Störerhaftung des Betreibers eines
Informationsportals bei Verbreitung fremder Nachrichten ("RSS-Feeds") für
Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Internationale
Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung (Art. 24 S. 1 EuGVVO)
BGH, Urteil vom 27. März 2012 - VI ZR
144/11
Fundstelle:
NJW 2012, 2345
Amtl. Leitsatz:
a) Der Betreiber eines Informationsportals, der
erkennbar fremde Nachrichten anderer Medien (hier: RSS-Feeds) ins Internet
stellt, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beiträge vor der
Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist
erst verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt.
b) Weist ein Betroffener den Betreiber eines solchen Informationsportals auf
eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Inhalt einer in das
Portal eingestellten Nachricht hin, kann der Betreiber des Portals als
Störer verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.
Zentrale Probleme:
S. dazu auch
BGH v. 17.12.2010 - V ZR 44/10 sowie insbes. die Anm. zu
BGH v. 25.10.2011 - VI ZR 93/10
sowie zu BGH v. 14.5.2013 - VI ZR 269/12.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die in Luxemburg ansässige
Beklagte betreibt unter ihrer InternetAdresse ein deutschsprachiges
Informationsportal. In diesem stellt sie Informationen aus Medien zur
Verfügung, die sie über sogenannte RSS-Dienste bezieht. Diese versorgen ihre
Abonnenten ähnlich einem Nachrichtenticker fortlaufend mit kurzen
Informationsblöcken, die aus einer Schlagzeile mit kurzem Textanriss und
einem Link zur Originalseite bestehen. Der Nutzer kann auf der Internetseite
der Beklagten auch Suchbegriffe eingeben und innerhalb des auf dem Portal
zur Verfügung stehenden Materials recherchieren.
2 Am 16. Oktober 2009 verbreitete die Beklagte unter dem Titel
"Ex-RAF-Terroristin H. radelt in den Freigang" ein Bildnis, welches Frau H.
zeigte und heimlich aufgenommen worden war. Das Bild mit dem zugehörigen
Artikel stammte aus einem RSS-Feed der Streithelferin, der
Inhaltsverantwortlichen für die Website
www.bild.de.
Diese hatte das Bildnis und den dazugehörigen Artikel bereits am 13. Oktober
2009 aus dem Netz genommen, nachdem die Kläger, von Frau H. beauftragte
Rechtsanwälte, eine entsprechende einstweilige Verfügung erwirkt hatten.
3 Im Auftrag von Frau H. nahmen die Kläger auch die Beklagte auf
Unterlassung in Anspruch. Diese entfernte daraufhin ebenfalls den Artikel,
verweigerte aber die Zahlung der durch die Inanspruchnahme der Kläger
entstandenen Rechtsanwaltskosten, welche die Kläger aus abgetretenem Recht
von Frau H. im vorliegenden Rechtsstreit geltend machen.
4 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Berufung der Kläger hat das Landgericht zurückgewiesen. Es hat gegen sein
Urteil die Revision zugelassen, weil noch nicht höchstrichterlich geklärt
sei, ob den Betreiber eines Informationsportals, der abonnierte RSS-Feeds
ungeprüft auf seiner Internetseite veröffentlicht, die Pflicht treffe, in
regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob der RSS-Feed-Anbieter den RSS-Feed
noch anbiete, und bei Unterlassung dieser Pflicht deliktisch hafte.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht hat ebenso wie das erstinstanzliche Gericht eine
Haftung der Beklagten verneint. Diese habe sich die Veröffentlichung
inhaltlich nicht zu eigen gemacht, weil es sich bei der Darstellung der
mittels RSS-Feed bezogenen Nachrichten um einen automatisierten Prozess
handele, bei dem die Beklagte keine Einflussmöglichkeit auf den fremden
Inhalt der veröffentlichten Nachrichten habe. Auch unter dem Gesichtspunkt
der verschuldensunabhängigen Störerhaftung ergebe sich keine
Verantwortlichkeit der Beklagten, weil sie keine Prüfungspflichten verletzt
habe.
II.
6 Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
7 1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte,
die in jedem Verfahrensabschnitt, auch im Revisionsverfahren, von Amts wegen
zu prüfen ist (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, VersR
2012, 114 Rn. 10 mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), ist
gegeben. Denn die in Luxemburg ansässige Beklagte hat sich rügelos auf das
Verfahren eingelassen (Art. 24 Satz 1 EuGVVO). Kraft
Rechtswahl der Parteien ist deutsches Recht anwendbar.
8 2. Für das Revisionsverfahren ist mit den Vorinstanzen davon
auszugehen, dass die über das Portal der Beklagten zugänglich gemachte
Bildberichterstattung unter dem Titel "Ex-RAF-Terroristin H. radelt in den
Freigang" das Persönlichkeitsrecht von Frau H. beeinträchtigte. Das
Berufungsgericht hat jedoch mit Recht einen Unterlassungsanspruch von Frau
H. gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB, §§ 22, 23 KUG,
Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, welcher Voraussetzung für den mit der Klage
geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten wäre, verneint.
9 a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend mit dem
Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Haftungsbeschränkung des § 10 Satz 1
TMG nicht für Unterlassungsansprüche gilt (st. Rspr., vgl.
Senatsurteile vom 27. März
2007 - VI ZR 101/06, VersR 2007, 1004 Rn. 7 - Meinungsforum;
vom 30. Juni
2009 - VI ZR 210/08, VersR 2009, 1417 Rn. 17 - Domainverpächter;
vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10,
aaO Rn. 19; BGH, Urteile vom 19. April 2007 - I ZR 35/04, BGHZ 172, 119 Rn.
19 - Internet-Versteigerung II; vom 22. Juli 2010 - I ZR 139/08, GRUR 2011,
152 Rn. 26 - Kinderhochstühle im Internet).
10 b) Die Beklagte haftet nicht deshalb auf Unterlassung, weil sie
durch die beanstandete Berichterstattung selbst unzulässig in das
Persönlichkeitsrecht von Frau H. eingegriffen hätte. Denn die Beklagte hat
die Meldung nicht selbst verfasst und sie sich auch nicht zu eigen gemacht.
11 aa) Maßgeblich für die Frage, ob sich der Anbieter die auf seinem
Internetportal eingestellten Inhalte, die er nicht selbst geschaffen hat, zu
eigen macht, ist eine objektive Sicht auf der Grundlage einer
Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere die Frage
der inhaltlichen redaktionellen Kontrolle der fremden Inhalte und die Art
der Präsentation von Bedeutung sind. Ein Zu-Eigen-Machen liegt regelmäßig
vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird,
dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint. Auch lediglich undistanziert
wiedergegebene Äußerungen Dritter können dem Vertreiber zugerechnet werden,
wenn er sie sich zu Eigen gemacht hat. Ob dies der Fall ist, ist
jedoch mit der im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse
gebotenen Zurückhaltung zu prüfen. Schon aus der äußeren Form der
Veröffentlichung kann sich ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung ohne
eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt wird. Dies ist beispielsweise
bei dem Abdruck einer Presseschau der Fall (vgl. BVerfG NJW 2004,
590, 591; WM 2009, 1706, 1709; Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR
226/08, VersR 2010, 220 Rn. 11 mwN). Im Streitfall liegt es
vergleichbar.
12 bb) Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des
Amtsgerichts wird im Streitfall eine redaktionelle Kontrolle nicht
durchgeführt; vielmehr ist der beanstandete Feed automatisiert im Rahmen
eines bestehenden Abonnementvertrages zwischen der Beklagten und der
Streithelferin ungeprüft übernommen worden.
13 Die auf der Website der Beklagten dargestellten
Inhalte sind auch als fremd gekennzeichnet worden, indem sich direkt unter
der Überschrift der Verweis auf die Ursprungs- bzw. Zielseite - hier: "Bild.de"
- befindet. Dadurch wird dem Leser hinreichend deutlich gemacht, dass es
sich bei dem Artikel nicht um eine eigene Berichterstattung der Beklagten,
sondern um eine fremde Nachricht - hier: der Streithelferin - handelt.
14 Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte als
Betreiberin des Informationsportals eine inhaltliche Verantwortung für die
veröffentlichten Nachrichten Dritter übernehmen wollte, finden sich nicht.
Die Internetseite der Beklagten war nach den unangegriffenen Feststellungen
der Vorinstanzen als Informationsportal ausgestaltet, welches keine eigenen
Inhalte enthielt, sondern mit Hilfe sogenannter RSS-Feeds Schlagzeilen aus
Medien und Blogs wiedergab und jeweils einen Link zu dem entsprechenden
Ursprungsartikel bereit hielt. In dem Impressum wies die Beklagte insofern
unter anderem darauf hin, dass "alle Artikel und grafischen Elemente, so wie
sie sind, ... weiterverbreitet werden".
15 Unter diesen Umständen reicht entgegen der Auffassung der
Revision im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung allein die Tatsache,
dass die Beklagte die Medien, von denen sie mittels eines
Abonnementvertrages die RSS-Feeds bezog, vorausgewählt hatte, nicht aus, um
einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des
"Zu-Eigen-Machens" zu begründen.
16 c) Die Beklagte haftet auch nicht deshalb auf Unterlassung, weil sie die
beanstandete Meldung auf ihrem Informationsportal zum Abruf bereitgestellt
und dadurch verbreitet hat. Das Berufungsgericht hat unter diesem
Gesichtspunkt eine Haftung der Beklagten als Störer mit Recht verneint.
17 aa) Unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Störerhaftung ist
verpflichtet, wer, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise
willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt
(vgl. Senatsurteile vom
25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, aaO; vom 30. Juni 2009 -
VI ZR 210/08, aaO Rn. 13 f. - Domainverpächter, jeweils mwN). Diese
Voraussetzungen könnten bei der Beklagten erfüllt sein. Denn sie betrieb ein
Informationsportal, stellte dort RSS-Feeds für die Nutzer bereit und
ermöglichte deren Abruf über das Internet. Dadurch trug sie willentlich und
adäquat kausal zur Verbreitung der hier zu prüfenden (Bild-)
Berichterstattung bei, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.
beeinträchtigen konnte.
18 bb) Die Störerhaftung in der Form der Verbreiterhaftung darf
jedoch nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die
rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Denn zu dem
von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Kommunikationsprozess kann die
Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung auch dann zählen,
wenn der Mitteilende sich diese weder zu Eigen macht noch sie in eine eigene
Stellungnahme einbindet, sondern die fremde Äußerung lediglich verbreitet
(vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 226/08, VersR
2010, 220 Rn. 13 mwN; BVerfGE 85, 1, 22; BVerfG, WM 2009, 1706).
Eine Haftung des Verbreiters fremder Nachrichten als Störer setzt deshalb
die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von
Prüfungspflichten, voraus; deren Umfang bestimmt sich danach, ob und
inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den jeweiligen
Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung seiner Funktion und
Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der
die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, eine
Prüfung zuzumuten ist (vgl. Senatsurteile vom
25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10,
aaO Rn. 22 und vom 30. Juni 2009 - VI ZR 210/08, aaO Rn. 18
- Domainverpächter, jeweils mwN).
19 cc) Der Betreiber eines Informationsportals, der wie die Beklagte
erkennbar fremde Nachrichten anderer Medien und Blogs ins Internet stellt,
ist danach grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beiträge vor der
Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Das würde
den Betrieb des dem Informationsinteresse der Mediennutzer dienenden, auf
schnelle und aktuelle Information ausgerichteten Informationsportals
unzuträglich hemmen. Den Betreiber eines Informationsportals trifft deshalb
erst dann eine Prüfpflicht, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung
erlangt. Weist ein Betroffener den Betreiber eines Informationsportals auf
eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Inhalt einer in das
Portal eingestellten Nachricht hin, kann der Betreiber des Portals als
Störer verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern
(vgl. Senatsurteil
vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, aaO Rn. 24
- Hostprovider und vom 30. Juni 2009 - VI ZR 210/08, aaO Rn. 27
- Domainverpächter).
20 dd) Im Streitfall hat die Beklagte, nachdem sie von den Klägern
auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts ihrer Mandantin durch die
Streithelferin hingewiesen worden ist, die beanstandete Berichterstattung
aus ihrem Angebot genommen. Infolgedessen ist sie nicht zur Störerin
geworden und war auch keinem Unterlassungsanspruch ausgesetzt.
21 Soweit die Revision meint, die Beklagte habe es im Rahmen ihrer
Prüfungspflichten versäumt, durch eine vertragliche Vereinbarung mit den
RSS-Anbietern Vorsorge zu treffen, dass sie informiert werde, wenn ein
bezogener RSS-Feed wegen einer geltend gemachten Rechtsverletzung aus dem
Netz genommen worden ist, zeigt sie diesbezüglich keinen übergangenen
instanzgerichtlichen Sachvortrag der Kläger auf.
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