Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB bei Mangel der Mietsache (§
535 BGB); Voraussetzung der Unmöglichkeit der (subjektiven)
Mängelbeseitigung (§ 275 I BGB)
BGH, Urteil vom 20. Juli
2005 - VIII ZR 342/03
Fundstelle:
NJW 2005, 3284
Amtl. Leitsatz:
Wären die erforderlichen
Aufwendungen für die Beseitigung eines Mangels einer Wohnung im Bereich des
Gemeinschaftseigentums voraussichtlich unverhältnismäßig hoch und würden sie
die "Opfergrenze" für den Vermieter übersteigen, kann der Mieter vom
Vermieter nicht die Beseitigung des Mangels verlangen. Grundsätzlich steht
dem Verlangen einer Mangelbeseitigung jedoch nicht entgegen, daß der
Vermieter der Eigentumswohnung die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer
herbeiführen muß.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung liefert einen schönen Beispielsfall für
ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB, s. dazu auch die Anm. zu
BGH NJW 2005, 2852
sowie
BAG NZA 2005, 118. Bei der Abwägung nach §
275 II BGB kommt es freilich alleine auf die Relation zwischen dem Aufwand
des Schuldners (hier des Vermieters zur Mängelbeseitigung) und dem sich
daraus ergebenden Nutzen des Gl. (hier der Nutzen des Mieters an der
Mängelbeseitigung) an. Daher dürfte, anders als der Senat (offenbar aus dem
früheren Recht) darlegt, der Wert des Mietobjekts und die aus ihm zu
ziehenden Einnahmen bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit keine Rolle
spielen. Zur Bedeutung des Vertretenmüssens s.BGH v.
30.5.2008 - V ZR 184/07. S. auch
BGH v. 10.10.2012 - XII ZR
117/10.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Kläger sind aufgrund eines Vertrages vom 25. April 2001 Mieter, der
Beklagte ist Vermieter einer Wohnung im Hause P. in B. . Zur Wohnung gehören
ein Kellerraum, ein Pkw-Stellplatz sowie ein weiterer Stellplatz in der
Tiefgarage der Anlage.
Mit ihrer Klage haben die Mieter vom Beklagten die Beseitigung verschiedener
behaupteter Mängel verlangt sowie die Feststellung, daß sie zur Minderung
der Miete in bestimmter Höhe berechtigt seien. Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht die Kläger
durch Teilurteil zur Minderung der Miete im dort näher bezeichneten Umfang
für berechtigt erklärt und den Beklagten unter anderem verurteilt,
- die Feuchtigkeit sowie die Feuchtigkeitsschäden im Durchgang zum Keller
sowie zur Tiefgarage des Mietshauses P. B. , fachgerecht zu beseitigen,
- durch fachgerechte Maßnahmen sicherzustellen, daß bei Regenfällen kein
Wassereintritt in den Durchgang zum Keller und zur Tiefgarage des Hauses P.
, B. , erfolgt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision wendet sich der Beklagte gegen seine
Verurteilung zu den beiden vorbezeichneten Verpflichtungen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Landgericht hat von der Bezugnahme auf die tatsächlichen
Feststellungen in dem angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger
Änderungen oder Ergänzungen "gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO"
abgesehen.
Zur Sache hat es ausgeführt:
Die starke Feuchtigkeit im Durchgangsbereich vom Haus zum Keller und zur
Tiefgarage sei als Mangel im Sinne des § 536 BGB anzusehen. Insofern sei
unstreitig, daß sich regelmäßig über lange Zeiträume Wasser in diesem
Bereich sammle. Diesen Bereich müßten die Kläger passieren, um in ihren
Keller bzw. zu ihrem Pkw in der Tiefgarage zu gelangen. Eine
Wasseransammlung zum Zeitpunkt des Mietvertragsbeginns sei nicht dargetan.
Der Mangel sei daher zu beseitigen. Der Einwand, dies sei unzumutbar teuer,
sei nicht durch Bezifferung der Beseitigungskosten substantiiert worden.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, wonach der Beklagte zur
Beseitigung der Feuchtigkeit und Feuchtigkeitsschäden im Durchgangsbereich
zum Keller und zur Tiefgarage sowie zur Verhinderung künftigen
Wassereintritts an dieser Stelle durch geeignete Maßnahmen verpflichtet ist
(§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB), sind von Rechtsfehlern beeinflußt.
1. Das Berufungsurteil unterliegt nicht schon deshalb der Aufhebung, weil es
keinen Tatbestand enthält. Allerdings ist das Berufungsgericht zu Unrecht
davon ausgegangen, daß ein Tatbestand oder die Bezugnahme auf die
tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil der Vorinstanz gemäß §§ 540 Abs.
2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO entbehrlich ist. Ein mit der
Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbares Urteil erfüllt nicht die
Voraussetzung dieser Vorschriften, daß ein Rechtsmittel gegen das Urteil
unzweifelhaft nicht zulässig ist (vgl. BGHZ 156, 97, 100), und muß deshalb
die zu einer revisionsrechtlichen Nachprüfung erforderlichen
tatbestandlichen Darstellungen enthalten (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2003 -
V ZR 441/02, NJW 2003, 3208). Der Senat kann aber dennoch in der Sache
entscheiden und von der grundsätzlich wegen dieses Verfahrensfehlers von
Amts wegen vorzunehmenden Aufhebung des Urteils absehen, weil sich der Sach-
und Streitstand aus den Entscheidungsgründen in einem für die Beurteilung
der aufgeworfenen Rechtsfragen noch ausreichenden Umfang ergibt (BGH, Urteil
vom 22. Dezember 2003 - VIII ZR 122/03, NJW-RR 2004, 494 = WM 2004, 1403 mit
weiteren Nachw.; vgl. für § 543 ZPO a.F. Urteil vom 17. Januar 2002 - VII ZR
488/00, NJW-RR 2002, 743).
2. Zu Recht rügt die Revision, das Landgericht habe den Anspruch des
Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es
entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag zu seinem Nachteil anders als die
Vorinstanz beurteilt habe, ohne ihm vorher einen Hinweis nach § 139 Abs. 2
Satz 2 ZPO zu geben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine Partei, wenn das
Erstgericht ein Vorbringen als schlüssig angesehen hat, darauf vertrauen,
daß eine davon abweichende Auffassung des Berufungsgerichts ihr rechtzeitig
durch einen Hinweis mitgeteilt wird (BGH, Urteil vom 25. Mai 1993 - XI ZR
141/92, NJW-RR 1994, 566 unter II 2). Das Berufungsgericht hat diese
Hinweispflicht in verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Weise verletzt.
Das Erstgericht hatte im Zusammenhang mit den von den Klägern behaupteten
Feuchtigkeitsschäden und dem Eintritt von Wasser ausgeführt:
"Eine vollständige Sanierung des Durchganges würde nur mit einem so hohen
Aufwand möglich sein, daß der daraus resultierende Vorteil für die Kläger in
keinem Verhältnis stünde. Nur durch eine vollständige Erneuerung der
Betonwanne unter dem Haus wäre letztlich sicherzustellen, daß überhaupt kein
Wasser mehr eintritt. Dies würde aber den Abriß und Neuaufbau des Hauses
erfordern, wozu der Vorteil für die Kläger bei jedem Wetter trockenen Fußes
zu ihrem Pkw zu gelangen in keinem Verhältnis steht. ..."
Das Berufungsgericht hat seine Annahme, der Beklagte sei zur Beseitigung
dieser Mängel verpflichtet, unter anderem damit begründet, daß der Einwand
des Beklagten, dies sei zu teuer, nicht durch Bezifferung der
Beseitigungskosten substantiiert sei. Einen entsprechenden Hinweis hat das
Berufungsgericht dem Beklagten vorher nicht erteilt.
Die Revision hat die Verfahrensrüge ordnungsgemäß ausgeführt. Sie trägt vor,
der Beklagte hätte - wäre ein Hinweis erteilt worden - behauptet, daß die
Feuchtigkeit im wesentlichen aus dem Erdreich durch die Wanne in den Keller
bzw. in den Durchgang zur Tiefgarage eintrete und daß die Kosten für die von
dem Gutachter empfohlene Sanierung rund 100.000 €, ohne Erdarbeiten rund
65.000 € bis 75.000 € betragen würden. Zur Höhe des Beseitigungsaufwandes
hatte sich der Beklagte auch bereits in erster Instanz unter Beweisantritt -
Gutachten eines Sachverständigen - geäußert.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Berufungsurteil; denn es ist nicht
ausgeschlossen, daß eine Beseitigungspflicht bei einem derart hohen Aufwand
entfallen würde. Es entsprach schon bisher der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, daß die Verpflichtung des Vermieters zur
Wiederherstellung der Mietsache dort endet, wo der dazu erforderliche
Aufwand die "Opfergrenze" übersteigt (Senat, Urteil vom 26. September
1990 - VIII ZR 205/89, WuM 1990, 546 unter II 2 a, m.w.Nachw.; siehe auch
Kraemer in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl.,
Kap. III B Rdnr. 1286). Dieses Ergebnis ist nunmehr aus § 275 Abs. 2 BGB
herzuleiten (MünchKommBGB/Schilling, 4. Aufl., § 535 Rdnr. 110). Wann
diese Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist, muß zwar von Fall zu Fall unter
Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen wertend ermittelt
werden (OLG Karlsruhe, WuM 1995, 307 f.). Doch darf kein krasses
Mißverhältnis entstehen zwischen dem Reparaturaufwand einerseits und dem
Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie dem Wert des Mietobjekts und den
aus ihm zu ziehenden Einnahmen andererseits (MünchKommBGB/Schilling,
aaO, Rdnr. 109 m.w.Nachw.).
3. Mit Erfolg wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Landgericht den
Beklagten zu einer Leistung verurteilt hat, bei der nach jetzigem Sach-und
Streitstand nicht ausgeschlossen werden kann, daß es dem Beklagten unmöglich
ist, diese zu erbringen (§ 275 Abs. 1 BGB).
Die Revision beruft sich auf die - auch nach dem Vorbringen der Parteien in
den Vorinstanzen - naheliegende Annahme, daß es sich bei der vermieteten
Wohnung um eine dem Beklagten gehörende Eigentumswohnung in einer größeren
Wohnanlage handelt. Ist dies der Fall, dann hat das Landgericht den
Beklagten zu einer baulichen Maßnahme im Bereich von Gemeinschaftseigentum
verurteilt. Der Beklagte ist als Eigentümer einer Wohnung grundsätzlich
nicht berechtigt, Arbeiten am Gemeinschaftseigentum vorzunehmen, denn nach §
21 Abs. 1 WEG steht die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums den
Wohnungseigentümern nur gemeinschaftlich zu. Lediglich unter den
Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 WEG darf der einzelne Wohnungseigentümer
ohne Zustimmung der anderen Eigentümer Maßnahmen ergreifen, die zur
Abwendung eines dem gemeinschaftlichen Eigentum unmittelbar drohenden
Schadens notwendig sind. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das
Landgericht nicht festgestellt.
Allerdings ist der Mieter einer Eigentumswohnung nicht daran gehindert,
einen ihm gegenüber seinem Vermieter zustehenden Instandsetzungsanspruch
gerichtlich durchzusetzen, auch wenn es hinsichtlich der Instandsetzung noch
an einem Beschluß der Wohnungseigentümergemeinschaft nach den Regelungen der
§§ 21, 23 WEG fehlt (KG WuM 1990, 376 f.; MünchKommBGB/Schilling, aaO, Rdnr.
109). § 21 Abs. 4 WEG gewährt dem einzelnen Wohnungseigentümer einen
Rechtsanspruch gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf Mitwirkung an einer
Verwaltung, die dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach
billigem Ermessen entspricht. Gegebenenfalls ist sodann der einzelne
Wohnungseigentümer verpflichtet, die Mitwirkung der anderen
Wohnungseigentümer gerichtlich einzuklagen. Vorliegend könnte jedoch die
Beseitigung des Wassereintritts - sofern die Aufwendungen hierfür die
genannte Größenordnung erreichen - nicht mehr dem Interesse der
Wohnungseigentümer entsprechen. In diesem Fall hätte der Beklagte keine
Möglichkeit, die ihm auferlegte Verpflichtung gegenüber den anderen
Wohnungseigentümern durchzusetzen.
III. Das angegriffene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist
aufzuheben (§ 562 ZPO), und die Sache ist, da noch weitere Feststellungen zu
der vom Beklagten behaupteten Höhe der Instandsetzungskosten zu treffen
sind, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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