(Kein) Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB)
gegen die Ausübung eines verbraucherschützenden
Widerrufsrechts
BGH, Urteil vom 16. März 2016 - VIII
ZR 146/15 - LG Rottweil
Fundstelle:
JZ 2016, 803
Amtl. Leitsatz:
a) Es ist dem freien Willen des Verbrauchers
überlassen, ob und aus welchen Gründen er von einem bei einem
Fernabsatzgeschäft bestehenden Widerrufsrecht Gebrauch macht.
b) Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs oder
unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise - unter dem
Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - etwa bei
arglistigem oder schikanösem Verhalten des Verbrauchers in Betracht
(Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom
25. November 2009 - VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235
Rn. 17, 20).
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung zur Frage der
Rechtsmissbräuchlichkeit der Ausübung eines Widerrufsrechts im Fernabsatz
wurde hier noch nach früherem Recht erörtert. Heute ergäbe sich das
Widerrufsrecht aus §§ 312g I, 355 BGB, der Rückzahlungsanspruch aus § 355
III 1 BGB. Die zentrale Frage bleibt gleich: Kann dem Widerrufsrecht der
Missbraucheinwand entgegengehalten werden, wenn der Verbraucher es nur
benutzt, um die Ware woanders günstiger zu erwerben. Die Antwort ist ein
klares Nein: U.a. dies ist ja der Sinn des Widerrufsrechts! Das schließt
natürlich nicht aus, in Extremfällen schikanösen Verhaltens des Verbrauchers
diesem den Arglisteinwand aus § 242 BGB entgegenzuhalten.
©sl 2016
Tatbestand:
1 Der Kläger bestellte am 14. Januar
2014 über die Website der Beklagten, die mit einer "Tiefpreisgarantie" warb,
zwei Taschenfederkernmatratzen zum Preis von insgesamt 417,10 € (inklusive
Lieferung). Die Matratzen wurden am 24. und 27. Januar 2014 ausgeliefert und
vom Kläger bezahlt. In der Folgezeit bat der Kläger unter Hinweis auf ein
günstigeres Angebot eines anderen Anbieters zum Preis von 192,06 € je
Matratze (zuzüglich 10 € Versand) um Erstattung des von ihm errechneten
Differenzbetrags in Höhe von 32,98 €, damit er von dem ihm als Verbraucher
zustehenden Widerrufsrecht absehe.
2 Zu einer entsprechenden Einigung kam es nicht. Der Kläger widerrief den
Kaufvertrag daraufhin mit E-Mail vom 2. Februar 2014 und sandte die
Matratzen zurück. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe
widerrufen, um (unberechtigt) Forderungen aus der "Tiefpreisgarantie"
durchzusetzen und sich damit rechtsmissbräuchlich verhalten.
3 Die auf Rückzahlung des Kaufpreises von 417,10 € nebst Zinsen gerichtete
Klage hat in den Vorinstanzen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren
weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
6 Der vom Kläger erklärte Widerruf des Kaufvertrags sei wirksam, so dass ihm
gegen die Beklagte der Zahlungsanspruch in Höhe von 417,10 € nebst Zinsen
zustehe. Auf den Kaufvertrag fänden die §§ 312b, 312d, 355 BGB in der bis
zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit § 346 BGB Anwendung.
Es handele sich um einen Fernabsatzvertrag gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1, Abs.
2 BGB aF. Die formellen und materiellen Voraussetzungen des Widerrufs seien,
was von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen werde, erfüllt.
7 Die Ausübung des Widerrufsrechts sei nicht aufgrund des mit der Einräumung
eines Widerrufsrechts verfolgten Sinns und Zwecks ausgeschlossen.
Die Einräumung eines Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen beruhe auf der
Erwägung, dass der Verbraucher vor dem Abschluss derartiger Verträge
grundsätzlich keine Möglichkeit habe, das Erzeugnis zu sehen oder die
Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen.
Darüber hinaus verfolge der Gesetzgeber das Ziel, den Verbraucher vor
irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden im Fernabsatz zu schützen.
8 Von diesem Motiv des Gesetzgebers für die Einräumung eines Widerrufsrechts
zu trennen sei jedoch die Frage, aus welchen Gründen der Verbraucher von
einem ihm zustehenden Widerrufsrecht Gebrauch machen dürfe. Diesbezüglich
habe der Gesetzgeber in § 355 BGB aF bewusst davon abgesehen, vom
Verbraucher eine Begründung für den Widerruf zu verlangen. Hiermit hätten
insbesondere auch spätere Diskussionen darüber vermieden werden sollen, ob
eine vom Verbraucher gegebene Begründung für den Widerruf genügend sei oder
nicht.
9 Sei der Verbraucher mithin nicht gehalten, vor Ausübung seines
Widerrufsrechts eine Begründung anzugeben, so könne es ihm auch nicht zum
Nachteil gereichen, wenn aus seinem übrigen Verhalten ein Motiv für die
Ausübung des Widerrufs zutage trete, welches mit dem Sinn und Zweck der
Einräumung des Widerrufsrechts nicht (vollständig) in Einklang zu bringen
sei.
10 Dem vom Kläger erklärten Widerruf stehe auch nicht der Einwand der
unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Zwar könne der Einwand des
rechts-missbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) grundsätzlich auch bei
Ausübung des Widerrufsrechts gemäß § 355 BGB aF erhoben werden; insoweit
seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Unter Abwägung sämtlicher
Umstände des Falles erweise sich vorliegend die Ausübung des Widerrufsrechts
durch den Kläger (noch) nicht als rechtsmissbräuchlich. Dass der Kläger
mögliche Ansprüche aus der "Tiefpreisgarantie" der Beklagten habe
durchsetzen wollen, könne für sich genommen nicht den Einwand unzulässiger
Rechtsausübung begründen.
11 Etwas anderes folge hier auch nicht daraus, dass der Kläger die gleichen
Matratzen nochmals bei einem anderen Anbieter zu einem günstigeren Kaufpreis
bestellt habe. Dass der Kläger dann - unter Berufung auf die von der
Beklagten abgegebene Tiefpreisgarantie - unter Hinweis auf das ihm
zustehende Widerrufsrecht bei der Klägerin um Erstattung der
Kaufpreisdifferenz nachgesucht und insoweit nach Ansicht der Beklagten
weiter "Druck ausgeübt" habe, sei keine unzulässige Rechtsausübung.
II.
12 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist
daher zurückzuweisen. Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 312d Abs.
1 Satz 1, § 355 Abs. 1 Satz 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit
§ 346 Abs. 1 BGB den Kaufpreis für die Matratzen zu erstatten, nachdem
dieser den im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Vertrag wirksam widerrufen
hat. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers hat das
Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
13 1. Auf den Kaufvertrag der Parteien finden, wie das Berufungsgericht
zutreffend angenommen hat, die vorgenannten Regelungen über das
Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen in der bis zum 12. Juni 2014
geltenden Fassung Anwendung. Dass der Kläger von seinem danach
bestehenden Widerrufsrecht form- und fristgerecht Gebrauch gemacht hat,
steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Insbesondere bedurfte der
Widerruf keiner Begründung (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF).
14 Aufgrund der Ausübung des Widerrufs ist der Kläger nicht mehr an
seine auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung gebunden
(§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB aF). Damit hat er Anspruch auf Rückzahlung des
Kaufpreises (§ 346 Abs. 1 BGB).
15 2. Ohne Erfolg rügt die Revision, dem Anspruch des Klägers stehe der
Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen, weil er das
Widerrufsrecht in sachfremder Weise zur Durchsetzung vermeintlicher
Ansprüche aus einer "Tiefpreisgarantie" der Beklagten eingesetzt habe.
16 a) Der Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag besteht
darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes,
einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand
zu geben (vgl.
Senatsurteil vom 25. November 2009 - VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rn.
17 mwN). Nach der Rechtsprechung des Senats
kommt ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs
beziehungsweise unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) nur ausnahmsweise -
unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - in
Betracht, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem
Unternehmer (Senatsurteil
vom 25. November 2009 - VIII ZR 318/08, aaO Rn. 20).
17 Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Verhalten des Klägers im
Zusammenhang mit dem Widerruf ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für ein
arglistiges Verhalten des Klägers, etwa dass es ihm darauf angekommen wäre,
die Beklagte zu schädigen oder zu schikanieren. Im Gegenteil hat der
Kläger lediglich versucht, mit Hilfe der ihm zustehenden (Verbraucher-)
Rechte für sich selbst günstigere Vertragsbedingungen auszuhandeln. Ein
solches Verhalten steht im Einklang mit den vorbezeichneten gesetzlichen
Regelungen zum Widerrufsrecht des Verbrauchers.
18 Insbesondere ist es für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, ob der
Kläger - wie die Revision geltend macht - die Nichtausübung des Widerrufs
von der Gewährung eines nach der "Tiefpreisgarantie" der Beklagten nicht in
voller Höhe berechtigten Nachlasses abhängig gemacht hat. Ebenso kommt es
auch - anders als das Berufungsgericht offenbar meint - nicht darauf an, zu
welchem Zeitpunkt der Kläger Matratzen bei einem weiteren Anbieter bestellt
und dies zum Anlass von Nachverhandlungen mit der Beklagten genommen hat.
Mit einem solchen Verhalten nutzt der Käufer schlicht zu seinem
Vorteil das ihm eingeräumte und an keine weiteren Voraussetzungen gebundene
Widerrufsrecht. Die Grenze zur Arglist oder Schikane ist dabei -
offensichtlich - nicht überschritten.
19 b) Der Einwand der Revision, der Ausübung des Widerrufsrechts im
vorliegenden Fall seien mit Rücksicht auf dessen (eingeschränkten)
Schutzzweck nach § 242 BGB Schranken gesetzt, geht schon im Ansatz fehl.
Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung beschränkt sich
der Zweck des bei Fernabsatzgeschäften vorgesehenen Widerrufsrechts nicht
darauf, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, die Ware zu prüfen und bei
Nichtgefallen zurückzugeben.
20 Denn das Gesetz knüpft die Ausübung des Widerrufsrechts - wie schon das
Fehlen einer Begründungspflicht (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF) zeigt - nicht
an ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers (etwa an das Nichtgefallen
der Ware nach Überprüfung), sondern überlässt es allein seinem
freien Willen, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung
widerruft. Nur dieses Verständnis wird dem oben genannten Sinn des
Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag, dem Verbraucher ein einfaches und
effektives Recht zur Lösung von einem im Fernabsatzgeschäft geschlossenen
Vertrag an die Hand zu geben, gerecht.
21 Dass ein Verbraucher - wie hier der Kläger - nach der Bestellung
Preise vergleicht und mit dem Verkäufer darüber verhandelt, bei Zahlung
einer Preisdifferenz vom Widerruf des Vertrages Abstand zu nehmen, ist
lediglich eine Folge der sich aus dem grundsätzlich einschränkungslos
gewährten Widerrufsrecht ergebenden Wettbewerbssituation. Diese darf der
Verbraucher zu seinen Gunsten nutzen, ohne sich dem Vorwurf
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auszusetzen.
|