Nutzungsersatz bei
Rückabwicklung eines Vertrages wegen Sachmangels: Höhe der
Nutzungsentschädigung
BGH, Urteil vom 6. Oktober
2005 - VII ZR 325/03
Fundstelle:
NJW 2006, 53
Amtl. Leitsatz:
a) Macht der Erwerber
einer Eigentumswohnung Rückabwicklung des Vertrags im Wege des großen
Schadensersatzes geltend, ist der ihm bei Selbstnutzung anzurechnende
Nutzungsvorteil zeitanteilig linear aus dem Erwerbspreis zu ermitteln.
b) Ist die Wohnung mangelhaft, ist von dem so errechneten Nutzungsvorteil
unter Berücksichtigung des Gewichts der Beeinträchtigungen ein Abschlag
vorzunehmen, der gemäß § 287 ZPO geschätzt werden kann.
Zentrale Probleme:
Der noch nach früherem Schuldrecht zu beurteilende Fall
ist in Bezug auf den Nutzungsersatz auch für das neue Schuldrecht von
Bedeutung: Tritt der Käufer wegen eines Sachmangels vom Vertrag zurück, so
schuldet er nach § 346 I BGB ebenfalls nicht lediglich Rückerstattung der
Kaufsache selbst, sondern auch Ersatz der gezogenen Nutzungen bzw.
Wertersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen (§ 347 BGB). Gleiches
gilt beim "großen Schadensersatz", da § 281 V BGB insoweit ebenfalls auf die
§§ 346 ff BGB verweist (str. ist freilich beim Verbrauchsgüterkauf die
Richtlinienkonformität der Verpflichtung zum Nutzungsersatz im Falle der
Nacherfüllung durch Neulieferung nach §§ 439 IV, 346, s. dazu zuletzt
OLG Nürnberg NJW
2005, 3000 sowie die Anm. zu
LG Nürnberg-Fürth
NJW 2005,
2558). Zu den Nutzungen gehören nach § 100 BGB auch die
Gebrauchsvorteile. Die vorliegende Entscheidung ist für die Höhe des
Nutzungsersatzes von Bedeutung. Dieser berechnet sich nicht nach dem
Marktwert, d.h. etwa nach dem Mietpreis einer solchen Sache, sondern am
zeitanteiligen Wertverzehr im Verhältnis zum Erwerbspreis.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Klägerin möchte den Erwerb einer Eigentumswohnung mit
Tiefgaragenstellplatz (im folgenden: Eigentumswohnung) rückgängig machen.
Sie nimmt die als Bauträger tätige Beklagte aus abgetretenem Recht ihres
Ehemannes (im folgenden: Zedent) auf großen Schadensersatz in Anspruch.
Der Zedent erwarb von der Beklagten die noch fertig zu stellende Immobilie
zum Preis von 337.750 DM (= 172.688,83 €). Die Klägerin und der Zedent leben
seit dem 1. August 1997 in der Wohnung.
Die Wohnung hat nicht unbeträchtliche Schallschutzmängel. Nachdem die
Beklagte diese Mängel trotz Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht
beseitigt hatte, lehnte die Klägerin eine weitere Mängelbeseitigung ab und
forderte die Beklagte unter Fristsetzung zur Zahlung von 442.420,35 DM (=
226.205,93 €) auf.
Erstinstanzlich hat die Klägerin 224.284,41 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug
gegen Löschung der Auflassungsvormerkungen sowie die Feststellung verlangt,
dass die Beklagte auch zum Ersatz weiteren Schadens verpflichtet ist. Die
Beklagte ist dem Zahlungsantrag unter anderem mit einem Anspruch auf
Nutzungsentschädigung in Höhe der behaupteten ortsüblichen Miete entgegen
getreten.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 202.552 € zuzüglich Zinsen
verurteilt Zug um Zug gegen Löschung der Auflassungsvormerkungen und
Rückgabe der Eigentumswohnung. Außerdem hat es festgestellt, dass die
Beklagte der Klägerin sämtliche weiteren Schäden und Aufwendungen zu
ersetzen hat, die ihr aus der Rückabwicklung des Erwerbsvertrags entstanden
sind und entstehen werden. Die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten
Ansprüche auf Nutzungsentschädigung hat es im Wege des Vorteilsausgleichs
nur in Höhe von 8.511,25 € als Abzugsposten berücksichtigt.
Auf die Berufung beider Parteien hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur
Zahlung von 200.960,69 € Zug um Zug gegen Löschung der
Auflassungsvormerkungen und einer Grundschuld sowie Rückgabe der
Eigentumswohnung verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte
der Klägerin weitergehende Schäden zu ersetzen hat. In dem zugesprochenen
Betrag sind u. a. auch die Kosten der Finanzierung des Erwerbspreises
enthalten. Den Wert der im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigenden
Wohnungsnutzung durch den Zedenten hat das Berufungsgericht für den Zeitraum
vom 1. August 1997 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 12. August
2003 mit 9.331,43 € ermittelt. Verzugszinsen hat das Berufungsgericht der
Klägerin nicht zuerkannt.
Der Senat hat die Revision der Beklagten zugelassen, mit der sie das Ziel
verfolgt, dass der Nutzungsvorteil, den sich die Klägerin anrechnen lassen
muss, mit nicht weniger als 47.462,42 € berücksichtigt wird.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Anschlussrevision gegen die Abweisung des
Zinsanspruchs aus der Hauptsumme.
Entscheidungsgründe:
A. Die Revision hat Erfolg. Sie führt
zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und insoweit zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das für das Schuldverhältnis maßgebende Recht bestimmt sich nach den bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die bei der Bemessung des
Schadensersatzes im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigende Nutzung
der Immobilie durch den Zedenten sei nicht entsprechend dem üblichen oder
fiktiven Mietzins für eine gleichartige Sache zu bewerten. Zugrunde zu legen
sei lediglich der "Wertverzehr", den die Immobilie durch diese Nutzung
erfahren habe. Dieser Wertverlust sei ausgehend von dem tatsächlichen Wert
des Objekts nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung im Vergleich
zwischen der tatsächlichen Gebrauchsdauer und der voraussichtlichen
Gesamtnutzungs-zeit der Eigentumswohnung zu ermitteln.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung teilweise nicht
stand.
1. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Klägerin nicht den
vollen Erwerbspreis als Schaden geltend machen kann. Vielmehr muss sie sich
im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, dass der Zedent die
Eigentumswohnung einige Jahre bewohnt hat. Der Wert der Nutzung ist bei der
Bemessung des Schadensersatzes anzurechnen. Dabei handelt es sich um die
Berechnung des Schadensersatzes, nicht um eine Aufrechnung.
2. Richtig ist ferner der Ansatz des Berufungsgerichts, dass der
Nutzungsvorteil in ein Verhältnis zum Wert der mit dem Erwerb der
Eigentumswohnung getätigten Investition gesetzt und zeitanteilig linear
berechnet werden muss (zum zutreffenden Wertansatz vgl. sogleich 3.).
a) Dieser Wert ist eine greifbare und verlässliche Größe, die es erlaubt,
denjenigen Vorteil in Geld auszudrücken, den ein Eigentümer entsprechend
seiner Investitionsentscheidung durch die eigene Nutzung einer Immobilie
hat. Für einen Mieter und auch für einen Vermieter kann die Miete einen
Anhaltspunkt für Nutzungsvorteile bieten. Ein selbstnutzender Eigentümer
dagegen zieht seinen geldwerten Vorteil entsprechend seinem Aufwand für den
Erwerb der Eigentumswohnung.
b) Darüber hinaus trifft es zu, dass der Nutzungsvorteil zeitanteilig linear
zu ermitteln ist. Ausgehend von der Tatsache, dass eine Eigentumswohnung mit
dem Bauwerk, in dem sie sich befindet, im allgemeinen eine begrenzte
Lebensdauer hat, lässt sich der Wert der Eigennutzung, gemessen am Wert der
Eigentumswohnung, in gleichmäßigen Beträgen je abgewohntem Jahr ausdrücken.
Die Revision stellt nicht in Frage und es ist auch rechtlich bedenkenfrei,
dass das sachverständig beratene Berufungsgericht die Gesamtnutzungsdauer
für die vom Zedenten erworbene Eigentumswohnung mit 80 Jahren angesetzt hat.
Dementsprechend ist der Berechnung des Nutzungsvorteils für jedes Jahr,
welches der Zedent dort wohnt oder gewohnt hat, ein achtzigstel des
Investitionsaufwandes und für den Teil eines Jahre der entsprechende Anteil
zugrunde zu legen.
Im Gegensatz zur Auffassung der Revision kommt eine degressive Ermittlung
nicht in Betracht. Es geht hier nicht um den Wert oder Restwert der Wohnung
als Vermögensgegenstand, sondern um die Bewertung der Nutzung für den
Eigentümer. Dieser Wert ist im ersten oder fünften Jahr einer Nutzung
grundsätzlich nicht anders als in späteren Jahren. Die von der Revision
hervorgehobenen Reparaturkosten sind in diesem Zusammenhang nicht erheblich.
Sie berühren den Vorteil für den selbstnutzenden Eigentümer rechnerisch
gleichmäßig in allen Jahren, gegebenenfalls über Rücklagen, nicht nur in den
Jahren, in denen Reparaturen anfallen.
c) Der Mietwert der Eigentumswohnung kann zur Berechnung des Vorteils des
Zedenten nicht herangezogen werden. Der Zedent hat sich entschieden, eine
Wohnung nicht zu mieten, sondern zu erwerben. Dementsprechend hat er nicht
die rechtliche und wirtschaftliche Stellung eines Mieters gewählt, sondern
diejenige eines Eigentümers. Die Entscheidung des Zedenten kann nicht
übergangen werden, nur weil die Beklagte mit der Folge schlecht geliefert
hat, dass der Erwerbsvertrag fehlgeschlagen ist und rückabgewickelt werden
muss. Dann muss auch der Nutzungsvorteil nicht mit Hinblick auf ein
Mietverhältnis, sondern auf der Grundlage einer Eigentümerstellung des
Zedenten ermittelt werden.
d) Dieses Ergebnis stimmt überein mit der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Berechnung von Nutzungsvorteilen nach
fehlgeschlagenem Kauf beweglicher Sachen. Dort werden die Vorteile linear im
Verhältnis zum Wert der Sache ermittelt und nicht nach den Maßstäben für
einen üblichen oder fiktiven Mietzins berechnet (BGH, Urteil vom 26. Juni
1991 - VIII ZR 198/90, BGHZ 115, 47, 52; vgl. auch Urteil vom 10. Februar
2004 - X ZR 117/02, BGHZ 158, 63, 68).
3. Das Berufungsgericht legt seiner Berechnung des Nutzungsvorteils einen
vom Sachverständigen ermittelten tatsächlichen Wert der Eigentumswohnung
zugrunde. Damit will es im Anschluss an das Landgericht dem Minderwert der
Wohnung wegen der Schallschutzmängel Rechnung tragen. Das ist
rechtsfehlerhaft.
Die Schallschutzmängel dürfen nicht beim Ausgangswert der zeitanteiligen
linearen Berechnung berücksichtigt werden, sondern sie müssen bei der
Würdigung des Wertes des der Klägerin anzurechnenden Nutzungsvorteils in
Ansatz gebracht werden. Denn auszugehen ist stets, auch bei einer
mangelbehafteten Immobilie, vom Wert der Investition, also vom vereinbarten
und entrichteten Erwerbspreis. Dieser ist im Rahmen des großen
Schadensersatzes grundsätzlich zu erstatten. Bevor hiervon der zeitanteilig
lineare Abschlag für den Nutzungsvorteil abgezogen wird, muss dieser
Abschlag mit Hinblick auf die Mängel der Eigentumswohnung seinerseits
gemindert werden. Denn der Nutzungsvorteil ist keine nur rechnerische Größe,
sondern hängt auch vom Zustand und damit der Nutzbarkeit der Wohnung ab.
Wie umfangreich dieser mängelbedingte Abschlag von dem rechnerisch
ermittelten Nutzungsvorteil anzusetzen ist, hat der Tatrichter unter
Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Dabei kann
anders als bei der Minderung einer Werklohnforderung nicht an die
voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten angeknüpft werden. Denn diese
sagen nichts über das Maß der Beeinträchtigungen aus, die der Zedent während
seiner Wohnzeit in der Eigentumswohnung hinzunehmen hat oder hatte. Ebenso
wenig kann die Minderung des Wertes der Wohnung maßgeblich sein. Beide, die
Mangelbeseitigungskosten und die Wertminderung der Wohnung, können sehr
gering und die Einschränkung der Nutzung kann gleichzeitig außerordentlich
hoch sein. Umgekehrt sind hohe mangelbedingte Kosten denkbar, ohne dass der
Wert der Nutzung wesentlich beeinträchtigt würde. Ausschlaggebend ist
vielmehr die tatrichterliche Würdigung der festgestellten Mängel und deren
Auswirkungen auf den Nutzungsvorteil. Beispielsweise werden sich selbst
schwere und nur kostspielig zu beseitigende Mängel im Fundamentbereich eines
Gebäudes meist wenig auf den Vorteil der Nutzung einer darin befindlichen
Wohnung auswirken. Die in der zurückzugebenden Eigentumswohnung
festgestellten Schallschutzmängel dagegen bedeuten möglicherweise eine
beträchtliche Einschränkung der Nutzung unabhängig davon, wie hoch
entsprechende Mangelbeseitigungskosten sind.
Der Abzug von dem zunächst nur rechnerisch ermittelten Nutzungsvorteil kann
auf dieser Grundlage auch prozentual vorgenommen werden. Erst der daraus
sich ergebende Betrag ist von dem Erwerbspreis als Nutzungsvorteil
abzuziehen.
4. Der vom Schaden der Klägerin abzuziehende Nutzungsvorteil des Zedenten
ist unabhängig von der Wertentwicklung der Immobilie. Der Erwerber, der die
Rückabwicklung des Erwerbsvertrages durchsetzt, hat unter Berücksichtigung
seiner Nutzungsvorteile Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, vor allem
des Erwerbspreises. Dagegen nimmt er nicht teil an Wertschwankungen des
Objekts.
B. Die zulässige Anschlussrevision der Klägerin hat in der Sache keinen
Erfolg.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Anspruch der Klägerin auf Verzinsung
ihrer Forderung sei nicht gegeben, weil sie die Beklagte nicht in Verzug
gesetzt habe, ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zinsen gemäß § 291 BGB stehen der Klägerin ebenfalls nicht zu (vgl. BGH,
Urteil vom 14. Januar 1971 - VII ZR 3/69, BGHZ 55, 198, 200).
Über die Kosten des Rechtsstreits wird das Berufungsgericht nach
Zurückverweisung der Sache von Amts wegen zu befinden haben.
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