Richtlinienwidrigkeit
des Nutzungsersatzanspruchs bei Nacherfüllung durch Neulieferung nach §§ 439
IV, 346 I BGB (auf Vorlage von
BGH NJW 2006, 3200)
EuGH v. 17.4.2008, Rs.
C-404/06 (Quelle AG)
Fundstelle:
NJW 2008, 1433
Tenor:
Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist
dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem
Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat,
gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen
Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu
verlangen.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH NJW 2006, 3200
(Vorlagebeschluß). Die Entscheidung ist in keiner Weise überraschend, auch
nicht in Bezug auf die Zulässigkeitsfrage (s. dazu S. Lorenz NJW 2006, 3202
f). Man darf gespannt sein, wie der BGH nunmehr die Grenzen
richtlinienkonformer Auslegung bestimmen wird. Im Vorlagebeschluß hatte er
noch dargelegt, daß "eine einschränkende Auslegung des § 439 Abs. 4 BGB dahin,
dass die Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften nicht auch einen Anspruch
des Verkäufers auf Nutzungsvergütung begründet, .... dem
Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers (widerspräche). Eine solche
Auslegung ist unter Berücksichtigung der Bindung der Rechtsprechung an Recht
und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zulässig (BVerfGE 71, 81, 105; 95, 64,
93). Die Möglichkeit der Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut und
dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde
(BVerfGE 18, 97, 111; 98, 17, 45; 101, 312, 319)". An dieser zutreffenden
Aussage ändert nämlich auch die Feststellung der Richtlinienwidrigkeit der
deutschen Regelung nichts, s. dazu Lorenz NJW 2006, 3202 f. Nunmehr hat der
BGH entschieden: S. BGH v. 26.11.2008 -
VIII ZR 200/05.
Eine Gesetzesänderung ist ebenfalls auf dem Weg, s.
BT-Drucks. 16/10607 S. 4. Dort
wird folgende Fassung von § 474 II BGB vorgeschlagen:"(2) Auf die in diesem
Untertitel geregelten Kaufverträge ist § 439 Abs.4 mit der Maßgabe
anzuwenden, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu
ersetzen sind. Die §§ 445 und 447 sind nicht anzuwenden". Dies ist am
16.12.2008 in Kraft getreten (s. BGBl. 2008 I S. 2400).
Beachte: Beim Rücktritt ist der Nutzungsersatz unproblematisch, s.
BGH NJW 2010, 148.
©sl 2008
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der
Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai
1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter (ABl. L 171, S. 12, im Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Quelle
AG (im Folgenden: Quelle), einem Versandhandelsunternehmen, und dem
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (im
Folgenden: Bundesverband), einem qualifizierten Verbraucherverband, den Frau
Brüning, eine Kundin von Quelle, zur Durchsetzung ihrer Ansprüche ermächtigt
hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie wurde auf der Grundlage von Art. 95 EG erlassen. In ihrem
ersten Erwägungsgrund wird daran erinnert, dass die Europäische Gemeinschaft
nach Art. 153 Abs. 1 und 3 EG durch die Maßnahmen, die sie nach Art. 95 EG
erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus
leistet.
4 Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“) der Richtlinie sieht vor:
„(1) Der Verkäufer haftet dem
Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung
des Verbrauchsgutes besteht.
(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die
unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe
des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf
Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach
Maßgabe der Absätze 5 und 6.
(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche
Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche
Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder
unverhältnismäßig ist.
Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten
verursachen würde, die … verglichen mit der alternativen
Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.
Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer
angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den
Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck,
für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen
sind.
(4) Der Begriff ‚unentgeltlich‘ in den Absätzen 2 und 3 umfasst die für
die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes
notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.
(5) Der Verbraucher kann eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder
eine Vertragsauflösung verlangen,
– wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf
Ersatzlieferung hat oder
– wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe
geschaffen hat oder
– wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den
Verbraucher Abhilfe geschaffen hat.
…“
5 Nach dem 15. Erwägungsgrund der
Richtlinie „[können die] Mitgliedstaaten … vorsehen, dass eine dem
Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung
der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung
erfolgt ist. Die Regelungen über die Modalitäten der Durchführung der
Vertragsauflösung können im innerstaatlichen Recht festgelegt werden.“
6 Art. 5 („Fristen“) Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie lautet:
„Der Verkäufer haftet nach Artikel
3, wenn die Vertragswidrigkeit binnen zwei Jahren nach der Lieferung des
Verbrauchsgutes offenbar wird.“
7 Art. 8 („Innerstaatliches Recht und
Mindestschutz“) Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können in dem
unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem Vertrag in Einklang
stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein
höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen.“
Nationales Recht
8 Zu den Bestimmungen des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden:
BGB), die zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht erlassen wurden,
gehören insbesondere die §§ 439 und 346.
9 § 439 („Nacherfüllung“) Abs. 4 BGB lautet:
„Liefert der Verkäufer zum Zwecke
der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer
Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348
verlangen.“
10 § 346 („Wirkungen des Rücktritts“)
Abs. 1 bis 3 BGB bestimmt:
„(1) Hat sich eine Vertragspartei
vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches
Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen
Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu
leisten, soweit
1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten
ausgeschlossen ist,
2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet,
verarbeitet oder umgestaltet hat,
3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen
ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme
entstandene Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung
des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den
Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden,
dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.
(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,
1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der
Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu
vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3. wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die
Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist,
obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen
Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.“
11 § 100 („Nutzungen“) BGB bestimmt:
„Nutzungen sind die Früchte einer
Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der
Sache oder des Rechts gewährt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
12 Im August 2002 lieferte Quelle Frau Brüning ein „Herd-Set“ für ihren
privaten Gebrauch. Anfang 2004 stellte Frau Brüning fest, dass das Gerät
vertragswidrig war. Da eine Reparatur nicht möglich war, gab Frau Brüning
das Gerät an Quelle zurück, die es durch ein neues Gerät ersetzte. Quelle
verlangte jedoch von Frau Brüning die Zahlung von 69,97 Euro als Wertersatz
für die Vorteile, die sie aus der Nutzung des ursprünglich gelieferten
Geräts gezogen hatte.
13 Der Bundesverband verlangte, gestützt auf die Ermächtigung durch Frau
Brüning, die Rückzahlung dieses Betrags an die Käuferin. Daneben beantragte
er, Quelle zu verurteilen, es zu unterlassen, im Fall einer Ersatzlieferung
für eine dem Kaufvertrag nicht entsprechende Ware (im Folgenden:
vertragswidriges Verbrauchsgut) deren Nutzung in Rechnung zu stellen.
14 Das Gericht erster Instanz gab dem Zahlungsantrag statt und wies den
Antrag auf Verurteilung von Quelle zur Unterlassung der Inrechnungstellung
der Nutzung vertragswidriger Verbrauchsgüter zurück. Die sowohl von Quelle
als auch vom Bundesverband gegen diese Entscheidung eingelegten Berufungen
wurden zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof, bei dem Revision eingelegt
wurde, stellt fest, aus § 439 Abs. 4 in Verbindung mit § 346 Abs. 1 und 2
Nr. 1 BGB ergebe sich, dass der Verkäufer im Fall der Ersatzlieferung für
eine mangelhafte Sache Anspruch auf Wertersatz für die Vorteile habe, die
der Käufer aus der Nutzung dieser Sache bis zu deren Austausch durch eine
neue Sache gezogen habe.
15 Der Bundesgerichtshof äußert zwar Bedenken gegen die dem Käufer damit
auferlegte einseitige Belastung, weist aber darauf hin, dass er keine
Möglichkeit sehe, die nationale Regelung im Wege der Auslegung zu
korrigieren. Eine Auslegung in dem Sinne, dass der Verkäufer vom Käufer
keinen Wertersatz für die Nutzung der ausgetauschten Sache verlangen könne,
widerspreche nämlich dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des BGB
sowie dem zum Ausdruck gebrachten eindeutigen Willen des Gesetzgebers und
sei nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach die Rechtsprechung an
Recht und Gesetz gebunden ist, unzulässig.
16 Da der Bundesgerichtshof aber Zweifel an der Vereinbarkeit der
Bestimmungen des BGB mit dem Gemeinschaftsrecht hat, hat er das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1
und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszulegen,
dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt,
dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsguts durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsguts verlangen
kann?
Zur Vorlagefrage
17 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob
Art. 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen
Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges
Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung dieses Gutes bis zu seinem Austausch durch ein neues Verbrauchsgut
zu verlangen.
Zur Zulässigkeit
18 Quelle hat in der Sitzung geltend gemacht, dass die Vorlagefrage nicht
zulässig sei, weil das vorlegende Gericht darauf hingewiesen habe, dass die
zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Bestimmungen nur eine
einzige Auslegung zuließen und das deutsche Verfassungsrecht ihm eine
Auslegung contra legem untersage. Sollte der Gerichtshof Art. 3 der
Richtlinie in einem anderen Sinne auslegen, könnte das vorlegende Gericht
seiner Antwort mithin nicht Rechnung tragen.
19 Hierzu ist daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Art. 234
EG, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten
und dem Gerichtshof beruht, nur das nationale Gericht, das mit dem
Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu
erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die
Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer
Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit
der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der
Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden,
wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. u. a.
Urteile vom 22. Juni 2006, Conseil général de la Vienne, C‑419/04, Slg.
2006, I‑5645, Randnr. 19, und vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, Slg.
2007, I‑6199, Randnr. 43).
20 Der Gerichtshof kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines
nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des
Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der
Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das
Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen
oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung
der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile Conseil
général de la Vienne, Randnr. 20, und Lucchini, Randnr. 44).
21 Das ist hier nicht der Fall.
22 Die Ungewissheit, ob es dem nationalen Gericht, nachdem der Gerichtshof
eine Vorlagefrage zur Auslegung einer Richtlinie beantwortet hat, möglich
ist, das nationale Recht unter Beachtung der vom Gerichtshof entwickelten
Grundsätze (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u.
a., C‑397/01 bis C‑403/01, Slg. 2004, I‑8835, Randnrn. 113 bis 116, und vom
4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnrn. 110 bis
112) im Licht dieser Antwort auszulegen, kann sich auf die Verpflichtung des
Gerichtshofs, über die Frage zu befinden, nicht auswirken. Ein anderes
Ergebnis wäre mit dem Zweck der dem Gerichtshof durch Art. 234 EG
zuerkannten Befugnisse nicht vereinbar, die im Wesentlichen eine
einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte
gewährleisten sollen (Urteile vom 6. Dezember 2005, Gaston Schul
Douane-expediteur, C‑461/03, Slg. 2005, I‑10513, Randnr. 21, sowie vom 10.
Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, Slg. 2006, I‑403, Randnr. 27).
23 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zur Beantwortung der Frage
24 Nach Auffassung des Bundesverbands, der spanischen und der
österreichischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften stellt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie klar, dass nicht nur die
Nachbesserung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verkäufer,
sondern gegebenenfalls auch der Austausch dieses Gutes durch ein
vertragsgemäßes Verbrauchsgut für den Verbraucher unentgeltlich erfolgen
müssen. Das Erfordernis der Unentgeltlichkeit sei ein untrennbares Ganzes,
das den Käufer vor drohenden finanziellen Belastungen schützen solle, die
ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abhalten könnten.
25 Die deutsche Regierung führt aus, dass der Wortlaut der Richtlinie nicht
die Frage regle, ob der Verkäufer im Fall des Austauschs eines
vertragswidrigen Verbrauchsguts eine Entschädigung für dessen Nutzung
verlangen könne. Bei systematischer Auslegung komme im 15. Erwägungsgrund
der Richtlinie ein ganz allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, wonach die
Frage, wann der Verbraucher die Benutzung eines Verbrauchsguts zu vergüten
habe, den Mitgliedstaaten zur Regelung überlassen sei.
26 Vorab ist daran zu erinnern, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie der
Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit haftet, die zum
Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsguts besteht.
27 Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nennt die Ansprüche, die der Verbraucher bei
Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsguts gegen den Verkäufer hat.
Zunächst kann der Verbraucher die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands
des Verbrauchsguts verlangen. Kann er die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands nicht erlangen, so kann er in einem zweiten Schritt eine Minderung
des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung verlangen.
28 Zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts bestimmt
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie, dass der Verbraucher vom Verkäufer die
unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsguts oder eine unentgeltliche
Ersatzlieferung verlangen kann, sofern nicht die Erfüllung seiner Forderung
unmöglich oder die Forderung unverhältnismäßig ist.
29 Die deutsche Regierung trägt vor, dass sowohl im Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den
Verbrauchsgüterkauf und ‑garantien (96/C 307/09) (ABl. 1996, C 307, S. 8)
als auch im Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien (98/C
148/11) (ABl. 1998, C 148, S. 12), die beide von der Kommission vorgelegt
wurden, nur von einer „unentgeltlichen Instandsetzung“ oder einer
„Ersatzleistung“ die Rede sei. Dieses Schweigen zu den finanziellen Folgen
einer Ersatzleistung belege, dass die Frage eines Nutzungsersatzes nicht
durch die Richtlinie habe geregelt werden sollen.
30 Dieser Umstand ist jedoch völlig unbeachtlich, da im endgültigen Text
die Formulierung „unentgeltliche Nachbesserung … oder … unentgeltliche
Ersatzlieferung“ aus dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 51/98, vom Rat
festgelegt am 24. September 1998 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie
(ABl. C 333, S. 46), beibehalten wurde, was den Willen des
Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck bringt, den Schutz des Verbrauchers
zu verstärken.
31 Der Begriff „unentgeltlich“ als solcher umfasst nach der Definition in
Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie „die für die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-,
Arbeits- und Materialkosten“. Aus der Verwendung des Adverbs
„insbesondere“ durch den Gemeinschaftsgesetzgeber ergibt sich, dass diese
Aufzählung nur Beispiele enthält und nicht abschließend ist.
32 Der von der deutschen Regierung angeführte Umstand, dass die
Presseerklärung C/99/77 des Vermittlungsausschusses Parlament – Rat vom 18.
März 1999 betreffend die Einigung über Garantien für Verbrauchsgüter den
Begriff „unentgeltlich“ einschränkend auslegt, ist in diesem Zusammenhang
unbeachtlich. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine in ein Protokoll des
Rates aufgenommene Erklärung, wenn sie in einer Vorschrift des abgeleiteten
Rechts keinen Ausdruck gefunden hat, zur Auslegung dieser Vorschrift nicht
herangezogen werden (vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 1991, Antonissen,
C‑292/89, Slg. 1991, I‑745, Randnr. 18, und vom 10. Januar 2006, Skov und
Bilka, C‑402/03, Slg. 2006, I‑199, Randnr. 42).
33 Demnach geht sowohl aus dem Wortlaut als auch aus den einschlägigen
Vorarbeiten der Richtlinie hervor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die
Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des
durch diese Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollte.
34 Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, sei
es durch Nachbesserung, sei es durch Austausch des vertragswidrigen
Verbrauchsguts, soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen
schützen, die ihn, wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge
erläutert hat, in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten,
seine Ansprüche geltend zu machen. Diese vom Gemeinschaftsgesetzgeber
gewollte Garantie der Unentgeltlichkeit bedeutet,
dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung
seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des
Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen ist.
35 Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber
in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie seinem Willen Ausdruck verliehen
hat, einen wirksamen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Nach dieser
Bestimmung hat nämlich die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht nur
innerhalb einer angemessenen Frist, sondern auch ohne erhebliche
Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen.
36 Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Richtlinie, mit der, wie
aus ihrem ersten Erwägungsgrund hervorgeht, ein Beitrag zur Erreichung eines
hohen Verbraucherschutzniveaus geleistet werden soll. Wie sich aus ihrem
Art. 8 Abs. 2 ergibt, sieht die Richtlinie einen Mindestschutz vor, und die
Mitgliedstaaten können zwar strengere Bestimmungen erlassen, dürfen aber
nicht die vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehenen Garantien
beeinträchtigen.
37 Die weiteren Argumente, die die deutsche Regierung gegen eine solche
Auslegung anführt, sind nicht geeignet, diese in Frage zu stellen.
38 Was zum einen die Bedeutung angeht, die dem 15. Erwägungsgrund der
Richtlinie beizumessen ist, der gestattet, die Benutzung der
vertragswidrigen Ware durch den Verbraucher zu berücksichtigen, ist darauf
hinzuweisen, dass sich der erste Teil dieses Erwägungsgrundes auf eine dem
Verbraucher zu leistende „Erstattung“ bezieht, während der zweite Teil die
„Modalitäten der Durchführung der Vertragsauflösung“ betrifft. Diese Worte
stimmen mit denen überein, die im Gemeinsamen Standpunkt des Rates verwendet
werden, auf den sich auch die deutsche Regierung bezogen hat.
39 Diese Terminologie lässt klar erkennen, dass der 15. Erwägungsgrund
nur den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der
Vertragsauflösung betrifft, in dem der Verkäufer dem Verbraucher gemäß dem
Grundsatz der gegenseitigen Herausgabe der erlangten Vorteile den Kaufpreis
des Verbrauchsguts erstatten muss. Anders als die deutsche Regierung meint,
kann der 15. Erwägungsgrund somit nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden
werden, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, in sämtlichen Fällen, in denen
sie dies wünschen, einschließlich des Falls, in dem lediglich gemäß Art. 3
Abs. 3 der Richtlinie eine Ersatzlieferung verlangt wird, die Benutzung
eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verbraucher zu
berücksichtigen.
40 Was zum anderen das Vorbringen der deutschen Regierung angeht, es stelle
eine ungerechtfertigte Bereicherung dar, wenn der Verbraucher aufgrund des
Austauschs eines vertragswidrigen Verbrauchsguts über ein neues
Verbrauchsgut verfüge, ohne dass er eine finanzielle Entschädigung hätte
leisten müssen, ist daran zu erinnern, dass nach Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit haftet,
die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsguts besteht.
41 Wenn der Verkäufer ein vertragswidriges Verbrauchsgut liefert, erfüllt
er die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht
ordnungsgemäß und muss daher die Folgen dieser Schlechterfüllung tragen. Der
Verbraucher, der seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine
vertragliche Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt hat, wird durch die
Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige
Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhält lediglich
verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er
es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen.
42 Im Übrigen werden die finanziellen Interessen des Verkäufers zum einen
durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie
und zum anderen durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie
eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn
sich diese Abhilfe als unverhältnismäßig erweist, weil sie ihm unzumutbare
Kosten verursachen würde.
43 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 der
Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung
entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut
geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des
vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues
Verbrauchsgut zu verlangen.
Kosten
44 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der
Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen
Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges
Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch
ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.
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