Leben als Schaden? Kein Schmerzensgeld bei
Fortfühung lebenserhaltende Maßnahmen
BGH v. 2.4.2019 - VI ZR 13/18 - OLG
München
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges
Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht
keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein
leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen. Aus dem durch
lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt
sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten.
b) Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im
Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche
Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden
krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere
dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten
möglichst ungeschmälert zu erhalten.
Zentrale Probleme:
Ein Sohn macht als Erbe aus übergegangendem Recht (§ 1922
BGB) u.a. Schmerzensgeldansprüche seine verstorbenen Vaters gegen den
behandelnden Arzt gelten, weil dieser seinen Vater durch lebenserhaltende
Maßnahmen (künstliche Ernährung) gehindert hätte, zu sterben. Der Senat
verneint einen ersatzfähigen Schaden, weil - auch leidensbehaftetes Leben
keinen rechtlich anerkannten Schaden dartstellt. Das würde auch dann gelten,
wenn die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen dem (mutmaßlichen) Willen
des Patienten widersprochen hätten. Interessant ist die Abgrenzung zur
worngful life-Rechtsprechung (BGHZ 86, 240)
sowie zu den Fällen des Unterhaltsschaden bei Geburt eines Kindes (s. dazu
etwa BGHZ 151, 133 m.w.N.).
©sl 2019
Tatbestand:
1 Der Kläger macht als
Alleinerbe seines am 19. Oktober 2011 verstorbenen Vaters (im
Folgenden: Patient) gegen den Beklagten Ansprüche auf materiellen
und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit der künstlichen
Ernährung des Patienten in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist
der Auffassung, der Beklagte hafte für die durch die künstliche Ernährung
bedingte sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des
Patienten.
2 Der 1929 geborene Patient stand wegen eines dementiellen
Syndroms von September 1997 bis zu seinem Tod unter Betreuung eines
Rechtsanwalts, die sowohl die Gesundheitsfürsorge als auch die Personensorge
umfasste. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim.
Während eines stationären Krankenhausaufenthalts wurde ihm im September 2006
wegen Mangelernährung und Austrocknung des Körpers mit Einwilligung des
Betreuers eine PEG-Sonde angelegt, durch welche er bis zu seinem Tod
künstlich ernährt wurde. Der Beklagte, ein niedergelassener Arzt für
Allgemeinmedizin, betreute seit dem Frühjahr 2007 den Patienten
hausärztlich.
3 Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung
errichtet noch ließ sich sein Wille hinsichtlich des Einsatzes
lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen.
4 Bereits im
Jahr 2003 war die Demenz weit fortgeschritten und es wurde eine mutistische
Störung diagnostiziert, auf Grund derer seit jedenfalls 2008 eine
Kommunikation gänzlich unmöglich war. Seit 2003 war der Patient
wegen Kontrakturen nicht mehr zur selbständigen Fortbewegung fähig. Im Juni
2008 wurden zudem eine spastische Tetraparese und ein Nackenrigor
diagnostiziert. Ab November 2008 wurden dem Patienten regelmäßig
Schmerzmittel auf Opioidbasis verschrieben.
5 Im
streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 19. Oktober 2011
hatte der Patient regelmäßig Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrende
Druckgeschwüre (Dekubiti). Viermal wurde eine Lungenentzündung festgestellt.
Ende Mai bis Mitte Juni 2011 befand sich der Patient in stationärer
Behandlung wegen einer Gallenblasenentzündung mit zwei Abszessen; von einer
Operation wurde in Anbetracht des schlechten Allgemeinzustandes des
Patienten abgesehen. Am 8. Oktober 2011 erfolgte eine stationäre Aufnahme
aufgrund einer Aspirationspneumonie. Auf eine intensivmedizinische
Behandlung wurde verzichtet. Am 19. Oktober 2011 verstarb der
Patient im Krankenhaus.
6 Der Kläger behauptet, die
Sondenernährung sei spätestens ab Anfang 2010 weder medizinisch indiziert
noch durch einen feststellbaren Patientenwillen gerechtfertigt gewesen;
vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des
krankheitsbedingten Leidens des Patienten ohne Aussicht auf Besserung des
gesundheitlichen Zustands geführt. Der Beklagte sei
daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, das
Sterben des Patienten unter palliativmedizinischer Betreuung durch
Beendigung der Sondenernährung zuzulassen. Zudem macht der Kläger geltend,
der Beklagte habe den Betreuer nicht hinreichend darüber aufgeklärt, dass
für die künstliche Ernährung keine medizinische Indikation (mehr) bestanden
habe. Durch die Fortführung der Sondenernährung und das
Fortdauernlassen der Schmerzen und Leiden seien der Körper und das
Persönlichkeitsrecht des Patienten verletzt worden. Deshalb stehe dem Kläger
aus ererbtem Recht ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Zudem habe
er einen Anspruch auf Ersatz der im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen
Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in Höhe von 52.952 €, die ohne die
Behandlung nicht entstanden wären, da der Patient dann nicht mehr gelebt
hätte.
7 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die
Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht diesem ein
Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen und die Abweisung
der weitergehenden Klage bestätigt. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen
Klageabweisung weiter. Der Kläger wendet sich mit seiner
(Anschluss-)Revision gegen die Abweisung der Klage auf Ersatz
des materiellen Schadens.
Entscheidungsgründe:
I.
8 Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2018,
723 veröffentlicht ist, hat dem Kläger das Schmerzensgeld aus
ererbtem Recht des Patienten zugesprochen. Zur Begründung seiner
Entscheidung hat es, soweit im Revisionsverfahren noch erheblich,
ausgeführt, der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten
gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der
Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unterlassen habe. Die aus
dieser Pflichtverletzung möglicherweise resultierende Lebens- und
gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen
Schaden dar. Die für die Verneinung eines kindlichen
Schadensersatzanspruchs wegen "wrongful life" maßgeblichen Erwägungen im
Urteil des Bundesgerichtshofs zum sogenannten "Röteln-Fall" (Senatsurteil
vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240) kämen in der
vorliegenden Fallkonstellation nicht zum Tragen. Es gehe nicht
darum, das Leben eines schwerkranken Patienten als "unwert" zu
qualifizieren, sondern um die Frage, ob die Fortsetzung der Sondenernährung
oder nicht eher das Zulassen des Sterbens seinem Wohl besser diene.
Es verbleibe allerdings das grundsätzliche Problem, ob das (Weiter-) Leben,
wenn auch unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leiden,
gegenüber dem Tod bzw. der Nichtexistenz einen Schaden im Rechtssinn
darstellen könne. Dies sei im vorliegenden Fall zu bejahen. Wenn
nach Beweislastregeln im Rahmen der Kausalität zu unterstellen sei, dass der
Betreuer den Patienten hätte sterben lassen, weil der Tod für ihn eine
Erlösung gewesen wäre, müsse dies auch schadensrechtlich so gesehen werden.
Es würde zudem einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man einerseits
die Beibehaltung einer Magensonde als fortdauernden
einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität ansehe und
andererseits diesem Sachverhalt eine schadensbegründende Qualität von
vornherein abspräche.
9 Bereits die Verletzung des
Integritätsinteresses des Patienten, dem ohne wirksame Einwilligung über
einen längeren Zeitraum mittels einer Magensonde Nahrung verabreicht worden
sei, rechtfertige für sich betrachtet ein Schmerzensgeld.
Erschwerend komme hinzu, dass der Patient über einen Zeitraum von 21 Monaten
bis zum Eintritt seines Todes massive gesundheitliche Beeinträchtigungen
habe durchleiden müssen. Der Beklagte sei zwar nicht für den schlechten
Gesundheitszustand des Patienten verantwortlich, wohl aber dafür, dass der
Patient in diesem Zustand weitergelebt habe und habe leben müssen.
10
Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens bestehe demgegenüber nicht.
Der Kläger habe eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der
Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt. Zwar habe sich
nach dem Vortrag des Klägers das Barvermögen des Patienten im
streitgegenständlichen Zeitraum vermindert. Der Patient sei jedoch auch
Eigentümer eines Hausgrundstücks in München gewesen, von dem der Beklagte
behauptet habe, dass es erheblich an Wert gewonnen habe. Vor diesem
Hintergrund habe es dem Kläger oblegen, konkret vorzutragen, weshalb die
ererbte Immobilie im genannten Zeitraum an der allgemeinen Wertentwicklung
nicht teilgenommen haben solle.
II.
11 Die Revision
des Beklagten ist begründet.
12 1. Dem Kläger steht
kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Es ist
zweifelhaft, kann aber dahinstehen, ob mit der Begründung des
Berufungsgerichts eine Verpflichtung des Beklagten zur
Selbstbestimmungsaufklärung und eine Verletzung dieser Pflicht angenommen
werden können. Ebenfalls kann offenbleiben, ob das hier zu beurteilende
Verhalten des Beklagten, wie vom Kläger geltend gemacht, als
behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren ist. Keiner Entscheidung bedarf
ferner die Frage, ob etwaige Pflichtverletzungen des Beklagten zu einer
Gesundheitsverletzung beim Patienten geführt haben, die dem Beklagten
zuzurechnen ist. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen
Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB).
13 a) Für die Bestimmung
eines Schadens bedarf es eines Vergleichs der bestehenden Gesamtlage mit der
Lage, die ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte.
Ein etwaiger Nachteil, der sich bei diesem Vergleich ergibt, ist nur dann
ein Schaden, wenn die Rechtsordnung ihn als solchen anerkennt
(vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240, 253,
juris Rn. 44; MünchKommBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 17 mwN).
14
b) Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hier steht
der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit
krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der
künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Die Option eines
Weiterlebens ohne oder mit weniger Leiden gab es nicht. Das
menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut
erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu.
Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes
Weiterleben - als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG).
15 aa) Im sogenannten Rötelnfall, in welchem die Gefahr
der Schädigung des Ungeborenen durch eine Rötelnerkrankung der Schwangeren
von dem die Schwangere beratenden Arzt nicht erkannt worden war mit der
Folge, dass ein (erlaubter) Schwangerschaftsabbruch unterblieb und das Kind
schwerstgeschädigt zur Welt kam, hat der Senat eigene Ansprüche des Kindes
auf Schadensersatz verneint. Es entziehe sich einer
allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen
(wrongful life) gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im
Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage
darstelle (Senatsurteil vom 18. Januar
1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 241, 253, juris Rn. 44). Ein
rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens sei aus gutem
Grund nicht erlaubt (aaO S. 252, juris Rn. 41). Der Mensch habe
grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet sei.
Es bestehe kein Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz (aaO
S. 254, juris Rn. 48). Eine rechtliche Regelung der Verantwortung für
weitgehend schicksalhafte und naturbedingte Verläufe sei nicht mehr sinnvoll
und tragbar (aaO S. 255, juris Rn. 50).
16 Dem Urteil des Zweitens
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993
(Schwangerschaftsabbruch II) zufolge kommt eine rechtliche
Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle von Verfassungs
wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht. Es bestehe die
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um
seiner selbst willen zu achten (BVerfGE 88, 203, 296, juris Rn. 269).
Der Senat hat in seiner Reaktion auf dieses Urteil erneut betont,
dass es sich auch nach seiner Auffassung verbietet, die Existenz des Kindes
als Schaden anzusehen (Senatsurteil vom 16. November 1993 - VI ZR
105/92, BGHZ 124, 128, 139, juris Rn. 35).
17 Während zu der
vom Senat grundsätzlich bejahten Frage, ob sich der Unterhaltsaufwand der
Eltern für das geborene Kind - anders als die Existenz des Kindes - als
Schaden begreifen lasse, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 88, 203, 296, juris Rn. 269 einerseits, BVerfGE 96, 375,
399 ff., juris Rn. 66 ff. andererseits) und in der Literatur
(ablehnend z.B. Picker, AcP 195, 483 ff.; Weber, ZfL 2004, 74, 78 ff.)
unterschiedliche Meinungen vertreten werden, ist die Ansicht des
Senats zur Verneinung eines eigenen Anspruchs des Kindes auf Schadensersatz
überwiegend auf Zustimmung gestoßen (Aretz, JZ 1984, 719 ff.;
Fischer, JuS 1984, 434, 438 f.; Picker, AcP 195, 483, 501; Winter, JZ 2002,
330, 332 ff.; Zimmermann, ZfL 2018, 106 f.; a.A. Deutsch, JZ 1983, 451 f.;
Merkel, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 74, 2000, 173, 183
ff.).
18 bb) Dem Berufungsgericht ist darin Recht zu geben,
dass nicht alle Erwägungen des Senatsurteils zum sogenannten Rötelnfall auf
die vorliegende Fallkonstellation übertragbar sind, wie dies in dem
Senatsurteil bereits angedeutet wurde (BGHZ
86, 241, 252, juris Rn. 41). Ging es damals um ein leidensbehaftetes
Leben, dessen Beginn nicht durch einen Schwangerschaftsabbruch verhindert
wurde, geht es vorliegend um ein leidensbehaftetes Weiterleben, das
nicht durch einen Behandlungsabbruch beendet wurde. Die Fallkonstellationen
unterscheiden sich vor allem dadurch, dass dem Menschen im Gegensatz zum
Nasciturus grundsätzlich das Recht zuerkannt wird, selbstbestimmt über eine
ärztliche Behandlung, so auch den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme,
zu entscheiden. Dieser Unterschied führt allerdings nicht dazu, dass in dem
leidensbehafteten Weiterleben ein Schaden gesehen werden kann.
19 (1) Die zunehmende Abhängigkeit des Sterbeprozesses von den
medizinischen Möglichkeiten lässt den Tod längst nicht mehr nur als
schicksalhaftes Ereignis erscheinen, sondern als Ergebnis einer von Menschen
getroffenen Entscheidung (BT-Drucksache 16/8442, S. 7). Aus
dem verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot, den Menschen nicht als Objekt,
sondern als Subjekt ärztlicher Behandlung zu begreifen, ergibt sich, dass
der Patient in jeder Lebensphase, auch am Lebensende, das Recht hat,
selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen
will. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom
29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286, sogenanntes Patientenverfügungsgesetz) wurde
die Bedeutung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts bei
ärztlichen Maßnahmen von Patienten, die inzwischen einwilligungsunfähig
geworden sind, in allen Lebensphasen und unabhängig von Art und Stadium der
Erkrankung (§ 1901a Abs. 3 BGB) gestärkt. Danach bleibt auch nach
Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit der tatsächlich geäußerte oder
mutmaßliche Wille des Patienten für die Entscheidung über die Vornahme oder
das Unterlassen ärztlicher Maßnahmen maßgeblich. Geht der Wille dahin,
lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen und so das Sterben zu ermöglichen,
so folgt daraus ein Abwehranspruch gegen lebensverlängernde Maßnahmen.
Hinter dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten tritt dann die Schutzpflicht
des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurück, selbst wenn
ohne den Behandlungsabbruch noch eine Heilungs- oder Lebensperspektive
bestanden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2014 - XII ZB
202/13, BGHZ 202, 226 Rn. 22; BVerwGE 158, 142 Rn. 33; MüllerTerpitz in
Isensee/Kirchhoff, HdbStR VII, 3. Aufl., § 147 Rn. 100; Huber, GesR 2017,
613, 617 f.; Zimmermann, ZfL 2018, 104, 108).
20 (2) Dennoch
ist auch in einem solchen Fall das Weiterleben mit der damit zwangsläufig
verbundenen Fortdauer der krankheitsbedingten Leiden nicht als Schaden
anzusehen (im Ergebnis ebenso: Ludyga, NZFam 2017, 595 ff.;
Baltz,Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 f.). Auch wenn
der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag, verbietet die
Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der
Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten
mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. Dem steht nicht
entgegen, dass das Betreuungsgericht gemäß § 1904 Abs. 2 und 3 BGB die
Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine
lebenserhaltende Maßnahme zu genehmigen hat, wenn das Unterbleiben oder der
Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahme dem Willen des Betreuten entspricht.
Auch wenn damit dem Willen des Betreuten Geltung verschafft und so
eine Beendigung seines Lebens ermöglicht wird, verbietet es sich aus den
genannten Gründen, das Weiterleben für den Fall, dass ein Behandlungsabbruch
unterbleiben sollte, als Schaden zu werten. Abgesehen davon entzieht es sich
menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber
dem Tod ein Nachteil ist.
21 Das dem Leben
anhaftende krankheitsbedingte Leiden, das durch lebenserhaltende Maßnahmen
verlängert wird, kann schon deshalb nicht für sich genommen als Schaden
angesehen werden, weil es sich nicht - wie etwa die Unterhaltspflicht der
Eltern - vom Leben trennen lässt (Zimmermann, ZfL 2018, 104, 107).
22 2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig.
23 Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer
Geldentschädigung wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des
Patienten zu. Es kann offenbleiben, ob ein solcher Anspruch auf eine
Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten gestützt werden könnte,
wenn lebenserhaltende Maßnahmen gegen dessen Willen aufrechterhalten würden
(vgl. hierzu nur Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 ff.;
Ludyga, NZFam 2017, 595, 598; Prütting, ZfL 2018, 94, 99 ff.; Zimmermann,
ZfL 2018, 104, 108 f.). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Dass die
Sondenernährung gegen den Willen des Patienten erfolgte, was vom Kläger zu
beweisen wäre, vermochte das Berufungsgericht nicht festzustellen.
III.
24 Die Revision des Klägers ist unzulässig, weil das
Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe die Revision nur
zugunsten des Beklagten, nicht jedoch zugunsten des Klägers zugelassen hat.
25 Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils. Dieser
ist aber im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von
einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich die
Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Dies ist regelmäßig dann
anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant
angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des
Streitstoffs stellt (vgl. nur Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - VI ZR
520/16, NJW 2018, 402 Rn. 9 mwN). Eine Beschränkung der Zulassung der
Revision ist danach auch auf eine von beiden Prozessparteien statthaft, zu
deren Nachteil das Berufungsgericht die von ihm für klärungsbedürftig
gehaltene Rechtsfrage entschieden hat. Die Zulassung wirkt in diesem Fall
nicht zugunsten der Partei, zu deren Gunsten die Rechtsfrage entschieden ist
und die das Urteil aus einem völlig anderen Grund angreift (Senatsbeschluss
vom 7. Juni 2011 - VI ZR 225/10, ZUM 2012, 35 Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 23.
Juni 2016 - IX ZR 158/15, WM 2016, 1463 Rn. 45; vom 8. Mai 2012 - XI ZR
261/10, WM 2012, 1211 Rn. 6; jeweils mwN).
26 So liegt der Fall hier.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Rechtsstreit die
Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, "ob das Weiterleben eines
Patienten, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher verstorben
wäre, einen ersatzfähigen Schaden in der Person des Patienten darstellen
kann." Die Revisionszulassung konnte zwar nicht auf diese unselbständige
Rechtsfrage beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR
261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7 mwN). Das Berufungsgericht hat damit aber
deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur dem Beklagten die Gelegenheit
zur Überprüfung seiner Entscheidung geben wollte, ob der
zuerkannte Schmerzensgeldanspruch besteht. Die für klärungsbedürftig
erachtete Rechtsfrage kann sich zwar auch für das Bestehen des vom Kläger
geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des materiellen Schadens stellen. Den
diesbezüglichen Anspruch hat das Berufungsgericht aber ausschließlich mit
der davon unabhängigen und selbständig tragenden Begründung verneint, dass
der Kläger eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der
Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt habe. Diese von
dem Kläger mit der Revision angegriffene Beurteilung hat das
Berufungsgericht ebenso wie die Ausführungen zu den ersatzfähigen
Rechtsanwaltskosten nicht zur Überprüfung gestellt. Aus den
Entscheidungsgründen ergibt sich vielmehr, dass es insoweit von aus seiner
Sicht unumstrittenen und nicht klärungsbedürftigen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen ist. Aufgrund einer Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt sich
somit der eindeutige Wille des Berufungsgerichts, die Revision
nur hinsichtlich des zugesprochenen Teils der Klage zuzulassen (vgl. BGH,
Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7).
27
IV. Die zulässige Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet. Die
Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz
des materiellen Schadens nicht zustehe, hält im Ergebnis
revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
28 Auch insoweit
kann offenbleiben, ob der Beklagte ihm obliegende Aufklärungs- oder
Behandlungspflichten verletzt hat. Denn es fehlt jedenfalls an dem
erforderlichen Schutzzweckzusammenhang zwischen einer etwaigen
Pflichtverletzung und dem geltend gemachten materiellen Schaden.
29 1. Während es Art. 1 Abs. 1 GG verbietet, das Dasein eines
Menschen als solches als Schaden anzusehen, ist es verfassungsrechtlich
nicht ausgeschlossen, die wirtschaftlichen Belastungen, die mit der Existenz
des Menschen verbunden sind, unter bestimmten Umständen als materiellen
Schaden zu begreifen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die durch die
planwidrige Geburt eines Kindes ausgelöste wirtschaftliche Belastung der
Eltern mit dem Unterhaltsaufwand einen ersatzpflichtigen Schaden darstellen
(vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128;
vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95, NJW 1997, 1638, 1640, juris Rn. 16;
vom 18. Juni 2002 -VI ZR 136/01, BGHZ 151, 133, 145,
juris Rn. 28). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung
für die Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter
genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes als mit Art. 1 Abs. 1 GG
vereinbar erachtet (BVerfGE 96, 375). Ob es verfassungsrechtlich
unbedenklich wäre, Schadensersatz für wirtschaftliche
Belastungen zuzusprechen, die mit dem eigenen Dasein verbunden sind, kann
dahinstehen (für die Ersatzfähigkeit dieses Schadens Prütting, ZfL
2018, 94, 102). Denn vorliegend fehlt es schon an der allgemeinen
haftungsrechtlichen Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zwischen der
möglicherweise verletzten Norm und dem materiellen Schaden.
30 2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt,
dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Dies
gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine
Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Folgen, für die Ersatz
begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die
verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche
Pflicht übernommen worden ist (vgl. nur Senatsurteil vom 20. Mai
2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN). So hängt die
Schadensersatzpflicht unter anderem davon ab, dass die Norm oder
vertragliche Pflicht den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende
Schädigungsart bezweckt; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der
geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise
unter den Schutzzweck der verletzten Norm oder Vertragspflicht fallen.
Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. nur
Senatsurteile vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17, NJW 2018, 3215 Rn. 13; vom
20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN).
31
Dementsprechend hat der Senat den Eltern eines (ursprünglich) nicht
gewollten Kindes Schadensersatz gegen den Arzt für die
Unterhaltsbelastungen nur dann und nur insoweit zugesprochen, als die durch
den Beratungs- oder Behandlungsvertrag - in rechtlich zulässiger Weise -
übernommenen Pflichten dem Schutz vor diesen Belastungen dienten
(vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128,
138 f., 146, juris Rn. 32 f., 46; vom 15. Februar
2000 - VI ZR 135/99, BGHZ 143, 389, 395, juris Rn. 12; vom 15. Juli
2003 - VI ZR 203/02, NJW 2003, 3411, juris Rn. 5).
32 3. Die
hier etwa verletzten Pflichten waren nach ihrem Zweck nicht darauf
gerichtet, den Patienten vor wirtschaftlichen Belastungen, die mit seinem -
wenn auch leidensbehafteten - Weiterleben verbunden waren, zu schützen.
33 Eine etwaige Verpflichtung eines Arztes, den Betreuer eines
einwilligungsunfähigen Patienten darüber aufzuklären, dass ein Abbruch
lebenserhaltender Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnte, dient allein
dem vom Betreuer wahrzunehmenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten.
Die Pflicht, die medizinische Indikation für lebenserhaltende Maßnahmen
nicht fehlerhaft zu bejahen, hat den Zweck, zu verhindern, dass der
Sterbeprozess unnötig belastet wird. Zweck der genannten Pflichten ist es
hingegen bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht, wirtschaftliche
Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden
krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere
dienen die Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten
möglichst ungeschmälert zu erhalten. Damit sind die vom Kläger geltend
gemachten finanziellen Belastungen nicht ersatzfähig.
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