Beweislast bei der
Verletzung von nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten (pFV = §§ 280 I, 241
II BGB n.F.): Beweislast für Pflichtverletzung und Verschulden,
Voraussetzungen der Beweislastumkehr für die objektive Pflichtverletzung;
Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) bei der Inanspruchnahme des
Mieters durch den Vermieter für versicherte Schäden
BGH v. 3.11.2004 - VIII ZR
28/04
Fundstelle:
NJW-RR 2005, 381
Amtl. Leitsätze:
a) Ist streitig, ob vermietete Räume
infolge Mietgebrauchs beschädigt sind, trägt der Vermieter die Beweislast
dafür, daß die Schadensursache nicht aus dem Verhalten eines Dritten
herrührt, für den der Mieter nicht (nach § 278 BGB) haftet.
b) Da eine ergänzende Auslegung des Gebäudeversicherungsvertrags des
Vermieters einen konkludenten Regreßverzicht des Versicherers für die Fälle
ergibt, in denen der Wohnungsmieter einen Leitungswasserschaden durch
einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, kann in der mietvertraglichen
Verpflichtung des Wohnungsmieters, die (anteiligen) Kosten der
Gebäudeversicherung zu zahlen, keine stillschweigende Beschränkung seiner
Haftung für die Verursachung von Leitungswasserschäden auf Vorsatz und grobe
Fahrlässigkeit gesehen werden.
Der Vermieter ist jedoch verpflichtet, den Gebäudeversicherer und nicht den
Mieter auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn ein
Versicherungsfall vorliegt, ein Regreß des Versicherers gegen den Mieter
ausgeschlossen ist und der Vermieter nicht ausnahmsweise ein besonderes
Interesse an einem Schadensausgleich durch den Mieter hat.
Zentrale Probleme:
Der noch nach bisherigem
Schuldrecht zu entscheidende Sachverhalt ist ein schönes Beispiel für die
Frage der Abgrenzung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bei der
Haftung aus § 280 I BGB und die sich darauf ergebenden Folgen für die
Beweislast. Pflichtverletzung ist danach jede objektive Abweichung des
Verhaltens einer Partei vom geschuldeten Pflichtenprogramm des § 241 BGB.
Das Erfordernis des Vertretenmüssen beschreibt hingegen den Zurechnungsgrund
der Pflichtverletzung an den Schuldner. Bei erfolgsbezogenen
Leistungspflichten bedeutet dies, daß das Ausbleiben der einmal geschuldeten
Leistung in jedem Falle eine Pflichtverletzung i.S.v. § 280 I BGB darstellt.
Diese besteht also schlicht darin, daß der Schuldner die geschuldete
Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder schlecht erbringt. Das
Vertretenmüssen bezieht sich wiederum grundsätzlich auf die Umstände, die zu
dieser Pflichtverletzung geführt haben. Ersteres hat der grundsätzlich der
Gläubiger zu beweisen, hinsichtlich des letzteren hat sich gem. § 280 I S. 2
BGB der Schuldner zu entlasten.
Bei der Verletzung nicht erfolgsbezogener Nebenpflichten (Schutzpflichten)
aus § 241 II BGB fallen hingegen Pflichtverletzung und Verschuldensvorwurf
zusammen. Da hier kein positiver Erfolg, sondern lediglich die Wahrung des
Integritätsinteresses geschuldet wird, kann nicht von einem erfolgsbezogenen
Begriff der Pflichtverletzung ausgegangen werden. Dieser ist vielmehr
handlungsbezogen: Die Pflichtverletzung besteht hier in einem vom Gläubiger
zu beweisenden Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht, womit zugleich auch das
Vertretenmüssen nachgewiesen ist (s. etwa Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen
Schuldrecht Rn. 182). Im vorliegenden Fall wäre nach neuem Schuldrecht ein
Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB zu prüfen, für die Frage der
Beweislast gälten dieselben Überlegungen, die der BGH hier auf der Basis der
durch §§ 280 I, 241 II BGB nunmehr kodifizierten positiven
Forderungsverletzung anstellt: Die Beweislast für die Pflichtverletzung
trägt der Gl., nur in Ausnahmefällen, in welchen der Schaden allein aus dem
Verantwortungsbereich des Schuldners herrührt, findet auch in Bezug auf die
Pflichtverletzung eine Beweislastumkehr statt. Bei Nutzungsverhältnissen wie
hier bei einem Mietvertrag ist das dann der Fall, wenn der Schaden "durch
Mietgebrauch" und damit im Obhuts- und Gefahrenbereich des
Nutzungsberechtigten entstanden ist. Läßt es sich dagegen - insbesondere in
Fällen der Entwendung der genutzten Sache oder ihrer Beschädigung oder
Vernichtung durch Brand - nicht ausschließen, daß der Schadenseintritt vom
Mieter bzw. Besitzer in keiner Weise veranlaßt oder beeinflußt worden ist,
so bleibt es bei der Beweislast des Vermieters. In einem solchen Fall ist
der Schuldner vielfach nicht in der Lage, die näheren Umstände der
Schadensentstehung darzulegen und zu beweisen; die Beweislastumkehr darf
aber nicht zu einer Zufallshaftung führen (BGHZ 131, 95, 103 f). Aus diesem
Grund verneint der BGH hier eine Beweislastumkehr in Bezug auf die
Pflichtverletzung, wenn auch andere Personen Zugangsmöglichkeiten zur
Mietwohnung hatten.
Zur Frage der vorrangigen Inanspruchnahme einer Versicherung s. auch
BGH v. 19.11.2014 - VIII ZR
191/13.
©sl 2004
Tatbestand:
Die Beklagten waren in der Zeit vom 1. September 2000 bis zum 31. März 2001
Mieter einer Wohnung der Klägerin im 1. Stock eines Hauses in O.. Sie
erhielten am 28. August 2000 von der Klägerin die Schlüssel für die
Räumlichkeiten und führten am 2. September 2000 Arbeiten in der Wohnung aus,
die sie abends wieder verließen. Am Mittag des 3. September 2000 wurde in
dem unter der Wohnung gelegenen Ladenlokal festgestellt, daß Wasser durch
die Deckenverkleidung auf den Boden gelaufen war. Es stellte sich heraus,
daß das Wasser aus einem zum Anschluß einer Spüle bestimmten Absperrhahn in
der Küche der Wohnung der Beklagten herrührte, der durch eine
eineinhalbfache Drehung geöffnet war. Für Trocknungs- und
Ausbesserungsarbeiten in dem Ladenlokal wandte die Klägerin 7.907,52 DM
(4.043,05 €) auf.
Die Klägerin unterhält für das Anwesen eine Gebäudeversicherung, deren
Kosten die Beklagten nach dem Mietvertrag anteilmäßig zu tragen hatten.
Bestandteil des Versicherungsvertrags sind Allgemeine
Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88). Nachdem die Klägerin den
Schaden dem Versicherer erstmals im August 2002 mitgeteilt hatte, lehnte
dieser eine Eintrittspflicht wegen einer Obliegenheitsverletzung der
Klägerin durch eine verspätete Schadensanzeige nach § 20 VGB 88 ab.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagten auf Erstattung
der Schadensbeseitigungskosten von 7.907,52 DM (4.043,05 €) nebst Zinsen in
Anspruch. Die Beklagten haben behauptet, als sie die Wohnung am 2. September
2000 verlassen hätten, sei kein Wasseraustritt feststellbar gewesen. Der
Absperrhahn müsse von einem Dritten geöffnet worden sein; neben der Klägerin
seien auch die Vormieter noch im Besitz eines Wohnungsschlüssels gewesen.
Außerdem haben die Beklagten die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung
der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus positiver
Vertragsverletzung nicht zu. Die Beklagten hätten allerdings ihre sich aus
dem Mietverhältnis ergebende Obhutspflicht verletzt, weil die
Schadensursache in einem Bereich gesetzt worden sei, der ihrer Obhut und
Sachherrschaft unterlegen habe. Es fehle an jeglichen Anhaltspunkten dafür,
daß der Schaden auf eine Ursache im Verantwortungs- und Pflichtenkreis der
Klägerin zurückzuführen sei. Daß sich die Vormieter zum Zeitpunkt des
Schadenseintritts noch im Besitz eines Schlüssels befunden hätten, lasse
sich zwar nicht ausschließen; die Beweislast dafür trügen jedoch die
Beklagten. Sie hätten auch den Beweis, daß sie kein Verschulden treffe,
nicht geführt. Die Annahme einer mietvertraglichen Haftungsbeschränkung auf
grob fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln wegen der anteiligen
Überwälzung der Kosten der Gebäudeversicherung auf die Beklagten sei nicht
gerechtfertigt. Vor einem etwaigen Regreß des Gebäudeversicherers seien die
Mieter, die die Versicherungskosten zu tragen hätten, im Fall leichter
Fahrlässigkeit durch einen konkludenten Regreßverzicht des Versicherers
gegenüber dem Vermieter und Versicherungsnehmer geschützt. Der Vermieter
selbst könne ein durchaus beachtliches Interesse an der Inanspruchnahme des
Mieters haben; dem werde eine generelle Haftungsbeschränkung nicht gerecht.
Weiter sei der Schadensersatzanspruch der Klägerin, der gemäß § 558 Abs. 1
BGB a. F. der sechsmonatigen Verjährung unterliege, nicht verjährt. Die
Inanspruchnahme der Beklagten durch die Klägerin sei jedoch
rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB). Der eingetretene Schaden sei grundsätzlich
durch die Gebäudeversicherung gedeckt gewesen, weil es sich um einen
Gebäudeschaden gehandelt habe, der durch Leitungswasser entstanden sei, das
bestimmungswidrig aus den Zu- oder Ableitungsrohren der Wasserversorgung
ausgetreten sei (§ 6 Nr. 1a, § 4 Nr. 1b, § 1 Nr. 1 VGB 88). Der Versicherer
hätte die Beklagten aus dem im Falle der Regulierung nach § 67 Abs. 1 Satz 1
VVG auf ihn übergegangenen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen des
oben genannten Regreßverzichts nicht in Anspruch nehmen können. Den ihm
obliegenden Nachweis vorsätzlichen Handelns oder grober Fahrlässigkeit der
Beklagten hätte der Versicherer nicht führen können (§ 61 VVG). Denn der
genaue Schadensverlauf sei ungeklärt. Wenn der Vermieter - wie hier - seinen
Schaden von seinem Gebäudeversicherer ersetzt verlangen könne und ein Regreß
des Versicherers gegen den Mieter ausgeschlossen erscheine, dürfe der
Vermieter den Mieter, der die Kosten der Gebäudeversicherung zu tragen habe,
nach § 242 BGB nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses auf
Schadensersatz in Anspruch nehmen. Ein solches sei hier nicht ersichtlich.
Daß die Klägerin den Schaden dem Gebäudeversicherer erst nach knapp zwei
Jahren mitgeteilt habe und sich dieser auf Leistungsfreiheit wegen
verspäteter Anzeige des Versicherungsfalls (§ 20 VGB 88) berufe, sei allein
dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzurechnen. Die nur abstrakte
Möglichkeit, daß der Versicherer den Versicherungsvertrag bei einer
Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes nach § 24 Nr. 2 VGB 88, § 96 Abs.
1 VVG kündigen könne, rechtfertige die Inanspruchnahme des Mieters nicht.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung im
Ergebnis stand, so daß die Revision zurückzuweisen ist.
1. Von einem Rechtsfehler beeinflußt ist allerdings die Annahme des
Berufungsgerichts, den Beklagten falle eine Obhutspflichtverletzung zur
Last. Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit einem Rechtsentscheid
des Oberlandesgerichts Karlsruhe (NJW 1985, 142, 143) davon ausgegangen, der
Vermieter müsse lediglich darlegen und beweisen, daß die Schadensursache im
räumlichen Bereich der Obhut und Sachherrschaft des Mieters gesetzt wurde,
nicht aber ausschließen, daß ein außenstehender Dritter, für den keine der
Vertragsparteien einzustehen hat, den Schaden verursacht hat; die Beweislast
dafür trage der Mieter. Das ist nicht richtig.
Die Beweislast für die Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten
Schadensersatzanspruchs trägt grundsätzlich der Anspruchsteller. Nach
Mietrecht (§ 548 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung, jetzt
§ 538 BGB) findet zwar ebenso wie nach den Regeln der positiven
Vertragsverletzung unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur hinsichtlich
des Verschuldens, sondern auch bezüglich der objektiven Pflichtverletzung
eine Umkehr der Beweislast statt (ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, Urteil vom 26. November 1997 - XII ZR 28/96, NJW 1998,
594; BGHZ 131, 95, 103 f.; 126, 124, 127 ff.; Senatsurteile BGHZ 116, 278,
289; 66, 349, 353 f.). Dazu ist jedoch bei Nutzungsverhältnissen
erforderlich, daß der Schaden im Obhuts- und Gefahrenbereich des
Nutzungsberechtigten "durch Mietgebrauch" entstanden ist. Läßt sich dagegen
- insbesondere in Fällen der behaupteten Entwendung der genutzten Sache oder
ihrer Beschädigung oder Vernichtung durch Brand - nicht ausschließen, daß
der Schadenseintritt vom Mieter in keiner Weise veranlaßt oder beeinflußt
worden ist, so bleibt es bei der Beweislast des Vermieters (BGHZ 131,
95, 103 f.; 126, 124, 127 ff.; 116, 278, 289). Der Vermieter muß danach
insbesondere nachweisen, daß die Schadensursache nicht aus dem Verhalten
eines Dritten herrührt, für den der Mieter nicht (nach § 278 BGB) haftet
(Kraemer, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3.
Aufl., Kap. III.A Rdnr. 960a; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., IV Rdnr. 614;
Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 8. Aufl., § 538 Rdnr. 4).
Diese Möglichkeit ist hier bisher nicht ausgeschlossen, wie die
Revisionserwiderung zutreffend rügt. Die Beklagten haben behauptet, ein
Dritter müsse den Absperrhahn geöffnet haben; sowohl die Klägerin als auch
die Vormieter seien im Besitz eines Wohnungs- und Haustürschlüssels gewesen.
Diesen Vortrag als richtig unterstellt, wäre der Schaden - ebenso wie bei
einer Entwendung der vermieteten Sache oder einer Beschädigung infolge
Brandstiftung - durch ein unbefugtes Eingreifen eines Dritten, der nicht
Erfüllungsgehilfe der Beklagten ist, in deren Obhutsbereich und
Sachherrschaft an der Wohnung verursacht worden. In einem solchen Fall ist
der Schuldner vielfach nicht in der Lage, die näheren Umstände der
Schadensentstehung darzulegen und zu beweisen. Eine Umkehr der Beweislast
zulasten des Mieters, die auf Risiko- und Verantwortungsbereiche gründet und
nicht zu einer Zufallshaftung führen darf (BGHZ 131, 95, 104), kommt
insoweit nicht in Betracht.
Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, es fehle an jeglichen
Anhaltspunkten dafür, daß der Schaden auf eine Ursache im Verantwortungs-
und Pflichtenkreis der Klägerin zurückzuführen ist. Nichts deute darauf hin,
daß sie die Wohnung vor Schadenseintritt betreten oder auch nur irgendeinen
Anlaß dazu gehabt habe. Es hat jedoch - aus seiner Sicht folgerichtig -
keine Feststellungen dazu getroffen, ob zumindest die Möglichkeit einer
Schädigung durch die Vormieter in Betracht kommt. Daß nach den
erstinstanzlichen Feststellungen, auf die das Berufungsgericht Bezug
genommen hat, nicht auszuschließen ist, daß sich die Vormieter noch im
Besitz eines Wohnungsschlüssels befanden, würde dafür allerdings nicht
genügen; das Amtsgericht hatte seine Beweisaufnahme deshalb zu Recht auch
auf die durch Zeugnis der Vormieter unter Beweis gestellte Behauptung der
Klägerin erstreckt, diese hätten sich in dem streitbefangenen Zeitraum nicht
in den vermieteten Räumlichkeiten aufgehalten. Weitere Feststellungen zu
einer möglichen Verursachung durch die Vormieter sind jedoch entbehrlich,
weil die Begründung des Berufungsgerichts im übrigen das angefochtene Urteil
unabhängig davon trägt.
2. Das Berufungsgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, daß der
Mietvertrag der Parteien keine generelle Beschränkung der Haftung der
Beklagten auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit enthält, auch wenn diese
anteilig die Kosten für die Gebäudeversicherung zu tragen hatten.
Bei leicht fahrlässigem Verhalten ist der Mieter vor einem Rückgriff des
Versicherers (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG) durch den Gebäudeversicherungsvertrag
geschützt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 145,
393, 397 ff.; Beschluß vom 12. Dezember 2001 - XII ZR 153/99, VersR 2002,
433; Senatsurteil vom 14. Februar 2001 - VIII ZR 292/98, VersR 2001, 856
unter 2 b und c) ergibt eine ergänzende Auslegung dieses Vertrags im
allgemeinen einen konkludenten Regreßverzicht des Versicherers für die
Fälle, in denen der Wohnungsmieter einen Brandschaden durch einfache
Fahrlässigkeit verursacht hat. Bei einem Leitungswasserschaden, der nach § 4
Nr. 1 VGB 88 ebenso wie der Brandschaden zu den in der Gebäudeversicherung
versicherten Gefahren gehört, kann nichts anderes gelten (Jendrek, NZM 2003,
697, 700).
Vor diesem Hintergrund bedarf es der früher vom Senat (BGHZ 131, 288, 292
ff.) entwickelten sogenannten haftungsrechtlichen Lösung, nach der dem
Mietvertrag wegen der Verpflichtung des Wohnungsmieters zur Zahlung der
(anteiligen) Kosten der Gebäudeversicherung im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung eine stillschweigende Beschränkung der Haftung des Mieters
für die Verursachung versicherter Schäden auf Vorsatz und grobe
Fahrlässigkeit zu entnehmen ist, nicht mehr (Erman/Jendrek, BGB, 11. Aufl.,
§ 538 Rdnr. 5). Die oben genannte versicherungsvertragliche Lösung, der sich
der Senat durch seine Entscheidung vom 14. Februar 2001 (aaO) im Hinblick
auf die damit verbundene Beweislastverteilung bereits angeschlossen hat,
trägt unter anderem dem Umstand Rechnung, daß der Vermieter im Einzelfall
beachtenswerte Gründe haben kann, den Versicherer nicht in Anspruch zu
nehmen und sich statt dessen an den Mieter zu halten (BGHZ 145, 393, 396 f.;
Armbrüster, NVersZ 2001, 193, 194; Prölss, ZMR 2001, 157). Die im
Mietvertrag ausdrücklich geregelte Verpflichtung des Wohnungsmieters, die
Kosten der Gebäudeversicherung zu tragen, begründet zwar bei diesem die
berechtigte Erwartung, daß ihm seine Aufwendungen im Schadensfall in
irgendeiner Weise zugute kommen (BGHZ 131, 288, 294). Das ist jedoch der
Fall, wenn bei einer Inanspruchnahme der Versicherung durch den Vermieter/
Versicherungsnehmer ein Rückgriff des Versicherers nur bei Vorsatz und
grober Fahrlässigkeit in Betracht kommt, also die Voraussetzungen des § 61
VVG vorliegen, so daß der Mieter im Ergebnis nicht anders dasteht, als wenn
er selbst eine Versicherung abgeschlossen hätte. Die Interessen der
Vertragsparteien rechtfertigen deshalb auf der Grundlage der
versicherungsrechtlichen Lösung eine ergänzende Auslegung des Mietvertrags
mit dem Ziel einer generellen mietvertraglichen Haftungsbegrenzung auf
vorsätzliche oder grob fahrlässige Schadensverursachung nicht mehr.
3. Die versicherungsrechtliche Lösung schützt den Mieter allerdings nur,
wenn der Vermieter/Versicherungsnehmer die Versicherung tatsächlich in
Anspruch nimmt. Verzichtet der Vermieter darauf und fordert er unmittelbar
Schadensersatz vom Mieter, wird dieser in seiner Erwartung enttäuscht, als
Gegenleistung für die von ihm (anteilig) übernommenen Versicherungskosten im
Schadensfall einen Nutzen von der Gebäudeversicherung zu haben. Der
Vermieter hat dagegen insoweit, als er durch die Versicherung geschützt ist,
im Regelfall kein vernünftiges Interesse daran, den Schadensausgleich durch
den Mieter zu suchen, obwohl dieser bereits durch die Zahlung der
Versicherungsprämie zur Deckung des Schadens beigetragen hat. Aus dieser
Interessenlage folgt - jedenfalls bei der hier vorliegenden offenen
Abwälzung der Versicherungskosten auf den Mieter - die mietvertragliche
Pflicht des Vermieters, die Versicherung in Anspruch zu nehmen (oder auf
Schadensersatz zu verzichten), wenn ein Versicherungsfall vorliegt, ein
Regreß des Versicherers gegen den Mieter ausgeschlossen ist und der
Vermieter nicht ausnahmsweise ein besonderes Interesse an einem
Schadensausgleich durch den Mieter hat (Armbrüster, NVersZ 2001, 193,
196; Prölss, ZMR 2001, 157, 159; Jendrek, NZM 2003, 697, 700). Verletzt
der Vermieter diese Pflicht, steht dem Mieter ein Schadensersatzanspruch aus
positiver Vertragsverletzung zu, den er dem Schadensersatzanspruch des
Vermieters wegen seiner Obhutspflichtverletzung gemäß § 242 BGB ("dolo agit,
qui petit, quod statim redditurus est") entgegen halten kann. Davon
ausgehend hat das Berufungsgericht zu Recht einen Schadensersatzanspruch der
Klägerin gegen die Beklagten verneint.
a) Bei dem eingetretenen Leitungswasserschaden handelt es sich um einen
Versicherungsfall gemäß § 1 Nr. 1, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6 Nr. 1 VGB 88
(abgedruckt bei Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., S. 1198 ff.). Danach muß
Leitungswasser bestimmungswidrig aus den Zu- oder Ableitungsrohren der
Wasserversorgung oder aus mit dem Rohrsystem verbundenen sonstigen
Einrichtungen oder Schläuchen ausgetreten sein. Einrichtungen in diesem
Sinne sind z. B. zum Wasserdurchlauf bestimmte Hähne und Ventile (Martin,
Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., E I Rdnr. 35; Bechert, Grundlagen der
Leitungswasserversicherung, 5. Aufl., S. 24), also auch der hier betroffene
Absperrhahn. Bestimmungswidrig ist der Wasseraustritt daraus, wenn er -
subjektiv und wirtschaftlich - nicht der Bestimmung durch den
Versicherungsnehmer oder einen berechtigten Benutzer derjenigen Räume oder
Grundstücke des Versicherungsnehmers entspricht, innerhalb derer sich die
Rohre oder Einrichtungen befinden (Martin, aaO, E I Rdnr. 55; Dallmayr, in:
Bub/Treier, aaO, Kap. IX Rdnr. 15).
Das ist der Fall, wenn der Absperrhahn - wie die Beklagten behaupten -durch
einen unbefugten Dritten, etwa den oder die Vormieter, geöffnet worden ist
(vgl. Martin, aaO, E I Rdnr. 57). Ein bestimmungswidriger Wasseraustritt
liegt aber auch dann vor, wenn die Beklagten selbst oder eine der Personen,
die sich mit ihrer Billigung in der Wohnung aufgehalten haben, den
Absperrhahn versehentlich geöffnet oder zwar bewußt geöffnet, aber
versehentlich nicht wieder (vollständig) geschlossen haben. Irrt der
Versicherungsnehmer oder der Berechtigte über die Tatsache oder die Menge
des Wasseraustritts, so tritt dieses Wasser insoweit bestimmungswidrig aus
(Martin, aaO, E I Rdnr. 58, 60; Dallmayr, aaO; Bechert, aaO, S. 26). Für ein
bewußtes Offenhalten des Ventils durch die Beklagten oder eine sonstige
berechtigte Person gibt es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
keine Anhaltspunkte. Daß das Berufungsgericht eine schuldhafte
Schadensverursachung durch die Beklagten nicht ausgeschlossen hat, ist nicht
gleichbedeutend damit, daß die Beklagten den Absperrhahn "absichtlich"
geöffnet haben. Die Feststellungen des Berufungsgerichts verstoßen deshalb
entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen die Denkgesetze (§ 286
ZPO). Daß danach keine Anhaltspunkte für eine (vorsätzliche)
Schadensverursachung durch die Klägerin und Versicherungsnehmerin gegeben
sind, stellt auch die Revision nicht in Frage.
Der Versicherer war daher verpflichtet, die von der Klägerin geltend
gemachten Aufwendungen als Reparaturkosten nach § 15 Nr. 1 Buchst. b VGB 88
zu ersetzen.
b) Ein Regreß des Versicherers gegen die Beklagten nach § 67 Abs. 1 Satz 1
VVG wäre nach dem oben (unter 2) Ausgeführten ausgeschlossen gewesen, weil
den Beklagten nach den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des
Berufungsgerichts nur einfache Fahrlässigkeit zur Last fallen würde. Bei
einem konkludent im Versicherungsvertrag vereinbarten Regreßverzicht für den
Fall der leicht fahrlässigen Schadensverursachung obliegt es dem Versicherer
darzulegen und zu beweisen, daß die Voraussetzungen für einen Regreß beim
Mieter vorliegen, daß dieser also grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt
hat (Senatsurteil vom 14. Februar 2001 aaO unter 2 c; BGH, Beschluß vom 12.
Dezember 2001, aaO; BGHZ 145, 393, 400). Diesen Nachweis hat das
Berufungsgericht nicht als geführt angesehen, weil der genaue
Schadensverlauf sich nicht mehr klären lasse und es für ein grob
fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten der Beklagten oder der
Personen, für die sie einzustehen hätten, an ausreichenden Anhaltspunkten
fehle.
Das ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, auch wenn man
berücksichtigt, daß es zur Frage einer möglichen Schadensverursachung durch
Dritte an abschließenden Feststellungen fehlt (siehe oben unter 1). Die
Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit im Einzelfall ist in
erster Linie dem Tatrichter vorbehalten und von dem Revisionsgericht nur
darauf zu überprüfen, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit
verkannt worden ist oder ob wesentliche Umstände außer Betracht gelassen
worden sind (BGH, Beschluß vom 12. Dezember 2001, aaO; Senatsurteil BGHZ
131, 288, 296). Das ist nicht der Fall. Selbst wenn man es mit der Revision
als eine denkbare Möglichkeit betrachtet, daß die Beklagten oder eine der
Personen, für die sie einzustehen haben, den Hahn aufdrehten und dann nicht
wieder ganz zudrehten, zwingt dies nicht zur Annahme grober Fahrlässigkeit.
Denn es ist - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - fernliegend,
daß die vollständige Schließung des Ventils trotz eines sofort erkennbaren
fortdauernden Wasseraustritts unterblieben ist.
c) Die Klägerin könnte deshalb nur dann Schadensersatz von den Beklagten
verlangen, wenn sie ausnahmsweise ein besonderes Interesse daran hätte, daß
der Schadensausgleich durch die Mieter und nicht durch den
Gebäudeversicherer erfolgt. Ein solches Interesse hat das Berufungsgericht
zutreffend verneint.
Es folgt nicht schon daraus, daß der Versicherer möglicherweise nach § 20
Nr. 2 VGB 88, § 6 Abs. 3 VVG von seiner Verpflichtung zur Leistung frei
geworden ist, weil die Klägerin den Schaden entgegen § 20 Nr. 1 Buchst. a
VGB 88 nicht unverzüglich angezeigt hat. Die ordnungsgemäße Erfüllung der
vertraglichen Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls ist Sache
des Versicherungsnehmers und fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich
der Klägerin.
Die Revision verweist vergeblich darauf, daß unabhängig von der
Obliegenheitsverletzung ein besonders hohes Prozeßrisiko bestanden habe,
weil nicht geklärt sei, ob von einem bestimmungswidrigen Wasseraustritt im
Sinne des § 6 Nr. 1 a VGB 88 gesprochen werden könne. Im Einzelfall mag eine
zu erwartende langwierige gerichtliche Auseinandersetzung mit dem
Versicherer bei ungewisser Erfolgsaussicht ein berechtigtes Interesse des
Vermieters an der Inanspruchnahme des Mieters begründen (Armbrüster, NVersZ
2001, 193, 196; Prölss, ZMR 2001, 157, 159; BGHZ 145, 393, 396). Im
vorliegenden Fall lag indes das Prozeßrisiko der Klägerin gegenüber dem
Versicherer - unter Außerachtlassung ihrer Obliegenheitsverletzung -
angesichts der oben (unter 3 a) dargestellten Rechtslage im üblichen Rahmen.
Zum Begriff der Bestimmungswidrigkeit im Sinne von § 6 Nr. 1 VGB 88 finden
sich kaum veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, was darauf schließen läßt,
daß dieses Tatbestandsmerkmal auch in der Regulierungspraxis keine
nennenswerten Schwierigkeiten bereitet (Martin, aaO, E I Rdnr. 62; Dallmayr,
aaO, Kap. IX Rdnr. 15). Keinesfalls durfte die Klägerin deshalb davon
absehen, den Versicherer rechtzeitig zumindest außerprozessual zur Leistung
aufzufordern. Angesichts der für sie günstigen Rechtslage wäre die Klägerin
aber gegebenenfalls auch gehalten gewesen, einen Deckungsprozeß gegen den
Versicherer zu führen. Wenn jede, auch erkennbar unberechtigte,
Leistungsverweigerung durch den Versicherer den Vermieter berechtigte, statt
der Versicherung sogleich den Mieter in An
spruch zu nehmen, würde der Schutz, den der Mieter als Gegenleistung für die
(anteilige) Übernahme der Versicherungskosten erwarten darf, in unzumutbarer
Weise entwertet.
Auf die Frage, ob ein etwaiger Schadensersatzanspruch der Klägerin verjährt
wäre, kommt es danach nicht mehr an.
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