Begriff des Sachmangels ( § 434 BGB), Anforderung
an eine Beschaffenheitsvereinbarung
BGH, Versäumnisurteil vom 13. März
2013 - VIII ZR 172/12 - OLG Hamm
Fundstelle:
NJW 2013, 2749
Amtl. Leitsatz:
Wird ein Kraftfahrzeug, das kurz zuvor eine
sogenannte "Oldtimerzulassung" erhalten hat, mit der Klausel "positive
Begutachtung nach § 21c StVZO (Oldtimer) im Original" verkauft, liegt darin
eine Beschaffenheitsvereinbarung, dass sich das Fahrzeug in einem Zustand
befindet, der die erteilte positive Begutachtung als Oldtimer (vgl. jetzt §
23 StVZO) rechtfertigt (Fortführung des Senatsurteils vom 24. Februar 1988 -
VIII ZR 145/87, BGHZ 103, 275, 280)
Zentrale Probleme:
In Anlehnung an BGHZ 103, 275 ("TÜV neu") legt der BGH
eine Vereinbarung, in welcher auf eine Begutachtung des verkauften Fahrzeugs
hingewiesen wird, dahingehend aus, dass die im Gutachten attestierte
Beschaffenheit tatsächlich gegeben ist (und nicht nur, dass ein Gutachten
vorliegt und übergeben wird, s. dazu auch
BGH v. 15.4.2015 - VIII ZR 80/14). Ein vereinbarter Gewährleistungsausschluss
tritt dann hinter die Beschaffenheitsvereinbarung zurück (s. dazu
BGHZ 170, 86)
©sl 2013
Tatbestand:
1 Der Kläger verlangt von der Beklagten, einer
Autohändlerin, Schadensersatz aufgrund des Ankaufs eines Oldtimers D. .
2 Die Beklagte hatte das erstmals im Jahr 1969 zugelassene Fahrzeug im Jahr
2004 von der Voreigentümerin erworben und dabei ein im Oktober 2001
ausgestelltes TÜV-Gutachten erhalten, das die Erteilung einer Plakette über
die Hauptuntersuchung unter anderem wegen erheblicher Korrosionsschäden am
Rahmen und tragenden Teilen abgelehnt hatte; diese Schäden hatte die
Voreigentümerin nicht beseitigt.
3 Die Beklagte legte das Fahrzeug am 28. Oktober 2004 zunächst still. Am 12.
Oktober 2005 ließ sie es zum Zweck der Begutachtung nach § 21c StVZO aF beim
TÜV Singen vorführen. Dieser beanstandete Korrosionsschäden an Rahmen und
tragenden Teilen sowie unsachgemäß durchgeführte Schweißarbeiten und ordnete
die Wiedervorführung des Fahrzeugs nach Behebung der festgestellten Mängel
an. Am 14. Oktober 2005 stellte die Beklagte das Fahrzeug erneut vor und
erhielt nunmehr eine die Hauptuntersuchung ersetzende positive Begutachtung
nach § 21c Abs. 1 Satz 5 StVZO. Das an diesem Tag erteilte Gutachten enthält
den Hinweis "Korrosionsspuren am Unterboden sichtbar; wurde mehrfach
geschweißt".
4 Die Beklagte inserierte das Fahrzeug im Internet unter anderem mit dem
Hinweis, dass die Karosserie komplett überarbeitet und neu lackiert sei und
das Fahrzeug über eine Oldtimerzulassung verfüge. Der Kläger ließ das
Fahrzeug am 17. November 2005 von dem Sachverständigen M. untersuchen, dem
dabei auch das TÜV-Gutachten vom 14. Oktober 2005 zur Verfügung gestellt
wurde. Der Sachverständige bewertete das Fahrzeug insgesamt mit der
Zustandsnote 3 ("Normale Spuren der Jahre. Kleinere Mängel, aber voll
fahrbereit. Keine Durchrostungen. Keine sofortigen Arbeiten notwendig. Nicht
schön, aber gebrauchsfertig.") und führte in seinem Gutachten aus:
"Anmerkungen zur Fahrzeugunterseite
Die Begutachtung konnte nur nach der äußeren Inaugenscheinnahme erfolgen.
Daher verbleibt ein Risiko auf eventuell verdeckte Mängel, die erst nach
einer entsprechenden umfangreichen Demontage diverser Bauteile, oder einer
Prüfung der Hohlräume mittels Endoskop, erkennbar und genauer beurteilbar
sind.
7.9.1. Fahrzeugboden/Rahmenbodenanlage
Der Fahrzeugboden ist weitestgehend ohne erkennbare, gravierende
Rostschäden. Anrostungen an Blechfalzen sind stellenweise erkennbar. Im
Bereich der tragenden Teile (Querträger vorn rechts ersetzt,
Verstärkungsböden der vorderen Radhäuser, Schwellerspitzen vorn und hinten,
Längsträger im Bereich der Längslenkeraufnahmen, sowie beide hintere
Endspitzen) sind Schweißarbeiten ausgeführt worden. Qualitativ sind sie als
Reparaturschweißungen anzusehen und erreichen mit großer Wahrscheinlichkeit
nicht die Haltbarkeit von aufwändigem, vollständigem Ersatz korrodierter
Rahmenteile..."
5 Am 6. Dezember 2005 kaufte der Kläger das Fahrzeug für 17.900 €. Die dem
Kaufvertrag zugrunde liegende "Verbindliche Bestellung" enthält die
handschriftlichen Zusätze "positive Begutachtung nach § 21c StVZO (Oldtimer)
im Original" sowie "ohne Gewährleistung". Die Rubrik "Das Fahrzeug ist
fahrbereit" ist mit "ja" angekreuzt. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 10.
Dezember 2005 übergeben; zu diesem Zeitpunkt erhielt er auch die beiden
negativen TÜV-Berichte aus den Jahren 2001 und 2005.
6 Im September 2007 wurde der Kläger anlässlich verschiedener
durchzuführender Arbeiten auf erhebliche Durchrostungsschäden aufmerksam.
Der von ihm daraufhin eingeschaltete Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass an
dem Fahrzeug massive Korrosionsschäden nicht fachgemäß repariert und durch
starken Auftrag von Unterbodenschutz kaschiert worden seien. Mit Schreiben
vom 7. Dezember 2007 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung
vergeblich zur Beseitigung der festgestellten Mängel auf.
7 Der Kläger begehrt Zahlung der nach seiner Behauptung für die Herstellung
des vertragsgemäßen Zustandes des Oldtimers erforderlichen Kosten, insgesamt
34.344,75 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe eines
Betrages von 33.300 € stattgegeben und die weitergehende Klage sowie die auf
Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Widerklage abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das
erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt
abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
8 Die Revision hat Erfolg.
9 Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu
entscheiden, da die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das
Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Beklagten, sondern auf einer
Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79,
81 f.).
I.
10 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für
das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
11 Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach §
437 Nr. 3, § 281 BGB zu, weil die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung
mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt nicht getroffen hätten. Aus der
Formulierung im schriftlichen Kaufvertrag "positive Begutachtung gemäß § 21c
StVZO (Oldtimer) im Original" könne der Kläger nichts zu seinen Gunsten
herleiten. Bei verständiger Würdigung sei damit lediglich die Aushändigung
des Dokuments vom 14. Oktober 2005 (Begutachtung nach § 21c StVZO) gemeint.
Dieses Dokument habe der Kläger erhalten. Ein weitergehender Inhalt als die
reine Beschaffung der Bescheinigung sei der Vereinbarung nicht beizumessen;
dies folge aus der Formulierung "im Original". Zudem habe der Kläger nicht
erwarten können, dass die Beklagte für vom TÜV nicht entdeckte Rostschäden
habe einstehen wollen. Dass es das Risiko verdeckter Mängel gegeben habe,
sei dem Kläger aufgrund des von ihm vor dem Abschluss des Kaufvertrages
eingeholten "Classic-DATA" Gutachtens bewusst gewesen.
12 Dem Kläger stehe auch kein Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt
des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zu. Eine solche Haftung komme
angesichts des Vorrangs der Gewährleistungsvorschriften nur im Fall
arglistigen Verhaltens in Betracht, das der Beklagten indes nicht zur Last
falle.
II.
13 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein auf Erstattung von
Reparaturkosten gerichteter Schadensersatzanspruch gemäß § 437 Nr. 3, § 280
Abs. 1, 3, § 281 BGB nicht verneint werden.
14 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erschöpft sich
die Bedeutung der im schriftlichen Kaufvertrag enthaltenen Klausel "positive
Begutachtung nach § 21c StVZO (Oldtimer) im Original" nicht in einer
Verpflichtung zur Aushändigung einer entsprechenden Bescheinigung des TÜV.
Vielmehr haben die Parteien damit eine Beschaffenheitsvereinbarung dahin
geschlossen, dass das Fahrzeug sich in einem Zustand befindet, der die
wenige Wochen vor Abschluss des Kaufvertrages auf Veranlassung der Beklagten
erfolgte positive Begutachtung als Oldtimer nach § 21c StVZO rechtfertigt.
15 Allerdings obliegt die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der
Würdigung des Tatrichters, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt auf
die Verletzung von gesetzlichen oder allgemein anerkannten Auslegungsregeln,
Denkgesetzen und Erfahrungssätzen überprüft werden kann (st. Rspr.; vgl. nur
Senatsurteil vom 7. November 2011 - VIII ZR 213/00, NJW 2002, 506 unter II 1
mwN). Ein derartiger Rechtsfehler ist dem Berufungsgericht hier aber
unterlaufen. Denn seine Annahme, mit der im Kaufvertrag über die positive
TÜV-Begutachtung getroffenen Vereinbarung werde lediglich eine Verpflichtung
zur Übergabe einer entsprechenden Bescheinigung begründet, aber keine
Beschaffenheitsvereinbarung über einen die Erteilung der Bescheinigung
rechtfertigenden Zustand des Fahrzeugs getroffen, ist mit dem Grundsatz der
nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung nicht zu vereinbaren.
16 Bei der Zulassung nach § 21c StVZO aF (so genannte "Oldtimerzulassung",
vgl. jetzt § 23 StVZO) handelt es sich um eine besondere Zulassung für
Fahrzeuge, die mindestens 30 Jahre alt sind und aufgrund ihres Pflege- und
Erhaltungszustands als "kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut" angesehen werden
können. Voraussetzung für eine derartige Zulassung ist das Gutachten eines
amtlichen Prüfers, das einen entsprechenden Pflege- und Erhaltungszustand
des Fahrzeugs feststellt. Unter anderem erfordert dies, dass die
Hauptbaugruppen an den damaligen Originalzustand angelehnt oder
zeitgenössisch ersetzt sind und das Fahrzeug mindestens die Zustandsnote 3
der für Oldtimer verwendeten Bewertungsstufen erhält (vgl. im Einzelnen die
"Richtlinie für die Begutachtung von Oldtimer-Fahrzeugen", Verkehrsblatt
1997, S. 515, inzwischen ersetzt durch die Richtlinie zu § 23 StVZO vom 6.
April 2011, Verkehrsblatt 2011, S. 257). Gleichzeitig ist im Rahmen der
Begutachtung eine Hauptuntersuchung des Fahrzeugs nach § 29 StVZO
durchzuführen (§ 21c Abs. 1 Satz 5 StVZO aF).
17 Die Interessen des Käufers, der ein Fahrzeug mit der Zusage einer
"positiven Begutachtung nach § 21c StVZO" erwirbt, gehen - für den Verkäufer
erkennbar - dahin, dass die entsprechende amtliche Bescheinigung auch zu
Recht erteilt wurde, dass mithin der Zustand des Fahrzeugs hinsichtlich der
Verkehrssicherheit und der weitgehend originalen Beschaffenheit die
Erteilung der "Oldtimerzulassung" rechtfertigt. Jedenfalls dann,
wenn der Verkäufer - wie hier die Beklagte - kurze Zeit vor dem
Weiterverkauf eine aktuelle Begutachtung des Oldtimers veranlasst und diese
zum Gegenstand des Kaufvertrags macht, kann der Käufer
berechtigterweise davon ausgehen, dass er mit der versprochenen
"Oldtimerzulassung" nicht nur die formelle amtliche Erlaubnis zur Nutzung
des Fahrzeugs im Straßenverkehr erhält, sondern dass ihm ein Fahrzeug zur
Verfügung gestellt wird, das die soeben erteilte Zulassung als Oldtimer
aufgrund seines Erhaltungs- und Pflegezustandes auch zu Recht erhalten hat.
Entsprechend hat der Senat für die ähnliche Interessenlage bei dem
Kauf eines Gebrauchtwagens unter der Abrede "TÜV neu" nicht nur das
Versprechen des Verkäufers gesehen, eine Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO
durchzuführen, sondern darüber hinaus eine Zusicherung nach § 459 Abs. 2 BGB
aF angenommen, dass sich das Fahrzeug in dem nach § 29 StVZO geforderten
Zustand befinde (Senatsurteil vom 24. Februar 1988 - VIII ZR
145/87, BGHZ 103, 275, 280 ff.).
18 Die Revision macht deshalb zu Recht geltend, dass der dem Kläger
verkaufte Oldtimer nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden
Sachverhalt mit einem Sachmangel behaftet war. Denn nach dem vom
Berufungsgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen U. befand sich
der Wagen bereits im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger wegen massiver
Durchrostungen an Radhäusern und Innenschwellern in einem
restaurationsbedürftigen Zustand ("Zustandsnote 5") und war deshalb nicht
fahrbereit, so dass auch die kurz vor der Übergabe erfolgte
TÜV-Prüfung nicht zu einem positiven Ergebnis hätte führen dürfen.
19 2. Das Urteil des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Ein etwaiger Gewährleistungsausschluss
stünde einem Schadensersatzanspruch des Klägers wegen der eine positive
Begutachtung nach § 21c StVZO ausschließenden Durchrostungen an tragenden
Teilen schon deswegen nicht entgegen, weil ein zwischen den
Kaufvertragsparteien vereinbarter Gewährleistungsausschluss nach der
Rechtsprechung des Senats nicht für das Fehlen einer vereinbarten
Beschaffenheit gilt (Senatsurteil vom
29.
November 2006 - VIII ZR 92/06, BGHZ 170, 86 Rn. 31).
III.
20 Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben;
es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur
Endentscheidung reif und daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs. 1, 3 ZPO), weil das Berufungsgericht - vor dem Hintergrund der von
ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen zur
Schadenshöhe getroffen hat.
|