Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB am Beispiel des
Aufwendungsersatzanspruchs des Mieters bei Selbstbeseitigung nach § 536a II
BGB
BGH, Urteil vom 21. April
2010 - VIII ZR 131/09
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Der Mieter hat keinen Anspruch auf
Kostenvorschuss für Maßnahmen, die zur nachhaltigen Mangelbeseitigung
ungeeignet sind.
b) Zum Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs des Mieters wegen
Überschreitens der "Opfergrenze" für den Vermieter (Fortführung von
BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 - VIII ZR 342/03,
NJW 2005, 3284).
Zentrale Probleme:
Es geht im Anschluß an BGH
NJW 2005, 3284 (s. die dortige Anm.) um das
Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB. Dem vorgelagert geht es um
einen Aufwendungsersatzanspruch des Mieters nach § 536a II BGB. Dieser kann,
wenn der Vermieter Mängel nicht beseitigt, diese selbst beseitigen und
Aufwendungsersatz verlangen. Das beinhaltet - obwohl im Gesetz nicht
ausdrücklich geregelt - auch einen Anspruch auf Vorschuß. Dieser kann aber
nur für zielführende Maßnahmen (und nicht für "Verschlimmbesserungen")
verlangt werden. Das Urteil äußert sich zur Beweislast hierfür und
beschäftigt sich sodann mit einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II
BGB. Zu § 275 II s. auch
BGH NJW 2008, 3122.
©sl 2010
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung eines
Vorschusses zur Mängelbeseitigung an einem Reihenhaus in Dresden. Sie
mietete das Haus mit Vertrag vom 2. Mai 1988 von dem VEB Gebäudewirtschaft
Dresden, dem Rechtsvorgänger der Beklagten. Das Eigentum an dem Grundstück
ging aufgrund des Einigungsvertrags im Oktober 1990 auf die Stadt Dresden
über, die eine Teilfläche Ende Juni 1991 auf die Beklagte übertrug und diese
im Übrigen mit der Verwaltung beauftragte. Die Grundmiete beträgt seit dem
1. Januar 1997 monatlich 351,87 €. Mit Schreiben vom 23. Juni 2006
verzichtete die Beklagte gegenüber der Klägerin im Zusammenhang mit der
Privatisierung des Wohnungsbestandes der Stadt Dresden im Rahmen der
"Dresdner Sozialcharta" auf das Recht zur ordentlichen Kündigung des
Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs und wegen Hinderung an einer
angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Mietobjektes.
2 Das etwa in den Jahren 1965 bis 1975 errichtete Haus weist an den Innen-
und Außenwänden erhebliche Risse auf. Damit zusammen hängen Schäden am
Schornstein und am Dach sowie an Fenstern und Türen. Die Beklagte hat seit
August 1995 Kenntnis von diesen Mängeln. Bereits seit dem Jahr 1990 bemühte
sich die Klägerin um einen Ankauf der Immobilie. Sie bot der Beklagten im
Rahmen eines von dieser durchgeführten Ausschreibungsverfahrens mit
Schreiben vom 26. Oktober 2000 an, das Objekt auf der Grundlage eines von
ihr in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens "zum gutachterlichen
Verkehrswert zuzüglich 5.000 DM, mindestens aber DM 160.000, vorbehaltlich
meiner Mieterrechte, zum halben Verkehrswert zu erwerben". Die Beklagte
lehnte das Angebot mit Schreiben vom 13. November 2000 mit der Begründung
ab, dass die Klägerin nicht zu den Höchstbietern gehöre, und gab der
Klägerin Gelegenheit, ein erneutes Gebot abzugeben. Die Klägerin blieb in
ihrem Schreiben vom 29. Januar 2001 bei ihrem Angebot. Daraufhin lehnte die
Beklagte das Kaufangebot mit Schreiben vom 13. Februar 2001 unter Hinweis
auf wesentlich höhere Angebote anderer Interessenten endgültig ab.
3 Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 7. September 2001 erstmals die
Beseitigung der Mängel. In den folgenden Jahren wiederholte sie die
Aufforderungen. Nachdem es im Jahr 2002 zu Wassereinbrüchen gekommen war,
ließ die Beklagte am 10. März 2004 das Haus von einem Sachverständigen
besichtigen und Notreparaturen am Dach durchführen; ferner wurde die Decke
im Vorraum des Hauses ausgebessert. Das von der Beklagten beauftrage
Ingenieurbüro S. brachte am 10. März 2005 Prüfplaketten an den Wänden des
Hauses an, um die Rissbildung zu verfolgen.
4 Die Klägerin legte der Beklagten mit Schreiben vom 25. September 2007 ein
Gutachten des Architekturbüros K. vom 24. August 2007 vor und drohte an,
Klage zu erheben, wenn die Beklagte nicht innerhalb von zehn Tagen
anerkenne, dass die Schäden zu beseitigen seien, und entsprechende
Vorschläge unterbreitet würden. Der Gutachter, der auftragsgemäß keine
Untersuchung der Ursache für die festgestellten Schäden durchgeführt hatte,
bezifferte die Kosten für eine Beseitigung der Risse mit Kunstharzmasse und
die Reparatur der übrigen Schäden einschließlich der erforderlichen Vor- und
Nacharbeiten auf 47.546 €, wies aber darauf hin, dass es vor Beginn dieser
Arbeiten notwendig sei, die Ursache für die protokollierten Rissbilder im
Gebäude festzustellen und nach Möglichkeit zu beseitigen.
5 Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 2. Oktober 2007, dass eine
Risssanierung ohne dauerhaften Erfolg wäre, wenn weitere
Setzungserscheinungen aufträten. Sie bat die Klägerin, derzeit von einer
Klage abzusehen, und bot ab 1. Oktober 2007 eine Mietminderung um 20 % -
monatlich 98,95 € - an, die von der Klägerin in der Folgezeit in Anspruch
genommen wurde. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2007 teilte die Beklagte
ergänzend mit, dass die Auswertung der neu gesetzten Gipsplomben bis zum 15.
Februar 2008 erfolgen werde. Sollten keine oder nur noch geringfügige
Setzungserscheinungen vorhanden sein, werde die Sanierung umgehend in
Auftrag gegeben; werde jedoch ein Fortschreiten der Rissbildung
festgestellt, sei eine Risssanierung nicht erfolgversprechend. In diesem
Fall werde bis zum 28. Februar 2008 ein Gutachten über die Ursachen in
Auftrag gegeben. Erst wenn dieses Ergebnis vorliege, könnten Art und Umfang
der notwendigen Arbeiten eingeschätzt werden.
6 Nachdem die Beklagte mit Schreiben der Klägerin vom 14. April 2008
vergeblich aufgefordert worden war, das Ergebnis der Auswertung mitzuteilen,
hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 47.576 € erhoben, um mit diesem
Betrag die in dem Gutachten des Architekturbüros K. vorgesehenen Arbeiten
durchführen zu lassen; außerdem begehrt sie die Erstattung
außergerichtlicher Anwaltskosten. Die Klägerin hat behauptet, dass sich die
Mängel des Hauses durch die im Gutachten K. aufgeführten Maßnahmen
beseitigen ließen, weil die Rissbildung abgeschlossen sei.
7 Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, dass eine dauerhafte Beseitigung
der Risse wie auch der weiteren Mängel mit einem Sanierungsaufwand von
47.576 € nicht möglich sei; ohne die Ursachen der Rissbildungen zu kennen
und von Grund auf zu beseitigen, sei das im Gutachten K. beschriebene
Verschließen der Risse mit einer Kunstharzmasse zwecklos. Die Beklagte
bezieht sich insoweit auf das Gutachten des Ingenieurbüros S. vom 2. Mai
2007, demzufolge die Risse weiterhin in Bewegung sind. In dem Gutachten
werden Mängel in der Standfestigkeit des Baugrundes als vorrangige Ursache
für die Risse gesehen. In geringerem Maß kämen thermische Spannungen infolge
unzureichender Wärmedämmung an Dach und Wand sowie Konstruktionsmängel des
Gebäudes als Ursachen hinzu. Um Klarheit hinsichtlich der Art und des
Umfanges der Sanierung des Gebäudes zu erhalten, seien umfangreiche
Baugrunduntersuchungen sowie Untersuchungen der Dachkonstruktion und des
Ringankers sowie des Wärmedämmverhaltens des Gebäudes unbedingt notwendig.
Die Standsicherheit des Gebäudes sei gegenwärtig gegeben; für den
Gesamtzustand des Gebäudes sei es aber unbedingt notwendig, die Sanierung
möglichst bald zu beginnen. Das Gutachten schließt mit der Feststellung,
dass zur Behebung der Rissursachen mit großer Sicherheit Sanierungsmaßnahmen
im Baugrund erforderlich sein würden. In welcher Art und welchem Umfang
diese Maßnahmen notwendig seien, könne erst nach den entsprechenden
Untersuchungen festgestellt werden. Die notwendige Tiefe und Stärke von
Unterfangungen könne nur in Abhängigkeit von der Lage der tragenden
Bodenschicht festgelegt werden. Die Schätzung der Gesamtkosten für die
Risssanierung könne ohne die Erkenntnisse aus dem Baugrund und die weiteren
Untersuchungen am Bauwerk nicht festgestellt werden. Auf der Grundlage
dieser Ausführungen schätzt die Beklagte die möglichen Sanierungskosten auf
mindestens das Doppelte des von der Klägerin geltend gemachten Betrages, im
ungünstigsten Fall auf etwa 170.000 €; den Verkehrswert des Hausgrundstücks
gibt sie mit 28.000 € an.
8 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin
hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Die Beklagte begehrt mit ihrer
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des Urteils
des Amtsgerichts und beantragt, die Klägerin zur Rückzahlung des zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Betrages von 53.442,90 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 47.576 € seit
dem 11. Juni 2009 zu verurteilen.
Entscheidungsgründe:
9 Die Revision hat Erfolg.
I.
10 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
11 Die Klägerin habe gemäß § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB Anspruch auf Zahlung
eines zweckgebundenen Vorschusses in Höhe der zu erwartenden
Mängelbeseitigungskosten. Die Mietsache sei seit 1995 mit mehreren
gravierenden Mängeln behaftet, die der Beklagten spätestens seit 1995
bekannt seien. Die Beklagte habe die Mängelbeseitigung endgültig abgelehnt,
weshalb sie sich mit der Mangelbeseitigung in Verzug befinde. Ein Fall der
objektiven Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) liege nicht vor. Auch die
Beklagte bestreite nicht die Möglichkeit der Mangelbeseitigung, sondern
wende die Unwirtschaftlichkeit der Sanierung ein. Diesen Fall der
behaupteten Überschreitung der "Opfergrenze" fasse die Rechtsprechung unter
§ 275 Abs. 2 BGB. Im vorliegenden Fall sei die Opfergrenze nicht
überschritten. Dabei könnten die Angaben der Beklagten zu den
Sanierungskosten und zum Verkehrswert des Grundstücks als wahr unterstellt
werden. Auch bei einem groben Missverhältnis von Sanierungskosten und
Verkehrswert verstoße es in mehrfacher Hinsicht gegen Treu und Glauben (§
242 BGB), wenn sich die Beklagte nunmehr auf eine Opfergrenze berufe.
12 Zum einen habe es die Beklagte zu einem Reparaturstau kommen lassen. Ihr
seien die Mängel seit 1995 bekannt gewesen, ohne dass sie, von einer
Notreparatur abgesehen, Reparaturmaßnahmen durchgeführt hätte. Zum anderen
habe die Beklagte durch Kaufvertragsverhandlungen mit der Klägerin einen
Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen die Klägerin einen Anspruch
auf Mangelbeseitigung in Erwartung ihres Erwerbs aus nachvollziehbaren
Gründen nicht forciert habe. Auch mit der Beauftragung des Gutachters, der
die Rissbildungen über Jahre beobachtet habe und mit dem Schreiben vom 8.
Oktober 2007, in dem eine Beseitigung der Mängel dem Grunde nach zugesagt
worden sei, habe die Beklagte Umstände geschaffen, die die Klägerin davon
abgehalten hätten, Mangelbeseitigungsmaßnahmen zu verlangen. Zum dritten
verhalte sich die Beklagte auch deshalb treuwidrig, weil sie der Klägerin
umfassenden Kündigungsschutz gewährt habe. Das Unterlassen von
Mangelbeseitigungsmaßnahmen lasse diesen Kündigungsschutz leerlaufen, weil
die Klägerin wegen der Mangelhaftigkeit und der zu erwartenden weiteren
Verschlechterung der Mietsache faktisch zum Auszug gedrängt sei. Schließlich
halte die Kammer das Berufen auf ein grobes Missverhältnis von
Sanierungskosten und Verkehrswert auch deshalb für treuwidrig, weil die
Klägerin der Beklagten ein Kaufangebot unterbreitet gehabt habe, dessen
Kaufpreis den beklagtenseits behaupteten Verkehrswert deutlich überschreite.
13 Die von der Klägerin auf der Grundlage des von ihr vorprozessual
eingeholten Sachverständigengutachtens ermittelten voraussichtlichen
Mangelbeseitigungskosten seien der Höhe nach von der Beklagten nicht in
Abrede gestellt; diese behaupte vielmehr einen sogar darüber hinausgehenden
Kostenaufwand. Ein bestimmtes Vorgehen zur Mangelbeseitigung könne die
Beklagte der Klägerin nicht vorgeben, nachdem sie selbst eine
Mangelbeseitigung ausdrücklich abgelehnt habe. Darüber hinaus habe die
Klägerin Anspruch auf Ersatz der aus dem Streitwert entstandenen
außergerichtlichen Anwaltskosten.
II.
14 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Klägerin
kann der geltend gemachte Anspruch aus § 536a Abs. 2 BGB auf Zahlung eines
Vorschusses in Höhe von 47.556 € zur Durchführung der in dem Gutachten des
Architekturbüros K. beschriebenen Arbeiten nicht mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung zuerkannt werden. Damit entfällt auch
der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ersatz vorprozessualer
Rechtsanwaltskosten.
15 Gemäß § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Mieter den Mangel der Mietsache
selbst beseitigen (lassen) und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen
verlangen, wenn der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug ist.
Zu diesem Zweck kann der Mieter vom Vermieter die Zahlung eines Vorschusses
in Höhe der voraussichtlich erforderlichen Beseitigungskosten verlangen
(Senatsurteil vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 271/07, NJW 2008, 2432, Tz. 8; BGHZ
56, 136, 141). Diese Tatbestandsvoraussetzungen für den von der Klägerin
geltend gemachten Vorschussanspruch liegen nach dem revisionsrechtlich
zugrunde zu legenden Sachverhalt nicht vor.
16 1. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass es sich bei den
Rissen an den Innen- und Außenwänden des Hauses und den damit
zusammenhängenden weiteren Schäden am Schornstein und am Dach um gravierende
Mängel der Mietsache im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB handelt. Dies ist
zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
17 2. Das Berufungsgericht hat aber verkannt, dass die Voraussetzungen
des § 536a Abs. 2 BGB für den von der Klägerin geltend gemachten
Vorschussanspruch gegenwärtig nicht erfüllt sind, weil die Reparaturen,
welche die Klägerin gemäß dem Gutachten des von ihr beauftragten
Architekturbüros K. durchführen lassen will, nach dem revisionsrechtlich
zugrunde zu legenden Vorbringen der Beklagten zwecklos sind, solange nicht
die Ursachen der Rissbildung erforscht und beseitigt worden sind. Zwecklose
Maßnahmen sind ungeeignet und damit nicht erforderlich im Sinne des § 536a
Abs. 2 BGB. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Opfergrenze
(§ 275 Abs. 2 BGB) kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Ebenso kann
dahingestellt bleiben, ob sich die Beklagte mit der Mangelbeseitigung in
Verzug befindet; auch wenn dies der Fall ist, hat die Klägerin keinen
Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für ungeeignete Maßnahmen zur
Mangelbeseitigung.
18 a) Verlangt der Mieter gemäß § 536a Abs. 2 BGB Kostenvorschuss für
Maßnahmen, mit denen er die Mängel selbst beseitigen lassen will, so besteht
ein solcher Anspruch nur dann, wenn die als Vorschuss verlangten
Beseitigungskosten zur Mangelbeseitigung erforderlich sind (Senatsurteil
vom 28. Mai 2008, aaO). Die Ersatzpflicht des Vermieters beschränkt sich
danach auf die Aufwendungen, die der Mieter bei Anwendung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt für angemessen halten darf; darunter fallen
lediglich solche Kosten, die nach vernünftiger wirtschaftlicher
Betrachtungsweise nötig und zweckmäßig sind (Staudinger/Emmerich, BGB
(2006), § 536a Rdnr. 32; vgl. zum Werkvertragsrecht: BGH, Urteile vom 29.
September 1988 - VII ZR 182/87, NJW-RR 1989, 86, unter II 3 c; vom 31.
Januar 1991 - VII ZR 63/90, NJW-RR 1991, 789, unter II 2). Erforderlich
in diesem Sinn können Beseitigungskosten nur sein, wenn die Maßnahmen, die
der Mieter mit dem verlangten Vorschuss durchzuführen beabsichtigt,
voraussichtlich zur Mangelbeseitigung geeignet sind. Davon kann nach dem
revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt im vorliegenden Fall
nicht ausgegangen werden.
19 Die Revision rügt insoweit mit Recht, dass das Berufungsgericht den
Vortrag der Beklagten übergangen hat, wonach die Rissbildung noch nicht
abgeschlossen sei und aus diesem Grund das in dem von der Klägerin in
Auftrag gegebenen Gutachten K. als Sanierungsmaßnahme vorgesehene
Verschließen der Risse mit Kunstharzmasse jedenfalls derzeit zwecklos sei.
Dies wird auch in dem Gutachten K. selbst angedeutet, wenn es dort
einschränkend heißt, dass auftragsgemäß keine Untersuchung der Ursache für
die festgestellten Schäden durchgeführt worden sei und es vor Beginn der
nachfolgend beschriebenen Arbeiten notwendig sei, die Ursache für die
protokollierten Rissbilder im Gebäude festzustellen und nach Möglichkeit zu
beseitigen. Übereinstimmend damit wird in dem von der Beklagten eingeholten
Gutachten des Ingenieurbüros S. vom 2. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass
vorab Untersuchungen zu den Rissursachen unbedingt notwendig seien, um
Klarheit insbesondere hinsichtlich der Art und des Umfangs der Sanierung des
Gebäudes zu erhalten; zur Behebung der Rissursache seien mit großer
Sicherheit Sanierungsmaßnahmen im Baugrund erforderlich. Aus beiden
Gutachten ergibt sich somit, dass es mit dem im Gutachten K. beschriebenen
Verschließen der Risse mit Kunstharzmasse nicht getan ist, wenn die
Rissbildung, wie die Beklagte behauptet, noch nicht abgeschlossen ist. Daher
müssen zunächst die Ursachen der Rissbildung geklärt und - wenn möglich -
beseitigt werden. Erst dann kann eine Sanierung gemäß dem Gutachten K. in
Angriff genommen werden. Ohne vorherige Klärung der Frage, ob die
Rissbildung noch fortschreitet und worauf dies gegebenenfalls beruht, sind
die im Gutachten K. vorgesehenen Maßnahmen zur nachhaltigen
Mangelbeseitigung nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand ungeeignet, weil
mit ihnen der zweite Schritt vor dem ersten getan würde. Auch eine
Teilsanierung - etwa die Beseitigung der rissebedingten Feuchtigkeitsschäden
an Fenstern und Türen - ist nicht sachgerecht, solange nicht geklärt ist,
worin die Ursache der Risse liegt und ob und mit welchem Aufwand sie
beseitigt werden kann. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines
Vorschusses zur Durchführung der im Gutachten K. vorgesehenen Arbeiten kann
danach vor einer Klärung der vorgenannten Fragen nicht bejaht werden. Da
somit bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch aus § 536a
Abs. 2 BGB hinsichtlich der Erforderlichkeit der Mangelbeseitigungskosten
derzeit nicht erfüllt sind, kommt es nicht darauf an, ob der Einwand der
Unzumutbarkeit der Mangelbeseitigung (§ 275 Abs. 2 BGB) durchgreift.
20 b) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen Vorschuss zur
Erforschung und gegebenenfalls Beseitigung der Ursachen für die Rissbildung
verlangen könnte. Denn einen solchen Anspruch macht die Klägerin nicht
geltend. Sie hat die Auffassung vertreten, dass es nicht ihre Aufgabe sei,
die Ursache der Rissbildung begutachten zu lassen; das sei Sache der
Beklagten. Dies trifft zwar für den Fall zu, in dem der Mieter vom
Vermieter Mangelbeseitigung verlangt. Anders ist es dagegen, wenn der Mieter
- wie hier - die Mangelbeseitigung selbst durchführen lassen will. Da der
Mieter nur Anspruch auf Vorschuss für solche Maßnahmen hat, die zu einer
nachhaltigen Mangelbeseitigung geeignet sind, muss er die Mangelursache
selbst feststellen lassen, wenn die Eignung der von ihm beabsichtigten
Maßnahmen von der Ursache des Mangels abhängt. Ist der Mieter dazu nicht
bereit oder nicht in der Lage, so hat er keinen Anspruch auf Kostenvorschuss
für Maßnahmen, deren Eignung zweifelhaft ist.
21 3. Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung des Berufungsgerichts,
dass es der Beklagten trotz einem - vom Berufungsgericht unterstellten
-"rechnerisch krassen" Missverhältnis zwischen den Sanierungskosten und dem
Verkehrswert des Mietobjekts nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sei,
sich gemäß § 275 Abs. 2 BGB darauf zu berufen, dass die Sanierung wegen
unverhältnismäßig hoher Kosten für sie unzumutbar sei.
22 a) Der Senat hat entschieden, dass die Verpflichtung des Vermieters
zur Beseitigung eines Mangels dort endet, wo der dazu erforderliche Aufwand
die "Opfergrenze" überschreitet. Wann diese Zumutbarkeitsgrenze
überschritten ist, muss von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der
beiderseitigen Parteiinteressen wertend ermittelt werden. Doch darf kein
krasses Missverhältnis entstehen zwischen dem Reparaturaufwand
einerseits und dem Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie dem Wert des
Mietobjekts und den aus ihm zu ziehenden Einnahmen andererseits (Senatsurteil
vom 20. Juli 2005 - VIII ZR 342/03, NJW 2005, 3284,
unter II 2, m.w.N.; so bereits OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 849, 850; vgl.
auch OLG Hamburg, NZM 2002, 343, 344; LG Dresden, NZM 2008,165).
23 Danach lässt sich eine Überschreitung der "Opfergrenze" nicht aus einer
bloßen Gegenüberstellung zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert
herleiten; erforderlich ist eine Würdigung aller Umstände. Bei der
Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch ein
etwaiges Verschulden des Schuldners zu berücksichtigen (§ 275 Abs. 2 Satz 2
BGB); dies war bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung in der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt (BGH, Urteil vom 2. Oktober
1987 - V ZR 140/86, NJW 1988, 699, unter III 2 b; vgl. auch OLG Hamburg, aaO).
24 Es besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen der Frage, wie sich etwa die
Sanierungskosten und der Verkehrswert "rechnerisch" zueinander verhalten,
und der Frage, ob dem Vermieter die Beseitigung des Mangels unter
Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen und eines etwaigen
Verschuldens zugemutet werden kann. Je ungünstiger sich das Verhältnis
zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert darstellt, desto gewichtiger
müssen die entgegenstehenden Umstände sein, die es dem Vermieter trotz
bestehendem Missverhältnis zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert
verwehren sollen, sich auf den Einwand der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit
(§ 275 Abs. 2 BGB) zu berufen. Ein auffälliges Missverhältnis indiziert eine
Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze. Im Extremfall kann dieses Indiz so
stark sein, dass schwer vorstellbar erscheint, welche weiteren Umstände zu
einer anderen Abwägung sollten führen können. Das ist gemeint mit der vom
Senat aufgegriffenen Formulierung, es dürfe kein "krasses Missverhältnis"
entstehen (Urteil vom
20. Juli 2005, aaO, im Anschluss an OLG Karlsruhe,
aaO; vgl. auch OLG Hamburg, aaO). Mit diesem Hinweis sollte aber, wie
sich bereits aus dem Zusammenhang des Senatsurteils ergibt, nicht zum
Ausdruck gebracht werden, dass es nur auf das rechnerische Verhältnis
zwischen Sanierungskosten und Verkehrswert ankomme und weitere Umstände -
etwa ein bereits nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zu berücksichtigendes
Verschulden - von vornherein nicht maßgeblich wären.
25 b) Von diesen Grundsätzen geht auch das Berufungsgericht aus. Es
unterstellt das Vorbringen der Beklagten als wahr, dass einem aktuellen
Verkehrswert des Hausgrundstücks von 28.000 € Sanierungskosten mindestens in
der doppelten Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Vorschusses, das
heißt in Höhe von etwa 95.000 €, ungünstigstenfalls sogar in Höhe von etwa
170.000 € gegenüber stünden, und verkennt nicht, dass damit - jedenfalls
"rechnerisch" - ein "grobes" oder "krasses" Missverhältnis zwischen dem
behaupteten Verkehrswert und der behaupteten Höhe der Sanierungskosten
besteht. Das Berufungsgericht meint jedoch, dass auch bei einem solchen
Missverhältnis die "Opfergrenze" im vorliegenden Fall nicht erreicht sei,
weil die Beklagte sich auf das - zu unterstellende - Missverhältnis nach
Treu und Glauben nicht berufen könne. Dies hält revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Die Revision rügt mit Recht, dass die
Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht die Annahme
rechtfertigen, dass sich die Beklagte nach Treu und Glauben auch dann nicht
auf den Einwand der Unzumutbarkeit der Mangelbeseitigung (§ 275 Abs. 2 BGB)
berufen kann, wenn ihre Angaben zur voraussichtlichen Höhe der
Sanierungskosten und zum Verkehrswert der Immobilie zutreffen sollten.
26 Zwar obliegt die Beurteilung, ob dem Vermieter die Mangelbeseitigung
unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlich unzumutbar ist, dem
Tatrichter (vgl. Senatsurteil vom 9. Januar 2008 - VIII ZR 210/06, NJW 2008,
1371, Tz. 15, zur Mangelbeseitigung beim Kauf). Die tatrichterliche
Würdigung kann aber vom Revisionsgericht daraufhin überprüft werden, ob ein
Rechtsfehler der Art vorliegt, dass der Tatrichter die maßgeblichen
Tatsachen nicht vollständig festgestellt und gewürdigt oder die allgemein
anerkannten Maßstäbe nicht berücksichtigt oder nicht richtig angewandt hat
(vgl. Senaturteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781, Tz.
19, m.w.N.). Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor.
27 aa) Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne sich auf den Einwand
aus § 275 Abs. 2 BGB schon deshalb nicht berufen, weil sie es zu einem
"Reparaturstau" habe kommen lassen und deshalb die Höhe der Sanierungskosten
zu vertreten habe (vgl. dazu Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 9.
Aufl., § 536 BGB Rdnr. 504). Dieser Vorwurf ist nach dem revisionsrechtlich
zugrunde zu legenden Sachverhalt nicht gerechtfertigt.
28 Die Revision rügt mit Recht, dass es bereits an Feststellungen des
Berufungsgerichts dazu fehlt, dass der Sanierungsaufwand und die damit
verbundenen Kosten zu einem früheren Zeitpunkt wesentlich niedriger gewesen
wären. Davon ist auch nicht ohne Weiteres auszugehen, wenn die vom
Berufungsgericht unterstellte Behauptung der Beklagten zutrifft, dass die
Risse, wie in dem Gutachten S. ausgeführt, weiterhin in Bewegung sind und
die wesentliche Ursache dafür in der mangelnden Tragfähigkeit des Baugrundes
und in Konstruktionsmängeln des Gebäudes zu suchen ist. Denn dann bestanden
die für die Rissbildung verantwortlichen Mängel, deren Beseitigung nur mit
hohen Kosten möglich ist, schon seit der Errichtung des Gebäudes; sie sind
nicht erst dadurch entstanden, dass die Beklagte auf das
Beseitigungsverlangen der Klägerin nur zögerlich eingegangen ist.
29 bb) Auch verhält sich die Beklagte nicht deshalb treuwidrig, weil sie,
wie das Berufungsgericht meint, durch die von ihr in Auftrag gegebene
Begutachtung einen Vertrauenstatbestand geschaffen und der Klägerin im
Schreiben vom 8. Oktober 2007 eine Sanierung "dem Grunde nach" zugesagt
hätte, wodurch die Klägerin davon abgehalten worden sei, Mangelbeseitigung
zu verlangen. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil eine solche
Zusage dem Schreiben vom 8. Oktober 2007 nicht zu entnehmen ist; vielmehr
heißt es dort, dass eine Risssanierung bei einem Fortschreiten der
Rissbildung nicht erfolgversprechend sei und erst aufgrund des Ergebnisses
einer dann erforderlichen Ursachenforschung Art und Umfang der notwendigen
Arbeiten eingeschätzt und weitere Aussagen dazu getroffen werden könnten.
Davon abgesehen ist die Klägerin weder durch die Begutachtung noch durch das
Schreiben davon abgehalten worden, Mangelbeseitigung zu verlangen. Bereits
seit dem Jahr 2001 verlangte die Klägerin Mangelbeseitigung. Dieses
Verlangen führte gerade dazu, dass die Beklagte das Gutachten S. in Auftrag
gab.
30 cc) Ebenso wenig lässt sich ein dem Einwand aus § 275 Abs. 2 BGB
entgegenstehender Verstoß der Klägerin gegen Treu und Glauben daraus
herleiten, dass sich die Klägerin bis zum Jahr 2001 erfolglos um einen
Ankauf des Hauses bemüht hat. Das Berufungsgericht legt nicht
nachvollziehbar dar, aufgrund welcher Umstände die Klägerin bis zum Jahr
2001, als die Beklagte das Kaufangebot der Klägerin ablehnte, darauf hätte
vertrauen dürfen, die Immobilie zu erwerben, und aus welchen Gründen ein
insoweit vor dem Jahr 2001 etwa bestehender Vertrauenstatbestand auf Seiten
der Klägerin dazu führen soll, der Beklagten die Berufung auf den Einwand
aus § 275 Abs. 2 BGB zu versagen. Einen Zusammenhang, der eine solche
"Sanktion" rechtfertigen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen.
31 dd) Schließlich ist auch nicht nachzuvollziehen, inwiefern der Umstand,
dass die Klägerin der Beklagten im Jahr 2006 im Rahmen der Dresdner
Sozialcharta umfassenden Kündigungsschutz gewährt hat, dem Einwand aus § 275
Abs. 2 BGB entgegenstehen soll. Soweit das Berufungsgericht in diesem
Zusammenhang meint, dass die Beklagte die Mangelbeseitigung unterlasse, um
die Klägerin zum Auszug zu drängen, setzt die Berechtigung eines solchen
Vorwurfs voraus, dass die Beklagte zur Mangelbeseitigung verpflichtet ist.
Das Bestehen einer solchen Verpflichtung hängt aber davon ab, ob der Einwand
aus § 275 Abs. 2 BGB durchgreift, darf also bei der Prüfung dieses Einwands
nicht vorausgesetzt werden.
III.
32 Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Dies hat zur Folge, dass die Klägerin auf den von der Beklagten
gestellten Antrag zu verurteilen ist, an die Beklagte den Betrag von
53.442,90 € zurückzuzahlen, den die Beklagte nach ihrem von der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht bestrittenen Vorbringen
aufgrund des Berufungsurteils an die Klägerin gezahlt hat (§ 717 Abs. 3 Satz
2 ZPO). Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 717 Abs. 3 Satz 4 ZPO in
Verbindung mit §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
33 Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Die Klägerin
hat unter Beweisantritt behauptet, dass die Rissbildung abgeschlossen sei
und deshalb die vom Gutachter K. vorgesehenen Maßnahmen und der dafür
veranschlagte Betrag von 47.576 € zur nachhaltigen Mangelbeseitigung
erforderlich, aber auch ausreichend seien. Die Beklagte hat demgegenüber
unter Beweisantritt behauptet, dass die Feststellungen des Sachverständigen
S. zuträfen, nach denen die Risse weiter in Bewegung seien und insbesondere
auch Sanierungsmaßnahmen im Baugrund erforderlich machten, und dass sich die
Sanierungskosten deshalb auf mindestens das Doppelte des von der Klägerin
geltend gemachten Betrages, ungünstigstenfalls auf 170.000 € beliefen; dem
stehe nur ein Verkehrswert der Immobilie in Höhe von etwa 28.000 €
gegenüber. Zu diesen Behauptungen hat das Berufungsgericht keine
Feststellungen getroffen. Vom Ergebnis der durchzuführenden Beweisaufnahme
hängt es ab, ob die Maßnahmen gemäß dem Gutachten K. , zu deren Durchführung
die Klägerin Vorschuss verlangt, zur nachhaltigen Mangelbeseitigung geeignet
sind, wie sich das Verhältnis von Sanierungskosten und Verkehrswert der
Immobilie tatsächlich darstellt und ob es der Beklagten unter
Berücksichtigung dieser und der weiteren Umstände zugemutet werden kann, die
Mängel zu beseitigen. |