Internationales
Sachenrecht: Eigentumserwerb beim Versendungsverkauf; anwendbares Recht
BGH, Urteil vom 10. Juni
2009 - VIII ZR 108/07
Fundstelle:
NJW 2009, 2824
s. auch BGHZ 100, 321
Amtl. Leitsatz:
Bei einem grenzüberschreitenden
Versendungskauf in das Ausland erfolgt die für einen Eigentumsübergang nach
deutschem Recht erforderliche Besitzverschaffung am Kaufgegenstand in aller
Regel erst mit dessen Ablieferung am Bestimmungsort. Wird der nach deutschem
Recht im Inland eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht
mehr vollendet, beurteilt sich die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt das
Eigentum am Kaufgegenstand übergeht, gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach dem
dann für das Recht des Lageortes zuständigen ausländischen Sachrecht. Das
gilt auch für die Voraussetzungen, unter denen Eigentumserwerb vom
Nichtberechtigten kraft guten Glaubens möglich ist.
Tatbestand:
1 Die Beklagte, eine deutsche Opel-Vertragshändlerin, verkaufte im Herbst
2004 einen Pkw Opel Astra Coupe an eine unter der Firma DBD J. tätige
deutsche Zwischenhändlerin (im Folgenden: DBD). Sowohl die
Auftragsbestätigung der Beklagten als auch ihre Rechnung vom 31. Januar 2005
sahen einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Zahlung des
Kaufpreises vor. Außerdem war in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Beklagten, die diesem Verkauf zugrunde gelegen haben, vorgesehen, dass
es dem Käufer für die Dauer des Eigentumsvorbehalts untersagt war, über das
Fahrzeug zu verfügen oder Dritten vertraglich eine Nutzung einzuräumen. Die
DBD verkaufte das Fahrzeug ihrerseits an die in Frankreich ansässige
Klägerin weiter und ließ es am 3. Februar 2005 durch einen Frachtführer bei
der Beklagten abholen, der es nach Frankreich zur Klägerin transportierte.
Kfz-Brief, Kfz-Schein und EG-Übereinstimmungsbescheinigung verblieben bei
der Beklagten. Die Klägerin zahlte den Kaufpreis für das ihr gelieferte
Fahrzeug an die DBD und verkaufte es ihrerseits in Frankreich weiter. Als
ihr Abnehmer eine vereinbarte Zusatzausstattung vermisste, kam er mit der
Klägerin überein, das Fahrzeug zwecks Einbaus der fehlenden
Tuning-Komponenten noch einmal zur Beklagten zu verbringen. Diese nahm
das Fahrzeug in Besitz und verweigerte eine Herausgabe unter Hinweis auf den
mit der DBD vereinbarten Eigentumsvorbehalt, weil die DBD ihr den
geschuldeten Kaufpreis nicht bezahlt habe.
2 Die Klägerin hat geltend gemacht, von einem Eigentumsvorbehalt keine
Kenntnis gehabt zu haben, und zunächst die Herausgabe von Fahrzeug und
Kfz-Brief verlangt. Hierbei hat sie sich auch auf eine Erklärung ihres
französischen Abnehmers gestützt, er trete seinen Herausgabeanspruch als
Eigentümer zum Zwecke der gerichtlichen Durchsetzung an sie ab. Das
Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat, nachdem
die Klägerin wegen einer zwischenzeitlich von der Beklagten vorgenommenen
Weiterveräußerung des Fahrzeugs an einen Dritten ihre Klage auf Zahlung von
Schadensersatz umgestellt hatte, die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass die Beklagte auf den entsprechend geänderten Antrag der
Klägerin zur Zahlung von 21.844 € nebst Zinsen verurteilt wird. Hiergegen
wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
5 Der Klägerin stehe gemäß §§ 985, 989 BGB ein Anspruch auf Wertersatz für
das von der Beklagten weiterveräußerte Fahrzeug zu. Zwar komme entgegen der
Auffassung des Landgerichts kein gutgläubiger Eigentumserwerb der Klägerin
gemäß § 932 BGB in Betracht, weil diese aus der Nichtvorlage des Kfz-Briefs
durch die DBD nach den ihr bekannten geschäftlichen Gepflogenheiten habe
schließen müssen, dass die DBD noch nicht Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen
sei. Jedoch habe die Beweisaufnahme ergeben, dass ein Mitarbeiter der
Beklagten das Fahrzeug an den Frachtführer übergeben und damit konkludent in
die Weiterveräußerung des Fahrzeugs durch die DBD eingewilligt habe. Dies
folge aus dem für den Transport des Fahrzeugs nach Frankreich ausgestellten
Frachtbrief, der als Absender die DBD und als Empfängerin die Klägerin
ausweise und dem deshalb zu entnehmen gewesen sei, dass die DBD das Fahrzeug
an die Klägerin zum Zwecke der Weiterveräußerung habe versenden wollen. Wenn
die Beklagte nach dem Ergebnis des erhobenen Zeugenbeweises durch Übergabe
von Fahrzeug, Schlüsseln und fertig ausgefülltem Frachtbrief an diesem
Veräußerungsvorgang mitgewirkt habe, habe sie in zurechenbarer Weise
konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der Weiterveräußerung
einverstanden gewesen sei. Da die Klägerin darauf habe vertrauen dürfen,
dass die Beklagte jedenfalls im konkreten Fall in die Weiterveräußerung des
Fahrzeugs durch die DBD eingewilligt habe, habe sie gutgläubig im Sinne von
§ 366 Abs. 2 HGB das Eigentum an dem Fahrzeug erlangt. Die Beklagte schulde
ihr deshalb aufgrund der anschließenden Veräußerung des Fahrzeugs nach
Rechtshängigkeit den durch Umstellung des Klageantrags in zulässiger Weise
begehrten Wertersatz.
II.
6 Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Klägerin gutgläubig das
Eigentum am herausverlangten Fahrzeug erworben hat, rechtsfehlerhaft am
Maßstab des deutschen Rechts (§ 932 BGB, § 366 HGB) beurteilt. Es hat dabei
- genauso wie die Parteien - Art. 43 EGBGB übersehen, dessen Anwendbarkeit
entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Disposition der Parteien
steht und der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (BGHZ
177, 237, Tz. 8; 136, 380, 386, jeweils m.w.N.). Art. 43 EGBGB führt hier
dazu, dass ein Eigentumserwerb der Klägerin nach Maßgabe der Bestimmungen
des französischen Rechts zu klären gewesen wäre. Gleiches gilt für
einen anschließenden Eigentumserwerb des französischen Abnehmers der
Klägerin, den das Berufungsgericht - nach seinem Standpunkt folgerichtig -
nicht mehr geprüft hat.
7 1. Das Berufungsgericht hat den erkannten Schadensersatzanspruch auf §§
985, 989 BGB und damit auf deutsches Sachrecht gestützt. Dies begegnet
keinen rechtlichen Bedenken. Zwar handelt es sich sowohl bei der Ausfuhr des
streitigen Fahrzeugs nach Frankreich wie auch bei seiner erneuten Einfuhr
zum Zwecke der Nachbesserung um grenzüberschreitende Sachverhalte, die die
deutsche wie die französische Sachenrechtsordnung berühren. Jedoch
unterliegen die auf Eigentum gestützten Herausgabeansprüche des
(vermeintlichen) Eigentümers ebenso wie die aus dem
Eigentümer-Besitzer-Verhältnis kommenden Folgeansprüche wegen Unmöglichkeit
einer Herausgabe dem in Art. 43 Abs. 1 EGBGB geregelten Sachstatut und damit
dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet (BGH, Urteil vom
25. September 1997 - II ZR 113/96, NJW 1998, 1321, unter II 1 a;
MünchKommBGB/Wendehorst, 4. Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 96, 100;
Bamberger/Roth/Spickhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 8, jeweils
m.w.N.). Das ist hier das deutsche Recht als das Recht des Ortes, an dem
sich das herauszugebende Fahrzeug bei der anderweitigen Veräußerung durch
die Beklagte befunden hat.
8 2. Ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch begründet ist, hängt
davon ab, ob die Klägerin selbst oder ihr französischer Abnehmer im
Zeitpunkt der Weiterveräußerung Eigentümer des Fahrzeugs war und dieses
Eigentum durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs verloren hat.
9 a) Ob die Klägerin das Eigentum am Fahrzeug von der DBD erworben hat,
ist indessen nicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Denn ein solcher
Erwerb hätte nach deutschem Recht nicht im Inland stattgefunden, weil die
DBD der Klägerin vor Grenzübertritt weder den Besitz noch eine zum
Eigentumserwerb erforderliche besitzgleiche Position am Fahrzeug im Sinne
von §§ 929 ff. BGB eingeräumt hat. Der zwischen der DBD und der Klägerin
geschlossene Kaufvertrag ist vielmehr in der Weise ausgeführt worden,
dass der Klägerin das Fahrzeug erst an deren Sitz in Frankreich durch den
von der DBD eingesetzten Frachtführer ausgehändigt worden ist. Da die für
einen Eigentumsübergang nach deutschem Sachenrecht erforderliche
Besitzverschaffung bei einem Versendungskauf in aller Regel erst mit
Ablieferung der Sache am Bestimmungsort erfolgt (Palandt/Weidenkaff,
BGB, 68. Aufl., § 447 Rdnr. 14) und kein Anhalt besteht, dass es sich
vorliegend anders verhalten hat, ist nach deutschem Recht der im Inland
eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht mehr vollendet
worden. Ob und zu welchem Zeitpunkt anschließend das Eigentum am Fahrzeug
auf die Klägerin übergegangen ist, beurteilt sich deshalb gemäß Art. 43 Abs.
1 EGBGB nach französischem Recht als dem für das Recht des Lageortes
zuständigen Sachrecht (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1980 - VIII ZR
197/78, WM 1980, 410, unter II 2; RGZ 103, 30, 31; KG, NJW 1988, 341 f.;
Palandt/Thorn, aaO, Art. 43 EGBGB (IPR) Rdnr. 7; Er-man/Hohloch, BGB, 12.
Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 23 m.w.N.). Dieses knüpft ebenfalls an das
Recht des Lageortes an (Hübner/Constantinesco, Einführung in das
französische Recht, 4. Aufl., § 30, 2 b bb) und nimmt so die Verweisung
auf.
10 b) Den Statutenwechsel in das französische Sachrecht, wie er auch in Art.
43 Abs. 2 EGBGB zum Ausdruck kommt, hat das Berufungsgericht nicht
berücksichtigt und dementsprechend nicht den Inhalt derjenigen Rechtsnormen
gemäß § 293 ZPO ermittelt, nach denen im französischen Recht ein
Eigentumserwerb erfolgt. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht beachtet,
dass das Sachstatut des Lageortes die Möglichkeiten und Voraussetzungen für
einen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens bestimmt
(BGHZ 100, 321, 324; BGH, Urteil vom 29.
Mai 2000 - II ZR 334/98, NJW-RR 2000, 1583, unter II 1, III 2; Erman/Hohloch,
aaO, Art. 43 EGBGB Rdnr. 12; Staudinger/Stoll, BGB (1996), IntSachenR Rdnr.
300; MünchKommBGB/Wendehorst, aaO, Art. 43 Rdnr. 80; Palandt/Thorn, aaO,
Art. 43 EGBGB (IPR) Rdnr. 3, jeweils m.w.N.). Es hat deshalb bei seiner
Beurteilung außer Betracht gelassen, dass sich ungeachtet des für den
Kaufvertrag maßgeblichen Vertragsstatuts ein im Inland noch nicht
vollendeter Eigentumserwerb mit Grenzübertritt nach Frankreich nach Maßgabe
des französischen Rechts vollzieht, das in diesem Fall auch Art und Umfang
des Schutzes eines gutgläubigen Besitzers bei einem Erwerb vom
Nichtberechtigten regelt (Sonnenberger/Dammann, Französisches Handels-
und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Rdnr. IX 41 m.w.N.).
11 c) Das Berufungsgericht hätte sich mithin zur Bejahung eines
gutgläubigen Eigentumserwerbs durch die Klägerin nicht auf die §§ 929 ff.
BGB und hierbei insbesondere auch nicht auf § 366 HGB stützen dürfen. Diese
Bestimmung enthält sachlich eine Erweiterung des in den §§ 932 ff. BGB
geregelten Verkehrsschutzes und bestimmt damit zugleich die Voraussetzungen
eines Eigentumsübergangs in Fällen, in denen nach dem Willen des
Gesetzgebers die bürgerlich-rechtlichen Gutglaubensvorschriften wegen der
bestehenden Bedürfnisse des Handelsverkehrs nach einer gewissen
Reibungslosigkeit der Geschäftsabwicklung bereits bei einem guten Glauben an
die Verfügungsbefugnis des Veräußerers zur Anwendung kommen sollen (vgl.
MünchKommHGB/ Welter, 2. Aufl., § 366 Rdnr. 22 f.; Ensthaler/Weber, GK-HGB,
7. Aufl., § 366 Rdnr. 1). Die Vorschrift hätte daher nur angewandt werden
dürfen, wenn Art. 43 Abs. 1 EGBGB zu einer - hier aber nicht gegebenen -
Anwendbarkeit inländischen Rechts geführt hätte.
12 Einen Übergang des Eigentums am Fahrzeug auf die Klägerin hätte das
Berufungsgericht daher am Maßstab des französischen Rechts beurteilen
müssen. Dazu bedarf es gemäß § 293 ZPO weiterer tatrichterlicher
Ermittlungen zur französischen Rechtspraxis, wie sie insbesondere in der
Rechtsprechung der französischen Gerichte ihren Ausdruck gefunden hat (vgl.
BGH, Urteile vom 30. Januar 2001 - XI ZR 357/99, WM 2001, 502, unter II 2 b
aa; vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, unter II 2 a).
Dasselbe gilt für die Frage, ob zumindest der französische Abnehmer der
Klägerin von dieser (gutgläubig) das Eigentum an dem Fahrzeug erlangt hat.
III.
13 Das Berufungsurteil kann hiernach keinen Bestand haben; es ist deshalb
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur
Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht das anzuwendende
französische Recht bislang nicht ermittelt und nicht geprüft hat, ob es
dafür etwa weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Der Rechtsstreit
ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). |