Haftung für Verletzungen
beim Wettkampfsport; keine haftungsbegründende Wirkung des
Versicherungsschutzes (versicherungsrechtliches Trennungsprinzip)
BGH, Urteil vom 27. Oktober
2009 - VI ZR 296/08
Fundstelle:
NJW 2010, 537
Amtl. Leitsatz:
a) Dass bei einem Wettkampf - hier:
Fußballspiel - ein Spieler einen anderen verletzt, begründet für sich
genommen noch keinen Sorgfaltspflichtverstoß.
b) Das Bestehen von Haftpflichtversicherungsschutz wirkt grundsätzlich nicht
anspruchsbegründend.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Haftung wegen einer
Sportverletzung. Der BGH betont zu recht, dass zunächst die Frage der
Haftungsbegründung geklärt werden muss, bevor sich die Frage eines
Haftungsausschlusses stellt. In
BGH NJW 2008, 1591 wurde das
Bestehen des Versicherungsschutzes nur als Argument gegen einen auf
Ausschluss der Haftung für einfache Fahrlässigkeit gerichteten
(hypothetischen) Parteiwillen verwendet, nicht aber zur Haftungsbegründung
(das Argument hatte also "anspruchserhaltende" Funktion). Die Tatsache der
Versicherung kann aber grundsätzlich eine sonst nicht gegebene Haftung
begründen. Das ist das versicherungsrechtliche Trennungsprinzip: Die
Versicherung folgt der Haftung, nicht umgekehrt! Nur in engen
Ausnahmefällen, nämlich in einer bedenklichen Ausweitung von § 829 BGB wurde
der Versicherung bisher haftungsbegründende Funktion zugeschrieben, vgl.
dazu und zu den Grenzen die Anm. zu BGH v.
29.11.2016 - VI ZR 606/15.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und
Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige
materielle und immaterielle Schäden in Anspruch.
2 Am 18. März 2007 spielte der Kläger als Mitglied des Fußballvereins MTV R.
gegen die Mannschaft des FC E., der der Beklagte angehörte. Während des
Spiels kam es zwischen den Parteien zu einem Kampf um den Ball, bei dem der
Kläger eine Fraktur des Schien- und Wadenbeins erlitt.
3 Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihn von hinten mit gestrecktem
Bein angegriffen, nachdem er den Ball schon abgespielt habe. Der Beklagte
hat behauptet, dass beide Parteien nach dem Ball gelaufen seien. Er habe den
Ball zuerst erreicht. Der Kläger habe sein Bein nach dem Ball ausgestreckt
und dadurch den Lauf des Beklagten gestört. Bei dieser Aktion seien beide
Parteien zu Fall gekommen.
4 Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren
weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht verneint eine Haftung des Beklagten für die
Unfallschäden des Klägers. Ein Schadensersatzanspruch eines Teilnehmers an
einem sportlichen Kampfspiel gegen einen Mitspieler setze den Nachweis
voraus, dass dieser sich nicht regelgerecht verhalten habe. Verletzungen,
die auch bei regelgerechtem Verhalten auftreten könnten, nehme jeder
Spielteilnehmer in Kauf, weshalb es jedenfalls gegen das Verbot des
treuwidrigen Selbstwiderspruchs verstoße, wenn der Geschädigte den beklagten
Schädiger in Anspruch nehme, obwohl er ebenso gut in die Lage habe kommen
können, in der sich nun der Beklagte befinde, sich dann aber (und mit Recht)
dagegen gewehrt haben würde, diesem trotz Einhaltens der Spielregeln Ersatz
leisten zu müssen. Der Kläger habe den Beweis für einen Regelverstoß von
einiger Erheblichkeit nicht geführt. Die Angaben des vom Kläger benannten
Zeugen O. seien nicht glaubhafter als die der anderen Zeugen. Auf die Frage,
ob der Beklagte haftpflichtversichert sei, komme es nicht an. Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Haftungsfreistellung bei
sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential nicht
anzunehmen sei, soweit Versicherungsschutz bestehe (vgl.
Senatsurteil vom 29. Januar 2008 - VI ZR 98/07
-VersR 2008, 540), sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Diese
Entscheidung beziehe sich auf einen Schaden bei einer motorsportlichen
Veranstaltung, bei der alle Teilnehmer pflichtversichert gewesen seien. Eine
Ausdehnung der in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze auf private
Haftpflichtversicherungen sei dagegen abzulehnen. Die Frage, ob und unter
welchen Voraussetzungen ein Teilnehmer eines sportlichen Wettbewerbs dem
anderen gegenüber hafte, wäre nämlich sonst unterschiedlich je nach
beteiligtem Spieler danach zu beantworten, ob eine Haftpflichtversicherung
bestehe oder nicht.
II.
6 Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im
Ergebnis stand.
7 1. Die Frage, zu deren Klärung das Berufungsgericht die Revision
zugelassen hat, stellt sich im Streitfall allerdings nicht.
8 a) Das Berufungsgericht hat die Revision wegen der Frage zugelassen, ob in
Fortführung des Senatsurteils vom 29. Januar 2008
(VI ZR 98/07 - VersR 2008, 540) ein Haftungsausschluss bei sportlichen
Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential auch dann nicht in
Betracht kommt, wenn eine private Haftpflichtversicherung besteht. In diesem
Urteil, dem ein Auffahrunfall während einer motorsportlichen Veranstaltung
auf dem Hockenheimring zugrunde lag, hat der erkennende Senat entschieden,
dass im Regelfall weder von einem konkludenten Haftungsausschluss
ausgegangen noch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als
treuwidrig angesehen werden kann, wenn für die aufgrund des besonderen
Gefahrenpotentials einer Sportveranstaltung zu erwartenden bzw. eintretenden
Schäden für die Teilnehmer Versicherungsschutz besteht. Seien die
bestehenden Risiken durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt, bestehe
weder ein Grund für die Annahme, die Teilnehmer wollten gegenseitig auf
etwaige Schadensersatzansprüche verzichten, noch erscheine es treuwidrig,
wenn der Verletzte den durch die Versicherung gedeckten Schaden geltend
mache (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2008 - VI ZR 98/07 - aaO). Der
Senat hat dem Bestehen eines Versicherungsschutzes damit eine
anspruchserhaltende Funktion beigemessen.
9 b) Auf die Frage, ob die Haftung des Beklagten konkludent abbedungen
wurde oder die Geltendmachung gegen ihn gerichteter Ersatzansprüche
treuwidrig ist, kommt es im Streitfall aber nicht an. Eine Haftung des
Beklagten ist bereits deshalb nicht gegeben, weil die Voraussetzungen des
vorliegend allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 823 Abs. 1
BGB nicht erfüllt sind. Es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen
Verschulden des Beklagten.
10 aa) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass die
Haftung eines Sportlers aus § 823 Abs. 1 BGB den Nachweis voraussetzt, dass
dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und
dabei einen anderen verletzt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 58, 40, 43;
63, 140, 142; 154, 316, 323; Urteil vom 5. März 1957 - VI ZR 199/56 - VersR
1957, 290). Dagegen scheidet eine Haftung aus, wenn es sich um
Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem
- bei jeder Sportausübung zu beachtenden - Fairnessgebot entsprechenden
Einsatz seines Gegners zuzieht (vgl. Senatsurteile BGHZ 63, 140, 143;
154, 316, 323; OLG Köln, VersR 1994, 1072). In einem solchen Fall hat
sich der Schädiger jedenfalls nicht sorgfaltswidrig verhalten (§ 276
BGB, vgl. Senatsurteile BGHZ 63, 140, 147; vom 10. Februar 1976 - VI ZR
32/74 - VersR 1976, 591; vom
16. März 1976 - VI ZR 199/74 - VersR 1976, 775, 776; OLG Düsseldorf VersR
1996, 343 f.; Wagner in MünchKomm, BGB, 5. Aufl., § 823 Rn. 549;
Staudinger/Hager, BGB, 13. Aufl., Vorbem. zu § 823 Rn. 55). Die
Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs bestimmen sich
nach den besonderen Gegebenheiten des Sports, bei dem sich der Unfall
ereignet hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 58, 40, 43; vom 16. März 1976 - VI ZR
199/74 - aaO). Sie sind an der tatsächlichen Situation und den berechtigten
Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfes auszurichten und
werden durch das beim jeweiligen Wettkampf geltende Regelwerk konkretisiert
(vgl. Senatsurteile BGHZ 63, 140, 142 ff.; vom 16. März 1976 - VI ZR 199/74
- aaO; OLG Düsseldorf VersR 1996, 343 f.; Wagner in MünchKomm, aaO, Rn.
547).
11 Die Beweislast für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Schädigers
trägt dabei nach allgemeinen Grundsätzen der Verletzte (vgl.
Senatsurteile BGHZ 63, 140, 148; vom 10. Februar 1976 - VI ZR 32/74 - aaO;
Wagner in MünchKomm, aaO, Rn. 549; Staudinger/Hager, aaO, Rn. 56).
12 bb) Tatsachen, die die rechtliche Beurteilung erlauben würden, der
Beklagte habe schuldhaft gegen eine dem Schutz des Klägers dienende
Spielregel oder gegen das Fairnessgebot verstoßen, hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt. Es ist nach eigener Beweiswürdigung in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise der Beweiswürdigung des
Landgerichts beigetreten, dass sich die Aussagen der von den beiden Parteien
benannten Zeugen gegenüberstehen, so dass es keinen sicheren Schluss für die
Richtigkeit der Darstellung des Klägers zu ziehen vermöge. Die Angaben des
vom Kläger benannten Zeugen O. seien nicht glaubhafter als die der anderen
Zeugen, insbesondere des als Schiedsrichter tätigen Zeugen K.. Dass der
Zeuge O. keine vollständig korrekte Erinnerung an den Vorfall habe, zeige
sich an seiner unstreitig unrichtigen Angabe, der Schiedsrichter habe dem
Beklagten die rote Karte gezeigt. Die Zeugen B. und S. hätten keine
Regelverletzung beobachtet, sondern einen fairen Kampf um den Ball. Im
Rahmen der Beweiswürdigung komme besondere Bedeutung der Aussage des
Schiedsrichters K. zu. Dieser habe die Behauptung des Klägers, er habe sich
die rote Karte gespart, weil das Spiel sowieso abgebrochen worden sei,
gerade nicht bestätigt, sondern angegeben, dass beide Spieler fair
eingestiegen seien. Der Beklagte sei nicht gegrätscht, sonst hätte er ein
Foul gepfiffen. Gleichwohl seien beide zu Fall gekommen. Wie das genau
geschehen sei, wisse er nicht. Im Spielbericht habe er auch nur angegeben,
dass die Spieler bei einem Zweikampf zu Fall gekommen seien.
13 Der Zweikampf um den Ball, bei dem ein oder beide Spieler mitunter zu
Fall kommen, gehört aber zum Wesen eines Fußballspiels und begründet deshalb
für sich genommen keinen Sorgfaltspflichtverstoß.
14 c) Da die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB nicht erfüllt
sind, kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte haftpflichtversichert war.
Das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes vermag das fehlende
Verschulden des Beklagten nicht zu ersetzen. Der Versicherungsschutz wirkt
grundsätzlich nicht anspruchsbegründend (vgl. BGHZ 23, 90, 99;
Senatsurteile vom 13. Juni 1958 - VI ZR 109/57 - VersR 1958, 485, 486 f.;
vom 24. April 1979 - VI ZR 8/78 - VersR 1979, 645; vgl. zur Ausnahme bei
Bestehen einer Pflichtversicherung für den besonderen
verschuldensunabhängigen Anspruch aus Billigkeitsgründen gemäß § 829 BGB:
Senatsurteile BGHZ 76, 279, 283; 127, 186, 192). Dies entspricht dem
allgemeinen Grundsatz, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht
umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet (Trennungsprinzip,
vgl. Senatsurteile BGHZ 76, 279, 283; 116, 200, 209; 127, 186, 192; BGH,
Urteil vom 1. Oktober 2008 - IV ZR 285/06 - VersR 2008, 1560, jeweils
m.w.N.).
15 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. |