Haftung für ärztliche Fehlbehandlung, Reichweite der Diagnosepflicht (Schutzzweck), Abgrenzung zwischen Befunderhebungs- und Diagnosefehler; Kausalitätsvermutung bei grobem Diagnosefehler BGH, Urteil vom 21. Dezember 2010 - VI ZR 284/09 Fundstelle: Amtl. Leitsatz: 1. Den Arzt verpflichten auch die Ergebnisse
solcher Untersuchungen zur Einhaltung der berufsspezifischen Sorgfalt, die
medizinisch nicht geboten waren, aber trotzdem - beispielsweise aus
besonderer Vorsicht - veranlasst wurden. Zentrale Probleme: Es geht um die Haftung für einen ärztlichen Behandlungsfehler. In dem tragischen Fall war zur Abklärung eines Anästhesierisikos vor einer Mensikusoperation eine Röntgenaufnahme der Lunge gemacht worden. Dabei wurde ein Lungenkarzinom übersehen. Der BGH legt dar, daß trotz der Tasache, daß eine Röntgenaufnahme hier gar nicht geboten war, eine solche nach allen Regeln der ärztlichen Kunst ausgewertet werden muß, auch wenn es nicht um Risiken geht, die mit der gerade aktuellen Behandlung im Zusammenhang stehen. Er wertet den Fehler dann aber nicht als einen Befunderhebungsfehler, sondern als einen Diagnoseirrtum. Das ist wichtig für den Kausalitätsbeweis. Nur dann, wenn dieser als grob gewertet wird, wird vermutet, daß eine rechtzeitige Behandlung zum Erfolg geführt hätte. Zum Schutzzweck einer ärztlichen Diagnosepflicht s. auch BGH NJW 2002, 2636; BGH v. 14.11.2006 - VI ZR 48/06 Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt als Alleinerbe seiner
verstorbenen Ehefrau und früheren Klägerin die Beklagten wegen fehlerhafter
ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie auf
Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des ihm entstandenen und künftig
noch entstehenden Unterhaltsschadens in Anspruch. 2 Die Ehefrau des Klägers wurde am 9. März 2003 in
dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus zur Durchführung einer
Meniskusoperation aufgenommen. Im Rahmen der Vorbereitung der Operation
veranlasste der bei der Beklagten zu 1 angestellte Anästhesist Dr. K. die
Anfertigung einer Röntgenaufnahme der Lunge. Die Aufnahme wurde in der von
den Beklagten zu 2 und 3 im Krankenhaus der Beklagten zu 1 betriebenen
radiologischen Praxis hergestellt und ohne Auswertung an Dr. K. übermittelt.
Dieser wertete die Aufnahme aus. Dabei stellte er keine der Anästhesie
entgegenstehenden Umstände fest. Eine ca. 2 Bildzentimeter durchmessende
Verdichtungszone rechts supradiaphragmal (Rundherd) bemerkte er nicht. Am
10. März 2003 wurde die Ehefrau des Klägers erfolgreich und ohne
Komplikationen am Meniskus operiert. Im April 2004 wurde bei ihr ein
Adenokarzinom im Bereich des rechten Lungenflügels festgestellt,
infolgedessen sie am 21. Dezember 2006 verstarb. 3 Der Kläger macht geltend, Dr. K. habe den auf der
Röntgenaufnahme vom 9. März 2003 ersichtlichen Rundherd, der eindeutig auf
ein tumoröses Geschehen hinweise, grob fehlerhaft nicht erkannt und nicht
weiter abgeklärt. Wäre das Karzinom bereits im März 2003 erkannt worden, so
hätte es noch vor der Metastasierung entfernt werden können. 4 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die
gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Berufung des Klägers hat das
Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die
Beklagte zu 1 verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 25.000 €
sowie materiellen Schadensersatz in Höhe von 5.160 € nebst Zinsen zu zahlen.
Es hat darüber hinaus festgestellt, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist,
dem Kläger jeglichen Unterhaltsschaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der
fehlerhaften Behandlung seiner Ehefrau im Krankenhaus der Beklagten zu 1
entstanden ist und noch entstehen wird, sofern der Anspruch nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch
übergeht. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom
Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zu 1 ihren
Klageabweisungsantrag weiter. Entscheidungsgründe: I. 5 Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann der
Kläger von der Beklagten zu 1 als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen
Ehefrau die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Ersatz des geltend
gemachten Haushaltsführungsschadens aus § 280 Abs. 1, §§ 278, 253 Abs. 2, §
823 Abs. 1, §§ 831, 253 Abs. 2 BGB verlangen. Der mit der Feststellungsklage
geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des dem Kläger infolge des Todes seiner
Ehefrau entstandenen Unterhaltsschadens ergebe sich aus § 823 Abs. 1 i.V.m.
den §§ 831, 844 Abs. 2 BGB. Die Behandlung der Ehefrau des Klägers im
Krankenhaus der Beklagten zu 1 sei fehlerhaft gewesen, da deren Anästhesist
die auf der Röntgenaufnahme der Lunge ohne weiteres erkennbare Verdichtung
übersehen und es unterlassen habe, ihre Ursache durch weitere
differentialdiagnostische Maßnahmen abzuklären. Nach den Ausführungen der
Sachverständigen Dr. M. sei die Verdichtung als krankhafter oder zumindest
kontrollbedürftiger Befund zu bewerten. Sie sei auch für einen
Anästhesisten, der mit Röntgenaufnahmen der Lunge zu tun habe, erkennbar
gewesen. Nach den Angaben des Sachverständigen Dr. L. habe es sich um einen
klassischen Rundherd mit einer Größe von 21 x 26 mm gehandelt, der auch ohne
ausdrücklichen Hinweis des Radiologen Anlass zu weiteren diagnostischen
Maßnahmen gegeben habe. Er sei im oberen Bereich der Größendefinition
anzusiedeln und nicht als klein zu bezeichnen. Auch der Sachverständige Dr.
P. habe angegeben, dass der erhobene Befund für jeden der behandelnden Ärzte
einschließlich des Anästhesisten die Konsequenz hätte haben müssen, den
verdächtigen Herd abklären zu lassen. Die Tatsache, dass Dr. P. die
Anfertigung der Röntgenaufnahme für die Durchführung der Narkose nicht für
erforderlich gehalten und angegeben habe, er hätte unter den üblicherweise
im Vorbereitungsraum zur Narkose herrschenden Bedingungen den Herd ebenfalls
nicht bemerkt, führe zu keiner anderen Beurteilung. Dessen Beurteilung liege
nämlich die unzutreffende Auffassung zugrunde, der Anästhesist habe die
Röntgenaufnahme nur auf das Vorliegen anästhesierelevanter Auffälligkeiten
zu überprüfen. Die Anfertigung der Röntgenaufnahme möge medizinisch nicht
geboten gewesen sein. Wenn eine solche Aufnahme aber angefordert werde,
entspreche es dem ärztlichen Standard, sie auch sachgerecht zu befunden. Bei
der Röntgenaufnahme handele es sich um einen Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit mit den aufgrund der hohen Strahlenbelastung verbundenen
Risiken. Die Patientin habe ihre Einwilligung in diesen Eingriff nur unter
der Voraussetzung erteilt, dass die Röntgenaufnahme sach-und fachgerecht
befundet werde. Selbst wenn dem Anästhesisten die Aufnahme nur zu dem Zweck
vorgelegen habe, die Narkosefähigkeit der Patientin zu überprüfen, entlaste
ihn dies nicht von dem Vorwurf, den nach den Ausführungen der
Sachverständigen Dr. N. auch für einen Anästhesisten ohne weiteres
erkennbaren verdächtigen Befund übersehen zu haben, zumal seitens der
Beklagten zu 2 und 3 kein gesonderter Befund erstellt worden sei. Gerade
dies habe für den Anästhesisten Veranlassung sein müssen, sich die
Röntgenaufnahme genauer zu betrachten. 6 Im Übrigen sei zu bedenken, dass es der Beklagten
zu 1 möglicherweise oblegen habe, gegebenenfalls noch nach Durchführung der
Operation eine fachspezifische Befundung der Röntgenaufnahme durch die
Beklagten zu 2 und 3 einzuholen. Die Beklagte zu 1 habe aus dem mit der
Ehefrau des Klägers abgeschlossenen Behandlungsvertrag eine Behandlung
entsprechend dem objektiven fachärztlichen Standard geschuldet, wozu auch
die sachgerechte Auswertung einer angeforderten Röntgenaufnahme durch die
sie erstellenden Radiologen gehöre. Diese Frage bedürfe jedoch keiner
abschließenden Beurteilung. 7 Denn dadurch dass die Beklagte zu 1 die gebotene
Abklärung des verdächtigen Rundherdes unterlassen habe, habe sie gegen ihre
Verpflichtung zur Erhebung medizinisch gebotener Kontrollbefunde verstoßen.
Diese Pflichtverletzung sei ursächlich für den weiteren Behandlungsverlauf
bis hin zum Tod der Ehefrau des Klägers. Das bei der Ehefrau des Klägers im
Jahre 2004 festgestellte Adenokarzinom wäre mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit bei den notwendigen Kontrolluntersuchungen im Anschluss
an die im Jahr 2003 durchgeführte Operation erkannt worden. Angesichts des
gravierenden Befundes eines Lungenkarzinoms wäre eine Nichtreaktion hierauf
nicht anders als durch einen groben Behandlungsfehler zu erklären, so dass
es zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten komme. Die unterlassene
Abklärung des Rundherdes sei geeignet gewesen, den eingetretenen Schaden zu
verursachen. Es sei auch nicht völlig unwahrscheinlich, dass der Tumor bei
einer früheren Behandlung im Jahre 2003 noch rechtzeitig vor einer
Metastasierung hätte entfernt werden können. Der Sachverständige Dr. L. habe
ausgeführt, dass bei einer kompletten chirurgischen Resektion im frühesten
Tumorstadium fast 40 % der Patienten ein Tumorrezidiv innerhalb von 24
Monaten erleiden würden, jedoch auch in diesem Fall noch 60 % eine
Überlebensrate von fünf Jahren hätten, so dass nicht ausgeschlossen werden
könne, dass bei einer früheren Behandlung des Karzinoms der Tod der Ehefrau
erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wäre. II. 8 Diese Ausführungen halten einer
revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen des
Berufungsgerichts rechtfertigen nicht die Annahme, die Beklagte zu 1
(nachfolgend: Beklagte) sei dem Kläger wegen fehlerhafter ärztlicher
Behandlung zum Schadensersatz verpflichtet. 9 1. Das Berufungsgericht ist im Ansatzpunkt
zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger als Alleinerben seiner
verstorbenen Ehefrau aus dem zwischen dieser und der Beklagten als Trägerin
des Krankenhauses zustande gekommenen Behandlungsvertrag vertragliche
Ansprüche zustehen können, wenn die Beklagte oder deren Ärzte als ihre
Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) die geschuldete ärztliche Behandlung in einer
dem fachärztlichen Standard zuwiderlaufenden Weise erbracht haben
(vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, VersR 2003, 1256). 10 2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet
aber die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei ein
Befunderhebungsfehler vorzuwerfen, weil ihr Anästhesist bei der Auswertung
der Röntgenaufnahme die auch für ein ungeübtes Auge ohne weiteres erkennbare
Verdichtung im Bereich des rechten Lungenflügels nicht erkannt und es
unterlassen habe, ihre Ursache durch weitere differentialdiagnostische
Maßnahmen abzuklären. 11 a) Die Revision wendet sich allerdings ohne Erfolg
gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die auf Veranlassung von
Dr. K. gefertigte Röntgenaufnahme habe trotz der Tatsache ausgewertet werden
müssen, dass ihre Anfertigung vor Durchführung der Meniskusoperation
medizinisch nicht geboten gewesen sein könnte. Da das Wohl des
Patienten oberstes Gebot und Richtschnur jeden ärztlichen Handelns ist (vgl.
Senatsurteil vom 26. Januar 1999 - VI ZR 376/97, BGHZ 140, 309, 316),
verpflichten den Arzt auch die Ergebnisse solcher Untersuchungen zur
Einhaltung der berufsspezifischen Sorgfalt, die medizinisch nicht verlangt
waren, aber trotzdem - beispielsweise aus besonderer Vorsicht - veranlasst
wurden. Auf diese Weise gewonnene Erkenntnisse dürfen entgegen der
Auffassung der Revision vom Arzt nicht deshalb ignoriert werden, weil keine
Verpflichtung zur Durchführung der entsprechenden Untersuchung bestand
(vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1992, 494, 495; Steffen/Pauge,
Arzthaftungsrecht, 11. Aufl. Rn. 176). 12 b) Ohne Erfolg macht die Revision auch geltend,
die Beklagte habe die Röntgenaufnahme lediglich auf anästhesierelevante
Besonderheiten auswerten müssen. Aufgrund der ihm gegenüber dem
Patienten obliegenden Fürsorgepflicht hat der für die Auswertung eines
Befundes im konkreten Fall medizinisch verantwortliche Arzt all die
Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu
nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter
Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und
Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen muss (vgl.
zum medizinischen Standard Senatsurteile vom 16. Mai 2000 - VI ZR 321/98,
BGHZ 144, 296, 305 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995,
659, 660 m.w.N.; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 718).
Vor in diesem Sinne für ihn erkennbaren "Zufallsbefunden" darf er
nicht die Augen verschließen. 13 c) Die Revision beanstandet aber zu Recht, dass
das Berufungsgericht den von ihm angenommenen Fehler des Anästhesisten
als Befunderhebungsfehler und nicht als Diagnoseirrtum qualifiziert
hat. Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung
medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu
liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende
Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen
Sicht seines Fachbereichs gebotenen - therapeutischen oder diagnostischen -
Maßnahmen ergreift (vgl. Senatsurteile vom 10. November 1987 - VI
ZR 39/87, VersR 1988, 293, 294; vom 23. März 1993 - VI ZR 26/92, VersR 1993,
836, 838; vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93, VersR 1995, 46; vom 8. Juli
2003 - VI ZR 304/02, aaO, S. 1256 f. und vom 12. Februar 2008 - VI ZR
221/06, VersR 2008, 644 Rn. 7). Vorliegend wirft das
Berufungsgericht der Beklagten vor, der bei ihr angestellte Anästhesist habe
die auf dem Röntgenbild auch für ein ungeübtes Auge ohne weiteres
erkennbare, abklärungsbedürftige Verdichtung im Bereich des rechten
Lungenflügels nicht erkannt und es deshalb unterlassen, deren Ursache
differentialdiagnostisch abklären zu lassen. Es lastet dem Anästhesisten der
Beklagten damit in erster Linie eine Fehlinterpretation des erhobenen
Befundes, d.h. einen Diagnosefehler an. Wie die Revision zu Recht
geltend macht, wird ein Diagnosefehler aber nicht dadurch zu einem
Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnosestellung noch
weitere Befunde zu erheben gewesen wären. 14 d) Ein Befunderhebungsfehler kann auch nicht mit
der vom Berufungsgericht in Erwägung gezogenen Begründung bejaht werden, die
Röntgenaufnahme habe zusätzlich durch die Beklagten zu 2 und 3 als für die
Beklagte tätige Radiologen ausgewertet werden müssen. 15 aa) Die Frage, in welchen ärztlichen
Fachbereich die Auswertung einer zur Abklärung der Narkosefähigkeit eines
Patienten angefertigten Röntgenaufnahme der Lunge fällt (Anästhesie oder
Radiologie), richtet sich in erster Linie nach medizinischen Maßstäben, die
der Tatrichter mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu ermitteln
hat (vgl. Senatsurteile vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR
1995, 659, 660; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 717).
Gleiches gilt für die Frage, ob eine dem medizinischen Standard entsprechend
von einem Anästhesisten ausgewertete Röntgenaufnahme zusätzlich von dem
Radiologen zu befunden ist, dem der Auftrag zur Anfertigung der Aufnahme
erteilt worden ist. 16 bb) Die Revision rügt mit Erfolg, dass dem
Berufungsgericht bei der Ermittlung dieser medizinischen Maßstäbe
Verfahrensfehler unterlaufen sind. Seine Annahme, der medizinische Standard
gebiete die ergänzende Auswertung einer zur Abklärung der Narkosefähigkeit
eines Patienten angefertigten Röntgenaufnahme durch den Radiologen, dem der
Auftrag zu ihrer Anfertigung erteilt worden ist, wird von dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht getragen. Zwar hatte die Sachverständige Dr. M.
angegeben, es sei ihr unverständlich, warum die Aufnahme nach dem
"Kurzblick" des Narkosearztes nicht den Fachärzten für Radiologie zur
Befundung wiedervorgelegt worden sei. Die Revision weist aber zutreffend
darauf hin, dass nach den auf der Grundlage der Ausführungen des
Sachverständigen Dr. P. getroffenen Feststellungen des Landgerichts eine
zusätzliche Befundung des Röntgenbildes durch die Beklagten zu 2 und 3 als
für die Beklagte tätigen Radiologen medizinisch nicht geboten gewesen sei.
Der Sachverständige Dr. P. hatte ausdrücklich angegeben, dass der
Anästhesist, wenn er das Bild angesehen und hierbei keine Auffälligkeiten
festgestellt habe, keine weitere Befundung der Aufnahme habe veranlassen
müssen. 17 Diesen Widerspruch zwischen den Äußerungen der
Sachverständigen hätte das Berufungsgericht aufklären müssen. Es entspricht
der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass der Tatrichter
gerade in Arzthaftungsprozessen Äußerungen medizinischer Sachverständiger
kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen hat.
Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben
Sachverständigen als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer
Sachverständiger (vgl. Senatsurteile vom 21. Januar 2009 - VI ZR 170/08,
VersR 2009, 499 Rn. 7; vom 16. Juni 2009 - VI ZR 157/08, VersR 2009, 1267
Rn. 9; Beschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 8). 18 3. Fehlt es an einem
Befunderhebungsfehler, ist - wie die Revision zutreffend geltend macht -
kein Raum für die Annahme, der Behandlungsfehler der Beklagen sei ursächlich
für den eingetretenen Gesundheitsschaden gewesen. 19 a) Grundsätzlich muss der Patient die
Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den
geltend gemachten Gesundheitsschaden darlegen und beweisen (vgl.
Senatsurteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, VersR 2003, 1256). Das
Berufungsgericht hat sich zu einer positiven Feststellung der
haftungsbegründenden Kausalität nicht in der Lage gesehen. Nach seinen
Ausführungen kann nicht festgestellt werden, dass der Tod der Patientin bei
zutreffender Interpretation der Röntgenaufnahme im März 2003 vermieden
worden wäre oder die Krankheit zumindest einen günstigeren Verlauf genommen
hätte. Es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass bei einer früheren
Behandlung des Karzinoms der Tod der Patientin erst zu einem späteren
Zeitpunkt eingetreten wäre. Es sei aber ebenso wahrscheinlich, dass bereits
in dem frühen Stadium im Jahre 2003 eine Metastasierung des Tumors
eingetreten gewesen sei. Eine hinreichend sichere Aussage über den
Heilungsverlauf bei einer im April 2003 durchgeführten Operation sei nicht
möglich. 20 b) Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen
auch keine Umkehr der Beweislast hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs
zwischen Behandlungsfehler und geltend gemachtem Gesundheitsschaden.
Bei einem Diagnosefehler kommt eine Beweislastumkehr nur dann in Betracht,
wenn der Fehler als grob zu bewerten ist (vgl. Senatsurteile vom
13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47 ff. und vom 14. Juli 1981 - VI
ZR 35/79, VersR 1981, 1033, 1034; vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, aaO, S.
1257). Ein Fehler bei der Interpretation der erhobenen Befunde
stellt allerdings nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der
ärztlichen Kunst und damit einen "groben" Diagnosefehler dar, wenn es sich
um einen fundamentalen Irrtum handelt. Wegen der bei Stellung einer Diagnose
nicht seltenen Unsicherheiten muss die Schwelle, von der ab ein
Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu
beurteilen ist, der dann zu einer Belastung der Behandlungsseite mit dem
Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch
angesetzt werden (vgl. Senatsurteile vom 9. Januar 2007 - VI ZR
59/06, VersR 2007, 541 Rn. 10; vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, aaO, Rn.
15, jeweils m.w.N.). 21 4. Das Berufungsurteil war
deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen
Feststellungen treffen kann (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das
Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren
Einwänden der Revision zu befassen. Für das weitere Verfahren weist der
erkennende Senat darauf hin, dass die Grundsätze über die Beweislastumkehr
nach einem groben Behandlungsfehler entgegen der Auffassung der Revision
auch für den Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB gelten (vgl. Senatsurteile vom
21. September 1982 - VI ZR 302/80, BGHZ 85, 212; vom 19. Mai 1987 - VI ZR
167/86, VersR 1987, 1092).
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