Voraussetzungen der
Verwirkung (§ 242 BGB) des Eigentumsherausgabeanspruchs (§ 985 BGB)
BGH, Urt. v. 16. März 2007
- V ZR 190/06
Fundstelle:
NJW 2007, 2183
Amtl. Leitsatz:
Der Herausgabeanspruch
des eingetragenen Eigentümers eines Grundstücks kann nur dann verwirkt sein,
wenn die Herausgabe für den Besitzer schlechthin unerträglich ist.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung enthält lehrbuchartige Ausführungen zum
Rechtsinstitut der Verwirkung, s. dazu die fett markierten Passagen.
Zur Verwirkung s. auch
BGH v. 22.11.2006 - XII ZR 152/04
m.w.N.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Parteien sind Nachbarn. Den Beklagten gehört das
Grundstück Flur 4, Flurstück 330/79, K. str. 13, in R. . Sie besitzen das
mit Notarvertrag vom 13. Juli 1978 von ihnen gekaufte Grundstück seit dem
11. März 1978 und wurden am 21. August 1978 als Eigentümer in das Grundbuch
eingetragen.
2 Das Grundstück grenzt an seiner nördlichen Seite an das Flurstück 330/78.
Das 58 qm große Flurstück 330/78 ist auf Blatt 1780 des Grundbuchs unter Nr.
2 gebucht. Das seinerzeit unter Treuhandverwaltung stehende, im Grundbuch
als K. str. 6 bezeichnete Flurstück war mit einer Scheune bebaut (im
Folgenden: Scheunengrundstück). Seit der Übergabe ihres Grundstücks nutzen
es die Beklagten als Zugang zu dem Hof auf ihrem Grundstück. 1980 bauten sie
die Scheune zu einer Garage um.
3 1985 wurden das Scheunengrundstück und das als Nr. 1 auf demselben
Grundbuchblatt gebuchte, ebenfalls als K. str. 6 bezeichnete Grundstück
enteignet. Den Klägern wurde ein Nutzungsrecht zum Bau eines
Einfamilienhauses auf den Grundstücken verliehen. Mit Vertrag vom 30.
September 1990 kauften sie die Grundstücke von der Gemeinde R. . Sie wurden
am 28. Juli 1992 in das Grundbuch eingetragen.
4 Im Mai 2002 machten sie gegenüber den Beklagten ihr Eigentum an dem
Scheunengrundstück geltend. Mit der am 26. März 2003 erhobenen Klage
verlangen sie dessen Räumung und Herausgabe. Die Beklagten haben die Einrede
der Verjährung erhoben, die Verwirkung der geltend gemachten Ansprüche
eingewandt und im Wege der Hilfswiderklage die Bestellung eines Wege- und
Überfahrtsrechts an dem Scheunengrundstück gemäß § 116 SachenRBerG verlangt.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht
zugelassenen Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des
amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Landgericht meint, der von den Klägern geltend gemachte Anspruch
auf Herausgabe des Grundstücks unterliege als Anspruch aus dem im Grundbuch
eingetragenen Eigentum der Kläger zwar nicht der Verjährung, er sei jedoch
verwirkt. Zumindest ab 1960 sei die Scheune als Bestandteil des später
von den Beklagten erworbenen Grundstücks genutzt worden, ohne dass dies
beanstandet worden sei. Die Beklagten hätten, ohne dass ihnen ein Vorwurf zu
machen sei, gemeint, die Scheune sei Bestandteil ihres Grundstücks. So sei
es ihnen verkauft worden. Der Wert der Scheune sei in das zur Ermittlung des
Kaufpreises für das Grundstück erstellte Gutachten einbezogen worden. Im
Vertrauen auf den Erwerb der Scheune hätten die Beklagten die Geltendmachung
von Ansprüchen wegen des ausgebliebenen Erwerbs der Scheune unterlassen,
diese zu einer Garage umgebaut und sich bei der Gemeinde R. nicht um einen
Erwerb des Scheunengrundstücks bemüht. Auch die Kläger hätten ihr Eigentum
nicht sogleich nach dem Erwerb des Scheunengrundstücks gegenüber den
Beklagten geltend gemacht, sondern bis zur Erhebung der Klage noch bis zu
der 2002 vorgenommen Vermessung der Grundstücke der Parteien zugewartet,
durch die alle Beteiligten Klarheit über die Eigentumsverhältnisse gewonnen
hätten.
II.
6 Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7 1. Der Anspruch des eingetragenen Eigentümers auf Herausgabe des
Grundstücks unterliegt gemäß § 902 Abs. 1 BGB nicht der Verjährung.
Ebenso verhielt es sich gemäß § 479 Abs. 1 ZGB während der Dauer der Geltung
des Zivilgesetzbuchs in der DDR mit dem § 985 BGB entsprechenden Anspruch
aus § 33 Abs. 2 ZGB. Der von den Klägern geltend gemachte Herausgabeanspruch
ist daher nicht verjährt. Ebenso wenig ist er verwirkt.
8 a) Die Verwirkung eines Anspruchs ist ein Fall der unzulässigen
Rechtsausübung. Sie schließt die illoyal verspätete Geltendmachung eines
Rechts aus. Dabei kommt es nicht auf den Willen des Berechtigten an.
Verwirkung kann auch gegen den Willen des Berechtigten eintreten, da die an
Treu und Glauben ausgerichtete objektive Beurteilung, nicht aber der
Willensentschluss des Berechtigten entscheidend ist. Verwirkung kann
daher selbst dann eintreten, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner
Berechtigung hat (BGHZ 25, 47, 53). Notwendig für die Verwirkung ist
jedoch immer, dass sich der Verpflichtete mit Rücksicht auf das Verhalten
des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser das ihm zustehende
Recht nicht mehr geltend machen werde, dass es mit Treu und Glauben nicht zu
vereinbaren ist, dass der Berechtigte später doch mit dem ihm zustehenden
Recht hervortritt (RGZ 158, 100, 107 f.) und dass unter diesem
Gesichtspunkt die Leistung für den Verpflichteten unzumutbar ist (BGHZ
25, 47, 52).
9 b) Entscheidend sind dabei die Umstände des Einzelfalls
(Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdn. 316), wobei der Art und der
Bedeutung des Rechts, um dessen Verwirkung es geht, besondere Bedeutung
zukommt (Erman/Hohloch, BGB, 11. Aufl. § 242 Rdn. 124). Soweit dem
Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Einwand der Verwirkung entgegen
gehalten wird, ist bei der gebotenen Würdigung zu berücksichtigen, dass
dieser Anspruch Kernbestandteil des Eigentums ist und seine Verwirkung
deshalb nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann (MünchKomm-BGB/Roth,
4. Aufl., Bd. 2a, § 242 Rdn. 300). Die Verneinung des Herausgabeanspruchs
bedeutet wirtschaftlich die Enteignung des Eigentümers. Das Rechtsverhältnis
zwischen dem Eigentümer und dem nichtberechtigten Besitzer ist durch §§ 987
ff. BGB in einer Weise geregelt, die die Interessen und den Schutz von
Eigentümer und Besitzer gegeneinander abwägt und grundsätzlich keiner
Korrektur durch die Verneinung des Anspruchs aus § 985 BGB bedarf. Dem
Irrtum des Eigentümers über den Umfang seines Eigentums kann grundsätzlich
auch keine andere Bedeutung zukommen als dem entsprechenden Irrtum des
Besitzers. Der Irrtum des Eigentümers ist ebenso wenig rechtsvernichtend,
wie der Irrtum des Besitzers rechtsbegründend wirkt.
10 Soweit es um die Verwirkung des Herausgabeanspruchs aus dem in das
Grundbuch eingetragenen Eigentum geht, ist darüber hinaus zu
berücksichtigen, dass die Ansprüche aus dem eingetragenen Eigentum nach der
ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers in § 902 Abs. 1 BGB als
unverjährbar ausgestaltet sind und die Verwirkung des Herausgabeanspruchs
das Eigentum als "Rechtskrüppel" (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2002], § 902
Rdn. 1) zurücklässt, das gegen die Eintragung im Grundbuch noch nicht einmal
im Wege der Ersitzung nach § 900 Abs. 1 BGB erstarken kann. Für die
Verneinung des Herausgabeanspruchs des im Grundbuch eingetragenen
Eigentümers unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung folgt daraus, dass eine
Verwirkung nur angenommen werden kann, wenn sich die Verpflichtung zur
Herausgabe für den Besitzer als schlechthin unerträglich darstellt.
11 c) So verhält es sich hier nicht. Zu dieser Festsstellung ist der Senat
in der Lage, weil weiterer Vortrag der Beklagten nicht in Betracht kommt.
12 Die Herausgabe des Grundstücks beeinträchtigt die Beklagten nicht in
unerträglicher Weise. Ob die Scheune, wie das Berufungsgericht festgestellt
hat, seit 1960 als Bestandteil des Grundstücks der Beklagten genutzt worden
ist, oder ob, wie die Beklagten behaupten, eine solche Nutzung schon seit
1937 stattgefunden hat, ist im Rahmen der Würdigung der Situation der
Beklagten ohne Bedeutung. Der Wert der Scheune ist mit 450 M/DDR und damit
mit einem objektiv geringen Betrag in den Kaufpreis für ihr Grundstück
eingeflossen. Auf die Nutzung des Gebäudes als Scheune haben die Beklagten
keinen nachhaltigen Wert gelegt, sondern die Scheune schon bald nach deren
vermeintlichem Erwerb zu einer Garage umgebaut und diese mehr als zwanzig
Jahre genutzt. Ob die Kosten für den Umbau nach dem Recht der früheren DDR
von den Klägern zu erstatten sind, kann dahin gestellt bleiben. Auch wenn
die Beklagten den Irrtum über die Größe ihres Grundstücks früher erkannt und
sich um einen Erwerb des Scheunengrundstücks bemüht hätten, hätten sie
dieses nicht unentgeltlich erwerben können. Eine Veräußerung des Grundstücks
an die Beklagten durch den Rat der Gemeinde R. als Treuhänder der Eigentümer
durfte nur durch einen Verkauf zum Verkehrswert erfolgen. Nachdem das
Grundstück in Volkseigentum überführt und den Klägern ein Nutzungsrecht an
ihm verliehen worden war, kam sein Verkauf an die Beklagten nicht mehr in
Betracht. Die zwischen der Aufklärung des Irrtums der Parteien und der
gerichtlichen Geltendmachung des Herausgabeanspruchs durch die Kläger
verstrichene Zeit ist so kurz, dass ihr keine Bedeutung zukommt.
13 d) Sofern die Beklagten zur Bewirtschaftung ihres Grundstücks auf einen
Zugang über das Scheunengrundstück angewiesen sind, können sie von den
Klägern gemäß § 116 Abs. 1 SachenRBerG die Bewilligung einer entsprechenden
Dienstbarkeit verlangen. Dieser Anspruch ist Gegenstand der hilfsweise
erhobenen Widerklage.
14 2. Der geltend gemachte Anspruch auf Räumung der Garage folgt aus § 1004
Abs. 1 BGB. Für diesen Anspruch gilt § 902 Abs. 1 BGB nicht (Senat, BGHZ 60,
235, 238).
15 Gegenstand des Räumungsanspruchs ist der Anspruch auf Entfernung der
beweglichen Sachen, die von den Beklagten oder auf ihre Veranlassung in die
Garage verbracht worden sind. Soweit dies nach dem Wiederinkrafttreten des
Bürgerlichen Gesetzbuchs in der früheren DDR geschehen ist, ist der Anspruch
der Kläger schon deshalb nicht verjährt, weil der Anspruch aus § 1004 Abs. 1
BGB der regelmäßigen Verjährung unterliegt (BGHZ 98, 235, 241; 125, 56, 63),
die bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geltende
30jährige Verjährungsfrist am 1. Januar 2002 nicht abgelaufen war und die
seither geltende kürzere Frist bei Zustellung der Klage nicht verstrichen
war, Art 229 Abs. 1 EGBGB.
16 Ob § 479 Abs. 1 ZGB auf den Anspruch aus § 33 Abs. 1 ZGB Anwendung
findet, bedarf keiner Entscheidung. Dass einzelne Gegenstände, die heute
noch in der Garage sind, schon vor dem 3. Oktober 1990 dorthin gebracht
worden sind, tragen die Kläger nicht vor.
17 Für eine Verwirkung des Räumungsanspruchs ist nichts ersichtlich.
III.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. An einer den
Rechtsstreit abschließenden Entscheidung ist der Senat gehindert, weil das
Berufungsgericht über die Widerklage - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht
entschieden hat. Dies ist nachzuholen, (vgl. BGH, Urt. v. 6. März 1996, VIII
ZR 12/94, NJW 1996, 2165, 2167).
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