Sittenwidrigkeit von
Verfügungsgeschäften; dingliche Einigung (§ 873 BGB) und formelle Zustimmung
(§ 19 GBO) durch den wahren Berechtigten bei Nachweis der Unrichtigkeit des
Grundbuchs
BGH, Urt. v. 20. Januar
2006 - V ZR 214/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Für die Wirksamkeit
der Einigung über den Eintritt der Rechtsänderung ist es nicht erforderlich,
dass der Berechtigte als Rechtsinhaber in dem Grundbuch eingetragen ist.
b) Ist das Grundbuch im Hinblick auf die Eintragung eines Rechtsinhabers
unrichtig, muss der wahre Berechtigte und nicht der Buchberechtigte die
formelle Eintragungsbewilligung abgeben.
c) Der Grundsatz der Voreintragung des Betroffenen steht der Berechtigung
des nicht in dem Grundbuch eingetragenen wahren Rechtsinhabers zu der Abgabe
der für eine Rechtsänderung erforderlichen materiell- und formellrechtlichen
Erklärungen nicht entgegen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Flurstücks Nr. 579 der Gemarkung V. , auf
dem sie ein Kies- und Fertigbetonwerk betreibt. Die Verbindung zu einer
öffentlichen Straße verläuft über mehrere Grundstücke des Beklagten. Diese
sind mit einem auf den Kiestransport beschränkten Geh- und Fahrtrecht
zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks der Klägerin belastet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen schuldrechtlichen Anspruch auf
Einräumung eines uneingeschränkten Geh- und Fahrtrechts.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. November 2002 verkaufte der
Beklagte seiner Streithelferin Teilflächen seiner Grundstücke, die nahezu
identisch mit dem bestehenden Verbindungsweg zwischen dem Betriebsgrundstück
der Klägerin und der öffentlichen Straße sind. In dem Kaufvertrag
verpflichtete sich der Beklagte, keinem Dritten Flächen zu veräußern oder
zur Nutzung zu überlassen, über die das Grundstück der Klägerin angegangen
oder angefahren werden kann. Zur Sicherung der Einhaltung dieser
Verpflichtung gab der Beklagte ein Vertragsstrafeversprechen über 500.000 €
ab. Die Streithelferin bestellte dem Beklagten auf einem Teil der verkauften
Flächen ein Geh-und Fahrtrecht, schloss jedoch die Überlassung zur Ausübung
an Dritte aus. Nach der Vermessung der Flächen wurde die Streithelferin als
Eigentümerin der neu gebildeten Flurstücke in das Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Bestellung einer
Grund-dienstbarkeit zu Lasten der an die Streithelferin verkauften
Flurstücke, gerichtet auf die Zulässigkeit des Befahrens mit Fahrzeugen
aller Art und jeder Größe. Das Landgericht hat der Klage lediglich
hinsichtlich eines Flurstücks stattgegeben, das mit einer Vormerkung
zugunsten der Klägerin belastet war. Die Berufung der Klägerin ist ohne
Erfolg geblieben.
Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
Streithelferin des Beklagten beantragt, erstrebt die Klägerin die
vollständige Durchsetzung ihrer Klage.
Entscheidungsgründe:
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts
ist sowohl der Kaufvertrag zwischen dem Beklagten und seiner Streithelferin
als auch die Auflassung der verkauften Flurstücke wegen Sittenwidrigkeit
nichtig. Deshalb sei der Beklagte noch Eigentümer der Grundstücke. Jedoch
könne er den Anspruch der Klägerin auf Einräumung des uneingeschränkten Geh-
und Fahrtrechts und auf Eintragung einer entsprechenden Grunddienstbarkeit
in das Grundbuch wegen subjektiven Unvermögens nicht erfüllen, weil er nicht
als Eigentümer der zu belastenden Flurstücke in dem Grundbuch eingetragen
sei.
Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
II. 1. Zutreffend - und von der Revision als für die Klägerin günstig nicht
angegriffen - geht das Berufungsgericht davon aus, dass sowohl der
Kaufvertrag zwischen dem Beklagten und seiner Streithelferin als auch die
Auflassung wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) nichtig sind; denn mit
dem Vollzug des sittenwidrigen Kaufvertrags verfolgten die Vertragsparteien
einen ebenfalls sittenwidrigen Zweck, nämlich das Entstehen eines
uneingeschränkten Geh- und Fahrtrechts zugunsten des jeweiligen Eigentümers
des Betriebsgrundstücks der Klägerin durch die Eintragung einer
Grunddienstbarkeit in das Grundbuch zu vereiteln und damit die von der
Klägerin beabsichtigte erweiterte Nutzung ihres Grundstücks zugunsten der
Streithelferin des Beklagten zu verhindern. In einem solchen Fall erfasst
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe nur Urt.
v. 22. Januar 1992, VIII ZR 374/89, WM 1992, 951, 953 und Urt. v. 11.
Oktober 1995, VII ZR 62/94, WM 1996, 133, 135) die Sittenwidrigkeit des
Verpflichtungsgeschäfts (Kaufvertrag) auch das Verfügungsgeschäft
(Auflassung).
Die von der Streithelferin des Beklagten erhobene Gegenrüge, mit der sie
sich gegen die von dem Berufungsgericht angenommene Sittenwidrigkeit der
Auflassung wendet, ist unbegründet. Der Umstand, dass die Streithelferin
bereits vor der Inbetriebnahme des Fertigbetonwerks auf dem Grundstück der
Klägerin ihr Interesse an dem Erwerb von Grundstücken in der Umgebung und
deren Erschließung durch die von der Klägerin genutzte Straße bekundet hat,
ändert an der Sittenwidrigkeit der Auflassung nichts. Denn der - erst nach
der Inbetriebnahme des Fertigbetonwerks abgeschlossene - Kaufvertrag enthält
über diese Interessen hinausgehende Regelungen (strafbewehrtes Versprechen
des Beklagten, keinem Dritten Flächen zu veräußern oder zur Nutzung zu
überlassen, über die das Betriebsgrundstück der Klägerin erreicht werden
kann; Ausschluss der Überlassung der Ausübung des für den Beklagten
bestellten Wegerechts an Dritte), die darauf gerichtet sind, der Klägerin
die Durchsetzung ihres Anspruchs gegen den Beklagten auf Bestellung eines
uneingeschränkten Geh- und Fahrtrechts unmöglich zu machen. Dieses Ziel
konnten der Beklagte und seine Streithelferin nur durch die
Eigentumsübertragung erreichen.
2. Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht jedoch, dass dem Beklagten
die Abgabe der von der Klägerin verlangten Willenserklärungen (Bestellung
des uneingeschränkten Geh- und Fahrtrechts zu Lasten der verkauften
Flurstücke und Bewilligung der Eintragung einer entsprechenden
Grunddienstbarkeit in das Grundbuch) unmöglich sei. Das verkennt die
Rechtsfolgen, die sich aus der Nichtigkeit der Auflassung ergeben.
a) Richtig erkennt das Berufungsgericht noch, dass der Beklagte Eigentümer
der verkauften Grundstücke ist, obwohl nicht er, sondern seine
Streithelferin als Eigentümerin in dem Grundbuch eingetragen ist. Das
Grundbuch ist somit unrichtig.
b) Daraus folgt, dass der Beklagte berechtigt ist, die materiell-rechtlich
erforderliche Erklärung für die Bestellung der Grunddienstbarkeit, also nach
§ 873 Abs. 1 BGB die auf die Einigung mit der Klägerin über die Belastung
des Grundstücks gerichtete Willenserklärung abzugeben. Für die Wirksamkeit
dieser Erklärung ist es nicht erforderlich, dass der Beklagte als Eigentümer
der zu belastenden Flurstücke in dem Grundbuch eingetragen ist.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Beklagte auch die
formell-rechtlich nach § 19 GBO erforderliche Eintragungsbewilligung wirksam
abgeben. Denn bewilligungsberechtigt ist hier der wahre Eigentümer, nicht
der Bucheigentümer.
Die Bewilligungsberechtigung steht nach § 19 GBO dem Betroffenen zu. Das
ist derjenige, dessen grundbuchmäßiges Recht durch die vorzunehmende
Eintragung nicht nur wirtschaftlich, sondern rechtlich beeinträchtigt wird
oder zumindest rechtlich nachteilig berührt werden kann; ob dies der Fall
ist, muss unabhängig von etwaigen Veränderungen des materiellen Sachenrechts
und unabhängig von den Folgen der gestatteten Grundbucheintragung beurteilt
werden (Senat, BGHZ 145, 133, 136 f. m.w.N.). Grundsätzlich ist also
die Grundbuchposition maßgeblich; der in dem Grundbuch Eingetragene ist
bewilligungsberechtigt. Ist das Grundbuch jedoch - wie hier - unrichtig und
die Vermutung des § 891 BGB widerlegt, muss der wahre Berechtigte, also der
Inhaber des betroffenen Rechts, die Eintragung bewilligen (Demharter,
GBO, 25. Aufl., § 19 Rdn. 44, 48; Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Aufl.,
§ 19 Rdn. 38; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl., Rdn. 100).
Anderenfalls käme es zu einer Perpetuierung der Unrichtigkeit des
Grundbuchs, die jedoch seinem Zweck widerspräche, über die privatrechtlichen
Verhältnisse an einem Grundstück zuverlässig Auskunft zu geben.
d) Die Unmöglichkeit der Abgabe der mit der Klage verlangten
Willenserklärungen folgt auch nicht aus der in der Revisionserwiderung
herangezogenen Senatsentscheidung vom 26. März 1999
(BGHZ 141, 179, 181 ff.). Die darin enthaltenen Grundsätze zu der
Unmöglichkeit der Leistung nach der Veräußerung der geschuldeten Sache durch
den Schuldner gelten hier nicht, weil sowohl der Kaufvertrag zwischen dem
Beklagten und seiner Streithelferin als auch die Auflassung nichtig sind und
der Beklagte deshalb weiterhin Eigentümer der verkauften Flächen ist.
3. Der Berechtigung des Beklagten zu der Abgabe der materiell-rechtlich und
der formell-rechtlich erforderlichen Erklärungen steht § 39 Abs. 1 GBO nicht
entgegen. Danach soll eine Eintragung nur erfolgen, wenn die Person, deren
Recht durch sie betroffen wird, als der Berechtigte in dem Grundbuch
eingetragen ist.
a) Zutreffend - allerdings in einem anderen Zusammenhang - nimmt das
Berufungsgericht an, dass die Erweiterung des Antragsrechts nach § 14 GBO
nicht über die fehlende Eigentümereintragung des Beklagten hinweghelfe. Denn
diese Vorschrift betrifft lediglich den Kreis derjenigen, die die
Berichtigung des Grundbuchs beantragen können. Sie befreit die Antragsteller
aber nicht davon, die für die Berichtigung notwendigen Unterlagen
beizubringen (Demharter, GBO, 25. Aufl., § 14 Rdn. 14). Die Klägerin, die
nach einer Verurteilung des Beklagten zur Abgabe der verlangten
Willenserklärungen zu den Antragsberechtigten im Sinne von § 14 GBO gehört,
muss deshalb für die Berichtigung des Grundbuchs durch die Eintragung des
Beklagten als Eigentümer entweder die Bewilligung der Streithelferin des
Beklagten (§ 19 GBO) oder eine den Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs
erbringende Urkunde (§ 22 Abs. 1 Satz 1 GBO) vorlegen. Das kann hier ein
Urteil sein, welches in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der
Streithelferin des Beklagten ergeht und in welchem die Unrichtigkeit des
Grundbuchs hinsichtlich der Eigentümereintragung der Streithelferin
festgestellt wird.
b) Der in § 39 Abs. 1 GBO enthaltene Grundsatz der Voreintragung des
Betroffenen ist eine formelle Voraussetzung für die Vornahme einer
Grundbucheintragung (Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Aufl., § 39 Rdn.
3). Er bezweckt nicht nur die klare und verständliche Wiedergabe des
aktuellen Grundbuchstands, sondern auch die Möglichkeit, seine Entwicklung
nachzuvoll-ziehen; demnach muss das betreffende Recht so eingetragen sein,
wie es der materiellen Rechtslage und der sich anschließenden neuen
Eintragung entspricht (Senat, BGHZ 16, 101; Demharter, GBO, 25. Aufl., § 39
Rdn. 1; a.A. Meikel/Böttcher, aaO, Rdn. 1 f.). Insoweit hat die Vorschrift
eine Ordnungsfunktion (BayObLG DNotZ 2003, 49, 50). Das schließt eine
Auswirkung auf die - hier umstrittene - materielle Verfügungs- und formelle
Bewilligungsberechtigung des nicht eingetragenen Berechtigten aus.
4. Nach alledem ist die Revision begründet; das Berufungsurteil ist deshalb
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nach den von dem
Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist,
hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das
führt dazu, dass das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Klägerin
dahin zu ändern ist, dass der Beklagte hinsichtlich aller verkauften
Flurstücke zur Abgabe der verlangten Willenserklärungen zu verurteilen ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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