Verpflichtung zur
Abtretung von GmbH-Anteilen; Schriftformerfordernis gem. § 15 Abs. 4 GmbHG;
Vertrag zugunsten Dritter; Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art.
103 I GG): Verbot der Überraschungsentscheidung
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2007 - VIII ZR
235/06
Fundstelle:
NJW 2007, 2117
Amtl. Leitsatz:
Bei einer die Verpflichtung eines
Gesellschafters zur Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils begründenden
Vereinbarung sind die Erklärungen beider Vertragsparteien
beurkundungsbedürftig.
Zentrale Probleme:
Eine lehrreiche Entscheidung zu Vertrag zugunsten Dritter
sowíe zu Fragen der Form. In einem Vertrag zugunsten der Klägerin hatte der
Bekl. dieser ein Recht auf Übertragung von GmbH-Anteilen formgerecht (§ 15
Abs. 4 GmbHG verlangt notarielle Beurkundung) eingeräumt. Diese
Bezugsberechtigung haben die Parteien des Vertrags zugunsten Dritter später
aufgehoben. Dies ist grundsätzlich möglich, gem. § 328 II BGB aber aus den
Umständen des Einzelfalls zu entnehmen. Das Berufungsgericht meinte, diese
Frage offen lassen zu können, weil es in der Mitteilung des Vertrags an die
Klägerin ein Angebot auf einen Verpflichtungsvertrag zur Übertragung,
spätestens in der Klage eine Annahme sah. Abgesehen davon, daß diese
Auslegung ziemlich weit hergeholt ist (und der BGH deshalb das Verbot der
Überraschungsentscheidung verletzt sieht), übersieht dies auch, daß es an
der notariellen Beurkundung der (angeblichen) Annahmeerklärung fehlt. Es
fehlt übrigens auch am formgemäßen Zugang des Angebots, wenn dieses - wie
hier offenbar der Fall - der Klägerin nur per Telefax zugegangen ist (s.
dazu BGH NJW 1997, 3169).
©sl 2007
Gründe:
I.
1 Die Ehefrau des Beklagten zu 1 war alleinige Gesellschafterin der mit
einem Stammkapital in Höhe von 25.200 € ausgestatteten A. GmbH. Mit
notariellem Vertrag vom 21. Dezember 2001 veräußerte sie - nach
entsprechender Aufteilung ihres Geschäftsanteils - an die Beklagten zu 1 und
zu 2 je einen Geschäftsanteil in Höhe von 12.600 €. Die Klägerin war an
diesem Vertrag nicht beteiligt. Der Vertrag enthält jedoch folgende, die
Klägerin betreffende Bestimmung:
"Als weitere Bedingung vereinbaren
die Erschienenen:
Die Herren O. und M. [= Beklagte] verpflichten sich gegenüber der
Verkäuferin, an Frau H. K. B. geb. G., geb. am , wohnhaft in P. Ortseil.
, S. weg [= Klägerin], jeweils einen Teilgeschäftsanteil in Höhe von
Euro 650,00 (Euro sechshundertfünfzig) unentgeltlich zu übertragen.
Dieses Recht auf Anteilsübertragung soll Frau B. als eigenes Recht
zustehen. Es ist jedoch weder veräußerlich noch vererblich.
Wird es zu Lebzeiten von Frau B. nicht ausgeübt, erlischt es ersatzlos."
2 Mit notarieller Urkunde vom 3. Juni
2005 vereinbarten die Beteiligten des Vertrages vom 21. Dezember 2001, dass
die vorgenannte Klausel ersatzlos entfallen solle.
3 Mit der am 21. Juni 2005 eingereichten Klage begehrt die Klägerin von den
Beklagten die Abtretung je eines Geschäftsanteils in Höhe eines Nennbetrags
von je 650 € sowie die Abgabe der zum Vollzug der Übertragung erforderlichen
Erklärungen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der
Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Beklagten ihr Ziel der
Klageabweisung weiter.
II.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für
das vorliegende Verfahren von Interesse - ausgeführt:
5 Der Klägerin stehe ein vertraglicher Anspruch auf Übertragung der
Geschäftsanteile in Höhe von je 650 € zu. Mit der Erklärung in der
notariellen Urkunde vom 21. Dezember 2001 hätten die Beklagten der Klägerin
ein Angebot zum Abschluss eines auf die Übertragung der in Rede stehenden
Geschäftsanteile gerichteten Vertrages gemacht. Dieses Angebot sei der
Klägerin vom Faxgerät der Beklagten übermittelt worden und mithin auch
zugegangen. Spätestens mit der Erhebung der Klage habe die Klägerin ihren
Willen zur Annahme des Angebots nach außen bekundet. Das Angebot der
Beklagten sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht durch Zeitablauf erloschen
gewesen, denn es sei nichts dafür ersichtlich, dass die von den Beklagten
der Klägerin eröffnete Möglichkeit, Anteile an der GmbH zu erwerben, einer
zeitlichen Befristung unterlegen habe.
III.
6 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist statthaft und auch im
Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO).
Die Beklagten haben eine mit der Revision geltend zu machende Beschwer von
über 20.000 € glaubhaft gemacht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 - V
ZR 118/02, WM 2002, 1899 unter II). Hierzu genügen die von den
Beschwerdeführern vorgelegten Jahresabschlüsse und die von der Beschwerde
auf dieser Grundlage vorgenommene Berechnung des Werts des von der Klägerin
beanspruchten Geschäftsanteils. Allerdings wendet die Beschwerdeerwiderung
zu Recht ein, dass im Rahmen der gewählten Berechnungsmethode die
Nettofinanzverschuldung abzuziehen ist und nicht der Gewinnzuwachs von 2003
auf 2004 als Gewinn eingestellt werden kann. Bei Berücksichtigung dieser
Einwände ergibt sich zwar nicht der von den Beschwerdeführern angegebene
Unternehmenswert von 1,2 bis 1,37 Millionen €, aber immerhin noch ein Wert
von etwa 500.000 €, so dass auf den von der Klägerin beanspruchten
Geschäftsanteil ein Wert von rund 25.000 € entfällt.
7 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet, denn das
angegriffene Urteil verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches
Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise. Die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert deshalb eine
Entscheidung des Revisionsgerichts.
8 Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht der Verfahrensbeteiligten,
vor einer gerichtlichen Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort zu
kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können
(BVerfGE 84, 188, 190). Auf einen Gesichtspunkt, mit dem ein
gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht,
darf das Gericht ohne vorherigen Hinweis oder Erörterung mit den Parteien
nicht abstellen (BVerfGE 86, 133, 144). Angesichts des Wortlauts der
notariellen Urkunde, des übereinstimmenden Verständnisses der Parteien in
der ersten Instanz sowie der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts
brauchte hier auch eine rechtskundige Partei die - fern liegende - Ansicht
des Berufungsgerichtes, durch die Übermittlung des notariellen Vertrages an
die Klägerin vom Faxgerät der Beklagten und die spätere Klagerhebung sei ein
zur Anteilsübertragung verpflichtender Vertrag zustande gekommen, nicht in
Betracht zu ziehen. Das Berufungsgericht hätte den Beklagten daher zur
Vermeidung einer Überraschungsentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme
hierzu geben müssen.
9 Das Urteil des Berufungsgerichtes beruht auch auf diesem Verstoß gegen das
rechtliche Gehör. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht
anders entschieden hätte, wenn es den Beklagten Gelegenheit gegeben hätte,
zu der von ihm erwogenen rechtlichen Konstruktion Stellung zu nehmen. Die
Beklagten hätten dann - wie jetzt in der Beschwerdebegründung vorgetragen -
schon im Berufungsrechtszug darauf hingewiesen, dass eine Vereinbarung,
durch welche die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Abtretung eines
Geschäftsanteils begründet wird, nach § 15 Abs. 4 GmbHG der notariellen Form
bedarf. Bei einer solchen Vereinbarung sind die Erklärungen beider
Vertragsparteien beurkundungsbedürftig (Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck,
GmbH-Gesetz, 18. Aufl., § 15 Rdnr. 22, 30; Scholz/Winter, GmbHG, 9. Aufl., §
15 Rdnr. 54, 56; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., § 15
Rdnr. 16, 28 ff.). Es fehlt aber an einer notariell beurkundeten
Willenserklärung der Klägerin, so dass der von ihr geltend gemachte Anspruch
auf Übertragung von Geschäftsanteilen nicht auf einen zwischen ihr und den
Beklagten geschlossenen Vertrag gestützt werden kann.
10 Der Anspruch der Klägerin hängt deshalb davon ab, ob die Beteiligten
des notariellen Vertrages vom 21. Dezember 2001 einen echten Vertrag
zugunsten der Klägerin (§ 328 BGB) geschlossen und ob sie sich dabei das
Recht vorbehalten haben, das in der Vertragsurkunde genannte "eigene Recht"
der Klägerin ohne deren Zustimmung wieder aufzuheben. Diese Fragen sind
gemäß § 328 Abs. 2 BGB in Ermangelung einer besonderen vertraglichen
Bestimmung aufgrund der Umstände, insbesondere des Zwecks des Vertrages zu
beantworten. Hiervon ist - wie die prozessleitende Verfügung vom 14. März
2006, in der die Beklagten zur näheren Darlegung der Hintergründe der
zugunsten der Klägerin vorgesehenen Anteilsübertragung aufgefordert wurden,
zeigt - offenbar auch das Berufungsgericht zunächst ausgegangen. Die
weitere Sachaufklärung und Beweisaufnahme hierzu - die Beklagten hatten
Zeugenbeweis dafür angeboten, dass sich die Beteiligten des Vertrages vom
21. Dezember 2001 die Aufhebung des Rechts der Klägerin vorbehalten hätten -
ist offenbar allein deshalb unterblieben, weil es darauf später aus der
geänderten Sicht des Berufungsgerichts wegen der Annahme eines wirksamen
Vertrages zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits nicht mehr
ankam.
11 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung ist die Entscheidung des
Berufungsgerichts auch nicht aus den Gründen der erstinstanzlichen
Entscheidung richtig. Das Landgericht hat die von den Beklagten unter Beweis
gestellte Behauptung, die Beteiligten des notariellen Vertrags vom 21.
Dezember 2001 hätten sich das Recht vorbehalten, das Recht der Klägerin
wieder aufzuheben, nicht für erheblich gehalten, weil es in der
Vertragsurkunde nicht zum Ausdruck gekommen sei; die Beklagten hätten
zumindest Umstände vortragen müssen, weshalb sie etwas ganz anderes hätten
vereinbaren wollen als im notariellen Vertrag niedergelegt. Diese Begründung
machte eine Beweisaufnahme nicht entbehrlich.
12 Es gehört zu den anerkannten Grundsätzen der Auslegung einer
Individualvereinbarung, dass zwar der Wortlaut einer Vereinbarung den
Ausgangspunkt der Auslegung bildet, dass jedoch der übereinstimmende
Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht (st.
Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 20. Januar 1994 - VII ZR 174/92, NJW 1994, 1528
= WM 1994, 551, unter II 2 a). Dies gilt auch für formbedürftige
Willenserklärungen und selbst dann, wenn das übereinstimmende Verständnis in
der erstellten Urkunde keinen Niederschlag gefunden hat (BGH, Urteil vom
19. Januar 2004 - II ZR 303/01, WM 2004, 627 = NJW-RR 2004, 630, unter II
2). Erläuterungen, die das behauptete übereinstimmende Verständnis der
Parteien nachvollziehbar und plausibel machen und für die Beweiswürdigung
bedeutsam sein mögen, brauchten die Beklagten zur Erfüllung ihrer
Darlegungslast nicht vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September
1999 - VIII ZR 232/98, NJW-RR 2000, 273, unter II 3 a, c).
IV.
13 Die Verletzung der Beklagten in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör
führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
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