Zivilrechtliche
Verantwortlichkeit von Forenbetreibern für Verletzung des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts durch einzelne Forenbesucher
BGH, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR
101/06
Fundstelle:
NJW 2007, 2558
S. dazu auch BGH v.
27.3.2012 - VI ZR 144/11.
Amtl. Leitsatz:
Ein Unterlassungsanspruch wegen eines
in ein Meinungsforum im Internet eingestellten ehrverletzenden Beitrags kann
auch dann gegen den Betreiber des Forums gegeben sein, wenn dem Verletzten
die Identität des Autors bekannt ist.
Tatbestand:
1 Der Kläger ist
Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender eines Vereins, dessen satzungsmäßiger
Zweck u.a. die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet ist. Die
Beklagte ist Betreiberin eines Internetforums, das sich mit sexuellem
Missbrauch und Kinderpornographie beschäftigt. Nachdem der Kläger selbst
einen Beitrag in das Forum eingestellt hatte, veröffentlichte ein
Unbekannter dort unter dem Pseudonym "Katzenfreund" einen Beitrag, durch den
sich der Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sieht, ebenso durch
den später eingestellten Beitrag eines Autors mit dem Pseudonym
"Rumtrauben", dessen Identität dem Kläger bekannt ist. Der Kläger hat die
Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung dieser Beiträge, Zahlung einer
Geldentschädigung von mindestens 2.000,00 € und Ersatz vorgerichtlicher
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.187,38 € in Anspruch genommen.
2 Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens
bezüglich beider Beiträge und eines Teils der geltend gemachten
Rechtsverfolgungskosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht die Klage hinsichtlich des Beitrags des dem Kläger
bekannten Verfassers "Rumtrauben" und der insoweit beanspruchten
Rechtsverfolgungskosten abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte erstrebt mit der Anschlussrevision
die vollumfängliche Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in AfP 2006, 267 veröffentlicht
ist, beurteilt den Beitrag des Autors "Katzenfreund" als Meinungsäußerung,
die den Kläger in seiner Ehre verletze. Die Diffamierung werde nicht durch
die eigenen Beiträge des Klägers gerechtfertigt, mit denen dieser sich zuvor
in dem Forum in negativer Weise über seine Diskussionsgegner geäußert habe.
Hinsichtlich dieses Beitrags bestehe ein Unterlassungsanspruch gegen die
Beklagte, weil sie als Betreiberin des Forums die Äußerung verbreite und
sich insoweit nicht auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit berufen
könne. Demgegenüber habe der Kläger keinen Unterlassungsanspruch gegen die
Beklagte hinsichtlich des Beitrags des ihm bekannten Autors "Rumtrauben". Im
Falle der Kenntnis von der Identität des Autors sei bei einem Meinungsforum
vorrangig derjenige in Anspruch zu nehmen, der sich geäußert habe. Ein
Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten bestehe nur in Höhe von
310,65 € hinsichtlich des Beitrags des Autors "Katzenfreund".
II.
4 Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die
Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg.
5 1. Rechtlich zutreffend und von den Parteien im Revisionsrechtszug auch
nicht angegriffen wertet das Berufungsgericht den Beitrag des Autors
"Katzenfreund" als Meinungsäußerung, die den Kläger wegen ihn schmähender
Inhalte in seiner Ehre verletzt und dessen Verbreitung er deshalb nicht
hinnehmen muss. Im Ansatz zutreffend nimmt das Berufungsgericht auch an,
dass die Beklagte als Betreiberin des Internetforums bei Kenntniserlangung
von unzulässigen Inhalten zum Sperren bzw. Entfernen des von einem Dritten
eingestellten Beitrags verpflichtet sein kann.
6 a) Diese Verpflichtung ergibt sich allerdings nicht, wie es im
Berufungsurteil anklingt, aus § 11 Nr. 2 TDG oder § 9 Nr. 2 MDStV. Für die
Beurteilung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs des
Klägers ist das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend (BGHZ
131, 308, 311 f.), welches grundsätzlich auch vom Revisionsgericht zu
berücksichtigen ist (BGHZ 9, 101 f.). Abzustellen ist mithin auf die mit dem
Gesetz zur
Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische
Informations- und Kommunikationsdienste
(Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz-ElGVG) vom 26.
Februar 2007 am 1. März 2007 in Kraft getretenen Vorschriften des
Telemediengesetzes (BGBl I S. 179), welches an die Stelle des
Teledienstegesetzes und des Medienstaatsvertrages getreten ist. Die im
Telemediengesetz enthaltenen Vorschriften zur Verantwortlichkeit von
Diensteanbietern (§§ 7 bis 10 TMG) haben die Regelungen des
Teledienstegesetzes und die für Mediendienste bisher geltenden
entsprechenden Regelungen des Medienstaatsvertrages unverändert übernommen
(vgl. Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf vom 26. Oktober
2006, BT-Drucks. 16/3078, S. 15). Die diesbezüglichen Vorschriften weisen
keinen haftungsbegründenden Charakter auf und enthalten ebenso wie schon die
§§ 8 bis 11 TDG in der Fassung von Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 14.
Dezember 2001 (BGBl I S. 3721) keine Anspruchsgrundlagen. Wie sich aus § 7
Abs. 1 TMG ergibt, setzen die nachfolgenden Bestimmungen des Gesetzes ebenso
wie schon § 8 Abs. 1 TDG und § 5 TDG i.d.F. vom 22. Juli 1997 (BGBl I S.
1870) eine Verantwortlichkeit nach allgemeinen Vorschriften des Zivil- oder
Strafrechts voraus (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2003 - VI ZR 335/02
- VersR 2003, 1546 [zu § 5 TDG a.F.] m.w.N.; Stadler, Haftung für
Informationen im Internet, 2. Aufl., Rn. 18). Nach Auffassung des
Schrifttums kommt diesen Vorschriften deshalb eine Art "Filterfunktion" zu
(vgl. Sobola/Kohl, CR 2005, 443, 445 m.w.N.). Vorliegend beruht der
Unterlassungsanspruch des Klägers auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1
BGB analog sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB.
7 b) Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit lässt sich vorliegend
insbesondere nicht aus der Haftungsprivilegierung nach § 10 TMG herleiten.
Diese Vorschrift findet ebenso wie § 11 TDG, worauf die Revisionserwiderung
mit Recht hinweist, auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung. Wie sich aus
§ 7 Abs. 2 TMG und dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung ergibt,
betrifft § 10 TMG lediglich die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die
Schadensersatzhaftung (BGHZ 158, 236, 246 ff. zu § 11 S. 1 TDG).
Unterlassungsansprüche bleiben von dieser Vorschrift - ebenso wie auch schon
von §§ 8, 11 TDG bzw. § 5 TDG Abs. 1 bis 3 a.F. - unberührt (BGHZ aaO, S.
248).
8 c) Dem Unterlassungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass der
beanstandete Beitrag vorliegend in ein so genanntes Meinungsforum
eingestellt worden ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können
die Grundsätze, die der erkennende Senat für Fernsehsendungen aufgestellt
hat, die - wie etwa Live-Diskussionen - einen "Markt der Meinungen" eröffnen
(Senatsurteil BGHZ 66, 182, 188, "Panorama"), auf den vorliegenden
Fall nicht übertragen werden. Bei der Frage, ob das Fernsehen allein
wegen des Ausstrahlens einer ehrverletzenden Äußerung belangt werden kann,
ist den Besonderheiten Rechnung zu tragen, die sich aus seiner Rolle und den
Möglichkeiten und Zwängen fernsehgerechter Darstellung ergeben. Mit
Rücksicht darauf hat der erkennende Senat seinerzeit entschieden, dass
eine Störerhaftung der Fernsehanstalt zu verneinen sein kann, wenn während
der Live-Übertragung einer Fernsehdiskussion eine ehrverletzende Äußerung
durch einen Dritten erfolgt oder wenn das Fernsehen die kritische Äußerung
eines Dritten aufgreift, ohne sich mit ihr zu identifizieren
(Senatsurteil BGHZ aaO, S. 189 f.).
9 Diese Überlegungen sind auf ein im Internet eröffnetes Meinungsforum
nicht übertragbar. Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die
für LiveSendungen in Rundfunk und Fernsehen geltende mediale Privilegierung
sich nicht auf Wiederholungen erstrecken kann, da dem Veranstalter hier die
Möglichkeit offen steht, die (erneute) Verbreitung von Äußerungen Dritter zu
verhindern (Jürgens, CR 2006, 188, 189; Pankoke, Von der Presse- zur
Providerhaftung, 2000, S. 90). Entsprechendes gilt für Internetforen, sofern
dem Betreiber - wie vorliegend unstreitig - die erfolgte Rechtsverletzung
bekannt ist. In dem Unterlassen, einen als unzulässig erkannten Beitrag zu
entfernen, liegt eine der Wiederholung einer Rundfunk- oder
Fernsehaufzeichnung vergleichbare Perpe-tuierung der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Der Betreiber eines Internetforums
ist "Herr des Angebots" und verfügt deshalb vorrangig über den rechtlichen
und tatsächlichen Zugriff. Internetangebote sind - wie etwa auch
Aufzeichnungen im Fernsehen - dem nachträglichen Zugriff des Anbieters in
keiner Weise entzogen. Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt
werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit
zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet (Jürgens/Köster,
AfP 2006, 219, 222).
10 d) Entgegen der Meinung der Anschlussrevision kann die Beklagte dem
Unterlassungsanspruch auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Kläger habe
diese Äußerungen durch von ihm selbst zuvor in das Forum eingestellte eigene
Beiträge provoziert. Die Teilnahme an einem Meinungsforum kann nicht als
stillschweigende Erklärung der Einwilligung in Ehrverletzungen innerhalb
dieses Forums gewertet werden. Es mag sein, dass der Teilnehmer eines
Forums, in dem, wie es häufig und auch vorliegend der Fall ist, Äußerungen
unter einem Pseudonym eingestellt werden können, im Einzelfall damit rechnen
muss, dass er dort von anonym bleibenden Personen angegriffen und
möglicherweise in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Wer
dieses Risiko eingeht, verzichtet damit aber grundsätzlich nicht auf
Abwehransprüche hinsichtlich künftiger Ehrverletzungen.
Unterlassungsansprüche sind ihm deshalb nicht abgeschnitten.
11 Der Kläger muss die in dem beanstandeten Beitrag enthaltene Ehrverletzung
auch nicht nach den Grundsätzen der Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen
einer öffentlichen Auseinandersetzung hinnehmen, bei der die Vermutung
zugunsten der freien Rede sprechen kann (vgl. BVerfGE 7, 198, 212 = NJW
1958, 257; BVerfGE 54, 120, 139 = NJW 1980, 2069; BVerfGE 61, 1, 7 = NJW
1983, 1415; BVerfG NJW 1990, 1980). Der Schutz von Meinungsäußerungen
tritt nämlich regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrechtsschutz zurück, wenn
sich die betreffenden Äußerungen - wie vorliegend - als Schmähung darstellen
(vgl. BVerfGE 82, 272, 281 = NJW 1991, 95).
12 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt ein
Unterlassungsanspruch vorliegend auch hinsichtlich des Beitrags b) des
Autors "Rumtrauben" in Betracht.
13 a) Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Betreibers eines
Internetforums für dort eingestellte Beiträge entfällt nicht deshalb, weil
dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Wird ein
ehrverletzender Beitrag in ein Forum eingestellt, ist der Betreiber als
Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Unterlassung verpflichtet. Ebenso
wie der Verleger die Quelle einer von einem Presseerzeugnis ausgehenden
Störung beherrscht und deshalb grundsätzlich neben dem Autor eines
beanstandeten Artikels verantwortlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 3,
270, 275 ff. und 14, 163, 174; Löffler/Steffen, Presserecht, 5. Aufl., LPG §
6, Rn. 276 f.), kann beim Fernsehen das Sendeunternehmen als "Herr der
Sendung" zur Unterlassung verpflichtet sein (Senatsurteil BGHZ 66, 182,
188). Diese Grundsätze gelten auch für den Betreiber eines Internetforums,
der insoweit "Herr des Angebots" ist. Der gegen ihn gerichtete
Unterlassungsanspruch des Verletzten besteht in gleicher Weise unabhängig
von dessen Ansprüchen gegen den Autor eines dort eingestellten Beitrags.
14 b) An einer Sachentscheidung darüber, ob vorliegend ein
Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte hinsichtlich des Beitrags des
Autors "Rumtrauben" besteht, ist der Senat gehindert, weil das
Berufungsgericht keine Feststellungen zum Inhalt dieses Beitrags getroffen
und diesen auch nicht rechtlich gewürdigt hat.
15 3. Hinsichtlich der Entscheidung des Berufungsgerichts über den Anspruch
des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten haben
die beiderseitigen Rechtsmittel keinen Erfolg, da die Revision und die
Anschlussrevision insoweit nicht begründet worden sind.
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