Abgrenzung von Schickschuld (§ 269 III BGB) und
Bringschuld beim Versandhandel; Bestimmung des Leistungsorts (§ 269 BGB)
nach der "Natur des Schuldverhältnisses"; Gefahrtragung
BGH, Versäumnisurteil vom 6. November
2013 - VIII ZR 353/12 - OLG Stuttgart
Fundstelle:
NJW 2014, 454
Amtl. Leitsatz:
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des
Online-Shops eines Möbelhauses, das auf Wunsch des Kunden auch den Aufbau
der gekauften Möbel beim Kunden anbietet, hält die Regelung
"§ 4 Versand; Gefahrübergang; Versicherung (1) Wir schulden nur die
rechtzeitige, ordnungsgemäße Ablieferung der Ware an das
Transportunternehmen und sind für vom Transportunternehmen verursachte
Verzögerungen nicht verantwortlich."
der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB
nicht stand.
Zentrale Probleme:
In der Entscheidung geht es um Grundfragen des Leistungsorts
und der Gefahrtragung. Diese stellten sich hier im Rahmen einer "abstrakten"
AGB-Kontrolle in einem Verfahren nach dem UKlaG.
Aus § 269 III, I BGB ergibt sich, dass im Versandhandel regelmäßig eine
Schickschuld vorliegt. In diesem Fall geht die Sachgefahr (§ 275 I BGB),
aber auch die Preisgefahr (§ 447 BGB) mit Ablieferung an die Transportperson
auf den Käufer über. Letzteres, d.h. der Übergang der Preisgefahr, erfolgt
gem. § 474 Abs. 2 S. 2 BGB gegenüber einem Verbraucher nicht (siehe zu
dieser Unterscheidung BGH NJW 2003, 3341).
Im Fall einer solchen Schickschuld haftet der Verkäufer auch nicht nach §
278 Abs. 1 BGB für ein Verschulden des Transporteurs, da er selbst nicht den
Transport schuldet, der Transporteur also nicht sein Erfüllungsgehilfe
i.S.v. § 278 Abs. 1 BGB ist.
Im vorliegenden Fall wären also die beanstandeten AGBs des Händlers nach §
307 Abs. 3 BGB nicht der Inhaltskontrolle unterworfen, weil sie lediglich
die gesetzliche Lage wiedergeben. Allerdings ist nach § 269 Abs. 1 BGB
Leistungsort nur dann der Wohnsitz bzw. die Niederlassung (269 Abs. 2 BGB)
des Verkäufers, wenn sich nicht aus der „Natur des Schuldverhältnisses“
etwas anderes ergibt. Das wiederum ist im Versandhandel dann der Fall, wenn
sich der Verkäufer zugleich zur Montage der Kaufsache beim Käufer
verpflichtet. Da der Verkäufer im vorliegenden Fall auch die Montage der
verkauften Möbel anbietet, und seine AGB nach objektiver Auslegung auch für
diesen Fall einen Gefahrübergang sowie einen Haftungsausschluss für das
Transportunternehmen vorsehen, unterlagen sie der Inhaltskontrolle und
verstießen gegen § 307 Abs. 1 und 2 BGB sowie gegen § 309 Nr. 7 Buchst. b
BGB.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Kläger ist ein in die Liste der
qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 des Unterlassungsklagengesetzes
eingetragener Verbraucherverband. Die Beklagte betreibt als Möbelhändlerin
auch einen Online-Shop. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der
Beklagten für den Online-Shop (im Folgenden: AGB Online-Shop) ist unter
anderem geregelt:
"§ 4 Versand; Gefahrübergang; Versicherung
(1) Wir schulden nur die rechtzeitige, ordnungsgemäße Ablieferung der Ware
an das Transportunternehmen und sind für vom Transportunternehmen
verursachte Verzögerungen nicht verantwortlich."
2 Auf der Website des Online-Shops (Stand: 4. Oktober 2011) heißt es unter
"Möbel online kaufen - Häufig gestellte Fragen" unter anderem:
"Ist eine Montage der bestellten Ware möglich? Gerne können Sie die Montage
Ihrer Möbel hinzu buchen. Nehmen Sie hierzu Kontakt mit unserem
Kundenservice auf (...)"
3 Der Kläger hält mehrere Klauseln der AGB Online-Shop - unter anderem die
Regelung in deren § 4 Abs. 1 - für unwirksam und nimmt die Beklagte auf
Unterlassung der Verwendung dieser Klausel gegenüber Verbrauchern in
Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der
Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen - hinsichtlich § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop
abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der
Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch
Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Beklagte in der mündlichen
Revisionsverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten
war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der
Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962
- V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.).
I.
5 Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse,
im Wesentlichen ausgeführt:
6 § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop sei entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht
zu beanstanden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Klausel keine von
Rechtsvorschriften abweichende Regelung im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB
darstelle und damit bereits nicht der Inhaltskontrolle unterliege. Denn die
Beklagte gehe gegenüber ihren Kunden eine Schickschuld und keine Bringschuld
ein.
7 Der Bundesgerichtshof habe in seinem Urteil vom
16. Juli 2003 (VIII ZR 302/02) der Ansicht, beim Versandhandel liege
eine Bringschuld vor, eine Absage erteilt. Es bestehe kein Anlass, von
dieser dogmatisch überzeugenden Lösung abzugehen. Der Umstand, dass
vorliegend der Möbelhandel betroffen sei, rechtfertige es nicht, andere
Grundsätze als beim Versandhandel allgemein anzunehmen.
8 Die Annahme, aus den Umständen ergebe sich, dass Erfüllungsort nach der
Natur des Schuldverhältnisses der Wohnsitz des Käufers (bzw. der Lieferort)
und nicht der Sitz des Verkäufers sei, möge im Möbelhandel dann berechtigt
sein, wenn wie bei Einbauküchen Verträge nach individueller Beratung, die
auf die örtlichen Gegebenheiten beim Kunden abgestimmt seien, geschlossen
würden und die Küchen dann von der Händlerin nicht nur geliefert, sondern
auch durch deren Mitarbeiter aufgebaut würden und dies - wie bei
Einbauküchen - der Üblichkeit entspreche. Nach dem unwidersprochen
gebliebenen Vortrag der Beklagten verkaufe die Beklagte aber in ihrem
Online-Shop keine Küchen und müsse die Montage der im Online-Shop verkauften
Möbel gesondert hinzu gebucht werden. Mithin liege entgegen der Auffassung
des Klägers auch keine Erfüllungsort-Klausel vor, welche ohne sachlichen
Grund von dem sich aus § 269 BGB ergebenden Erfüllungsort abweichen würde.
Entgegen der Auffassung des Klägers habe sich hieran durch Inkrafttreten des
Schuldrechtsmo-dernisierungsgesetzes, insbesondere durch § 474 Abs. 2 BGB,
nichts geändert.
II.
9 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Regelung
in § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop, nach der die Beklagte nur die rechtzeitige,
ordnungsgemäße Ablieferung der Ware an das Transportunternehmen schuldet und
für vom Transportunternehmen verursachte Verzögerungen nicht verantwortlich
ist, hält der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht stand. Die Klausel
ist nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1
BGB der Inhaltskontrolle entzogen.
10 § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop bezieht sich auch auf Kaufverträge, in
denen sich die Beklagte zur Montage der Möbel beim Kunden verpflichtet. Die
Regelung benachteiligt den Kunden eines solchen Vertrages unangemessen, weil
sie ohne sachlichen Grund von der gesetzlichen Regelung über den
Leistungsort (§ 269 Abs. 1 BGB) abweicht und dadurch den Gefahrübergang (§
446 BGB) zum Nachteil des Kunden verändert (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr.
1 BGB). Hinzu kommt, dass die Klausel die Haftung der Beklagten für ein
Verschulden des Transportunternehmens entgegen §§ 278, 280 Abs. 1 BGB
ausschließt; insoweit verstößt die Regelung auch gegen das Klauselverbot des
§ 309 Nr. 7 Buchst. b BGB.
11 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass der Verkäufer bei Geschäften im Versandhandel in der Regel
keine Bringschuld, sondern nur eine Schickschuld übernimmt.
12 Nach der Rechtsprechung des Senats begründet der Umstand, dass es
im Versandhandel typischerweise Aufgabe des Verkäufers ist, die Versendung
der Kaufsache - auf eigene oder fremde Kosten - zu veranlassen, für sich
allein nicht die Annahme, der Empfangsort solle auch Leistungsort
(Erfüllungsort) für die Lieferpflicht des Verkäufers sein (arg. §
269 Abs. 3 BGB; Senatsurteil vom 16. Juli 2003 -
VIII ZR 302/02, NJW 2003, 3341 unter II 3 b). Aus § 447 BGB
ergibt sich nichts anderes. Da der nach § 269 BGB zu bestimmende
Leistungsort von § 447 Abs. 1 BGB nicht berührt wird, hat auch die Regelung
des § 474 Abs. 2 BGB, nach der die Anwendung des § 447 Abs. 1 BGB auf den
Verbrauchsgüterkauf - zwingend (§ 475 Abs. 1 BGB) - ausgeschlossen ist,
keine Auswirkungen auf den Leistungsort (Senatsurteil
vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 302/02, aaO unter II 3 d).
13 2. Die Vermutung, dass im Zweifel auch im Versandhandel der Sitz
des Verkäufers Erfüllungsort für die Verkäuferpflichten ist, greift aber nur
ein, wenn ein (anderer) Ort für die Leistung weder von den Beteiligten
bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des
Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB;
Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 302/02,
aaO). Letzteres ist hier der Fall.
14 Das Berufungsgericht hat, wie die Revision mit Recht beanstandet,
verkannt, dass sich die Regelung in § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop auch
auf Kaufverträge bezieht, in denen sich die Beklagte zur Montage der vom
Kunden online bestellten Möbel verpflichtet. Aus der Natur
eines solchen Vertrages ergibt sich, dass Leistungsort im Sinne des § 269
Abs. 1 BGB der Ort ist, an dem die Beklagte die gekauften Möbel aufzubauen
hat. Es handelt sich hierbei - abweichend vom Regelfall des
Versandhandels - nicht um eine Schickschuld, sondern um eine Bringschuld der
Beklagten.
15 a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und
typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und
redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise
beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die
Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des
Verwenders zugrunde zu legen. Zweifel bei der Auslegung gehen nach §
305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (st. Rspr.; Senatsurteil
vom 12. Dezember 2012 - VIII ZR 14/12, NJW 2013, 926 Rn. 13 mwN).
16 b) Nach diesen Grundsätzen ist § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop dahin
auszulegen, dass sich die Regelung auch auf Kaufverträge bezieht, in denen
sich die Beklagte zur Montage der bestellten Möbel beim Kunden verpflichtet.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dieser Auslegung
nicht entgegen, dass die Montage der im Online-Shop verkauften Möbel
gesondert hinzu gebucht werden muss.
17 Nach § 1 AGB Online-Shop sind die Verkaufsbedingungen der Beklagten nicht
nur für alle Kaufverträge, Lieferungen und Dienstleistungen aufgrund von
Bestellungen über den Online-Shop maßgebend (Absatz 1), sondern auch für
alle zwischen dem Verkäufer und der Beklagten "im Zusammenhang mit dem
Kaufvertrag getroffenen Vereinbarungen" (Absatz 2). Um eine im Zusammenhang
mit dem Kaufvertrag getroffene Vereinbarung handelt es sich auch bei der
Zusatzvereinbarung über die von der Beklagten auf der Website ihres
OnlineShops angebotene Montage der bestellten Möbel beim Kunden.
18 Schon aus § 1 Abs. 2 AGB Online-Shop ergibt sich deshalb für einen
durchschnittlichen Vertragspartner der Beklagten, dass die
Verkaufsbedingungen - damit auch § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop - auch für
Kaufverträge gelten, mit denen sich die Beklagte nicht nur zur Lieferung,
sondern auch zur Montage der Möbel beim Kunden verpflichtet. Dass die
entsprechende Zusatzvereinbarung einer telefonischen oder anderweitigen
Kontaktaufnahme mit dem Kundenservice der Beklagten bedarf, ändert daran
nichts. Vielmehr verweist die Beklagte auf der Website des Online-Shops am
Ende der Seite "Möbel online kaufen - Häufig gestellte Fragen" auf ihre
Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Online-Shop. Auch dieser Hinweis
legt das Verständnis nahe, dass sich § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop auch auf
Kaufverträge mit hinzu gebuchter Montageverpflichtung der Beklagten bezieht.
19 c) Bei einem Möbelkaufvertrag mit der Verpflichtung des
Verkäufers zur Montage der bestellten Möbel beim Kunden liegt, wie auch das
Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nach der Natur des
Schuldverhältnisses eine Bringschuld vor. Denn bei solchen
Verträgen, bei denen Lieferung und Montage der Kaufsache untrennbar
miteinander verbunden sind, kann die Montage der gekauften Möbel als
vertraglich geschuldete Leistung des Verkäufers nur beim Kunden erbracht und
auch nur dort festgestellt werden, ob die Kaufsache vertragsgemäß geliefert
und aufgebaut wurde. Dies rechtfertigt die Annahme einer Bringschuld
(vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1992, 1527 zur Lieferung und Montage
von Möbeln, insbesondere Einbauküchen).
20 3. Da sich § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop, wie ausgeführt, auch auf
Kaufverträge bezieht, die eine Bringschuld der Beklagten zum Gegenstand
haben, weicht die Klausel, nach der die Beklagte nur die rechtzeitige,
ordnungsgemäße Ablieferung der Ware an das Transportunternehmen schuldet,
zum Nachteil des Kunden vom Leistungsort des § 269 BGB und der Regelung des
§ 446 BGB ab, nach der die Gefahr nicht schon mit der Übergabe an das
Transportunternehmen, sondern erst mit der Übergabe an den Käufer auf diesen
übergeht. Darin liegt eine im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1
und 2 BGB unangemessene Benachteiligung des Kunden, weil ein sachlicher
Grund für die Abweichung nicht gegeben ist.
21 Soweit die Klausel darüber hinaus bestimmt, dass die Beklagte für vom
Transportunternehmen verursachte Verzögerungen nicht verantwortlich ist,
schließt sie bei vereinbarter Bringschuld entgegen §§ 278, 280 Abs.
1 BGB - ebenfalls in sachlich nicht gerechtfertigter Weise - die
Verantwortung der Beklagten für den Transport der Kaufsache aus;
auch insoweit ist § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop wegen unangemessener
Benachteiligung des Vertragspartners der Beklagten unwirksam (§ 307 Abs. 1
Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB). Darüber hinaus verstößt der
Haftungsausschluss gegen das Klauselverbot des § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB.
III.
22 Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, weil weitere
Feststellungen nicht zu treffen sind (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Da auch die
Regelung in § 4 Abs. 1 AGB Online-Shop unwirksam ist, ist die Berufung der
Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts insgesamt
zurückzuweisen.
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