtlinie 2000/35 verfolgten Hauptziel, wie es u. a. aus ihren
Erwägungsgründen 7 und 16 hervorgeht, nämlich dem Schutz des Inhabers einer
Geldforderung.
27 Hinzuzufügen ist schließlich, dass eine solche Lesart von Art. 3 Abs. 1
Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie durch die Auslegung des Gerichtshofs in
anderen Bereichen des Gemeinschaftsrechts bestätigt erscheint. So ist, wie
01051 Telecom ausführt, der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen,
dass die Gutschrift auf dem Konto der Eigenmittel der Europäischen
Gemeinschaften das entscheidende Kriterium für die Feststellung ist, ob ein
Mitgliedstaat, der der Kommission einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung
zu stellen hat, seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist und er
folglich zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet ist (vgl. in diesem
Sinne Urteil vom 12. Juni 2003, Kommission/Italien, C‑363/00, Slg. 2003,
I‑5767, Randnrn. 42, 43 und 46).
28 Mithin ist der Zeitpunkt, der für die Beurteilung maßgeblich ist, ob
eine Zahlung durch Banküberweisung im Rahmen eines Geschäftsvorgangs als
rechtzeitig bewirkt anzusehen ist, so dass für die Forderung keine
Verzugszinsen nach dieser Bestimmung zu zahlen sind, der Zeitpunkt, zu dem
der geschuldete Betrag auf dem Konto des Gläubigers gutgeschrieben wird.
29 Dieses Ergebnis kann durch das Vorbringen insbesondere der finnischen
Regierung, wonach eine derartige Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff.
ii der Richtlinie 2000/35 dazu führen würde, dem Schuldner in unangemessener
Weise die Gefahr für die Bearbeitungsfristen von Bankgeschäften
aufzuerlegen, nicht in Frage gestellt werden.
30 Insoweit genügt die Feststellung, dass diese Bestimmung am Ende gerade
vorsieht, dass der Schuldner nicht für Verzögerungen verantwortlich gemacht
werden kann, die ihm nicht zugerechnet werden können. Mit anderen Worten,
die Richtlinie 2000/35 selbst schließt die Zahlung von Verzugszinsen in den
Fällen aus, in denen der Zahlungsverzug nicht die Folge des Verhaltens eines
Schuldners ist, der den üblicherweise für die Durchführung einer
Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat.
31 Im Übrigen ist es, wie die tschechische Regierung bemerkt, im
Geschäftsverkehr üblich, dass Vorschriften oder Vertragsbestimmungen die für
die Durchführung von Banküberweisungen erforderlichen Fristen regeln, so
dass ein Schuldner in der Lage ist, solche Fristen vorauszusehen und daher
das Entstehen von Verzugszinsen zu vermeiden.
32 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs.
1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35 dahin auszulegen ist, dass bei
einer Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des
Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben sein muss, wenn das Entstehen von
Verzugszinsen vermieden oder beendet werden soll.
Kosten
33 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug
im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass bei einer Zahlung durch
Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig
gutgeschrieben sein muss, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden
oder beendet werden soll.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch. |