Reichweite der Beurkundungspflicht nach § 311b I
BGB; Abgrenzung zum Scheingeschäft bei unrichtiger Beurkundung der
Kaufpreiszahlung (Vorausquittung); Streitgegenstandsbegriff; Anspruch auf
Vertragsauflösung aus culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II
BGH, Urteil vom 20. Mai 2011 - V ZR 221/10
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Wird in einem notariellen Grundstückskaufvertrag
die Kaufpreiszahlung bestätigt, obwohl sie erst nach der Beurkundung
erfolgen soll, stellt die Bestätigung eine Vorausquittung dar. Diese hat für
sich genommen weder die Nichtigkeit als Scheingeschäft noch die
Formnichtigkeit des Vertrags zur Folge.
Zentrale Probleme:
Text
©sl 2011
Tatbestand:
1 Mit notariellem Vertrag vom 27. Oktober 2005
verkaufte der Kläger an die Beklagte ein Grundstück zum Preis von 30.000 €
und bewilligte die Eintragung einer Auflassungsvormerkung. Nr. III.2. des
Vertrags lautet: "Der gesamte Kaufpreis ist bereits gezahlt." Die
Auflassungsvormerkung wurde eingetragen. Im Übrigen ist der Vertrag nicht
vollzogen worden. Der Kläger hat behauptet, er habe die Zahlung im Voraus
bestätigt. In Wahrheit habe die Beklagte nicht gezahlt.
2 Das Landgericht hat der auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags
und Löschung der Auflassungsvormerkung gerichteten Klage nach Beweisaufnahme
stattgegeben. Das Kammergericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet
sich der Kläger mit der von diesem Gericht zugelassenen Revision. Er
erstrebt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der
Maßgabe, dass die Beklagte aus dem Kaufvertrag keine Rechte herleiten darf.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht meint, der Kaufvertrag sei wirksam. Dabei könne
unterstellt werden, dass die Zahlung tatsächlich nicht erfolgt sei. Die
unrichtige Zahlungsbestätigung sei weder ein Scheingeschäft noch habe sie
die Formnichtigkeit des Vertrags zur Folge. Der Beurkundungszwang erstrecke
sich nämlich nicht auf eine Zahlungsbestätigung.
II.
4 Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Dabei
ist in der Revisionsinstanz als für den Kläger günstig zu unterstellen, dass
die beurkundete Zahlungsbestätigung tatsächlich unrichtig und der Kaufpreis
bei der Beurkundung nicht gezahlt worden war.
5 1. Die unrichtige Zahlungsbestätigung führt nicht zur Nichtigkeit des
Kaufvertrags; davon geht auch die Revision zutreffend aus.
6 a) Zu Recht legt das Berufungsgericht zugrunde, dass die Voraussetzungen
eines Scheingeschäfts nicht dargelegt sind. Ein Vertrag ist nur dann
nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, wenn das Vereinbarte nach dem
übereinstimmenden Willen der Parteien keine Geltung haben soll
(Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - V ZR 229/01, DNotZ 2003, 123, 124 mwN).
Die Vertragsurkunde gibt die zwischen den Parteien vereinbarten Pflichten
zur Kaufpreiszahlung einerseits und zur Übertragung des Grundstücks
andererseits zutreffend wieder. Nach dem Vortrag des Klägers wollten
beide Parteien diese Rechtsfolgen herbeiführen, auch wenn der Kaufpreis
tatsächlich erst im Anschluss an die Beurkundung gezahlt werden sollte.
7 b) Ebenso wenig ist der Vertrag gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB
i.V.m. § 125 Satz 1 BGB formnichtig. Die Frage nach der
Beurkundungspflichtigkeit einer Zahlungsbestätigung, die das
Berufungsgericht zur Zulassung der Revision veranlasst hat, stellt sich
nicht. Nicht jede bewusst unrichtige Beurkundung führt zu einer
Nichtigkeit wegen Formmangels (missverständlich insoweit Pa-landt/Grüneberg,
BGB, 70. Aufl., § 311b Rn. 36). Entscheidend ist, ob die der
Beurkundungspflicht unterliegenden Vereinbarungen beurkundet worden sind.
Daran fehlt es beispielsweise, wenn der vereinbarte Kaufpreis
bewusst falsch beurkundet wird (Senat, Urteil vom 15. Mai 1970 - V
ZR 20/68, BGHZ 54, 56, 62 f.; Urteil vom 11. November 1983 - V ZR 211/82,
BGHZ 89, 41, 43). Hier ist dagegen die (unwahre) Zahlungsbestätigung
notariell beurkundet worden. Nicht beurkundet worden ist lediglich der
(wahre) Umstand, dass der vereinbarte Kaufpreis nicht gezahlt war. Dabei
handelt es sich nicht um einen Teil der Vereinbarung, sondern um eine
negative Tatsache, auf die sich die Beurkundungspflicht ohne Zweifel nicht
erstreckt.
8 2. Ohne Erfolg bleibt die Revision, soweit sie einen Anspruch auf
Rückgängigmachung des Kaufvertrags nunmehr aus dem Gesichtspunkt des
Verschuldens bei Vertragsverhandlungen gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §
311 Abs. 2 Nr. 1, § 249 Abs. 1 BGB herleiten will.
9 a) Obwohl ein solcher Anspruch in den Tatsacheninstanzen nicht geltend
gemacht worden ist, handelt es sich entgegen der in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat seitens der Beklagten vertretenen Auffassung nicht
um eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung. Der
Streitgegenstand ist gleich. Er wird durch den Klageantrag und den
Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte
Rechtsfolge herleitet (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2003 - I
ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 347 f.; Urteil vom 19. November 2003 - VIII ZR
60/03, BGHZ 157, 47, 50 ff. jeweils mwN). Der in den Vorinstanzen
auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags gerichtete Antrag des
Klägers umfasst als Minus die Feststellung, dass die Beklagte aus dem
Vertrag keine Rechte mehr herleiten kann. Beide Ansprüche beruhen auch auf
einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Maßgeblich ist insoweit, dass das
zugrunde liegende tatsächliche Geschehen bei einer natürlichen, vom
Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zusammengehört
(Senat, Urteil vom 11. November 1994 - V ZR 46/93, NJW 1995, 967, 968 mwN).
Das ist der Fall. Der Kläger hat sein Klagebegehren in den Vorinstanzen
darauf gestützt, dass er zu der Zahlungsbestätigung durch Täuschung
bewogen worden ist. Auch wenn er damit in erster Linie den Zweck
verfolgt hat, seine Motivation für die Abgabe einer Vorausquittung plausibel
zu erklären, wäre eine rechtliche Aufteilung in unterschiedliche
Sachverhalte aus Sicht der Parteien nicht nachvollziehbar.
10 b) Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Rückgängigmachung des
Vertrags und Löschung der Auflassungsvormerkung wegen der Verletzung
vorvertraglicher Pflichten nicht substantiiert dargelegt.
11 aa) Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist ein
Vermögensschaden des Klägers (vgl. nur
Senat, Urteil vom 26. September 1997 - V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 303 f. mwN).
Insoweit stützt sich die Revision auf die Überlegung, der Kläger sei durch
die Täuschung der Beklagten über deren Zahlungsabsicht zu der Beurkundung
der Zahlungsbestätigung verleitet worden und habe sich deshalb zu der
Übertragung des Grundstücks "ohne weitere Gegenleistung" verpflichtet.
Diese Argumentation verkennt, dass der Kaufvertrag eine Pflicht der
Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises begründete. Die Zahlungsbestätigung
stellt - wie das Berufungsgericht insoweit zu Recht ausgeführt hat -nur eine
Quittung dar, mit der der Empfang der Leistung bestätigt wird. Als Erklärung
über eine Tatsache hat sie keine rechtsgeschäftliche Bedeutung und
unterliegt der freien Beweiswürdigung (vgl. nur Senat, Urteil vom
14. April 1978 - V ZR 10/77, WM 1978, 849). Handelte es sich um eine
Vorausquittung und kann der Kläger dies nachweisen, besteht sein Anspruch
auf Kaufpreiszahlung weiterhin. Sollte die Beklagte ihren Zahlungspflichten
nicht nachkommen, stehen dem Kläger die im Gesetz vorgesehenen
Leistungsstörungsrechte offen. Ausreichend für die Annahme
eines Vermögensschadens des Klägers ist aber die Vermögensgefährdung infolge
der mit der Zahlungsbestätigung einhergehenden Verschlechterung seiner
Beweissituation, nachdem nur in diesem Verfahren revisionsrechtlich zu
unterstellen ist, dass keine Zahlung erfolgt ist.
12 bb) Es fehlt aber an der Darlegung einer für diesen Vermögensschaden
ursächlichen Pflichtverletzung der Beklagten. Darüber, dass bei
Beurkundung keine Zahlung erfolgt war, hat sie nicht getäuscht; dies war dem
Kläger bekannt. Eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der
Zahlungsbestätigung läge deshalb nur dann vor, wenn die Beklagte insgesamt
über ihre Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit getäuscht und den Kläger auf
diese Weise zu der Erteilung der Vorausquittung bewogen hätte. Auf
einen solchen Vortrag des Klägers verweist die Revision nicht. Nach den
seitens des Berufungsgerichts in Bezug genommenen Feststellungen des
Landgerichts hat er lediglich behauptet, der damalige Geschäftsführer der
Beklagten habe ihm fälschlich vorgespiegelt, der Kaufpreis werde durch ein
Darlehen der Ehefrau des Klägers finanziert werden. Dass die Beklagte nicht
nur über eine bestimmte Finanzierungsform getäuscht hat, sondern insgesamt
nicht bereit oder in der Lage war, die bereits bestätigte Zahlung auch
tatsächlich zu leisten, ergibt sich daraus nicht. Noch weniger lässt sich
dies den von der Revision in Bezug genommenen Schriftsätzen des Klägers
entnehmen. Dort ist nur die Rede davon, der Geschäftsführer der Beklagten
habe dem Kläger eine Finanzierung über ein Darlehen mit der Ehefrau des
Klägers "suggeriert".
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. |