Deliktsrecht: Schadensersatz wegen Verletzung
eines "sonstigen Rechts" i.S.v. § 823 I BGB bei beschränkt dinglichen
Rechten
BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - VI ZR 29/11
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Wird ein Grundstück, das mit dem Recht belastet
ist, dort eine unterirdische Ferngasleitung zu betreiben, mit einem Bagger
überfahren, kann ein Schadenersatzanspruch wegen Verletzung eines sonstigen
Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.
Zentrale Probleme:
Einfacher Sachverhalt: Ein
Bagger fährt pflichtwidrig über ein Grundstück, unter dem eine Gasleitung
eines Energieversorgers verläuft. Letzteres geschieht aufgrund eines im
Grundbuch eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 Abs.
1 BGB) des Energieversorgers. Die Fahrt des Baggers führt dazu, dass die
Gasleitung überprüft werden muss. Ein Schaden an der Leitung selbst hätte
zweifellos einen Ersatzanspruch des Energieversorgers aus § 823 I BGB
(Eigentumsverletzung) begründet, war aber nicht nachweisbar. Ein Eingriff in
den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der ebenfalls als
"sonstiges" (=absolutes) Recht anerkannt ist, scheitert hier an der
fehlenden Betriebsbezogenheit des Eingriffs (s. dazu nur
BGH v. 18.11.2003 - VI ZR
385/02 sowie die Anm. zu BGH NJW 2003, 1040).
Also kam als verletztes Recht nur die Dienstbarkeit in Betracht. Der Senat
legt hier seine Rspr.dar, dass die Verletzung beschränkt dinglicher Rechte
als Verletzung eines "sonstigen Rechts" in Betracht kommt, wenn der Eingriff
grundstücksbezogen ist (so zB, wenn sich der Sicherungswert einer
Grundschuld dadurch verringert, dass das belastetet Grundstück beschädigt
wird). Im vorliegenden Fall wurde das bejaht.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte aus
übergegangenem Recht des Energieversorgungsunternehmens E. AG auf Ersatz der
für die Überprüfung einer Ferngasleitung entstandenen Kosten in Anspruch.
2 Die Beklagte führte im Zuge der Baumaßnahme "Kanalstraße West" der Stadt
H. Rodungsarbeiten auf verschiedenen Waldgrundstücken durch. Diese
Grundstücke waren mit dem im Grundbuch von H. eingetragenen Recht der E. AG
belastet, einen 8 m breiten Grundstückstreifen (Schutzstreifen) zum Verlegen
und Betreiben einer unterirdischen Gasfernleitung zu nutzen. Zugleich war
dem Eigentümer die Bebauung des Schutzstreifens untersagt. Am 15. Mai 2007
fuhr ein Mitarbeiter der Beklagten mit einem 20 t schweren Kettenbagger über
den Schutzstreifen; dabei rutschte er von den zum Schutz der Gasleitung
verlegten Baggermatten ab. Die E. AG ließ die Gasleitung freilegen und
überprüfen. Es wurde eine innerhalb der Norm liegende Verformung ("Unrundheit")
festgestellt, die keiner Reparatur bedurfte. Eine Unterbrechung der
Gaszufuhr war nicht erforderlich.
3 Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom
Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr
Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Schadensersatzbegehren
der Klägerin daran, dass kein deliktsrechtlich geschütztes Rechtsgut der
Klägerin verletzt worden sei. Eine Haftung nach § 7 StVG scheide gemäß § 8
Nr. 1 StVG aus, weil der Bagger nicht schneller als 20 km/h fahren könne.
Abgesehen davon fehle es an der Beschädigung einer Sache. Die Gasleitung
selbst sei nicht beschädigt worden. Eine regelwidrige Substanzveränderung
sei nicht festgestellt worden. Aus diesem Grund sei auch eine
Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen. Da die
Gasleitung weiter habe betrieben werden können, sei ein Eingriff in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Rechtsvorgängerin der
Klägerin nicht ersichtlich. Die Beklagte habe auch das dinglich gesicherte
Nutzungsrecht der E. AG nicht verletzt. Dieses Recht umfasse nur das
Verlegen und Betreiben der Ferngasleitung und ein Bebauungsverbot. Ein
Befahren des Grundstückstreifens sei nicht grundsätzlich untersagt. Das
Leitungsrecht selbst sei nicht beeinträchtigt worden, weil die Leitung
weiter habe betrieben werden können. Weitergehende Pflichten, eine
Gefährdung der Leitung auszuschließen, seien von dem dinglichen Recht nicht
umfasst. Die Klägerin mache Überprüfungskosten wegen vermuteter Beschädigung
der Leitung geltend. Hierauf habe sie keinen Anspruch, wenn eine
Beschädigung tatsächlich nicht eingetreten sei.
II.
5 Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem
Recht der E. AG kann nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an
der Verletzung eines absoluten Rechts.
6 1. Es kann dahinstehen, ob die bei der Überprüfung festgestellte
Verformung der Gasleitung eine Verletzung des Eigentums der E. AG an der
Gasleitung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt und ob sie auf die
Arbeiten der Beklagten zurückzuführen ist. Ebenso kann offenbleiben, ob
bereits der begründete Verdacht, die Gasleitung könne infolge des Befahrens
des Schutzstreifens mit dem Bagger beschädigt worden sein, für die Annahme
einer Eigentumsverletzung genügt (vgl. dazu Senatsurteile vom 25. Oktober
1988 - VI ZR 344/87, BGHZ 105, 346, 350; vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76,
VersR 1977, 965, 966; BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 36/00, TranspR
2002, 440 f. zur Sachbeschädigung i.S.d. § 429 HGB in der Fassung vom 1.
Januar 1964; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rn. B 83;
MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn. 113; Greger, Haftungsrecht des
Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 10 Rn. 14).
7 2. Denn die Beklagte hat jedenfalls das der E. AG eingeräumte
dingliche Recht, die betroffenen Grundstücke in einem 8 m breiten
Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer Gasfernleitung zu nutzen,
verletzt.
8 a) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass
beschränkte dingliche Rechte - wie das der der E. AG in Form einer
beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 Abs. 1 BGB) eingeräumte
Nutzungsrecht - als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu
qualifizieren und damit deliktsrechtlich geschützt sind (vgl. Senatsurteile
vom 25. September 1964 - VI ZR 140/63, VersR 1964, 1201, 1202; vom 21.
November 2000 - VI ZR 231/99, VersR 2001, 648, 649 f.; BGH, Urteil vom 31.
Mai 2007 - III ZR 258/06, VersR 2007, 1281; MünchKomm/Wagner, aaO, Rn. 146;
Staudinger/Hager, aaO, Rn. B 126 jeweils mwN).
9 b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte
widerrechtlich in die zugunsten der E. AG bestellte Dienstbarkeit
eingegriffen.
10 aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung beschränkter dinglicher
Rechte einen "grundstücksbezogenen" Eingriff voraus, der sich dahin
auswirkt, dass die Verwirklichung des jeweiligen Rechts am Grundstück als
solches durch rechtliche oder tatsächliche Maßnahmen beeinträchtigt wird
(vgl. Senatsurteile vom 28. Oktober 1975 - VI ZR 24/74, BGHZ 65,
211, 212; vom 21. November 2000 - VI ZR 231/99, aaO, S. 650). Ein
solcher Eingriff ist beispielsweise darin gesehen worden, dass ein
Grundstück infolge baulicher Maßnahmen verschlechtert oder Zubehör entgegen
den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft weggeschafft und hierdurch die
Sicherheit auf dem Grundstück lastender Grundpfandrechte gefährdet wurde
(Senatsurteile vom 28. Oktober 1975 - VI ZR 24/74, aaO und vom 6.
November 1990 - VI ZR 99/90, VersR 1991, 232).
11 bb) Auch im Streitfall ist ein "grundstücksbezogener" Eingriff zu
bejahen.
Die Beklagte hat die Ausübung der der E. AG eingeräumten Dienstbarkeit
beeinträchtigt. Denn sie hat die zu duldende Benutzung des belasteten
Grundstücks - das ungestörte Betreiben der unterirdischen Ferngasleitung -
behindert (vgl. zur Beeinträchtigung einer Dienstbarkeit BGH,
Urteil vom 7. Oktober 2005 - V ZR 140/04, NJW-RR 2006, 237, 239;
Staudinger/Mayer, aaO, 14. Bearbeitung 2009, § 1027 Rn. 3 mwN). Dadurch dass
ihr Mitarbeiter beim Befahren des Schutzstreifens mit einem 20 t schweren
Bagger von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Baggermatten abgerutscht
war und den begründeten Verdacht geschaffen hatte, dass die unter der
Erdoberfläche befindliche Gasleitung durch die nicht unerhebliche
Krafteinwirkung auf den Erdboden beschädigt worden war, konnte die E. AG die
Nutzung der Leitung nicht mehr ungehindert fortsetzen. Aufgrund der von
einer beschädigten Ferngasleitung ausgehenden erheblichen Gefahren für die
Allgemeinheit war die E. AG - sowohl aufgrund der sie als Betreiberin der
Anlage treffenden allgemeinen Verkehrssicherungspflichten als auch gemäß §
49 Abs. 1 EnWG, wonach Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben sind,
dass die technische Sicherheit gewährleistet ist, - vielmehr verpflichtet,
dem Schadensverdacht nachzugehen und zu überprüfen, ob die Gasleitung durch
das Abrutschen des Baggers beschädigt worden war (so auch OLG Düsseldorf,
Urteil vom 19. November 2008 - 19 U 13/08). Dem steht - anders als das
Berufungsgericht meint - nicht entgegen, dass die E. AG die Gaszufuhr nicht
unterbrechen musste. Der Betrieb der Leitung war bereits dadurch
beeinträchtigt, dass die E. AG die Nutzung nicht dauerhaft fortsetzen konnte
ohne besondere Überprüfungsmaßnahmen zu ergreifen.
12 cc) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird die E. AG
haftungsrechtlich auch nicht besser gestellt, als wenn sie Eigentümerin des
mit der Dienstbarkeit belasteten Grundstücks bzw. des Schutzstreifens
gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beklagte das Eigentum der E. AG
verletzt, weil sie durch Einwirkung auf das Grundstück deren
Eigentümerbefugnisse (§ 903 BGB) beeinträchtigt hätte. Denn das Eigentum an
einem Grundstück umfasst auch das Recht, das Grundstück zum Betreiben einer
Leitung zu nutzen. Die Ausübung dieses Rechts hat die Beklagte - wie unter
bb) ausgeführt - durch Einwirkung auf die Substanz des Grundstücks
behindert.
13 c) Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass der E. AG infolge
der Verletzung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ein Schaden in
Gestalt der für die Überprüfung der Leitung erforderlichen Kosten entstanden
ist.
III.
14 Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht gemäß § 563 Abs. 3
ZPO in der Sache selbst entscheiden, da das Berufungsgericht - aus seiner
Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen
eines Schadensersatzanspruches der Klägerin aus § 823 Abs. 1, § 831 BGB
getroffen hat.
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