Schadensersatz bei der
Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus einem Schuldverhältnis (§§ 280 I,
241 II BGB) - positive Forderungsverletzung
BGH, Urt. v. 10. November
2006 - V ZR 62/06
Fundstelle:
NJW 2007, 292
Amtl. Leitsatz:
a) Zwischen den
Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft besteht eine
schuldrechtliche Sonderverbindung, aus der Treue- und
Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB entspringen können.
b) Ein geschädigter Miteigentümer ist verpflichtet, nicht den schädigenden
Miteigentümer auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn der geltend
gemachte Schaden Bestandteil des versicherten Interesses ist, der
Gebäudeversicherer nicht Regress nehmen könnte und nicht besondere Umstände
vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Schädigers durch den
Geschädigten rechtfertigen.
Zentrale Probleme:
Der etwas komplexe Fall ist ein schönes Beispiel für die
Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht aus §§ 280 I, 241 II BGB. Es geht
letztlich darum, daß ein Geschädigter Miteigentümer in einer
Wohnungseigentümergemeinschaft für einen Schaden, den ein anderer
Miteigentümer verursacht hatte, entweder diesen oder aber die
Gebäudeversicherung hätte in Anspruch nehmen können, wobei die
Gebäudeversicherung keinen Regreß beim Schädiger hätte nehmen können. Die
Inanspruchnahme der Versicherung hätte den Schädiger also endgültig
entlastet. Der Senta sieht hier in der Inanspruchnahme des Miteigentümers
eine Pflichtverletzung nach § 241 II BGB (Verletzung einer
Rücksichtnahmepflicht auf die Vermögensinteressen). Da die Inanspruchnahme
des Miteigentümers also sofort einen Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe
ausgelöst hätte, kann dieser nach § 242 BGB ("dolo-petit"-Einwand!) die
Zahlung verweigern.
Diese Entscheidung mit "Neues Schuldrecht" zu titulieren, ist ein kleiner
Etikettenschwindel: Der Fall wäre unter altem Recht nicht anders zu
entscheiden gewesen. Die positive Forderungsverletzung (pFV) ist in §§ 280 I
i.V.m. § 241 II BGB nur kodifiziert worden, richterrechtlich war sie längst
vorher anerkannt.
S. dazu auch BGH v.
19.11.2014 - VIII ZR 191/13.
©sl 2006
Tatbestand:
1 Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die für
das Anwesen einen Gebäudeversicherungsvertrag bei der D. AG (im Folgenden
Gebäudeversicherer) abgeschlossen hat. Am 13. April 2002 lief aus der
Waschmaschine der haftpflichtversicherten Beklagten Wasser aus und drang in
die Wohnung der Klägerin ein. Trocknungsmaßnahmen wurden erst am 17. Mai
2002 ergriffen. Der Gebäudeversicherer glich die Kosten für die
Trocknungsgeräte aus und genehmigte den Kostenvoranschlag für Malerarbeiten.
Die Klägerin behauptet, die Trocknungsmaßnahmen hätten den eingetretenen
Schaden nicht vollständig beseitigt. Infolge der Durchfeuchtungen sei es zu
Schimmelbefall gekommen, der ein Verbleiben in der Wohnung unzumutbar
gemacht habe. Gegenstand der Klage sind Kosten der Wohnungssanierung sowie
Aufwendungen, die die Klägerin für die vorgerichtliche Schadensfeststellung
und für ihre anderweitige Unterkunft aufgebracht hat.
2 Das Landgericht hat die auf Zahlung von 61.186,87 € gerichtete Klage
abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit
der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin
ihren Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des
Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, aus der Verbundenheit der
Parteien als Wohnungseigentümer und der damit einhergehenden Treuepflicht
folge, dass sich die Klägerin allein an den gemeinsamen Gebäudeversicherer
halten könne. Da dieser eintrittspflichtig und ein Regress gegen die
Beklagte wegen des Vorliegens nur leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen
sei, bestehe kein vernünftiges Interesse daran, den schädigenden
Wohnungseigentümer in Anspruch zu nehmen, der ebenso wie der geschädigte
Wohnungseigentümer über das Hausgeld und der damit verbunden Zahlung der
Versicherungsprämie zur Deckung des Schadens beigetragen habe. Der Umstand,
dass die Beklagte haftpflichtversichert sei, könne kein besonderes Interesse
der Klägerin an einer Inanspruchnahme der Beklagten begründen.
II.
4 Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
5 1. Die Frage, ob der Streit der Parteien gemäß §§ 46 Abs. 1, 43 Abs. 1 Nr.
1 WEG im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hätte ausgetragen werden
müssen, ist im Revisionsrechtszug entsprechend § 17a Abs. 5 GVG (dazu Senat,
BGHZ 130, 159, 162 f.) nicht mehr zu prüfen. Das Landgericht hat die
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit konkludent durch seine
Sachentscheidung bejaht. Da eine Vorabentscheidung entsprechend § 17a Abs. 3
Satz 2 GVG mangels Zuständigkeitsrüge nicht geboten war, entfaltet diese
Entscheidung Bindungswirkung (vgl. Senat, BGHZ 120, 204, 206 f.; Urt. v. 19.
November 1993, V ZR 269/92, NJW 1994, 387, und zum Ganzen Staudinger/Wenzel
[2005], WEG, § 46 Rdn. 4, 6 u.19).
6 2. In der Sache ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen,
dass es der Klägerin im Hinblick auf die bestehende Gebäudeversicherung nach
§ 242 BGB verwehrt ist, die Beklagte in Anspruch zu nehmen.
7 a) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass ein geschädigter
Vermieter verpflichtet ist, nicht den schädigenden Mieter auf
Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn ein Versicherungsfall
vorliegt, ein Regress des Gebäudeversicherers gegen den Mieter
ausgeschlossen ist und der Vermieter nicht ausnahmsweise ein besonderes
Interesse an einem Schadensausgleich durch den Mieter hat. Verletzt der
Vermieter diese Pflicht, steht dem Mieter ein Schadensersatzanspruch aus
positiver Forderungsverletzung (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) zu,
den er dem Anspruch des Geschädigten nach § 242 BGB entgegen halten kann
(BGH, Urt. v. 3. November 2004, VIII ZR 28/04, NZM 2005, 100, 101;
Armbrüster, NVersZ 2001, 193, 196; Prölss, ZMR 2001, 157, 159). Für das
Verhältnis der Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft untereinander
kann nichts anderes gelten.
8 aa) Der dagegen von der Revision erhobene Einwand, ebenso wie bei dem
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis fehle es zwischen Wohnungseigentümern
an dem für einen Anspruch aus positiver Forderungsverletzung erforderlichen
„Näheverhältnis", greift nicht durch. Anders als unter Grundstücksnachbarn
besteht zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft
eine schuldrechtliche Sonderverbindung. Haben die Wohnungseigentümer
eine Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WEG getroffen, sind sie
rechtsgeschäftlich (vgl. Staudinger/Kreuzer [2005], § 10 WEG Rdn. 7) und im
Übrigen durch das unter allen Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche
Schuldverhältnis verbunden (Senat, BGHZ 141, 224, 228; Beschl. v. 22. April
1999, V ZB 28/98, NJW 1999, 2108, 2109; BGH, Urt. v. 17. April 2002, IV ZR
226/00, NZM 2002, 663, 664). Dass auch aus Letzterem Treue- und
Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB folgen können, ist
anerkannt (vgl. nur Senat, BGHZ aaO; BayObLG NJW 2002, 71, 72; Bärmann/Pick/Merle,
WEG, 9. Aufl., § 10 Rdn. 27; Staudinger/Looschelders/Olzen [2005], § 242 BGB
Rdn. 906 m.w.N.). Folgerichtig hat ein Wohnungseigentümer im Rahmen dieser
Sonderverbindung für das Verschulden von Hilfspersonen nach § 278 BGB
einzustehen (Senat, BGHZ 141, 224, 229), während das nachbarliche
Gemeinschaftsverhältnis für die Anwendung dieser Zurechnungsnorm keine
ausreichende Grundlage bildet (Senat, Urt. v. 27. Januar 2006, V ZR 26/05,
VersR 2006, 985, 986 m.w.N.). Ob und inwieweit aus dem zwischen
Wohnungseigentümern bestehenden Schuldverhältnis - über § 14 WEG hinaus -
Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme herzuleiten sind, kann allerdings
nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der
Interessenlage der Wohnungseigentümer bestimmt werden.
9 bb) Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass Gebäudeversicherungen
von Wohnungseigentümergemeinschaften in der berechtigten Erwartung
abgeschlossen werden, dass ihren Mitgliedern die versicherten Risiken
abgenommen und ihnen unerquickliche und ein gedeihliches Miteinander
beeinträchtigende Auseinandersetzungen untereinander erspart bleiben, wenn
der geltend gemachte Schaden Bestandteil des versicherten Interesses ist,
der den Schaden ausgleichende Gebäudeversicherer nicht Regress nehmen kann
gegen den Schädiger und nicht besondere Umstände vorliegen, die
ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Schädigers durch den Geschädigten
rechtfertigen (vgl. auch BGH, Urt. v. 3. November 2004, VIII ZR 28/04,
NZM 2005, 100, 101).
10 (1) Das mit dem Abschluss der Gebäudeversicherung verfolgte Anliegen, den
mitversicherten Wohnungseigentümer wegen eines der Gebäudeversicherung
unterfallenden Interesses grundsätzlich nicht zu behelligen, kann nur
erreicht werden, wenn sich der geschädigte Wohnungseigentümer an den
Gebäudeversicherer hält. Nimmt er dagegen den Schädiger in Anspruch, wird
dieser in seiner berechtigten Erwartung enttäuscht, als Gegenleistung für
die auch von ihm anteilig über das Hausgeld gezahlte Versicherungsprämie im
Schadensfall einen Nutzen von der Gebäudeversicherung zu haben. Stellt man
in Rechnung, dass der Geschädigte im Regelfall kein vernünftiges Interesse
daran hat, sich an den Schädiger zu halten, folgt aus dieser Interessenlage
die Verpflichtung des geschädigten Wohnungseigentümers, sich bei Vorliegen
eines Versicherungsfalls grundsätzlich nicht an andere Miteigentümer zu
halten. Nimmt der Geschädigte gleichwohl den Schädiger in Anspruch, steht
diesem ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung (§ 280
Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) zur Seite, den er der Klageforderung nach §
242 BGB entgegen halten kann (vgl. BGH, Urt. v. 3. November 2004, VIII
ZR 28/04, NZM 2005, 100, 101).
11 (2) Entgegen der Auffassung der Revision ist es für die Annahme einer
solchen Verpflichtung zur Rücksichtnahme unerheblich, auf welche
Anspruchsgrundlage der Geschädigte seine Forderung stützt. Ausschlaggebend
ist, dass durch eine Inanspruchnahme das Miteinander der Wohnungseigentümer
ernsthaft beeinträchtigt wird. Daran ändert auch das Bestehen einer
deckungspflichtigen Haftpflichtversicherung nichts. Da der schädigende
Miteigentümer gehalten ist, seiner Obliegenheit zur Unterstützung des
Haftpflichtversicherers nachzukommen (vgl. BGH, Urt. v. 13. September 2006,
IV ZR 273/05, Rdn. 16 f., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt), müssen die
Miteigentümer auch in diesem Fall gegenteilige Positionen einnehmen. Das
Bestreben der Miteigentümer, Konflikte unter den Wohnungseigentümern so weit
wie möglich zu vermeiden, wird damit bei einer Inanspruchnahme des
schädigenden Miteigentümers unabhängig von dem Bestehen einer
Haftpflichtversicherung konterkariert.
12 b) Das Berufungsgericht hat zu Recht die Voraussetzungen einer
schuldhaften (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) Verletzung der die Klägerin
treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme bejaht.
13 aa) Insbesondere ist es zutreffend davon ausgegangen, dass Schäden der
geltend gemachten Art von dem mit der Wohnungseigentümergemeinschaft
abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag gedeckt sind. Die Darlegungs-
und Beweislast hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Zwar hat es
ausgeführt, es sei nicht substantiiert vorgetragen worden, dass der
Gebäudeversicherer für die behaupteten Schäden nicht eintrittspflichtig sei.
Jedoch darf diese Erwägung bei verständiger Würdigung des Prozessverlaufs
nicht dahin missverstanden werden, das Berufungsgericht habe der Klägerin
insoweit - was unzutreffend wäre - die Darlegungslast für den von der
Beklagten geltend gemachten Gegenanspruch aus positiver Forderungsverletzung
aufgebürdet. Denn die Beklagte hat in beiden Instanzen dargelegt, dass die
behaupteten Schäden von dem mit der Wohnungseigentümergemeinschaft
abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag erfasst werden. Vor diesem
Hintergrund hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 7. November 2005 nach
§ 139 ZPO darauf hingewiesen, es sei bislang kein Vorbringen ersichtlich,
das der Annahme entgegen stehen könnte, die in Rede stehenden Schäden
unterfielen nicht dem Versicherungsschutz. Wenn die Klägerin dem nichts
entgegen gesetzt hat, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht
das Vorbringen der Beklagten zum Umfang des Deckungsschutzes zugrunde gelegt
hat.
14 bb) Ein Rückgriff des Versicherers gegen den schädigenden
Wohnungseigentümer scheidet aus. Das Berufungsgericht hat den mit der
Wohnungseigentümergemeinschaft geschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag der
Sache nach dahin ausgelegt, dass auch das Sachersatzinteresse der einzelnen
Miteigentümer an dem Gemeinschafts- und an dem Sondereigentum der anderen
Wohnungseigentümer mitversichert ist. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte,
die den Schaden ohnehin nur leicht fahrlässig herbeigeführt hat, schon nicht
als Dritte im Sinne von § 67 Abs. 1 VVG zu qualifizieren (vgl. BGH, Urt. v.
18. März 2001, IV ZR 163/99, NZM 2001, 624, 625; zum Regressverzicht des
Gebäudeversicherers bei Vorliegen nur leichter Fahrlässigkeit vgl. BGH,
Urteile v. 13. September 2006, IV ZR 116/05 und IV ZR 378/02, Rdn. 11 ff.
bzw. Rdn. 14 f., jeweils m.w.N.; beide zur Veröffentlichung bestimmt). Diese
- naheliegende - Auslegung lässt Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. auch BGH,
Urt. v. 18. März 2001, aaO). Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass die
Beklagte haftpflichtversichert ist, auch in diesem Zusammenhang keine andere
Beurteilung (BGHZ 145, 393, 399; ausführlich BGH, Urt. v. 13. September
2006, IV ZR 273/05, Rdn. 9 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
15 cc) Ein besonderes Interesse an einer Inanspruchnahme der Beklagten ist
nicht ersichtlich. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht,
eine Klage gegen den Gebäudeversicherer sei mit einem hohen Prozessrisiko
behaftet, weil der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag mittlerweile nach §
12 Abs. 1 VVG verjährt sein könnte, wird nicht bedacht, dass Prozessrisiken,
die aus der Verletzung versicherungsvertraglicher Obliegenheiten
resultieren, kein besonderes Interesse in dem obigen Sinne begründen können
(vgl. BGH, Urt. v. 3. November 2004, VIII ZR 28/04, NZM 2005, 100, 101). Für
die Einhaltung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG kann nichts anderes
gelten.
III. 16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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