Verwirkung von
Ansprüchen, Verhältnis zur Verjährung; keine Verwirkung "des Verzugs"
BGH, Versäumnisurteil vom
22. November 2006 - XII ZR 152/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Werden einzelne, in der
Vergangenheit fällig gewordene Unterhaltsansprüche längere Zeit nicht
verfolgt, kann ihrer Durchsetzung der Einwand der Verwirkung entgegenstehen.
Der Verwirkung unterliegt aber nur der jeweilige Anspruch als solcher und
nicht etwa der bloße Umstand, dass sich der Unterhaltsschuldner insoweit in
Verzug befindet.
Zentrale Probleme:
In eine spezielle unterhaltsrechtliche Problematik (Klage
auf rückständigen Unterhalt für die Vergangenheit) eingebettet legt die
Entscheidung schulmäßig die Voraussetzungen der Verwirkung, nämlich das
dafür erforderliche Zeit- und Umstandsmoment sowie deren Verhältnis zur
Verjährung dar (s. die die Ausführungen ab Rn. 21
sowie
BGH
NJW 2002, 669; BGH
NJW 2004, 3330; BGH v. 20.7.2005 - VIII ZR 199/04; BGH v. 17.10.2006 - XI ZR 205/05
sowie BGH v.
16.3.2007 - V ZR 190/06).
Sie ist deshalb von allgemeinem methodischen Interesse. Dabei wird auch
klargestellt, daß der Verzug als solcher als Unterfall der Pflichtverletzung
lediglich Vorfrage für das Entstehen von Ansprüchen ist, als solcher aber
nicht Gegenstand einer Verwirkung sein kann (s. dazu auch
BGH
NJW 2000, 2280: Schuldnerverzug ist kein
feststellungsfähiges Rechtsverhältnis).
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Antragsgegnerin begehrt von dem Antragsteller in dem vom
Scheidungsverbund abgetrennten Verfahren nachehelichen Ehegattenunterhalt
für die Zeit ab rechtskräftiger Scheidung.
2 Die Antragsgegnerin, deren Erwerbsfähigkeit aufgrund einer psychischen
Erkrankung erheblich eingeschränkt ist, bezieht seit der Scheidung der Ehe
laufend Hilfe zum Lebensunterhalt. Das Sozialamt hat die übergegangenen
Unterhaltsansprüche zur gerichtlichen Durchsetzung auf die Antragsgegnerin
zurückübertragen.
3 Der Antragsteller ist als kaufmännischer Angestellter berufstätig. Er ist
wieder verheiratet und hat mit seiner zweiten Ehefrau eine im März 1999
geborene Tochter. Er wohnt mit seiner neuen Familie mietfrei in einem
eigenen Einfamilienhaus.
4 Die Ehe der Parteien ist seit dem 8. März 1999 rechtskräftig geschieden.
Während des Scheidungsverfahrens begehrte die Antragsgegnerin u.a. im Wege
eines Stufenantrags nachehelichen Ehegattenunterhalt. Den Auskunftsantrag
erklärten die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 1998
übereinstimmend für teilweise erledigt. Abschließende Auskunft erteilte der
Antragsteller mit Schreiben vom 18. Dezember 1998. Einen bezifferten
Unterhaltsantrag stellte die Antragsgegnerin in der Folgezeit trotz
Aufforderung des Gerichts vom 12. Januar 1999, rechtskräftiger Ehescheidung
am 8. März 1999, weiterer Erinnerung vom 30. April 1999 und Abrechnung der
Verfahrenskosten im September 1999 zunächst nicht. Erst mit Schriftsatz vom
15. Mai 2002 kündigte die Antragsgegnerin einen bezifferten Zahlungsantrag
an.
5 Das Amtsgericht hat den Antragsteller nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin zur
Zahlung nachehelichen Ehegattenunterhalts in Höhe von monatlich 665 € ab
April 1999 verurteilt. Auf die Berufung des Antragstellers hat das
Oberlandesgericht die Entscheidung abgeändert und den Antragsteller unter
Zurückweisung des weitergehenden Antrags verurteilt, an die Antragsgegnerin
(erst) ab Juni 2002 nachehelichen Unterhalt in dieser Höhe zu zahlen. Gegen
die Abweisung des Antrags für die Zeit von April 1999 bis Mai 2002 richtet
sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision der Antragsgegnerin.
Entscheidungsgründe:
6 Gegen den im Verhandlungstermin nicht erschienenen Antragsteller ist durch
Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf
der Säumnis, sondern berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (BGHZ
37, 79, 81 ff.).
7 Die Revision ist teilweise begründet und führt insoweit zur Abänderung des
Berufungsurteils.
I.
8 Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2005, 722
veröffentlicht ist, hat dem Antrag auf nachehelichen Ehegattenunterhalt nur
für die Zeit ab Juni 2002 stattgegeben, weil die Antragsgegnerin sich erst
ab diesem Zeitpunkt auf die Verzugswirkung der Rechtshängigkeit berufen
könne. Zwar könne die Antragsgegnerin grundsätzlich auch für die weiter
zurückliegende Zeit Unterhalt verlangen, weil sich der Antragsteller durch
die Rechtshängigkeit des Stufenantrags in Verzug befunden habe. Auf diese
einmal eingetretene Rechtsfolge habe es "an sich" keinen Einfluss, dass das
Verfahren von den Parteien seit 1999 nicht mehr betrieben und die Akte vom
Gericht weggelegt worden sei.
9 Gleichwohl sei es der Antragsgegnerin verwehrt, Rechte aus der
fortbestehenden Rechtshängigkeit herzuleiten, soweit sie Unterhalt für die
Zeit vor Juni 2002 beanspruche. Insoweit sei es ihr unter dem Gesichtspunkt
der Verwirkung verwehrt, sich auf die mit der Rechtshängigkeit verbundenen
Rechtsfolgen zu stützen. Als besondere Form widersprüchlichen Verhaltens
komme die Verwirkung eines Rechts dann in Betracht, wenn ein Gläubiger von
diesem Recht über längere Zeit keinen Gebrauch mache und sich der Schuldner
unter diesen Umständen berechtigterweise darauf einstellen dürfe, nicht mehr
in Anspruch genommen zu werden. Eine Verwirkung stehe nicht nur der
Durchsetzung von einzelnen in der Vergangenheit fällig gewordenen
Unterhaltsansprüchen entgegen, sondern versage es dem Gläubiger auch, sich
auf die Rechtsfolgen einer Mahnung zu berufen.
10 Unterhalt sei vom Verpflichteten aus seinem laufenden Einkommen
aufzubringen und solle die Kosten der laufenden Lebensführung decken. Daraus
folge ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Bedürftigkeit und
Leistungsfähigkeit, so dass für die Vergangenheit grundsätzlich kein
Unterhalt beansprucht werden könne. Dieses Prinzip sei zwar durch die §§
1613, 1585 b BGB durchbrochen, soweit der Unterhaltsschuldner durch Mahnung
oder Klageerhebung Kenntnis von seiner Inanspruchnahme erhalte. Eine Mahnung
verliere aber ihre Warnfunktion, wenn der Unterhaltsgläubiger anschließend
untätig bleibe und aus dem einmal erworbenen Recht, Unterhalt bereits für
die Zeit ab deren Zugang fordern zu können, keine Ansprüche geltend mache.
Dabei sei es unerheblich, ob die verfolgten Zahlungsansprüche angemahnt oder
aufgrund einer Stufenklage bereits rechtshängig gewesen seien. Habe der
Unterhaltsberechtigte durch seine Untätigkeit die warnende Wirkung einer
früheren Mahnung beseitigt, könne es nicht mehr darum gehen, in welchem
Umfang sich die Verwirkung auf einzelne, erst kurz zuvor fällig gewordene
Unterhaltsansprüche erstrecke. Für den Unterhaltsschuldner stelle sich die
entstandene Situation im Ergebnis so dar, als sei er nie zu einer Zahlung
aufgefordert worden. Rückständiger Unterhalt sei deswegen in solchen Fällen
nur von dem Zeitpunkt an geschuldet, von dem an der Unterhaltsberechtigte
seine Ansprüche wieder geltend mache.
11 Die Voraussetzungen der Verwirkung seien vorliegend sowohl in Bezug auf
den Zeitablauf als auch hinsichtlich der sonst erforderlichen Umstände
gegeben. Nachdem die Antragsgegnerin auf ihren Auskunftsantrag die
notwendigen Informationen erhalten habe, habe sie es für einen Zeitraum von
mehr als drei Jahren unterlassen, ihren Zahlungsanspruch durch einen
bezifferten Antrag geltend zu machen. Aus diesem Verhalten habe der
Antragsteller "schlechterdings" nur den Schluss ziehen können, dass die
Antragsgegnerin keine Ansprüche mehr geltend machen wolle, zumal er im
Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung wiederholt deren eigene
Erwerbsverpflichtung geltend gemacht habe. Zudem sei vollkommen ungewiss
gewesen, in welcher Höhe die Antragsgegnerin einen Unterhaltsanspruch
gegebenenfalls noch geltend machen würde. Die Erkrankung der Antragsgegnerin
sei erst 2001 aufgetreten und habe einer zeitnahen Verfolgung ihrer
Ansprüche nicht entgegengestanden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass der in zweiter Ehe wieder verheiratete Antragsteller aus seinem
Einkommen auch den Unterhalt für die Kinder seiner jetzigen Ehefrau aus
erster Ehe sichere, so dass von einem tatsächlichen Verbrauch seines
Einkommens in der Vergangenheit auszugehen sei.
II.
12 Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der
Revision nur teilweise stand.
13 1. Nach dem Inhalt des amtsgerichtlichen Urteils schuldet der
Antragsteller der Antragsgegnerin nachehelichen Ehegattenunterhalt nach §
1572 BGB in Höhe von monatlich 665 €. Diese Unterhaltspflicht hat der
Antragsteller im Berufungsverfahren - vom Einwand der Verwirkung abgesehen -
weder dem Grunde nach noch zur Höhe angegriffen. Auch die Revision wendet
sich dagegen nicht.
14 2. Im Gegensatz zum Amtsgericht hat das Oberlandesgericht der
Antragsgegnerin nachehelichen Ehegattenunterhalt erst ab Juni 2002
zugesprochen, weil der bei Zustellung des Zahlungsantrags rückständige
Unterhalt verwirkt sei. Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung nur
teilweise stand.
15 a) Im Ansatz zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon
ausgegangen, dass der Antragsteller ursprünglich auch rückständigen
nachehelichen Ehegattenunterhalt für die Zeit ab April 1999 schuldete. Nach
§ 1585 b Abs. 2 BGB kann der Unterhaltsberechtigte Unterhalt für die
Vergangenheit von dem Zeitpunkt an fordern, in dem der Unterhaltspflichtige
in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist.
16 aa) Dabei kommt es auf die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene
Frage, ob § 1613 Abs.1 Satz 1 BGB auf den nachehelichen Unterhalt
entsprechend anwendbar ist, nicht an.
17 Nach dieser - durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 6. April 1998 zum 1.
Juli 1998 geänderten - Vorschrift kann ein Unterhaltsgläubiger
Verwandtenunterhalt für die Vergangenheit schon von dem Zeitpunkt an
fordern, zu welchem der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des
Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden ist, über seine Einkünfte und sein
Vermögen Auskunft zu erteilen. Mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber
eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens erreichen und den Weg
zu einer außergerichtlichen Einigung erleichtern (BT-Drucks. 13/7338 S. 31).
Der Gläubiger eines Anspruchs auf Verwandtenunterhalt muss deswegen auch
keinen unbezifferten Zahlungsantrag rechtshängig machen, um sich den
Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit zu erhalten
(Eschenbruch/Klinkhammer Der Unterhaltsprozess 4. Aufl. Rdn. 5014; Gerhardt
in FA-FamR Kap. 6 Rdn. 533; Wendl/Gerhardt Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 6 Rdn. 104a; Hoppenz/Hülsmann
Familienrecht 8. Aufl. § 1613 BGB Rdn. 2; Weinreich/Klein Familienrecht 2.
Aufl. § 1613 BGB Rdn. 8, 11; Johannsen/Hen-rich/Graba Eherecht 4. Aufl. §
1613 Rdn. 2; a. A. wohl Budde FamRZ 2005, 1217 ff.). Notwendig, aber auch
ausreichend ist es vielmehr, dass der mit dem Auskunftsverlangen verfolgte
Zweck, ein Unterhaltsbegehren vorzubereiten, deutlich gemacht wird.
18 Für den Familien- und Trennungsunterhalt wird in den §§ 1360 a Abs. 3,
1361 Abs. 4 Satz 4 BGB ausdrücklich auf diese Vorschrift Bezug genommen. Für
den nachehelichen Ehegattenunterhalt, um den die Parteien hier streiten,
enthält § 1585 b Abs. 2 BGB in der gegenwärtigen Fassung (anders aber § 1585
b Abs. 2 in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Unterhaltsrechts vom 15. Juni 2006, BT-Drucks. 16/1830 S. 8, 21 f.) weder
eine entsprechende Regelung noch eine Bezugnahme auf § 1613 Abs. 1 BGB. Das
ist regelmäßig auch nicht notwendig, weil ein geschiedener Ehegatte seinen
Unterhaltsanspruch, der im Einsatzzeitpunkt der Ehescheidung gegeben sein
muss, im Scheidungsverbund geltend machen kann, was bei gleichzeitiger
Entscheidung mit dem Scheidungsausspruch Unterhaltsansprüche für die
Vergangenheit ausschließt. Die weit überwiegende Auffassung in der
Literatur, der auch der Senat zuneigt, geht deswegen davon aus, dass § 1613
Abs. 1 Satz 1 BGB auch nicht analog auf den nachehelichen Ehegattenunterhalt
anwendbar ist und ein bloßes Auskunftsverlangen den geschiedenen Ehegatten
nicht auch schon hinsichtlich des Zahlungsanspruchs in Verzug setzt (vgl.
Wendl/Gerhardt aaO § 6 Rdn. 100; Eschenbruch/Klinkhammer aaO; Lier in
AnwK-BGB § 1585 b Rdn. 2; Gerhardt aaO; Hoppenz/Hülsmann § 1585 b BGB Rdn.
3; Weinreich/Klein aaO § 1585 b BGB Rdn. 7; Luthin/Schumacher Handbuch des
Unterhaltsrechts 10. Aufl. Rdn. 3105; Kalthoener/Büttner/Niepmann Die
Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 9. Aufl. Rdn. 220; Johannsen/Hen-rich/Büttner
aaO § 1585 b Rdn. 1; Bäumel/Büte/Poppen Unterhaltsrecht § 1585 b Rdn. 2;
Göppinger/Wax/Kodal Unterhaltsrecht 8. Aufl. Rdn. 1137; a.A. Schwab/Borth
Handbuch des Scheidungsrechts 5. Aufl. Teil IV Rdn. 1214; Budde FamRZ 2005,
1217, 1219 f.).
19 bb) Im vorliegenden Fall hat sich die Antragsgegnerin indes nicht auf ein
Auskunftsverlangen beschränkt, sondern schon im Scheidungsverbundverfahren
einen Stufenantrag zum nachehelichen Ehegattenunterhalt erhoben. Nach
ständiger Rechtsprechung des Senats setzt ein solcher Stufenantrag - wie
eine vorgerichtliche Stufenmahnung - den Schuldner auch wegen des noch
unbezif-ferten Zahlungsanspruchs in Verzug, was dem Unterhaltsgläubiger
Ansprüche ab diesem Zeitpunkt sichert (Senatsurteil vom 15. November 1989 -
IVb ZR 3/89 - FamRZ 1990, 2283, 285 - insoweit in BGHZ 109, 211 nicht
veröffentlicht und BGH Urteil vom 6. Mai 1981 - IVa ZR 170/80 - NJW 1981,
1729, 1731 = BGHZ 80, 269, 276 f.).
20 b) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht wegen eines Teils der
rückständigen Unterhaltsforderung die Voraussetzungen der Verwirkung bejaht
und die Klage insoweit abgewiesen.
21 Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in
Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht,
obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht
auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und
eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend
machen werde. Insoweit gilt für Unterhaltsrückstände, die hier allein
Gegenstand der Revision sind, nichts anderes als für andere in der
Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche, wenngleich die kurze
Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 197 Abs. 2 BGB) dem
Anwendungsbereich der Verwirkung enge Grenzen setzt (vgl. Senatsurteil
vom 16. Juni 1982 - IVb ZR 709/80 - FamRZ 1982, 898 = BGHZ 84, 280, 282).
22 Gerade bei Unterhaltsansprüchen spricht andererseits aber vieles
dafür, an das so genannte Zeitmoment der Verwirkung keine strengen
Anforderungen zu stellen. Nach § 1585 b Abs. 2 BGB kann Unterhalt für
die Vergangenheit ohnehin nur ausnahmsweise gefordert werden. Von einem
Unterhaltsgläubiger, der auf laufende Unterhaltsleistungen angewiesen ist,
muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass
er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Anderenfalls
können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen.
Abgesehen davon sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des
Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer
Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe
Geltendmachung des Unterhalts nahe legen, sind so gewichtig, dass das
Zeitmoment der Verwirkung auch schon dann erfüllt sein kann, sobald die
Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die ein Jahr oder länger zurückliegen.
Denn nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1585 b Abs. 3, 1613 Abs. 2
Nr. 1 i.V. mit §§ 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4 BGB verdient der
Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes bei mindestens ein Jahr zurückliegenden
Unterhaltsrückständen besondere Beachtung. Diesem Rechtsgedanken kann im
Rahmen der Bemessung des Zeitmoments in der Weise Rechnung getragen werden,
dass das Verstreichenlassen einer Frist von mehr als einem Jahr für die
Verwirkung früherer Unterhaltsansprüche ausreichen kann (Senatsurteile
vom 13. Januar 1988 - IVb ZR 7/87 -FamRZ 1988, 370, 372 f. = BGHZ 103, 62,
69 und vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698 f. = BGHZ
152, 217, 220 f.).
23 Neben dem Zeitmoment kommt es für die Verwirkung auf das so genannte
Umstandsmoment an. Beide Voraussetzungen hat das Berufungsgericht in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. Dabei hat es
zu Recht darauf abgestellt, dass die Antragsgegnerin ihren Anspruch auf
nachehelichen Ehegattenunterhalt erst mehr als drei Jahre nach der letzten
Auskunft des Antragstellers zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen
beziffert hat. Die Auskunft war bereits im Dezember 1998 erteilt und die
Parteien wurden sodann im März 1999 rechtskräftig geschieden. Die
Antragsgegnerin war deswegen von diesem Zeitpunkt an auf nachehelichen
Ehegattenunterhalt angewiesen. Gleichwohl verfolgte sie ihren Anspruch trotz
mehrerer Anfragen des Gerichts über mehr als drei Jahre bis zum Mai 2002
nicht weiter. Weil die Parteien zudem über die Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit gestritten
hatten, durfte der Antragsteller die Untätigkeit der Antragsgegnerin so
verstehen, dass sie keinen nachehelichen Ehegattenunterhalt mehr geltend
machen werde. Erfahrungsgemäß pflegt ein Unterhaltsverpflichteter, der in
ähnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen wie der Antragsteller lebt, seine
Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anzupassen, so
dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Rücklagen
zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGHZ 103 aaO,
71 und BGHZ 152 aaO, 223).
24 Der Verwirkung rückständiger Unterhaltsansprüche steht auch nicht
entgegen, dass diese seit dem im Scheidungsverbund eingereichten
Stufenantrag rechtshängig waren. Denn weil die Antragsgegnerin das Verfahren
trotz mehrfacher Anfragen des Gerichts nicht betrieben hat, wäre nach § 204
Abs. 2 Satz 2 BGB (in § 211 Abs. 2 BGB a.F. noch im Rahmen der Unterbrechung
geregelt) sogar die die verjährungshemmende Wirkung der Rechtshängigkeit
beendet gewesen.
25 c) Das Berufungsgericht (ebenso wie im Ergebnis KG NJW-RR 2005, 1308)
verkennt aber, dass durch die Nichtgeltendmachung nur der jeweilige, für
einen bestimmten Zeitraum entstandene Unterhaltsanspruch als solcher
verwirkt werden kann, nicht aber ein einzelnes, diesen Anspruch
qualifizierendes Merkmal wie etwa der Umstand, dass insoweit Schuldnerverzug
vorliegt.
26 Der Schuldnerverzug (§ 286 BGB) ist ein Unterfall der Verletzung der
Leistungspflicht, nämlich die rechtswidrige Verzögerung der geschuldeten
Leistung aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund, und damit zugleich
die gesetzlich definierte Voraussetzung unterschiedlicher Rechtsfolgen, also
lediglich "Vorfrage" für deren Beurteilung. Ein gegenüber dem
ursprünglichen Schuldverhältnis eigenständiges "Verzugsverhältnis" kennt das
Gesetz hingegen nicht. Dass der nicht leistende Schuldner in Verzug ist,
bedeutet nämlich nur, dass er - vom Sonderfall des § 286 Abs. 2 BGB
abgesehen - zur Erfüllung der fälligen Forderung gemahnt wurde und das
weitere Unterbleiben der Leistung zu vertreten hat (vgl. insoweit
Senatsurteile vom 19. April 2000 - XII ZR 332/97 - NJW 2000, 2280, 2281 und
vom 31. Mai 2000 - XII ZR 41/98 - NJW 2000, 2663, 2664). Deswegen kann
nicht der Schuldnerverzug als solcher verwirkt werden, sondern nur die
jeweils rückständige Forderung, hinsichtlich derer er besteht.
27 Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht zitierten
früheren Senatsrechtsprechung. Mit Urteil vom 17. September 1986 (- IVb ZR
59/85 - FamRZ 1987, 40, 41 f.) hat der Senat ausgesprochen, dass die
durch eine Mahnung ausgelösten Rechtsfolgen nicht dadurch rückwirkend
beseitigt werden, dass der Unterhaltsgläubiger die Mahnung einseitig
zurücknimmt. Die eingetretenen Rechtsfolgen einer Mahnung können vielmehr
nur durch eine Vereinbarung rückgängig gemacht werden, die auf einen Erlass
des Unterhaltsanspruchs für die fragliche Zeit hinausläuft. Soweit der
Senat daneben in Betracht gezogen hat, dass der Gläubiger sich aus
besonderen Gründen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) - insbesondere unter
dem Gesichtspunkt der Verwirkung - nicht auf die Rechtsfolgen einer Mahnung
berufen kann (Senatsurteile vom 17. September 1986 aaO und vom 9. Dezember
1987 - IVb ZR 99/86 - FamRZ 1988, 478, 479), sagt das noch nichts dazu aus,
welche in der Vergangenheit liegenden Zeitabschnitte von der Verwirkung
erfasst werden.
28 Auch weil ein Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sein kann, bevor er
überhaupt fällig geworden ist, müssen die in Rede stehenden Zeitabschnitte
gesondert betrachtet werden. Dabei ergibt sich, dass im Zeitpunkt der
Weiterverfolgung des nachehelichen Ehegattenunterhalts durch den Eingang des
bezifferten Zahlungsantrags Mitte Mai 2002 nur der Unterhaltsanspruch der
Antragsgegnerin bis Mai 2001 mehr als ein Jahr zurücklag und damit die an
das Zeitmoment der Verwirkung zu stellenden Anforderungen erfüllte (vgl.
Senatsurteile BGHZ 152 aaO, 221 und BGHZ 103 aaO, 69). Der
Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin für die Zeit ab Juni 2001 war
deswegen - ebenso wie der laufende Unterhaltsanspruch ab Eingang des
bezifferten Zahlungsantrags -noch nicht verwirkt. Insoweit hat das
Berufungsgericht die Klage deswegen zu Unrecht abgewiesen.
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