Wegfall der
Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bei Konkurrenztätigkeit nach Veräußerung
eines GmbH-Anteils
BGH, Urteil vom 8. Februar
2006 - VIII ZR 304/04
Fundstelle:
NJW-RR 2006, 1037
Amtl. Leitsatz:
Zur Störung der
Geschäftsgrundlage bei Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit nach Verkauf eines
Geschäftsanteils.
Zentrale Probleme:
Es handelt sich um eine klassische Konstellation der
Geschäftsgrundlage. Der Fall zeigt, daß durch deren Kodifikation in § 313
BGB im Wege der Schuldrechtsreform keine sachliche Änderung der Rechtslage
eingetreten ist. S. auch die Anm. zu BGH NJW
2007, 1884.
©sl 2006
Tatbestand:
Die Parteien waren Gesellschafter und Geschäftsführer der G. Spedition GmbH
(künftig: G. GmbH). Deren Hauptkunde war die S. AG, die auch Aufträge an die
konkurrierende Spedition M. GmbH (künftig: M GmbH) vergab.
Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien - der Beklagte
lehnte unter anderem eine vom Kläger angestrebte Kooperation mit der M. GmbH
ab -, entschlossen sie sich, dass der Kläger aus der Gesellschaft
ausscheiden sollte. In einem von beiden Parteien unterzeichneten
Rundschreiben vom 25. Juni 2002 teilten sie der Belegschaft der G. GmbH
unter anderem mit:
"T. T. hat in den Gesprächen über
die Trennung deutlich gemacht, dass er keine Absicht hat, der Firma
durch sein Ausscheiden zu schaden. Er sagte sehr deutlich, dass er sein
Leben und seine Familie vorerst an die erste Stelle seiner Planung
stellen wird und erst an dritter Stelle seine berufliche Zukunft stehen
wird.
Gegenüber H. G. hat T. T. ausdrücklich betont, dass er nicht die Absicht
hat, selbst ein Unternehmen zu gründen, das in den Wettbewerb zur G.
Spedition treten soll.
Auch die Gerüchte, er werde zu einer anderen Firma gehen, die im
Wettbewerb zur G. Spedition steht, hat er ausdrücklich verneint."
Durch notariell beurkundeten Kauf- und
Abtretungsvertrag vom 9. Juli 2002 erwarb der Beklagte für 51.129,19 €
(100.000,- DM) den Gesellschaftsanteil des Klägers. Dessen
Geschäftsführervertrag endete zum 31. August 2002. Seit dem 1. September
2002 ist der Kläger für die M. GmbH tätig, nach wenigen Wochen wurde er
Leiter der Niederlassung in H. . Am 20. September 2002 beendete die S. AG
die Zusammenarbeit mit der G. GmbH und setzte diese ausschließlich mit der
M. GmbH fort.
Der Kläger hat den Kaufpreis nebst Verzugszinsen im Urkundenprozess geltend
gemacht. Das Landgericht hat den Beklagten durch Vorbehaltsurteil
antragsgemäß verurteilt. Im Nachverfahren hat das Landgericht das
Vorbehaltsurteil in Höhe von 21.474,26 € (42.000,- DM) aufrechterhalten. Auf
die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Vorbehaltsurteil in
vollem Umfang für vorbehaltlos erklärt; die Berufung des Beklagten hat es
zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der
Beklagte sein auf Aufhebung des Vorbehaltsurteils und Klageabweisung
gerichtetes Begehren in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Dem Kaufpreisanspruch des Klägers stehe seine Tätigkeit für das
Konkurrenzunternehmen M. GmbH nicht entgegen. Der Beklagte habe nicht
bewiesen, dass der Kläger ihn bei Vertragsschluss arglistig getäuscht habe
(§ 123 BGB). Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass der Kläger sich schon am
9. Juli 2002 für einen Wechsel zum Hauptkonkurrenten entschieden habe; es
stehe auch nicht fest, dass der Kläger den früheren Großkunden S. AG zur
weiteren Zusammenarbeit mit der M. GmbH veranlasst habe. Eine weitere
Beweisaufnahme, insbesondere eine Vernehmung des Zeugen L. , sei
entbehrlich, weil der Beklagte nicht dargelegt habe, aus welchem Grund
dieser Zeuge etwas Erhebliches über die Entscheidungsfindung bei der S. AG
bekunden könne. Eine Herabsetzung des Kaufpreises nach den Regeln über die
Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) könne der Beklagte ebenfalls
nicht verlangen. Ein Verzicht des Klägers auf jegliche Tätigkeit in der
Speditionsbranche sei nicht Geschäftsgrundlage des Kaufvertrages gewesen.
II. Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des
angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass der
Beklagte nicht aufgrund der kurz nach Vertragsschluss aufgenommenen
Konkurrenztätigkeit des Klägers Herabsetzung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2
BGB) nach den Grundsätzen über die Anpassung eines Vertrages wegen einer
Störung der Geschäftsgrundlage verlangen kann (§ 313 BGB).
a) Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluss bestehenden
gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner
erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen
Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser
Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung
aufbaut (st. Rspr.; so BGHZ 120, 10, 23; Senatsurteil vom 15. November
2000 - VIII ZR 324/99, NJW 2001, 1204 = WM 2001, 523, unter II 1 a, jew.
m.w.Nachw.). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war es bei
Abschluss des notariellen Vertrages vom 9. Juli 2002 die dem Kläger
erkennbare Vorstellung des Beklagten, der der Kläger nicht entgegen getreten
ist, dass er, der Kläger, keine Konkurrenztätigkeit in der Speditionsbranche
aufnehmen sollte. Ob ein bestimmter Umstand Geschäftsgrundlage ist,
unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung und ist für das Revisionsgericht
bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Diese Bindung entfällt jedoch, wenn gesetzliche
oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze
durch das Tatgericht verletzt worden sind oder wesentliche Umstände des
Sachverhalts unberücksichtigt geblieben sind (Senatsurteil vom 15. November
2000, aaO, unter II 2 b). Das ist hier der Fall.
Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht den ihm unterbreiteten
Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt hat (§ 286 Abs. 1 ZPO). In dem kurz
vor Vertragsabschluss verfassten, von beiden Parteien unterzeichneten
Rundschreiben vom 25. Juni 2002, welches das Berufungsgericht in diesem
Zusammenhang außer Acht gelassen hat, hat der Kläger beteuert, nicht in
Wettbewerb zur G. GmbH treten zu wollen. Dieses war - anders als das
Berufungsgericht meint -, für den Kläger erkennbar, von erheblicher
Bedeutung für den Beklagten und war auch Grundlage des wenige Tage später
geschlossenen notariellen Vertrages, insbesondere für die Festsetzung der
Höhe des Kaufpreises. Aus den Begleitumständen ergibt sich entgegen der
Meinung des Berufungsgerichts nichts anderes. Der Umstand, dass kein
Konkurrenzverbot in die notarielle Urkunde aufgenommen wurde, besagt
lediglich, dass dieses nicht Vertragsinhalt geworden ist. Die Erklärung des
Beklagten, die Einhaltung eines Konkurrenzverbotes nicht kontrollieren zu
können, bedeutete nicht, dass er keinen Wert mehr auf die Einhaltung der
Zusage gelegt hätte, die der Kläger in dem Rundschreiben abgegeben hat, und
dass dies entgegen den vom Berufungsgericht nicht beachteten Feststellungen
des Landgerichts bei der Kaufpreisfestsetzung keine Rolle gespielt hätte.
Das Landgericht hat dazu festgestellt, der Beklagte habe, für den Kläger
erkennbar, zur Zeit des Vertragsschlusses darauf vertraut, dass der Kläger
später keine Konkurrenztätigkeit aufnehmen werde. Abweichende
Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
b) Die dem Kläger erkennbare Vorstellung des Beklagten hat sich nicht
verwirklicht. Die unmittelbar nach dem Ausscheiden des Klägers aus der G.
GmbH erfolgte Aufnahme einer leitenden Tätigkeit bei der konkurrierenden M.
GmbH ist eine schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage. Sie fällt
nicht in den Risikobereich des Beklagten und lässt ein Festhalten am
unveränderten Vertrag als nicht zumutbar erscheinen. Diese Feststellung
kann der Senat selbst treffen. Dazu bedarf es keiner weiteren
Zeugenvernehmung, denn es kommt entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts insoweit nicht darauf an, ob der Kläger zusätzlich noch
für den Wechsel des Hauptkunden, der S. AG, zur Konkurrentin M. GmbH
verantwortlich ist.
c) Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der notarielle
Vertrag der Parteien den veränderten Umständen in der Weise anzupassen, dass
der Kaufpreis des Geschäftsanteils auf den Betrag herabzusetzen ist, den der
Beklagte zu zahlen bereit gewesen wäre, wenn er die Übernahme einer
Konkurrenztätigkeit durch den Kläger vorhergesehen hätte. Die hiernach
gebotene Anpassung des Vertrages kann der Senat nicht selbst vornehmen, weil
das Berufungsgericht dazu - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine
Feststellungen getroffen hat.
Eine weitere Herabsetzung des Kaufpreises kommt in Betracht, wenn der Kläger
den Wechsel der S. AG entscheidend beeinflusst haben sollte. Wie die
Revision mit Recht rügt, hätte das Berufungsgericht dazu den vom Beklagten
benannten Zeugen L. vernehmen müssen. Es handelt sich entgegen der Annahme
des Berufungsgerichts nicht um einen Beweisantritt "ins Ungewisse hinein",
denn der ebenfalls für die S. AG tätige Zeuge Le. hat bekundet: "...die
Entscheidung angetrieben hat Herr L. , der hat dann die Entscheidung auch
selbst gefällt". Nähere Begleitumstände brauchte der Beklagte nicht
darzulegen, weil es sich bei einer etwaigen Einflussnahme des Klägers auf
Entscheidungsträger der S. AG um einen rechtserheblichen Umstand handelt,
der sich außerhalb der eigenen Sphäre des Beklagten zugetragen haben soll
(vgl. Senatsurteil vom 13. März 1996 - VIII ZR 36/95, NJW 1996, 1826 = WM
1996, 1013, unter II 2 c bb), zumal das Berufungsgericht selbst annimmt,
dass der Geschehensablauf eine Abwerbung nahe legt.
2. Für den Fall, dass nach alledem ein Kaufpreisanspruch des Klägers
verbleibt, wird das Berufungsgericht weitere Feststellungen zu der vom
Beklagten hilfsweise erklärten Anfechtung des Kaufvertrages wegen
arglistiger Täuschung zu treffen haben (§ 142 Abs. 1 BGB i.V. mit §§ 123
Abs. 1, 124 BGB; zur Zulässigkeit der Eventualanfechtung vgl. BGH, Urteil
vom 22. Februar 1991- V ZR 299/89, NJW 1991, 1673, unter II 2 a;
Senatsurteil vom 15. Mai 1968 - VIII ZR 29/66, NJW 1968, 2099, unter B III).
Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Tatbestand der arglistigen
Täuschung bereits dann erfüllt ist, wenn der Kläger bei Vertragsschluss am
9. Juli 2002 entgegen seiner in dem Rundschreiben vom 25. Juni 2002
enthaltenen ausdrücklichen Erklärung eine Konkurrenztätigkeit anstrebte. Dem
trägt die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts nicht Rechnung. Für die
Arglistanfechtung ist es nicht erforderlich, dass der Kläger um diese Zeit
zusätzlich plante, auch den Hauptkunden der G. GmbH abzuwerben. Bei der
erneuten Würdigung wird das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang, wie die
Revision zutreffend geltend macht, auch die Aussagen der Zeugen C. , S. und
B. zu berücksichtigen haben. Dabei kann ferner die durch Vernehmung des
Zeugen R. unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten Bedeutung
gewinnen, dass der Kläger bereits am 26. Juni 2002 erklärt habe, er werde
zur M. GmbH wechseln.
III. Auf die Revision des Beklagten ist daher das Berufungsurteil aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur
Endentscheidung reif ist und, wie ausgeführt, weiterer tatrichterlicher
Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).
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