Verpflichtung des
Käufers zum Nutzungsersatz beim Rücktritt wegen eines Sachmangels:
Ríchtlinienkonformität; keine Vorlagepflicht an den EuGH nach Art. 234 bei "acte
clair"
BGH, Urteil vom 16.
September 2009 - VIII ZR 243/08
Fundstelle:
NJW 2010, 148
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Die Zulassung der
Revision kann auf den Grund eines im Rechtsstreit erhobenen Gegenanspruchs
beschränkt werden.
b) Bei Rückabwicklung eines Verbrauchsgüterkaufs steht einem Anspruch des
Verkäufers auf Nutzungswertersatz gemäß § 346 Abs. 1 BGB europäisches Recht
(hier Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) nicht entgegen.
Zentrale Probleme:
Eine ebenso kurze wie klare und richtige
Entscheidung: Die Verpflichtung des zurücktretenden Käufers zum Ersatz
(tatsächlich) aus dem zurückzugewährenden Gegenstand gezogener Nutzungen
ergibt sich nicht nur klar aus dem Gesetz (§ 437 Nr. 2 mit § 323 oder § 326
V und §§ 346 I, 100 BGB. Anders als im Falle der Nacherfüllung durch
Neulieferung ist das auch richtlinienkonform (s. dazu die Anm. zu
BGH NJW 2006, 3200;
EuGH NJW 2008, 1433, Rs. C-404/06
(Quelle AG) sowie
BGH v. 26.11.2008 -
VIII ZR 200/05). Zu recht verneint der Senat
angesichts der sonnenklaren Rechtslage eine Vorlagepflicht an den EuGH (sog.
"acte clair", s. dazu BGH NJW 2004, 362;
BGH NJW 2006, 689).
Zur Berechnung des Nutzungsersatzes s.BGH NJW 2006, 53
sowie OLG Celle
ZGS 2004, 74.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Die Klägerin kaufte vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, mit Vertrag
vom 9. Mai 2005 einen gebrauchten Pkw BMW 316 i mit einer Laufleistung von
174.500 km für 4.100 €. Die Klägerin finanzierte den Kaufpreis über die C.
-Bank und erbrachte an diese Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.126,15 €; ein
Betrag von 4.052,54 € ist noch offen.
2 Das Fahrzeug hatte einen Unfallschaden (Rahmenschaden) erlitten und war
mit nicht zugelassenen Teilen (Reifen, Felgen und Auspuff) versehen. Nachdem
die Klägerin dem Beklagten vergeblich eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt
hatte, erklärte sie den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie ist mit dem Fahrzeug
36.000 km gefahren.
3 Die Klägerin hat Zahlung von insgesamt 1.026,15 € nebst Zinsen Zug um Zug
gegen Rückgabe des Fahrzeugs begehrt sowie ferner die Feststellung der
Verpflichtung des Beklagten, sie von den Ansprüchen der C. -Bank aus dem zur
Finanzierung des Fahrzeugs aufgenommenen Darlehen freizustellen. Das
Amtsgericht hat den Beklagten im Wege des Versäumnisurteils entsprechend
diesen Anträgen verurteilt. Nach Einspruch des Beklagten hat das Amtsgericht
das Versäumnisurteil hinsichtlich des Zahlungsantrags insgesamt sowie
hinsichtlich des Feststellungsantrags in Höhe eines Betrags von 51,08 €
aufrechterhalten und den Beklagten auf die zwischenzeitliche Erweiterung der
Klage zur Zahlung weiterer 100 € nebst Zinsen verurteilt; im Übrigen hat es
das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
4 Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht - unter Zurückweisung
der weitergehenden Berufung und der Anschlussberufung des Beklagten - das
Urteil des Amtsgerichts hinsichtlich des Feststellungsantrags teilweise
abgeändert und das Versäumnisurteil insoweit hinsichtlich eines Betrages von
1.129,77 € wiederhergestellt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin den Feststellungsantrag im restlichen Umfang
- Freistellung in Höhe von 2.922,77 € - weiter.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für
das Revisionsverfahren noch von Interesse, ausgeführt:
7 Die Klägerin sei wegen der Sachmängel des Fahrzeugs gemäß § 323 Abs. 1 BGB
zum Rücktritt berechtigt gewesen. Ihr stehe deshalb gegen den Beklagten aus
§ 346 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der an die finanzierende Bank
erbrachten Zahlungen (1.126,15 €) sowie auf Freistellung von den noch
bestehenden Darlehensverbindlichkeiten zu, allerdings gemindert um die
Gebrauchsvorteile des Fahrzeugs, die das Amtsgericht zutreffend auf 2.922,77
€ (0,08 € je km) bemessen habe.
8 Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17.
April 2008 - Rs. C-404/06 - stehe der Anrechnung der Nutzungsentschädigung
nicht entgegen. Nach dieser Entscheidung widerspreche § 346 BGB nur insoweit
der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.
Mai 1999, als es um Nachbesserung und Austausch eines vertragswidrigen
Verbrauchsgutes gehe; eine analoge Anwendung dieser Entscheidung auf den
vorliegenden Fall der Vertragsauflösung komme nicht in Betracht.
II.
9 Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Rahmen des
beschränkten Umfangs der Revisionszulassung stand, so dass die Revision
zurückzuweisen ist.
10 1. Die Revision ist, soweit sie sich gegen die Höhe des
Nutzungswertersatzes wendet, unstatthaft und damit unzulässig (§ 543 Abs. 1
ZPO), weil die Revision insoweit nicht zugelassen ist.
11 Das Berufungsgericht hat die Revision nur beschränkt - auf den Grund des
vom Beklagten geltend gemachten Gegenanspruchs auf Nutzungswertersatz -
zugelassen. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor, wohl aber, was nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreicht (BGHZ 153, 358, 360 f.
m.w.N.), aus den Gründen des Urteils. Die Begründung des Berufungsgerichts
für die Zulassung der Revision zielt darauf ab, ob § 346 BGB mit
Europäischem Recht vereinbar ist, soweit diese Bestimmung im Falle des
Rücktritts eines Verbrauchers vom Verbrauchsgüterkauf eine Ersatzpflicht des
Verbrauchers für gezogene Nutzungen vorsieht. Dies betrifft lediglich den
Grund des Gegenanspruchs, den der Beklagte gegenüber dem von der Klägerin
geltend gemachten Freistellungsanspruch erhoben hat. Eine Beschränkung der
Revisionszulassung auf den Anspruchsgrund ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs möglich (Senatsurteil vom 30. Juni 1982 - VIII ZR 259/81,
NJW 1982, 2380, unter II 2 c; BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 - VI ZR 273/03,
NJW 2004, 3176, unter II 1). Dies gilt, wie die Revisionserwiderung
zutreffend geltend macht, auch für einen Gegenanspruch. Auch insoweit ist
der Anspruchsgrund ein selbständig anfechtbarer Teil des Streitgegenstands,
auf den die Re-visionsführerin selbst ihre Revision hätte beschränken
können.
12 2. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie unbegründet.
13 a) Das Berufungsgericht hat einen Freistellungsanspruch der Klägerin aus
§ 346 BGB bejaht. Dies unterliegt nicht der revisionsrechtlichen
Nachprüfung, weil die Zulassung der Revision, wie dargelegt, auf den
Anspruchsgrund des vom Beklagten geltend gemachten Gegenanspruchs auf
Nutzungsersatz beschränkt ist. Die vom Beklagten erhobene Rüge, dass sich
ein Freistellungsanspruch der Klägerin nicht aus § 346 BGB, sondern
allenfalls aus einem von ihr nicht geltend gemachten Schadensersatzanspruch
ergeben könnte, hätte daher nur im Rahmen einer Anschlussrevision
berücksichtigt werden können, die der Beklagte nicht eingelegt hat.
14 b) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Beklagten bei
einer Rückabwicklung des Vertrages nach § 346 BGB ein Gegenanspruch auf
Wertersatz wegen der Gebrauchsvorteile des Fahrzeugs während der Besitzzeit
der Klägerin (36.000 km Laufleistung) zusteht.
15 aa) Entgegen der Auffassung der Revision steht europäisches Recht einem
Anspruch auf Nutzungswertersatz im Falle der Rückabwicklung eines
Verbrauchsgüterkaufs nicht entgegen. Die Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 17. April 2008 (Rs.
C-404/06, NJW 2008, 1433 - Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen
und Verbraucherverbände) bezieht sich auf das Recht des Verbrauchers auf
Ersatzlieferung, an dessen Geltendmachung dieser nicht durch eine
Verpflichtung zu Nutzungswertersatz gehindert werden soll, nicht aber auf
eine Rückabwicklung des Vertrages, bei der der Käufer - anders als bei der
Nacherfüllung - seinerseits den gezahlten Kaufpreis nebst Zinsen
zurückerhält. Zu Recht verweist die Revisionserwiderung auf den
15. Erwägungsgrund der Richtlinie
1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu
bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12; im Folgenden:
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie), der es ausdrücklich gestattet, die
Benutzung der vertragswidrigen Ware im Falle der Vertragsauflösung zu
berücksichtigen; hierauf nimmt auch der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften in seiner Entscheidung Bezug (aaO, Tz. 38 f.). Auch in der
Literatur wird - soweit ersichtlich - nicht vertreten, dass die
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entgegen ihrem eindeutigen 15. Erwägungsgrund
einer Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, die - wie § 346 Abs. 1
BGB - den Käufer im Fall des Rücktritts verpflichtet, gezogene Nutzungen
herauszugeben oder hierfür Wertersatz gemäß § 346 Abs. 2 BGB zu leisten.
16 bb) Einer Vorlage des Rechtsstreits an den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften zur Vorabentscheidung dieser Frage gemäß Art. 234 Abs. 3
i.V.m. Abs. 1 Buchst. b EG bedarf es entgegen der Auffassung der Revision
nicht. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten
entfällt, wenn die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand
einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige Anwendung
des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen
Zweifel kein Raum mehr bleibt ("acte clair", vgl. nur EuGH, Urteil vom
15. September 2005 - Rs. C-495/03, Slg. 2005, I S. 8151, Rdnr. 33 -
Intermodal Transports BV/Staatssecretaris van Financiën; ferner BGHZ 174,
273, Tz. 34; 178, 243, Tz. 31). Letzteres ist hier - wie vorstehend unter aa)
dargestellt - der Fall. |