Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB; Reichweite
des Anspruchs; Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch; "schadensersetzende
Wirkung" des Beseitigungsanspruchs nach § 1004 BGB; Ersatz von
Beseitigungsaufwendungen nach §§ 683, 670 BGB (Geschäftsführung ohne
Auftrag); Einfluss des Mitverschuldens, Abzug "neu für alt"
BGH, Urteil vom 13. Januar 2012 - V
ZR 136/11
Fundstelle:
NJW 2012, 1080
Amtl. Leitsatz:
Der Anspruch auf Ersatz der
zu einer Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen kann durch einen
Abzug "neu für alt" gemindert sein.
Zentrale Probleme:
Es geht um die in Rspr. und
Literatur höchst umstrittene Reichweite des (verschuldensunabhängigen!)
Beseitigungsanspruchs nach § 1004 BGB in Abgrenzung zu einem
Schadensersatzanspruch nach § 823 I BGB (der Verschulden voraussetzt!). Die
Rspr. geht hier (unter teilweise starker Kritik in der Literatur)
außerordentlich weit, indem auch Wiederherstellungsaufwendungen mit
einbezogen werden, die eigentlich Schäden darstellen (s. dazu
BGH NJW 2005, 1366). Das wird hier als
"schadensersetzende Wirkung" bezeichnet. Das rechtfertigt dann aber auch die
in der Rspr. anerkannte analoge Anwendung schadensersatzrechtlicher
Vorschriften wie z.B. § 254 BGB (Mitverschulden). Hier geht es jetzt um eine
weitere Anwendung schadensersatzrechtlicher Grundsätze, nämlich den Abzug
"neu für alt". Sehr lehrreich!
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin ist Eigentümerin eines
mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in E. . Vor dem Grundstück steht ein
von der beklagten Stadt gepflanzter und unterhaltener Baum. Dessen Wurzeln
waren in den Hausanschlusskanal der Klägerin eingewachsen und hatten diesen
beschädigt. Die Klägerin ließ die erforderlichen Reparaturarbeiten
durchführen und erhielt dafür von der Versicherung der Beklagten einen
Ausgleichsbetrag. Mit ihrer Klage hat sie einen weiteren Betrag von zuletzt
2.971,49 € nebst Zinsen verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Landgericht hat der Klägerin 119,52 € nebst Zinsen zugesprochen. Mit der
von dem Landgericht zugelassenen Revision möchte die Klägerin die
Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von insgesamt 2.011,06 € nebst Zinsen
erreichen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
2 Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin unter dem
Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 670, 683 BGB.
Die Beklagte sei aus § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung der eingewachsenen
Wurzeln und zur Reparatur des Kanals verpflichtet gewesen. Von dieser
Verpflichtung sei sie durch das Tätigwerden der Klägerin befreit worden.
Grundsätzlich erstattungsfähig sei von den Werklohnkosten des
Bauunternehmers, der den Schaden unter Verlegung eines neuen Kanals
beseitigt habe, ein Betrag von 2.071,67 €. Hiervon sei allerdings unter
Berücksichtigung des Alters und der Lebensdauer des ersetzten Kanals ein
Abzug "neu für alt" zu machen, so dass nur ein Betrag von 215,13 € zu
erstatten sei. Hinzu komme ein nach § 287 ZPO geschätzter Betrag von
1.014,59 € für eigene Aufwendungen der Klägerin und ihres Ehemannes sowie
Kosten für einen Container in Höhe von 226,10 €. Von dem sich daraus
ergebenden Gesamtbetrag von 1.455,82 € bleibe unter Berücksichtigung der
erhaltenen Versicherungsleistung nur der zugesprochene Betrag von 119,52 €
von der Beklagten zu erstatten.
II.
3 Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
4 1. Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Es ist
zwar richtig, dass sich die Berechnung des mit dem Berufungsantrag weiterhin
verfolgten Zahlungsantrags nicht erschließt. Das ändert aber nichts daran,
dass Antrag und Begründung den Umfang und die Zielrichtung des Rechtsmittels
klar erkennen lassen. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des
Berufungsgerichts hat die Klägerin ihre erstinstanzlich gestellten Anträge
mit Ausnahme einer Position weiterverfolgt. Ob sie dafür einen schlüssigen,
insbesondere auch rechnerisch nachvollziehbaren Vortrag gehalten hat, ist
keine Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels, sondern der Begründetheit.
Damit erledigt sich zugleich der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
erhobene Einwand der Revision, das angefochtene Urteil lasse mangels
Mitteilung der Anträge nicht den Gegenstand des Berufungsverfahrens
erkennen.
5 2. Zutreffend - und von der Revision nicht angegriffen - ist der
Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
6 Der Klägerin stand nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen die
Beklagte ein Anspruch auf Beseitigung der durch die Wurzeln eingetretenen
Beeinträchtigung zu. Der Anspruch umfasste die Wiederherstellung des
beschädigten Kanals, da die Entfernung der Wurzeln zu dessen Zerstörung
geführt hatte (st. Senatsrspr., siehe nur
Urteil vom 4. Februar 2005 - V ZR
142/04, NJW 2005, 1366, 1368 mwN). Der
Eigentümer, der eine solche Beeinträchtigung selbst beseitigt, kann von dem
nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer Ersatz
der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen verlangen, und
zwar - soweit sich die Voraussetzungen feststellen lassen - aus
Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 677, 670 BGB), im
Übrigen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (st. Rspr., siehe nur
Senat, Urteil vom 4. Februar 2005 - V ZR 142/04, NJW 2005, 1366 f. mwN).
7 3. Der sich danach ergebende Zahlungsanspruch ist durch einen
Abzug unter dem Gesichtspunkt "neu für alt" gemindert.
8 a) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der
Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB durch ein Mitverschulden
des Eigentümers entsprechend § 254 BGB beschränkt sein kann (Senat,
Urteile vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239 und vom 21.
Oktober 1994 - V ZR 12/94, NJW 1995, 395 f. mwN). Der Senat hat dies
damit begründet, dass der auf lediglich objektiver Rechtswidrigkeit
beruhende Beseitigungsanspruch nicht weiter gehen kann als ein auf
schuldhaftem Handeln beruhender Schadensersatzanspruch (vgl. zu §
251 BGB Senat, Urteil vom 21. Dezember 1973 - V ZR 107/72, WM 1974, 572 f.)
und dass bei dem in der Rechtsprechung des Senats angenommenen
weiten Umfang des Beseitigungsanspruchs ein Bedürfnis zur entsprechenden
Anwendung schadensersatzrechtlicher Anspruchsbeschränkungen besteht
(Senat, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239).
Rechtstechnisch erfolgt die Berücksichtigung des Mitverschuldens in der
Weise, dass der Beseitigungsanspruch durch eine Feststellung zur
Kostenbeteiligung des Anspruchsberechtigten in Höhe von dessen Haftungsquote
eingeschränkt wird (Senat, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96,
BGHZ 135, 235, 239 f.).
9 b) Nichts anderes gilt für die Berücksichtigung eines Abzugs "neu
für alt".
10 aa) In der Rechtsprechung finden sich Judikate, die bei dem
Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Berücksichtigung eines
Abzugs "neu für alt" für möglich erachten (LG Düsseldorf, ZMR 2009, 140 f.;
vgl. auch [jeweils zu § 812 BGB] BayObLGZ 1968, 76, 84 f. und - die Frage
offen lassend - OLG Zweibrücken, NVwZ-RR 2004, 11 f.). In der Literatur wird
die Möglichkeit eines Abzugs "neu für alt" teilweise als konsequente
Fortführung der Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des § 254 BGB im
Rahmen von § 1004 BGB angesehen (Wenzel, NJW 2005, 241, 243; Wolf, LM BGB §
254 [Bb], Nr. 13, Bl. 5).
11 bb) Dem ist zuzustimmen. Soweit diese Rechtsfortbildung
von der Literatur vereinzelt abgelehnt wird (Dickersbach, DWW 2009, 215, 217
f., siehe auch Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 1004 Rn. 154 ff., insbes.
Rn. 162 und Gursky, JZ 1992, 312, 315 Fn. 28), beruhen die Argumente auf
einem engeren von der Rechtsprechung des Senats nicht zugrunde gelegten
Begriff der Beeinträchtigung und ihrer Beseitigung. Zwar trifft es
zu, dass der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB eine andere
Funktion hat als Schadensersatzansprüche (Staudinger/Gursky, BGB
[2006], § 1004 Rn. 156 f; Dickersbach, DWW 2009, 215, 218). Das
ändert aber nichts daran, dass er, so wie er von dem Senat verstanden und
gehandhabt wird, teilweise schadensersetzende Wirkung hat (Urteil
vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239; siehe auch zum
Beseitigungsanspruch als Schadensersatzanspruch im Sinne der
Haftpflichtversicherung BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - IV ZR 40/99, NJW
2000, 1194, 1196 f.). Es ist daher folgerichtig, die Grundsätze über
den Abzug "neu für alt" darauf anzuwenden. So wie der Geschädigte durch eine
Schadensersatzleistung nicht besser gestellt werden soll, als wenn das zum
Ersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre, so soll auch
derjenige, dessen Eigentum (nur) beeinträchtigt wird, durch die Beseitigung
der Störung keinen Vorteil erlangen. Dies ginge über das Pflichtenprogramm
der Störungsbeseitigung hinaus, und zwar gerade dann, wenn - und weil - ihr
eine schadensersatzrechtliche Komponente zukommt.
12 c) Ist schon der Beseitigungsanspruch durch einen Abzug "neu für alt"
beschränkt, so versteht es sich von selbst, dass dies auch für Ansprüche
gilt, die dem Beeinträchtigten zustehen, wenn er die Störung und ihre Folgen
selbst beseitigt. Der Folgeanspruch kann nicht weiter reichen als
der primäre Störungsbeseitigungsanspruch.
13 4. Die Ermittlung der Höhe des Abzugs ist Aufgabe des Tatrichters. Das
Berufungsgericht hat, sachverständig beraten, auf Grundlage der
hypothetischen Lebensdauer des alten Kanals ohne Eintritt der Wurzelschäden
und der Lebensdauer des nun neu errichteten Kanals eine Schätzung
durchgeführt. Dieses Vorgehen ist entgegen der Auffassung der Revision nicht
zu beanstanden.
III.
14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
|