Besitzschutzansprüche zwischen Mietern ("Rauchen
auf dem Balkon"); Abwehranspruch des Besitzers nach § 862
BGB; analoge Anwendung von § 906 I BGB für die Frage der Duldungspflicht
(Abgrenzung zu BGHZ 157, 188); Gebot der
gegenseitigen Rücksichtnahme; negatorischer Anspruch (Unterlassungsanspruch)
analog § 1004 BGB bei drohender Verletzung absoluter Rechte
BGH, Urteil vom 16. Januar 2015 - V
ZR 110/14 - LG Potsdam
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Die Störung eines Mieters in seinem Besitz
durch den Tabakrauch eines anderen Mieters, der auf dem Balkon seiner
Wohnung raucht, ist auch dann eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858
Abs. 1 BGB, wenn dem anderen Mieter im Verhältnis zu seinem Vermieter das
Rauchen gestattet ist.
2. Nach dem auf den Besitzschutzanspruch (§ 862 Abs. 1 BGB) entsprechend
anzuwendenden Maßstab des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter
Einwirkungen durch das Rauchen eines anderen Mieters nicht verbieten, wenn
sie einen verständigen Nutzer in dem Gebrauch der Mietsache nicht oder nur
unwesentlich beeinträchtigen.
a) Der Unterlassungsanspruch nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht auch
gegenüber wesentlichen Beeinträchtigungen nicht uneingeschränkt, weil der
durch den Rauch gestörte Mieter auf das Recht des anderen Mieters Rücksicht
nehmen muss, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen, wozu grundsätzlich auch
das Rauchen in der eigenen Wohnung gehört.
b) Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme führt im Allgemeinen zu einer
Gebrauchsregelung. Für die Zeiten, in denen beide Mieter an einer Nutzung
ihrer Balkone interessiert sind, sind dem einen Mieter Zeiträume
freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeeinträchtigt von
Rauchbelästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten
einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon rauchen darf.
3. a) Gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch sind wesentliche
Beeinträchtigungen, die nicht geduldet werden müssen. Das gilt auch im
Verhältnis von Mietern untereinander.
b) Der Mieter, der unter Berufung auf die Gesundheitsschädlichkeit des
Passivrauchens von einem anderen Mieter verlangt, das Rauchen auf dem Balkon
zu unterlassen, muss das sich aus den Nichtraucherschutzgesetzen ergebende
Indiz erschüttern, dass mit dem Rauchen im Freien keine solchen Gefahren
einhergehen.
Zentrale Probleme:
Es geht - einmal mehr - um Abwehransprüche gegen das
Passivrauchen. Über den möglicherweise etwas kleinteiligen Nachbarstreit
hinaus ist die Entscheidung in Bezug auf den besitzrechtlichen Schutz des
Mieters gegen Störungen von Interesse. Das gilt insbesondere für den
Abwehranspruch aus § 862 BGB, bei welchem für die Frage der Duldungspflicht
auf den Maßstab des § 906 I BGB (Eigentumsbeeinträchtigung durch Immissionen
abgestellt wird. Wichtig ist hier auch die Abgrenzung zu § 906 II BGB, der
im Verhältnis zwischen Mietern nicht analog angewendet wird (s. dazu
BGHZ 157, 188).
Auch die Ausführungen zum negatorischen Anspruch analog § 1004 BGB bei der
Beeinträchtigung absoluter Rechte (bei Rn. 20 ff) sind von
allgemeinem Interesse für die Ausbildung.
©sl 2015
Tatbestand:
1 Die Parteien sind Mieter in einem
Mehrfamilienhaus in Brandenburg. Die Kläger wohnen im ersten Stock,
die Beklagten im Erdgeschoss. Die Balkone der Wohnungen liegen übereinander.
Die Beklagten sind Raucher und nutzen ihren Balkon mehrmals am Tag zum
Rauchen, wobei der Umfang des täglichen Zigarettenkonsums streitig ist.
Die Kläger fühlen sich als Nichtraucher durch den aufsteigenden Tabakrauch
im Gebrauch ihrer Wohnung gestört. Sie haben - soweit hier von
Interesse - beantragt, die Beklagten zu verurteilen, das Rauchen auf dem
Balkon während bestimmter Stunden zu unterlassen. Das Amtsgericht
hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger
zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der die Kläger den
Unterlassungsantrag weiter verfolgen. Die Beklagten beantragen die
Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
2 Das Berufungsgericht (dessen Entscheidung u.a. in WuM 2014, 414 ff.
veröffentlicht ist) meint, dass den Klägern kein Unterlassungsanspruch wegen
einer Besitzstörung (§ 862 Abs. 1 Satz 2, § 858 Abs. 1 BGB) zustehe,
weil das Rauchen zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Mietwohnung gehöre.
Selbst wenn die Kläger durch das Rauchen der Beklagten in dem Gebrauch ihrer
Wohnung beeinträchtigt sein sollten, stünde ihnen lediglich ein
vertraglicher Anspruch gegen den Vermieter wegen eines Mangels der Mietsache
zu. Die Kläger hätten auch keinen Abwehranspruch wegen einer
drohenden Gesundheitsverletzung (§ 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB), weil das
Rauchen im Freien keine dem Rauchen in Innenräumen vergleichbaren
gesundheitlichen Risiken durch Passivrauchen mit sich bringe.
Schließlich ergebe sich auch kein Abwehranspruch aus den Grundsätzen des
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Es könne dahinstehen, ob
diese Regeln im Verhältnis zwischen Mietern untereinander anwendbar seien,
da es an zwingenden Gründen fehle, aus denen es geboten sei, den Beklagten
zeitabschnittsweise das Rauchen auf dem Balkon zu untersagen. Ein solches
Verbot wäre mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar; die grundrechtlich geschützte
Freiheit der Lebensführung schließe das Recht ein, in der eigenen Wohnung
unabhängig von zeitlichen und mengenmäßigen Vorgaben zu rauchen. Da es sich
bei den Beklagten nicht um exzessive Raucher (Kettenraucher) handele, sei es
den Klägern auch unter Berücksichtigung ihres Interesses, nicht durch
Tabakrauch belästigt zu werden, zuzumuten, für die verhältnismäßig kurzen
Zeiträume, in denen die Beklagten rauchten, die Fenster zu schließen und
einen Aufenthalt auf dem Balkon zurückzustellen.
II.
3 Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4 1. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht einen
Abwehranspruch der Kläger wegen einer Störung ihres Besitzes nach § 862 Abs.
1, § 858 Abs. 1 BGB.
5 a) Eine Besitzstörung kann darin begründet sein, dass der Besitzer
bei dem Gebrauch der Sache durch Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz
1 BGB beeinträchtigt wird (vgl. Bamberger/Roth/Fritsche, BGB, 3.
Aufl., § 858 Rn. 10; Erman/Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 858 Rn. 3a; Jauernig/Berger,
BGB, 15. Aufl., § 858 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Joost, BGB, 6. Aufl., § 858 Rn.
5; Paschke, NZM 2000, 595, 596; PWW/Prütting, BGB, 9. Aufl., § 858 Rn. 4).
Dass einem Mieter ein Abwehranspruch nach § 862 Abs. 1 BGB gegen
Besitzstörungen durch den von einem anderen Mieter verursachten Lärm
zustehen kann, ist in der Rechtsprechung (BayObLGZ 1987, 36, 40;
KG, KGR 2004, 75, 76; OLG Düsseldorf, WuM 1997, 221; OLG München, NJW-RR
1992, 1097) und im Schrifttum (Bub/Treier, Handbuch der
Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap III Rn. 2581;
Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 535 Rn. 28; MünchKomm-BGB/Häublein, 6.
Aufl., § 535 Rn. 171; PWW/Elzer, BGB, 9. Aufl., § 535 Rn. 50)
anerkannt und ist auch in der von dem Berufungsgericht zitierten Urteil des
Bundesgerichtshofs zur sog. Versorgungssperre (Urteil vom 6. Mai 2009 - VIII
ZR 137/07, BGHZ 180, 300 Rn. 28) nicht anders gesehen worden. Dem Besitzer
wird - obwohl ihm an der Sache kein dingliches Recht zusteht - durch den
Abwehranspruch ein dem § 1004 BGB entsprechender Schutz gegen von außen
kommende Störungen seiner Sachherrschaft gewährt. Er wird insoweit
behandelt, als wäre er Eigentümer der Sache (Westermann/Gursky,
Sachenrecht, 8. Aufl., § 23 Rn. 13). Für Besitzstörungen durch Rauch
und Ruß kann grundsätzlich nichts anderes gelten.
6 b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht
darauf an, ob den Beklagten das Rauchen im Verhältnis zu ihrem Vermieter
gestattet ist.
7 aa) Verbotene Eigenmacht ist nicht deswegen zu verneinen, weil das
Rauchen im Verhältnis zwischen Mietvertragsparteien im Allgemeinen zum
vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gehört (vgl. BGH, Urteil vom
28. Juni 2006 - VIII ZR 124/05, NJW 2006, 2915 Rn. 23; Urteil vom 5. März
2008 - VIII ZR 37/07, NJW 2008, 1439 Rn. 22). Nach § 858 Abs. 1 BGB
ist allein maßgeblich, dass die Entziehung oder Störung des Besitzes ohne
den Willen des Besitzers erfolgt und nicht durch das Gesetz gestattet ist.
Vertragliche Vereinbarungen des Störers mit Dritten vermögen eine
Besitzstörung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.
8 Das gilt auch für die hier zu beurteilenden Besitzstörungen durch andere
Mieter. Allerdings kann sich für den gestörten Mieter aus seinem
Mietvertrag und einer darin in Bezug genommenen Hausordnung ergeben, dass er
Störungen durch Mitmieter in einem bestimmten Umfang (etwa durch das
Musizieren oder durch die Haustierhaltung in einer anderen Wohnung) dulden
muss und daher nicht nach § 862 Abs. 1 BGB abwehren kann (vgl. OLG
München, NJW-RR 1992, 1099). Fehlt es jedoch - wie hier - an einer
vertraglich begründeten Duldungspflicht, steht dem Mieter der Anspruch nach
§ 862 Abs. 1 BGB unabhängig davon zu, ob dem Mitmieter der die
Beeinträchtigungen verursachende Gebrauch nach seinem Mietvertrag erlaubt
ist oder nicht.
9 bb) Einen gegenteiligen Rechtssatz hat der Senat in der von dem
Berufungsgericht zitierten
Entscheidung vom 12. Dezember 2003 (V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 194)
nicht aufgestellt. Er hat lediglich einen - hier
nicht streitgegenständlichen - verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch
nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bei Immissionen verneint, die von dem
Nutzungsbereich eines Mieters auf den eines anderen einwirken.
Dass zwischen den Mietern auf besitzschutz- und deliktsrechtlichen
Normen beruhende Abwehransprüche bestehen können, ist nicht in Abrede
gestellt worden (aaO S. 194 f.).
10 c) Zur Bestimmung der Grenzen dessen, was der Mieter an Immissionen (hier
durch Tabakrauch) hinzunehmen hat, die von dem Gebrauch der anderen Wohnung
ausgehen, ist der in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB bezeichnete Maßstab
entsprechend anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1954 - VI
ZR 35/53, JZ 1954, 613, 614; RG, HRR 1931 Nr. 1219; MünchKomm-BGB/Säcker, 6.
Aufl., § 906 Rn. 165 Fn. 362; Roth, JZ 2004, 918, 919, ders. in Staudinger/
Roth, BGB [2009], § 906 Rn. 107; Siems, JuS 2005, 884, 885). Demnach
kann der Mieter Einwirkungen durch das Rauchen eines anderen Mieters nicht
verbieten, wenn sie ihn in dem Gebrauch der Mietsache nicht oder nur
unwesentlich beeinträchtigen. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung
vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen
Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer
öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (Senat, Urteil vom
15. Februar 2008 - V ZR 222/06, BGHZ 175, 254 Rn. 24 mwN).
11 Ob die Kläger nach diesem Maßstab durch den aufsteigenden Tabakrauch in
dem Gebrauch ihrer Wohnung wesentlich beeinträchtigt sind, ist zunächst eine
Tatfrage. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist, ob das Berufungsgericht die
nötigen Tatsachenfeststellungen getroffen und bei ihrer Würdigung die
zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat (Senat, Urteil
vom 5. Februar 1993 - V ZR 61/91, BGHZ 121, 248, 252; Urteil vom 30. Oktober
1998 - V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 7). Das Berufungsgericht hat die zur
Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung erforderlichen
Feststellungen, ob und wie intensiv und damit störend der Tabakrauch auf dem
Balkon der Kläger wahrgenommen wird (vgl. OLG Düsseldorf, WuM 2003, 515,
516), bislang nicht getroffen. Sie sind - entgegen der in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen Ansicht der Beklagten - nicht
deshalb entbehrlich, weil revisionsrechtlich von einem durch Aufzeichnungen
der Kläger dokumentierten und von den Beklagten zugestandenen
durchschnittlichen Konsum von zwölf Zigaretten täglich ausgegangen werden
müsste. Es kann dahinstehen, ob die Beklagten durchschnittlich zwölf oder
zwanzig Zigaretten an einem Tag auf dem Balkon rauchen. Intensiv
wahrgenommene und deshalb als störend empfundene Raucheinwirkungen in den
für die Balkonnutzung bevorzugten Zeiten wären auch dann nicht als eine nur
unwesentliche Beeinträchtigung anzusehen, wenn der durchschnittliche
Zigarettenkonsum der Beklagten sich auf die von ihnen zugestandene Menge
beschränkte.
12 d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheidet die Annahme
einer wesentlichen Beeinträchtigung der Kläger nicht deshalb von vornherein
aus, weil das Rauchen auf dem Balkon in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1
GG fällt.
13 aa) Vor dem Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze ist ein
Abwehranspruch des Mieters gegen Beeinträchtigungen durch das Rauchen eines
Mitmieters im Freien allerdings mit der Begründung verneint worden, dass das
Rauchen sozialadäquat und in der Gesellschaft akzeptiert sei. Da Rauchen
durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2
Abs. 1 GG geschützt sei, müsse das Interesse des nichtrauchenden Mieters an
einer von Tabakrauch nicht gestörten Nutzung seiner Wohnung zurücktreten (AG
Bonn, NZM 2000, 33; AG Wennigsen, WuM 2001, 487). Für das Verhältnis
zwischen Vermieter und Mieter vertritt das Landgericht Berlin (63.
Zivilkammer) die Auffassung, dass der Vermieter einem Mieter das Rauchen auf
dem Balkon auch im Hinblick auf das Interesse eines anderen Mieters an einer
von Tabakrauch ungestörten Nutzung seiner Wohnung nicht untersagen könne,
weil das Rauchen grundsätzlich zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung
gehöre (LG Berlin, Grundeigentum 2009, 781).
14 bb) Das Schrifttum ist demgegenüber der Ansicht, dass auch das Recht des
nicht rauchenden Mieters auf ungestörten Gebrauch seiner Mietsache zu
beachten und der rauchende Mieter daher verpflichtet sei, sich auf maßvolles
Rauchen zu beschränken (Börstinghaus/Pielsticker, WuM 2012, 480, 481 f.;
Derleder, NJW 2007, 812, 814; Paschke, NZM 2008, 265, 267; Stapel, NZM 2000,
595, 597). Im Verhältnis zum Vermieter wird vom Landgericht Hamburg (NJW-RR
2012, 1362) und vom Landgericht Berlin, 67. Zivilkammer, (NJW-RR 2013, 1284)
ein Mangel der Mietsache (§ 536 Abs. 1 Satz 2 BGB) durch die von dem Rauchen
auf dem Balkon einer anderen Wohnung ausgehenden Einwirkungen bejaht, weil
der in die Wohnung eines Nichtrauchers eindringende Tabakrauch deren
Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindere.
15 cc) Der Senat teilt den im Schrifttum vertretenen Ansatz.
Angesichts der Nichtrauchergesetze von Bund und Ländern kommt die Annahme,
durch Rauchen erzeugte Immissionen seien als sozialadäquat einzustufen und
damit von stets unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB, heute nicht mehr
in Betracht. Deutlich (intensiv) wahrnehmbarer Rauch ist vielmehr
grundsätzlich als eine wesentliche Beeinträchtigung anzusehen; das gilt auch
dann, wenn sie nur eine Zigarettenlänge andauert.
16 Allerdings besteht der Unterlassungsanspruch nach § 862 Abs. 1
Satz 2 BGB gegenüber als wesentlich anzusehenden Beeinträchtigungen durch
Tabakrauch nicht uneingeschränkt, weil der gestörte Mieter auf das Recht des
anderen Mieters Rücksicht nehmen muss, seine Wohnung vertragsgemäß zu
nutzen, wozu grundsätzlich auch das Rauchen in der Wohnung und auf dem
Balkon gehört (siehe oben 1. b) aa). Bei Störungen durch solche
Immissionen kollidieren die durch die Mietverträge begründeten Besitzrechte.
Diese Rechtspositionen sind grundrechtlich geschützte
Eigentumsrechte im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, da jede Partei auf
den Gebrauch der Wohnung zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse wie
zur Freiheitssicherung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit angewiesen ist
(BVerfGE 89, 1, 6). Sie müssen daher - unter Einbeziehung
des ebenfalls betroffenen Grundrechts des Rauchers aus Art. 2 Abs. 1 GG - in
einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.
17 (1) Fehlt es an für beide Teile verbindlichen vertraglichen Regelungen in
einer Hausordnung, bestimmen sich die Grenzen des zulässigen Gebrauchs und
der hinzunehmenden Beeinträchtigungen nach dem Gebot der
gegenseitigen Rücksichtnahme (vgl. KG, ZMR 2004, 261, 262; AG Bonn,
NJW-RR 1989, 10; MünchKomm-BGB/Häublein, 6. Aufl., § 569 Rn. 17; vgl. auch
Börstinghaus/Pielsticker, WuM 2012, 480, 482). Aus der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergibt sich für jeden
Hausbewohner die Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Interesse des anderen,
die von ihm genutzte Wohnung für seine Lebensbedürfnisse und zur Entfaltung
seiner Persönlichkeit zu gebrauchen. In Anbetracht dieser Verpflichtung kann
die Ausübung auch eines an sich bestehenden Unterlassungsanspruchs des
Mieters nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB unzulässig sein (vgl. AG Bonn,
aaO - Rauch von einem Grill; Paschke, NZM 2008, 265, 267; Stapel, NZM 2000,
595, 597 - Tabakrauch; zum Gebot der Rücksichtnahme zwischen
Grundstücksnachbarn: Senat, Urteil vom 9. Juli 1958 - V ZR 202/57, BGHZ 28,
110, 114).
18 (2) Bei Beeinträchtigungen durch Tabakrauch führt das Gebot der
gegenseitigen Rücksichtnahme - wenn eine Verständigung der Parteien
untereinander nicht möglich ist - im Allgemeinen zu einer Gebrauchsregelung
für die Zeiten, in denen beide Mieter an einer Nutzung ihrer Balkone
interessiert sind. Dem Mieter sind Zeiträume freizuhalten, in denen er
seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann, während
dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon
rauchen darf. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf
der nichtrauchende Mieter nicht darauf verwiesen werden, seinen Aufenthalt
auf dem Balkon zurückzustellen, sobald sich der andere Mieter entschließt zu
rauchen. Es muss ihm vielmehr möglich sein, seinen Balkon mindestens
stundenweise zu nutzen, ohne jederzeit eine Unterbrechung des Aufenthalts
gewärtigen zu müssen.
19 2. Ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht
einen Abwehranspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB
wegen der Gefahr einer Verletzung der Gesundheit der Kläger durch den vom
Balkon der Beklagten aufsteigenden Tabakrauch. Ein solcher Anspruch
käme in Betracht, wenn das Rauchen der Beklagten zwar zu keiner oder nur zu
einer unwesentlichen Beeinträchtigung durch Qualm oder Geruch führte, aber
die konkrete Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung bei dem Gebrauch des
Balkons der Kläger mit sich brächte.
20 a) Im Ausgangspunkt nimmt das Berufungsgericht
zutreffend an, dass den Klägern unter dieser Voraussetzung gegen die
Beklagten ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zustünde.
Die Vorschrift ist nicht auf Beeinträchtigungen des Eigentums
beschränkt. Der negatorische Schutz wird vielmehr sämtlichen absoluten
Rechten zuerkannt und auf alle deliktsrechtlich unmittelbar nach § 823 Abs.
1 BGB oder durch Gesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB geschützten
Rechtsgüter ausgedehnt (Senat, Urteil vom 13. März 1998 - V ZR
190/97, NJW 1998, 2058, 2059; BGH, Urteil vom 18. Januar 1952 - I ZR 87/51,
NJW 1952, 417; Urteil vom 17. Juli 2008 - I ZR 219/05, NJW 2008, 3565 Rn.
12).
21 b) Gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch sind wesentliche
Beeinträchtigungen, die nicht geduldet werden müssen. Das gilt auch im
Verhältnis von Mietern untereinander (vgl. zu Lärm BGH, Urteil vom 14. April
1954 - VI ZR 35/53, JZ 1954, 613, 614). Sie überschreiten stets die Grenze
dessen, was der beeinträchtigte Mieter hinzunehmen hat (vgl.
Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, § 535 Rn. 515; Staudinger/Roth, BGB
[2009], § 906 Rn. 110).
22 c) Rechtsfehlerhaft sind aber die Ausführungen, mit denen das
Berufungsgericht die Feststellbarkeit einer solchen Gefahr verneint.
23 aa) Richtig ist allerdings die Erwägung, dass die Gefahr des Eintritts
gesundheitlicher Schäden durch das Einatmen der im Tabakrauch enthaltenen
krebserzeugenden Substanzen aus der Raumluft (Passivrauchen) grundsätzlich
geringer einzuschätzen ist, wenn nicht in geschlossenen Räumen, sondern -
wie hier - im Freien geraucht wird. Nicht zu beanstanden ist auch, dass sich
die Gefahr gesundheitlicher Schäden bei einer größeren Distanz zwischen der
Stelle, an der geraucht, und derjenigen, an der die mit dem Rauch belastete
Luft eingeatmet wird (hier ein Höhenunterschied von ca. drei Metern) und bei
einem dazwischen liegenden Hindernis (Balkondach) eher als gering
einzuschätzen ist.
24 bb) Nicht zulässig ist es jedoch, die Gefahr gesundheitlicher Schäden
auch unter Berücksichtigung des auf eine Feinstaubmessung gestützten und
unter Beweis gestellten Vortrags der Kläger zu verneinen, dass während des
Rauchens der Beklagten erhöhte Belastungen der Luft durch die im Tabakrauch
enthaltenen Feinstaubpartikel festgestellt worden seien, die eine Gefahr für
die Gesundheit bei einem Aufenthalt auf dem Balkon bedeuteten.
25 (1) Wird im Freien geraucht, ist allerdings grundsätzlich davon
auszugehen, dass damit keine Gefahr für die Gesundheit anderer verbunden
ist. Insoweit kommt den Nichtraucherschutzgesetzen des Bundes und
der Länder, die im Grundsatz das Rauchen nur in Gebäuden und in vollständig
umschlossenen Räumen verbieten (§ 1 Abs. 2 BNichtrSchG; Art. 3 Abs. 1 BayGSG,
§ 2 Abs. 2 NRSG Bln, § 2 Abs. 2 Satz 1 BbgNiRSchG, § 1 Abs. 1 BremNiSchG, §
2 Abs. 2 Satz 1 HbgPSchG, § 1 Abs. 1 HessNRG, § 1 Abs. 1 NichtRauchSchG M-V,
§ 1 Abs. 1 NNiRSchG, § 1 Abs. 1 Satz 1 NiRSchG NRW, § 1 Abs. 2
NRauSchG SL, § 1 Abs. 3 SächsNSG, § 3 Abs. 1 NRauchSchG LSA, § 2 Abs. 1
NRauSchG Schl.-H., § 3 Abs. 3 Satz 1 ThürNRSchutzG), eine indizielle
Bedeutung bei der Einschätzung der Gefahren durch Passivrauchen zu.
Der Anwendungsbereich dieser Gesetze ist zwar auf öffentliche Einrichtungen
und öffentlich zugängliche Bereiche privater Grundstücke beschränkt; mit
Wohnhäusern bebaute Grundstücke, zu denen nur Eigentümer, Mieter und
Besucher Zutritt haben, fallen nicht darunter. Die diesen Gesetzen zugrunde
liegende Einschätzung ist jedoch im Hinblick auf das Rauchen im Freien bei
der Beurteilung der Gefahr von Gesundheitsschäden heranzuziehen, die von dem
Rauchen in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen ausgehen. Das
rechtfertigt sich aus dem Zweck der genannten Gesetze, Nichtraucher vor den
im Tabakrauch enthaltenen gesundheitsgefährdenden Giftstoffen zu schützen
(Begründung zum Bundesnichtraucherschutzgesetz: BT-Drucks. 16/5049, S. 7; in
vielen Landesgesetzen wird dieser Schutzzweck im Gesetzestext selbst
genannt: § 1 Abs. 1 Satz 2 LNRSchG BW, Art. 1 BayGSG, § 1 NRSG Bln, § 1
BbgNiRSchG, § 1 Abs. 1 BremNiSchG, § 1 Abs. 1 HbgPSchG, § 1 NiSchG NRW, § 1
Abs. 1 NRauSchG RP, § 1 NRauSchG SL, § 1 SächsNSG, § 1 NRauchSchG LSA, § 1
Abs. 1 NRauSchG Schl.-H., § 1 Abs. 1 ThürNRSchutzG). Die Gefahr
gesundheitlicher Schäden ist grundsätzlich nicht anders zu beurteilen, wenn
nicht im öffentlichen Raum, sondern auf einem privaten, nicht frei
zugänglichen Grundstück geraucht wird.
26 (2) Den Verboten in den Nichtraucherschutzgesetzen kommt jedoch lediglich
eine Indizwirkung dafür zu, dass mit dem Rauchen im Freien keine
gesundheitlichen Gefahren für Dritte durch das Passivrauchen einhergehen.
Diese kann im Einzelfall erschüttert sein. Auch wenn in Gesetzen,
Verordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften für bestimmte
Immissionen Grenz- oder Richtwerte festgelegt sind, bei deren Einhaltung
nach § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB in der Regel von einer unwesentlichen
Beeinträchtigung auszugehen ist, kommt eine davon abweichende Beurteilung
bei einer besonderen Gefahrenlage im Einzelfall stets in Betracht
(vgl. Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261, 264;
Urteil vom 13. Februar 2004 - V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1318).
Das gilt erst recht, wenn sich das für die Ungefährlichkeit des Rauchens im
Freien sprechende Indiz - wie hier - allein aus den auf das Rauchen in
geschlossenen Räumen beschränkten und nur für öffentlich zugängliche
Grundstücke geltenden Verbotsgesetzen entnehmen lässt.
27 Dem nicht rauchenden Mieter kann deshalb gegenüber dem rauchenden
Mieter ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der
Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens auch dann zustehen, wenn im
Freien geraucht wird. Er muss dazu allerdings das sich aus den
Nichtraucherschutzgesetzen ergebende gegenteilige Indiz erschüttern. Das
setzt voraus, dass sich auf Grund der besonderen Verhältnisse vor Ort im
konkreten Fall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung
durch Feinstaubpartikel ergibt, die auf den Balkon oder in die Wohnung des
nicht rauchenden Mieters gelangen. Verhält es sich so, kommen die
allgemeinen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast zur Anwendung; es muss
dann der rauchende Mieter beweisen, dass die von seiner Wohnung ausgehenden
Immissionen nur eine unwesentliche Beeinträchtigung bedeuten (vgl. BGH,
Urteil vom 13. Februar 2004 - V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1318 f.).
28 Die Kläger haben Umstände dargelegt und unter Beweis gestellt, die
geeignet sind, die Annahme, Passivrauchen im Freien sei ungefährlich, für
den konkreten Fall zu erschüttern. Sie haben unter Bezugnahme auf das
Ergebnis der Feinstaubmessungen vorgetragen, dass immer dann, wenn die
Beklagten rauchen, in einem für die Gesundheit gefährlichen Umfang toxische
Feinstaubpartikel auf ihren Balkon und in ihre Wohnung gelangen. Diesem
Vortrag wird das Berufungsgericht nachgehen müssen, wenn der
Unterlassungsanspruch nicht schon wegen der Geruchsbelästigung begründet
ist.
29 cc) Sollte sich dieses Vorbringen als richtig erweisen, erfordert das
Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme wiederum eine Gebrauchsregelung nach
Zeitabschnitten (siehe oben 1.d) cc) (2)).
III.
30 Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nach den
bisherigen Feststellungen nicht zur Entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz
1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
31 1. Das Berufungsgericht wird zunächst festzustellen haben, ob der von dem
Balkon der Beklagten aufsteigende Rauch nach dem Empfinden eines
durchschnittlichen, verständigen Nutzers auf dem Balkon der Kläger oder -
sofern er bei offenem Fenster bzw. offener Balkontür in die Wohnung zieht -
in deren Wohnung als störend wahrzunehmen ist. Das macht es - wie bei der
Beurteilung der von Lärmbelästigungen ausgehenden Störungen - in der Regel
erforderlich, dass der Tatrichter sich selbst in einem Ortstermin einen
persönlichen Eindruck von dem Maß der Beeinträchtigung verschafft (vgl.
Senat, Urteil vom 8. Mai 1992 - V ZR 89/91, NJW 1992, 2019; Urteil vom 5.
Februar 1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248, 255).
32 2. Sollte eine wesentliche Beeinträchtigung zu verneinen sein, weil der
Rauch nicht oder kaum wahrnehmbar ist, wäre der unter Beweis gestellten
Behauptung der Kläger nachzugehen, dass mit dem Tabakrauch Feinstaubpartikel
auf ihren Balkon bzw. in ihre Wohnung gelangen, hinsichtlich derer der
fundierte Verdacht besteht, dass sie geeignet sind, die Gesundheit zu
schädigen; Maßstab ist auch insoweit der durchschnittliche Nutzer.
|