Anforderungen an den
Inhalt der Widerrufsbelehrung nach § 355 II BGB; Beginn der Widerrufsfrist
vor Vertragsschluß (offen gelassen)
BGH, Urteil vom 12. April
2007 - VII ZR 122/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Eine Widerrufsbelehrung,
die lediglich über die Pflichten des Verbrauchers im Falle des Widerrufs,
nicht jedoch über dessen wesentliche Rechte informiert, entspricht nicht den
Anforderungen des Gesetzes.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung betrifft die Anforderung an eine
ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nach § 355 II BGB, bei deren Fehlen nach §
355 III S. 2 BGB die Widerrufsfrist weder zu laufen beginnt noch nach 6
Monaten erlischt. Der Senat läßt dabei die in der Lit. str. Frage offen, ob
die in § 14 der BGB-InfoVO vorgesehene Musterbelehrung tatsächlich den
gesetzlichen Anforderungen genügt, da diese hier keine Verwendung fand. Da
eine fehlerhafte Belehrung vorlag, konnte der Senat auch die weitere Frage
offen lassen, ob die Widerrufsfrist bereits mit Abgabe eines
Vertragsangebots des Verbrauchers, d.h. vor einer Annahmeerklärung des
Unternehmers anlaufen kann, d.h. ob sie lediglich eine Willenserklärung des
Verbrauchers oder aber (auch) einen Vertragsschluß voraussetzt (s. dazu
jetzt BGH v. 23.9.2010 - VII ZR 6/10).
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt eine pauschalierte Vergütung für nicht erbrachte
Werkleistungen. Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Werkvertrag
rechtzeitig widerrufen.
2 Ein Handelsvertreter der Klägerin suchte die Beklagte am 29. März 2005 in
deren Wohnung auf und bot ihr Fassadenanstrich- und Fassadenputzarbeiten zu
einem Festpreis an. Die Beklagte unterzeichnete am selben Tag ein
Bestellformular der Klägerin. Auf der Rückseite des der Beklagten
ausgehändigten Bestellformulars befindet sich eine abgesetzte und schwarz
umrandete Erklärung mit folgendem Wortlaut:
"Widerrufsbelehrung: Sie können Ihre
Bestellung innerhalb von zwei Wochen ab Aushändigung dieser Belehrung
ohne Begründung in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch
Rücksendung der bestellten Gegenstände gegenüber der Fa. D. - es folgt
die Adresse - widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige
Absendung des Widerrufs.
Im Falle des Widerrufs müssen Sie die erhaltene Sache zurück- und
gezogene Nutzungen herausgeben. Ferner haben Sie Wertersatz zu leisten,
soweit die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten
ausgeschlossen ist, Sie den empfangenen Gegenstand verbraucht,
veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet haben oder die
erhaltene Sache sich verschlechtert hat oder untergegangen ist. Die
durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung
bleibt außer Betracht.“
3 Unter dieser Erklärung befindet sich
in der für den Kunden vorgesehenen Zeile der Namenszug der Beklagten.
4 Mit Schreiben vom 8. April 2005, das der Beklagten am 9. April 2005
zugegangen ist, bestätigte die Klägerin die Bestellung der Beklagten. Mit
Schreiben vom 13. April 2005 widerrief die Beklagte ihre Bestellung.
5 Die Klägerin verlangt von der Beklagten auf der Grundlage ihrer
Vertragsbedingungen 36 % der vereinbarten Vergütung, das sind 6.362,07 €.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist
erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
6 Die Revision ist unbegründet.
I.
7 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe das ihr nach §§
312, 355 BGB zustehende Widerrufsrecht wirksam ausgeübt. Die Widerrufsfrist
habe nicht mit ihrem Angebot, sondern erst mit dem Vertragsschluss begonnen.
Nach § 312 BGB stehe dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu, wenn er zum
Abschluss eines Vertrages, der ein Haustürgeschäft zum Inhalt habe, bestimmt
worden sei. Damit räume ihm das Gesetz das Recht ein, einen bereits zustande
gekommenen Vertrag zu widerrufen. Folglich müsse dem Verbraucher die
volle Widerrufsfrist nach Abschluss des Vertrages zur Verfügung stehen.
Würde die Frist vorher laufen, könnte das dazu führen, dass die
Widerrufsfrist abgelaufen sei, bevor der Unternehmer die Annahme erkläre und
der Vertrag damit zustande komme. Das Gesetz gehe auch davon aus, dass der
Widerruf zur Rückabwicklung eines bereits abgeschlossenen Vertrages führe.
Dem entsprächen Artikel 5 und 7 der Richtlinie 85/577/EWG betreffend den
Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen
Verträgen vom 20. Dezember 1985. Artikel 4 der Richtlinie stehe dem nicht
entgegen. Auch der Zweck des Widerrufsrechts erfordere, dass die
Widerrufsfrist erst mit Vertragsschluss laufe. Die dem Verbraucher
eingeräumte Bedenkfrist könne erst dann ihren Sinn erfüllen, wenn der
Verbraucher wisse, ob der Unternehmer dem Vertragsschluss zustimme.
II.
8 Das hält der rechtlichen Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
9 1. Der Beklagten steht nach den nicht angefochtenen Feststellungen des
Berufungsgerichts ein Widerrufsrecht gemäß § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 355
BGB zu. Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 1 BGB zwei Wochen und
beginnt in dem Zeitpunkt, in dem dem Verbraucher eine den Anforderungen des
Gesetzes entsprechende Widerrufsbelehrung mitgeteilt worden ist.
10 2. Im Streit steht, ob die Frist nicht beginnen kann, bevor ein Vertrag
zustande gekommen ist, der Unternehmer also ein in der Haustürsituation
abgegebenes Angebot des Verbrauchers angenommen hat. Die Revision hält die
entsprechende Auffassung des Berufungsgerichts für unzutreffend. Sie
verweist auf die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossenen Verträgen (ABl. Nr. L 372 S. 31). Darin ist geregelt, dass dem
Verbraucher die Widerrufsbelehrung zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots
auszuhändigen ist, Artikel 4, und der Verbraucher innerhalb von sieben Tagen
nach diesem Zeitpunkt von der eingegangenen Verpflichtung zurücktreten darf,
Artikel 5. Der Senat hat nicht zu entscheiden, inwieweit die vom
Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der §§ 312, 355 BGB mit der
Richtlinie zu vereinbaren ist und eine von der Richtlinie abweichende
Regelung gemäß Artikel 8 zulässig wäre. Auch muss er nicht eine Vorlage an
den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Frage in
Erwägung ziehen, ob das Verständnis des Berufungsgerichts zu Artikel 5 der
Richtlinie zutreffend ist. Denn auf die Frage, wann die Frist von zwei
Wochen beginnt, kommt es nicht an.
11 3. Der Widerruf der Beklagten war schon deshalb rechtzeitig, weil die
Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des Gesetzes entspricht. Die
Klägerin hat lediglich auf die Pflichten, nicht jedoch auf wesentliche
Rechte des Verbrauchers hingewiesen. Eine derartige Widerrufsbelehrung
genügt nicht den Anforderungen des § 312 Abs. 2 BGB, wonach die
Widerrufsbelehrung auf die Rechtsfolgen des § 357 Abs. 1 und 3 BGB hinweisen
muss. Die Widerrufsbelehrung ist deshalb unwirksam, so dass eine
Widerrufsfrist nicht laufen konnte.
12 a) Die Klägerin hat kein Formular verwendet, das dem Muster gemäß § 14
Abs. 1 Anlage 2 BGB-InfoV entspricht. Sie kann schon deshalb keine ihr
günstigen Rechtswirkungen aus der BGB-InfoV herleiten.
13 b) Der Schutz des Verbrauchers erfordert eine möglichst umfassende,
unmissverständliche und aus dem Verständnis der Verbraucher eindeutige
Belehrung (BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - I ZR 55/00, ZIP 2002, 1730, 1731).
Eine diesen Anforderungen genügende Information über die Rechtsfolgen des §
357 Abs. 1 und 3 BGB kann sich nicht darauf beschränken, allein die
Pflichten des Verbrauchers wiederzugeben, denn zu den in § 357 Abs. 1 BGB
geregelten Rechtsfolgen gehören ebenso Rechte des Verbrauchers. Auch § 355
Abs. 1 BGB fordert, dass der Verbraucher über seine Rechte informiert wird.
14 c) Eine Beschränkung der Anforderungen an den Inhalt einer
Widerrufsbelehrung derart, dass abweichend vom Wortlaut des Gesetzes
lediglich über die Pflichten des Verbrauchers zu belehren ist, ergibt sich
nicht aus der Gesetzesbegründung zu § 312 Abs. 2 BGB.
15 Nach der Gesetzesbegründung wurde zwar unter Hinweis auf § 312 d Abs. 3
BGB besonderer Wert auf die allein die Pflicht des Verbrauchers betreffende
Information gelegt, dass eine bereits vor dem Widerruf empfangene
Dienstleistung mit der vereinbarten Vergütung als Wertersatz zu bezahlen
ist. Denn der Verbraucher solle wissen, was auf ihn zukomme (BT-Drucksache
14/7052 S. 190). Aus dieser besonderen Hervorhebung lässt sich jedoch nicht
herleiten, dass lediglich über die dem Verbraucher nachteiligen Rechtsfolgen
aufzuklären ist. Eine solche Einschränkung findet sich im Gesetzestext
nicht. Auch in der Gesetzesbegründung wird abschließend ausgeführt, dass der
Unternehmer den Verbraucher über diese Rechtsfolgen "sowie über die
sonstigen Rechtsfolgen des Widerrufs" zu belehren hat und zudem darauf
hingewiesen, dass ein Gleichlauf zwischen den Belehrungspflichten über die
Rechtsfolgen des Widerrufs bei Fernabsatzverträgen und Haustürgeschäften
erreicht werden soll (BT-Drucksache 14/7052 S. 190). Nach § 312c Abs. 1 Satz
1 BGB muss der Unternehmer u.a. die Informationen zur Verfügung stellen, für
die dies in der Rechtsverordnung nach Artikel 240 des Einführungsgesetzes
zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt ist. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV
muss der Verbraucher über die Rechtsfolgen des Widerrufs oder der Rückgabe,
einschließlich der Informationen über den Betrag, den der Verbraucher im
Falle des Widerrufs oder der Rückgabe gemäß § 357 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuches für die erbrachte Dienstleistung zu zahlen hat, informiert
werden.
16 d) Der Senat muss nicht entscheiden, in welchem Umfang der Verbraucher im
Einzelnen über seine sich aus § 357 Abs. 1 und Abs. 3 BGB ergebenden Rechte
zu informieren ist. Der Schutzzweck der Regelung erfordert jedenfalls
eine Belehrung über die wesentlichen Rechte, die sich aus den Vorschriften
über den gesetzlichen Rücktritt ergeben. Dazu gehört, dass auch der
Unternehmer die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gegebenenfalls
gezogene Nutzungen herauszugeben hat. Dementsprechend sieht auch das Muster
in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV den Text vor: "Im Falle eines wirksamen
Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und
ggfls. gezogene Nutzungen (z.B. Zinsen) herauszugeben." Die
Widerrufsbelehrung der Klägerin informiert demgegenüber lediglich darüber,
dass der Verbraucher die Pflicht zur Rückgewähr und zur Herausgabe gezogener
Nutzungen hat. Das ist eine einseitige Darstellung, die geeignet ist,
Unsicherheit beim Verbraucher darüber hervorzurufen, inwieweit der
Unternehmer in gleicher Weise verpflichtet ist. Sie wird dem Ziel, den
Verbraucher möglichst unmissverständlich zu belehren, nicht gerecht. Diesem
drängt sich die unbeantwortete Frage auf, wieso nur seine Verpflichtung zur
Rückgabe und nicht die des Unternehmers zur Rückzahlung erwähnt wird.
Insbesondere wird ihm die Information vorenthalten, dass auch der
Unternehmer die gezogenen Nutzungen, z.B. Zinsen, herauszugeben hat.
17 Da mangels einer ordnungsgemäßen Belehrung eine Widerrufsfrist nicht
lief, ist der Widerruf der Beklagten wirksam.
IV.
18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO |