Kein Haftungsausschluß
bei Sportschäden durch Regelverletzungen bei Bestehen von
Versicherungsschutz
BGH, Urteil vom 29. Januar
2008 - VI ZR 98/07
Fundstelle:
NJW 2008, 1591
Amtl. Leitsatz:
Der Grundsatz, dass bei
sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential die
Inanspruchnahme des schädigenden Wettbewerbers für ohne gewichtige
Regelverletzung verursachte Schäden eines Mitbewerbers ausgeschlossen ist,
gilt nicht, soweit Versicherungsschutz besteht (Fortführung von
BGHZ 154, 316 ff)
Zentrale Probleme:
Nach der Rechtsprechung des BGH haftet ein Mitspieler bei
einem sportlichen Wettkampf nicht für Verletzungen eines anderen, die
aufgrund regelgerechten Verhaltens
erfolgen. Bezüglich der möglichen Begründungen (in der Literatur werden
hierfür etwa angeführt: Rechtfertigende Einwilligung, stillschweigender
Haftungsverzicht, Handeln auf eigene Gefahr oder treuwidrige
Inanspruchnahme) hat sich der BGH nie festgelegt (s. dazu
BGHZ 154, 316 ff). Dies gilt auch bei
"leicht regelwidrigem" Verhalten, das im jeweiligen Sport üblich ist (also
etwa das "Standardfoul" beim Fußball. Dies läßt sich etwa mit einer
sportspezifischen Definition der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
(eingeschränkter Fahrlässigkeitsmaßstab: Ein typisch vorkommendes Foul "im
Eifer des Gefechts" - also nicht etwa ein absichtliches Foul - entspricht
eben noch der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt), aber auch durch den
Gedanken der treuwidrigen Inanspruchnahme des Mitbewerbers begründen. Die
Besonderheit im vorliegenden Fall ist aber, daß der schädigende "Spieler"
(hier ein Fahrer bei einem Privatrennen) versichert war. In einem solchen
Fall könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Beteiligten (letztlich
zugunsten der Versicherung!) auf die Haftung verzichten. Auch sei eine
Inanspruchnahme nicht treuwidrig. Vgl. auch die Anm. zu
BGH NJW 2010, 537 und
BGH v. 29.11.2016 - VI ZR 606/15.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Parteien haben durch Klage und Widerklage Ersatzansprüche wegen
Schäden geltend gemacht, die ihnen jeweils bei einem Zusammenstoß ihrer
Kraftfahrzeuge anlässlich einer motorsportlichen Veranstaltung entstanden
sind.
2 Der Drittwiderbeklagte zu 1 nahm am 9. November 2002 mit dem bei der
Drittwiderbeklagten zu 2 haftpflichtversicherten Audi RS 4 Avant der
Klägerin auf dem Hockenheimring an dem 35. "Akademischen" teil. Es handelt
sich um eine Veranstaltung der Akademischen Motorsportgruppe Stuttgart. Bei
der Veranstaltung fuhr der Erstbeklagte und Widerkläger auf regennasser
Fahrbahn in einer Rechtskurve mit seinem bei der Zweitbeklagten
haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug des gleichen Typs auf das
Klägerfahrzeug auf. Die Parteien streiten über die Unfallursache,
insbesondere darüber, ob es zu dem Auffahrunfall kam, weil der Widerkläger
seine Geschwindigkeit nicht ausreichend reduzierte, oder deshalb, weil der
Drittwiderbeklagte zu 1 den Widerkläger schnitt, als dieser in der Kurve
überholen wollte.
3 Die Drittwiderbeklagte zu 2, die auch als Streithelferin des
Drittwiderbeklagten zu 1 am Rechtsstreit beteiligt ist, und die
Zweitbeklagte haben in erster Linie eingewandt, eine Haftung sei
ausgeschlossen, weil es sich bei der Veranstaltung um ein Autorennen
gehandelt habe.
4 Das Landgericht hat Klage und Widerklage mit der Begründung abgewiesen,
dass es sich bei der Veranstaltung um ein Rennen gehandelt habe und die
Teilnehmer auf eine Haftung für nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig
verursachte Schäden verzichtet hätten; eine vorsätzliche oder grob
fahrlässige Schadensverursachung liege nicht vor. Dagegen haben die Klägerin
sowie der Erstbeklagte und Widerkläger Berufung eingelegt. Die Klägerin hat
ihre Berufung zurückgenommen. Der Widerkläger hat seine auf Ersatz von
Reparaturkosten und Nutzungsausfallentschädigung gerichtete Widerklage gegen
die Drittwiderbeklagten mit der Berufung weiter verfolgt. Das
Berufungsgericht hat diese Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision
zugelassen.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Drittwiderbeklagten hafteten
nicht für den dem Widerkläger entstandenen Schaden. Zwar sei die Haftung der
Drittwiderbeklagten entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht deshalb
ausgeschlossen, weil die Teilnehmer des 35. "Akademischen", hier also der
Drittwiderbeklagte zu 1 und der Widerkläger, einen Haftungsverzicht erklärt
hätten. In der Anmeldung zu der Veranstaltung hätten die Teilnehmer auf
Haftungsansprüche gegen die anderen Teilnehmer nur verzichtet, "soweit es
sich um ein Rennen ... handelt". Ein Rennen habe die Veranstaltung aber
nicht dargestellt. Deshalb greife auch nicht der Ausschluss des
Versicherungsschutzes durch die Drittwiderbeklagte zu 2 bei der Beteiligung
an Fahrtveranstaltungen, bei denen es auf die Erzielung einer
Höchstgeschwindigkeit ankomme, was auch die Haftung gegenüber dem
Widerkläger als geschädigtem Dritten betreffe. Das Berufungsgericht verneint
ein Rennen, weil es nicht auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten
angekommen sei. Dies ergebe sich aus den Ausschreibungsbedingungen. Die
Punktebewertung der Teilnehmer habe sich maßgeblich danach gerichtet, wer am
besten die vorgegebene Zeit von 1 min 35 s einhielt. Ein Anreiz, schneller
zu fahren als die anderen Teilnehmer, habe nicht bestanden. Demgemäß habe
der Veranstalter in der Ausschreibung erklärt, dass die Vorgabe von
Sollzeiten die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder kürzesten
Fahrzeiten verhindern solle. Die zuständige Stadtverwaltung habe die
Veranstaltung als "Fahr- und Sicherheitstraining" genehmigt. Aufgrund dieser
Umstände sei ohne Bedeutung, dass der Veranstalter damit geworben habe, die
Fahrer könnten ein "Rennfeeling erleben", und dass das Fahren bei nasser
Fahrbahn als "wet race" bezeichnet worden sei.
6 Eine Haftung der beiden Drittwiderbeklagten scheide jedoch nach den
Grundsätzen über unzulässiges widersprüchliches Verhalten aus. Es habe sich
um eine gefährliche kraftfahrzeugsportliche Veranstaltung gehandelt, so dass
jeder Teilnehmer darauf habe vertrauen dürfen, im Fall eines bei der
Veranstaltung auftretenden Unfalls nicht wegen solcher einem anderen
Teilnehmer zugefügter Schäden in Anspruch genommen zu werden, die er ohne
nennenswerte Regelverletzung aufgrund der typischen Risikolage der
Veranstaltung verursache. Demnach stehe dem Widerkläger kein
Schadensersatzanspruch gegen den Drittbeklagten als Unfallgegner und die
Klägerin als gegnerische Fahrzeughalterin zu. Denn es könne nicht
festgestellt werden, dass der Drittwiderbeklagte zu 1 einen gewichtigen
Verstoß gegen die bei der Veranstaltung geltenden Regeln begangen habe. Der
Haftungsausschluss wirke auch zugunsten des drittwiderbeklagten
Haftpflichtversicherers.
II.
7 Die Revision ist begründet.
8 1. Allerdings kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint,
die Grundsätze des Urteils des erkennenden Senats vom 1. April 2003 (VI
ZR 321/02 = BGHZ 154, 316 ff.) könnten auf motorsportliche
Veranstaltungen der vorliegenden Art keine Anwendung finden. Der Senat
hat entschieden, dass bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem
Gefahrenpotential, bei denen typischerweise auch bei Einhaltung der
Wettbewerbsregeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr
gegenseitiger Schadenszufügung besteht, die Inanspruchnahme des schädigenden
Wettbewerbers für solche - nicht versicherten - Schäden eines Mitbewerbers
ausgeschlossen ist, die er ohne gewichtige Regelverletzung verursacht.
Grund dafür ist, dass bei solchen Veranstaltungen jeder Fahrer durch die
typischen Risiken in gleicher Weise betroffen ist und es mehr oder weniger
vom Zufall abhängt, ob er bei dem Rennen durch das Verhalten anderer
Wettbewerber zu Schaden kommt oder anderen selbst einen Schaden zufügt,
wobei hinzu kommt, dass sich bei Unfällen beim Überholen oder bei der
Annäherung der Fahrzeuge oft kaum ausreichend klar feststellen lassen wird,
ob einer der Fahrer und gegebenenfalls welcher die Ursache gesetzt hat. Da
den Fahrern, die an einem solchen Wettbewerb teilnehmen, die damit
verbundenen Gefahren im Großen und Ganzen bekannt sind und sie wissen, dass
die eingesetzten Fahrzeuge erheblichen Risiken ausgesetzt sind, sie diese
aber gleichwohl wegen des sportlichen Vergnügens, der Spannung oder auch der
Freude an der Gefahr in Kauf nehmen, darf jeder Teilnehmer des Wettkampfs
darauf vertrauen, nicht wegen solcher einem Mitbewerber zugefügten Schäden
in Anspruch genommen zu werden, die er ohne nennenswerte Regelverletzung
aufgrund der typischen Risikolagen des Wettbewerbs verursacht. Die
Geltendmachung solcher Schäden steht damit erkennbar in Widerspruch und muss
nach Treu und Glauben nicht hingenommen werden (Senatsurteil BGHZ 154, 316,
325).
9 Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen handelt es sich
bei der hier in Frage stehenden Veranstaltung um eine gefährliche
motorsportliche Veranstaltung. Es ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden, wenn es die genannten Grundsätze heranzieht. Entgegen den
Ausführungen der Revision steht dem nicht entgegen, dass es sich nach
Auffassung des Berufungsgerichts nicht um ein Rennen handelte. In der
Rechtsprechung werden die vom Senat entwickelten Grundsätze im Ansatz
zutreffend auch bei anderen Veranstaltungen angewendet (vgl. OLG
Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2007 - 12 U 209/06 - zitiert nach Juris -
Motorradpulk; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 1251 - organisierte
Radtouristikfahrt). Dass bei einer Fahrveranstaltung, deren Teilnehmer, ohne
geübte Rennfahrer zu sein, mit relativ hohen Geschwindigkeiten ohne
Sicherheitsabstand fahren und auch rechts überholen dürfen, ein erheblich
gesteigertes Gefahrenpotential besteht, kann entgegen der Auffassung der
Revision nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Dies gilt auch dann,
wenn man mit der Revision darauf abstellt, dass die Teilnehmer mit ihren
Fahrleistungen ein Sicherheitstraining absolvierten.
10 2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch darin, dass der
Haftungsausschluss trotz des bestehenden Versicherungsschutzes greife. Der
erkennende Senat hat in dem Urteil vom 1. April 2003 ausdrücklich offen
gelassen, ob die genannten Grundsätze auch dann gelten, wenn der
eingetretene Schaden versichert ist (Senatsurteil BGHZ 154, 316, 325). Diese
Frage ist nunmehr dahin zu beantworten, dass im Regelfall weder von einem
konkludenten Haftungsausschluss ausgegangen noch die Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen als treuwidrig angesehen werden kann, wenn für die
aufgrund des besonderen Gefahrenpotentials der Veranstaltung zu erwartenden
bzw. eintretenden Schäden für die Teilnehmer Versicherungsschutz besteht
(vgl. auch Möllers, JZ 2004, 95, 97).
11 Die in BGHZ 154, 316 ff. für unversicherte Risiken aufgestellten
Grundsätze sind kein in sich selbst gegründetes Prinzip, welches auch bei
bestehendem Versicherungsschutz gilt und damit - wie das Berufungsgericht
meint - auf den Haftpflichtversicherer durchschlägt. Der Grund für die
Annahme eines treuwidrigen Verhaltens liegt bei fehlendem
Versicherungsschutz gerade darin, dass dem schädigenden Teilnehmer der
sportlichen Veranstaltung ein besonderes Haftungsrisiko zugemutet wird,
obwohl der Geschädigte die besonderen Risiken der Veranstaltung in Kauf
genommen hat und ihn die Rolle des Schädigers ebenso gut hätte treffen
können. Sind die bestehenden Risiken durch eine Haftpflichtversicherung
gedeckt, besteht weder ein Grund für die Annahme, die Teilnehmer wollten
gegenseitig auf etwaige Schadensersatzansprüche verzichten, noch erscheint
es als treuwidrig, dass der Geschädigte den durch die Versicherung gedeckten
Schaden geltend macht.
12 Der erkennende Senat hat bereits früher mehrfach ausgesprochen, dass es
dort, wo der Schädiger gegen Haftpflicht versichert ist, insbesondere eine
Pflichtversicherung besteht, weder dem gesetzlichen Anliegen der
Versicherungspflicht noch dem Willen der Beteiligten entspricht, den
Haftpflichtversicherer zu entlasten (vgl. Senatsurteile BGHZ 39, 156, 158;
vom 26. Oktober 1965 - VI ZR 102/64 - VersR 66, 40, 41; vom 9. Juni 1992 -
VI ZR 49/91 - VersR 1992, 1145, 1147; vom 13. Juli 1993 - VI ZR 278/92 -
VersR 1993, 1092, 1093), und dass das Bestehen eines
Haftpflichtversicherungsschutzes für den Schädiger in aller Regel gegen eine
stillschweigende Haftungsbeschränkung spricht (vgl. BGHZ 63, 51, 59;
Senatsurteile vom 15. Januar 1980 - VI ZR 191/78 -VersR 1980, 384, 385; vom
13. Juli 1993 - VI ZR 278/92 - aaO). Unter besonderen Umständen kann das
Bestehen einer Pflichtversicherung sogar Grund und Umfang eines
Haftungsanspruchs bestimmen (vgl. zu § 829 BGB: Senatsurteil vom 11. Oktober
1994 - VI ZR 303/93 - VersR 1995, 96, 97 f. m.w.N.). Auf diesem
Hintergrund kann die Inanspruchnahme des Mitteilnehmers einer gefährlichen
Veranstaltung für entstandene Schäden in der Regel nicht als treuwidrig
angesehen werden, wenn dieser dadurch keinem nicht hinzunehmenden
Haftungsrisiko ausgesetzt wird, weil Versicherungsschutz besteht. Dass durch
die Inanspruchnahme eventuell ein teilweiser Verlust des
Schadensfreiheitsrabatts bewirkt wird, vermag die Annahme eines treuwidrigen
Verhaltens nicht zu rechtfertigen, weil dies keine unzumutbare Belastung
darstellt.
13 Den dagegen gerichteten Ausführungen der Revisionserwiderung ist nicht zu
folgen. Sie macht nicht geltend, dass es sich bei der hier in Frage
stehenden Veranstaltung entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil doch um
ein Rennen gehandelt habe, für welches kein Versicherungsschutz besteht.
Besteht aber Versicherungsschutz für ein schädigendes Verhalten auch dann,
wenn sich besondere Gefahren verwirklichen, kann es nicht Aufgabe des
Haftungsrechts sein, die Reichweite des Versicherungsschutzes über die
Versicherungsbedingungen hinaus einzuschränken. Ob es dem gesetzlichen
Anliegen der Versicherungspflicht entspricht, dass Versicherungsschutz auch
in Fällen besteht, die man als freiwillige Selbstgefährdung bezeichnen mag,
ist keine haftungsrechtliche Frage.
14 Hier kommt hinzu, dass die beteiligten Fahrer mit der Unterzeichnung der
Antragsunterlagen eine ausdrückliche Erklärung zur Haftungsfrage abgegeben
haben, die so angelegt ist, dass die Haftung nur für Fälle ausgeschlossen
wird, in denen kein Versicherungsschutz besteht, weil es sich um ein Rennen
handelte. Ein Rennen sollte aber so, wie die Veranstaltung konzipiert war,
gerade nicht stattfinden. Im Streitfall erscheint der Vorwurf der
Treuwidrigkeit schon deshalb als ungerechtfertigt.
15 3. Auf den weiteren Revisionsvortrag, insbesondere zur Regelverletzung
durch den Drittwiderbeklagten zu 1, kommt es bei dieser Rechtslage nicht an.
III.
16 Das angefochtene Urteil kann demnach keinen Bestand haben. Die Sache ist
zur weiteren Prüfung der Haftungsvoraussetzungen und der Schadenshöhe auch
unter Berücksichtigung des Revisionsvortrags an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
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