Haftungsausschluß bei
gemeinsamen gefährlichen Tun (Selbstgefährdung)
BGH, Urteil vom 7. Februar
2006 - VI ZR 20/05
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zur Haftung bei der
Beteiligung an einem gemeinsamen gefährlichen Tun ("Rempeltanz").
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die auf § 242 BGB zu
stützende Frage des Haftungsausschlusses bei der einverständlichen Teilnahme
an gefährlichen Sportarten auch unter der Berücksichtigung üblicher "Fouls"
(s. dazu auch BGH NJW
2003, 2018 = BGHZ 154, 316 sowie
BGH v.
20.12.2005 - VI ZR 225/04).
©sl 2006
Tatbestand:
Der Kläger und die Beklagten gerieten beim Tanzen anlässlich der
Geburtstagsfeier des Beklagten zu 1 zu Fall. Alle drei stürzten, dabei
fielen die Beklagten über bzw. auf den Kläger. Dieser zog sich erhebliche
Beinverletzungen zu.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagten hätten den sogenannten "Tanz op de
Deel" ausgeführt, bei dem sie sich mit ihren Armen nebeneinander eingehakt
und sich so in einer recht wilden Art hüpfend und springend vor- und
rückwärts bewegt hätten. Er, der Kläger, sei ihnen in dem - bis auf ein
Sofa, die Musikanlage und einen Bistro-Tisch leergeräumten - Tanzraum in den
Bereich zwischen dem Sofa und der Musikanlage ausgewichen und habe dort für
sich alleine getanzt. Die Beklagten hätten sich auf ihn zu bewegt. Plötzlich
habe er einen Schlag von der Seite an seine linke Schulter bekommen. Dadurch
sei er ins Taumeln geraten und gestürzt. Unmittelbar darauf sei der Beklagte
zu 1 auf seinen ausgestreckten rechten Oberschenkel und der Beklagte zu 2
auf seinen rechten Unterschenkel gestürzt.
Die Beklagten haben behauptet, sie hätten gemeinsam mit dem Kläger eine Art
"Rempeltanz" vollzogen. Sie hätten sich mit dem Kläger wechselseitig an den
Schultern geschubst und versucht, sich die Beine wegzutreten. Der Kläger sei
gestürzt und habe den Beklagten zu 1 mit sich gerissen, beide hätten den
Beklagten zu 2 mitgezogen. Der Kläger sei unten zu liegen gekommen, der
Beklagte zu 1 sei auf dessen Oberkörper gestürzt, und der Beklagte zu 2 sei
auf das Knie des Klägers gefallen, weil dieser sich mit seinem Fuß verhakt
gehabt habe. Der Kläger sei erheblich alkoholisiert gewesen und habe seine
Bewegungen nicht mehr kontrollieren können.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der
Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und die Klage
insgesamt abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im Umfang seiner Beschwer weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht verneint eine
Haftung der Beklagten. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er die
Verletzungen durch den von ihm behaupteten Geschehensablauf erlitten habe.
An der Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts bestünden erhebliche
Zweifel; sie könnten deshalb keinen Bestand haben. Das Landgericht habe das
Ergebnis der gemäß § 141 ZPO durchgeführten Parteianhörungen
verfahrensfehlerhaft wie Parteivernehmungen gewürdigt. Die Voraussetzungen
dafür lägen nicht vor, da keine Partei gegenüber der anderen einen
Beweisvorsprung habe. Die in zweiter Instanz vernommene Zeugin H., die
Ehefrau des Klägers, habe dessen Vortrag nämlich nicht bestätigt. Auf der
Grundlage dieses Beweisergebnisses seien beide Hergangsvarianten
gleichermaßen plausibel und wahrscheinlich. Lasse sich aber nicht
feststellen, dass die Beklagten den Kläger fahrlässig verletzt hätten, sei
für deren Haftung kein Raum. Denn wenn ihre Behauptung richtig sei, wonach
der Kläger sich an dem wilden "Rempeltanz" beteiligt habe und die Parteien
versucht hätten, sich wechselseitig zu Fall zu bringen, hätte sich -
zufällig - ein Risiko verwirklicht, dem alle Teilnehmer in gleichem Maße
ausgesetzt gewesen seien. Bei dieser Sachlage verstoße es gegen Treu und
Glauben, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das allen Teilnehmern
drohende Risiko realisiert habe, gegenüber den anderen Teilnehmern
Ersatzansprüche geltend mache.
II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
1. Ohne Erfolg bleibt allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht
habe verfahrensfehlerhaft verkannt, dass die Beklagten bei ihrer
persönlichen Anhörung zugestanden hätten, den Kläger vorsätzlich
rechtswidrig angegriffen und dabei erheblich körperlich verletzt zu haben.
Es trifft zwar zu, dass beide Beklagte gegenüber dem Landgericht angegeben
haben, sie hätten versucht, dem Kläger die Beine wegzutreten, wobei dieser
gefallen sei. Diese Erklärungen stellen indessen kein wirksames Geständnis
im Sinne von § 288 ZPO dar. Ob eine Parteierklärung im Rahmen einer Anhörung
gemäß § 141 ZPO ein Geständnis enthalten kann, ist streitig (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 288 Rn. 3c m.w.N.; offen gelassen in
Senatsurteil BGHZ 129, 108, 112). Für Parteierklärungen im Rahmen einer
Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO hat der erkennende Senat die Annahme eines
Geständnisses verneint (Senatsurteil BGHZ 129, 108, 109 ff.). Es spricht
nichts dafür, einer Erklärung, die eine Partei bei ihrer persönlichen
Anhörung gemäß § 141 ZPO abgibt, verfahrensrechtlich eine weiterreichende
Wirkung beizumessen. Im Übrigen liegt ein wirksames Geständnis im Streitfall
auch deshalb nicht vor, weil dieses, sofern - wie hier - Anwaltszwang
besteht, von der nicht postulationsfähigen Partei nicht erklärt werden kann
(RG JW 1936, 1778, 1179; Zöller/Greger, aaO, m.w.N.; a.A.: Stein/Jonas/Bork,
ZPO, 22. Aufl., § 78 Rn. 40; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 16. Aufl., §
111 I 3 Rn. 8). Jedenfalls aber wäre eine derartige von einer Partei
abgegebene Erklärung, soweit sie von den Erklärungen ihres
Prozessbevollmächtigten abweicht, vom Gericht frei zu würdigen (BGH, Urteil
vom 1. März 1957 - VIII ZR 286/56 - LM ZPO § 141 Nr. 2).
2. Das Berufungsurteil kann jedoch aus anderen Gründen keinen Bestand haben.
Das Berufungsgericht verweist in den Gründen der angefochtenen Entscheidung
zunächst auf die Feststellungen des Landgerichts und führt sodann aus, der
vom Kläger behauptete Geschehensablauf sei nicht bewiesen. Aufgrund der in
zweiter Instanz nachgeholten Tatsachenfeststellung lasse sich nicht
feststellen, dass die Beklagten den Kläger fahrlässig verletzt hätten. Diese
Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Sie beruht, wie die Revision
mit Recht geltend macht, auf einer Verkennung der Beweislast. Das
Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagten eingeräumt
haben, gemeinsam mit dem Kläger eine Art "Rempeltanz" ausgeführt zu haben,
bei dem der Kläger zu Fall gekommen sei. Nach ihrem Vorbringen haben sie
sich wechselseitig an den Schultern geschubst und versucht, sich die Beine
wegzutreten. Ist der Kläger dabei gestürzt, war das gefährliche Verhalten
der Beklagten dafür aber möglicherweise mitursächlich. In diesem Fall wäre
der Tatbestand einer fahrlässig herbeigeführten Körperverletzung erfüllt,
denn eine Haftung gemäß § 823 BGB setzt nicht voraus, dass ein Verhalten des
Schädigers die alleinige Ursache für die Schadenszufügung war. Eine
Mitursächlichkeit, sei sie auch nur "Auslöser" neben erheblichen anderen
Umständen, steht einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleich (vgl.
Senatsurteile vom 26. Januar 1999 - VI ZR 374/97 - VersR 1999, 862; vom 27.
Juni 2000 - VI ZR 201/99 - VersR 2000, 1282, 1283; vom 20. November 2001 -
VI ZR 77/00 - VersR 2002, 200, 201 und vom 19. April 2005 - VI ZR 175/04 -
VersR 2005, 945, 946). Bei dieser Sachlage müssten die Beklagten ihrerseits
den Nachweis für die Voraussetzungen erbringen, unter denen eine Haftung
unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung an einem gemeinsamen gefährlichen
Tun ausnahmsweise entfällt. Das bedeutet, dass sie die Behauptung des
Klägers, er habe sich an dem gemeinsamen Tanz nicht beteiligt, zu widerlegen
hätten.
Bei der nach Zurückverweisung vorzunehmenden neuen Beweiswürdigung wird
gegebenenfalls auch das Ergebnis der in erster Instanz gemäß § 141 ZPO
durchgeführten Parteianhörungen beider Parteien zu berücksichtigen sein. Das
Berufungsgericht führt zwar mit Recht aus, dass eine Vernehmung des Klägers
als Partei nicht in Betracht komme, denn § 448 ZPO setzt voraus, dass
Anhaltspunkte gegeben sind, die seine Behauptungen in gewissem Maße
wahrscheinlich machen. Von diesem Erfordernis Abstriche zu machen,
rechtfertigt die Beweisnot nicht (BGHZ 110, 363, 366; BGH, Urteil vom 24.
April 1991 - IV ZR 172/90 - VersR 1991, 917, 918). Das Berufungsgericht geht
insoweit zutreffend davon aus, es genüge für die Anwendung von § 448 ZPO
nicht, dass der Klagevortrag ebenso gut wahr wie unwahr sein könne. Indessen
kann der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des
Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141
ZPO) einer Partei unter Umständen aber auch dann glauben, wenn diese ihre
Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (BGH, Urteile vom 28. November 1979 -
IV ZR 34/78 -VersR 1980, 229 f.; vom 24. April 1991 - IV ZR 172/90 - VersR
1991, 917, 918 und vom 25. März 1992 - IV ZR 54/91 - VersR 1992, 867). Im
vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht bisher, soweit ersichtlich, nur
das Ergebnis der in zweiter Instanz nachgeholten Beweisaufnahme gewürdigt.
Den Ausführungen in den Urteilsgründen ist nämlich nicht zu entnehmen, ob
und inwieweit es im Rahmen seiner tatrichterlichen Beurteilung auch die in
erster Instanz erfolgten Parteierklärungen berücksichtigt hat. Dies hätte
aber in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise dargelegt werden
müssen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 - IV ZR 172/90 - aaO) und wird bei
einer neuen Entscheidung zu beachten sein.
3. Das Berufungsurteil begegnet auch in einem weiteren Punkt durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger
könne - die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten unterstellt - aufgrund
seiner Teilnahme an diesem gefährlichen Tun keinen Ersatz verlangen; zu
seinen Lasten hätte sich dann nämlich - zufällig - ein Risiko verwirklicht,
dem alle Teilnehmer des "Rempeltanzes" in gleichem Maße ausgesetzt gewesen
seien. Es verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und
sei deshalb unbillig, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das den
Teilnehmern drohende Risiko realisiert habe, gegenüber den anderen
Teilnehmern Ersatzansprüche geltend mache. Dagegen wendet sich die Revision
mit Erfolg. Die Erwägungen des Berufungsgerichts können jedenfalls auf
der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen einen
vollständigen Haftungsausschluss zu Lasten des Klägers unter dem
Gesichtspunkt der bewussten Risikoübernahme nicht rechtfertigen.
a) Zutreffend sieht das Berufungsgericht die Grundlage des
Rechtsinstituts der bewussten Risikoübernahme oder des Handelns auf eigene
Gefahr in dem Grundsatz von Treu und Glauben. Danach ist es anstößig, wenn
der jeweilige Geschädigte versucht, denjenigen Schaden auf einen anderen
abzuwälzen, den er bewusst in Kauf genommen hat, obschon er ebenso gut in
die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Schädiger befindet, sich
dann aber mit Recht dagegen gewehrt haben würde, diesem Ersatz leisten zu
müssen (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 316, 323 ff.
m.w.N.). Es ist das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra
factum proprium"), das es nicht zulässt, dass der Geschädigte den beklagten
Schädiger in einem solchen Fall in Anspruch nimmt. Allerdings handelt es
sich dabei um eng begrenzte Ausnahmefälle, wie etwa die Teilnahme an
Boxkämpfen oder anderen besonders gefährlichen Sportarten, in denen die
Rechtsprechung das bewusste Sich-Begeben in eine Situation drohender
Eigengefährdung als Grundlage für eine vollständige Haftungsfreistellung des
Schädigers in Betracht gezogen hat. Nur bei derartiger Gefahrexponierung
kann von einer bewussten Risikoübernahme und einer Einwilligung des
Geschädigten in die als möglich vorgestellte Rechtsgutverletzung mit der
Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses für den Schädiger ausgegangen
werden (Senatsurteile BGHZ 34, 355, 363 ff.; 39, 156, 161; 63, 140, 144;
vom 21. Februar 1995 - VI ZR 19/94 - VersR 1995, 583, 584 und vom 20.
Dezember 2005 - VI ZR 225/04 - zur Veröffentlichung bestimmt). Bei
sportlichen Kampfspielen findet die entschädigungslose Inkaufnahme von
Verletzungen, wie der erkennende Senat stets betont hat, ihre innere
Rechtfertigung darin, dass dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer
verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter
denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das
Verbot sogenannter "Fouls" auch auf den Schutz der körperlichen
Unversehrtheit der Spieler ausgerichtet sind (Senatsurteile BGHZ 63,
140, 142 ff.; vom 5. November 1974 - VI ZR 125/73 - VersR 1975, 155, 156;
vom 10. Februar 1976 - VI ZR 32/74 -VersR 1976, 591 und vom 21. Februar 1995
- VI ZR 19/94 - aaO). Dass dem "Rempeltanz" der Parteien derart feste und
anerkannte Regeln zugrunde gelegen hätten, hat das Berufungsgericht nicht
festgestellt.
b) Die tatrichterlichen Feststellungen vermögen die völlige
Haftungsfreistellung der Beklagten auch nicht in Anwendung der Vorschrift
des § 254 BGB zu rechtfertigen. Das Berufungsurteil enthält keine
nachprüfbaren Ausführungen zur Gewichtung und Abwägung der jeweiligen
Verursachungsanteile der Parteien bezüglich des konkreten
Schadensereignisses. Unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung gemäß § 254
BGB ist die vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten
aber nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (Senatsurteil vom 21. Februar
1995 - VI ZR 19/94 - aaO). Ob ein vollständiger Haftungsausschluss
gerechtfertigt ist, kann jeweils nur nach einer umfassenden
Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls
entschieden werden (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1991 - VI ZR 69/91 -
VersR 1992, 371, 372). Der angefochtenen Entscheidung ist die erforderliche
umfassende Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung
der konkreten Umstände nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht begründet
den vollständigen Haftungsausschluss allein damit, dass sich zu Lasten des
Klägers ein Risiko verwirklicht habe, dem alle Teilnehmer des "Rempeltanzes"
in gleichem Maße ausgesetzt gewesen seien. Dieser Umstand allein genügt
jedoch gerade nicht für die Annahme einer gänzlichen Haftungsfreistellung
des Schädigers (Senatsurteil vom 21. Februar 1995 - VI ZR 19/94 -aaO).
|