Werkvertrag: Abgrenzung
zwischen Werkmangel und Verspätung/Unmöglichkeit der Leistung bei
Flugbeförderung; (kein) absolutes Fixgeschäft
BGH, Urteil vom 28. Mai
2009 - Xa ZR 113/08
Fundstelle:
NJW 2009, 2743
Amtl. Leitsatz:
a) Der Flugbeförderungsvertrag ist
regelmäßig nicht auf ein absolutes Fixgeschäft gerichtet.
b) Die Verspätung eines Flugs begründet regelmäßig keinen Sachmangel der
Beförderungsleistung.
Zentrale Probleme:
Eine recht lehrreiche Entscheidung zum
allgemeinen Schuldrecht sowie zum Werkvertragsrecht. Wegen einer Verspätung
hatte ein Fluggast einen Anschlußflug versäumt und konnte die Weiterreise
erst verspätet antreten. Im ersten Teil der Entscheidung geht es um einen
Anspruch aus der
EG-Verordnung über die Rechte der Fluggäste, der nicht zum
Prüfungsstoff des Staatsexamens gehört. Wichtig sind aber die Qualifikation
des Transportvertrages als Werkvertrag. Da hier der geschuldete Erfolg
(Ankunft am Zielort) erreicht wurde, liegt kein Werkmangel, sondern schlicht
eine Verspätung der Leistung vor. Schadensersatz käme so nur als
Verzugsschaden (§§ 280 I, II, 286 BGB) in Betracht. Ein solcher lag
allerdings nicht vor. Auch Unmöglichkeit (§ 275 I BGB), die zum Wegfall des
Vergütungsanspruchs (§ 326 I S. 1 BGB) sowie zu einem
Rückerstattungsanspruch aus §§ 326 IV, 346 I BGB geführt hätte, lag nicht
vor, denn es lag gerade kein absolutes Fixgeschäft vor (zum Fixgeschäft s.
auch
BGH
NJW 2001, 2878 - noch zum alten Schuldrecht).
S. dazu auch die Anm. zu BGH v. 25.3.2010 -
Xa ZR 96/09.
Anders wäre dies freilich zu beurteilen, wenn ein Reisevertrag (§§ 651a ff
BGB) vorgelegen hätte. Dann stellt die verspätete Ankunft am Zielort einen
Mangel der Reise i.S.v. § 651c BGB dar. Ein Reisevertrag setzt aber voraus,
daß eine Gesamtheit von Reiseleistungen geschuldet waren. Das müssen
mindestens 2 Leistungen (etwa Transport und Unterbringung) sein. Das ist bei
einem bloßen Beförderungsvertrag gerade
nicht der Fall.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und seine
beiden Kinder einen Flug von Frankfurt am Main nach Phoenix (Arizona) über
Washington D.C. und zurück. Der Flug von Washington D.C. nach Phoenix sollte
nicht von der Beklagten, sondern von United Airlines durchgeführt werden.
Der Hinflug wurde für den 7. Oktober 2006 um 13.25 Uhr von Frankfurt am Main
mit Ankunft in Washington D.C. um 16.40 Uhr Ortszeit bestätigt. Tatsächlich
erfolgte der Abflug erst gegen 17.00 Uhr, so dass der Kläger und seine
Familie den Anschlussflug nicht erreichten. Die Reisenden verbrachten die
Nacht auf Kosten der Beklagten in einem Hotel. Der Weiterflug nach Phoenix
startete am 8. Oktober 2006 um 7.00 Uhr. Die Reisenden erreichten Phoenix
ca. 14,5 Stunden später als geplant; ihr Gepäck kam auf dem Flug nach
Phoenix abhanden und konnte ihnen erst mit viertägiger Verspätung
ausgeliefert werden.
2 Die Ehefrau und die Kinder des Klägers haben diesem ihre Ansprüche
abgetreten. Der Kläger verlangt eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1
Buchst. c i.V. mit Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des
Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und
Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei
Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der
Verordnung (EWG) Nr. 295/1991 vom 11. Februar 2004 (ABl. EG L 46 v.
17.2.2004, S. 1; im Folgenden:
Verordnung) in Höhe von viermal 600 € sowie
416,65 € als Minderung des Flugpreises und die Erstattung von Anwaltskosten
in Höhe von 446,13 €. Die Anwaltskosten sind für die Geltendmachung der
vorgenannten Ansprüche sowie von Ersatzansprüchen wegen des Gepäckverlustes
und Erstattung von Taxikosten in Washington über einen Betrag von zusammen
1.246,30 € entstanden; den letztgenannten Betrag hat die Beklagte
ausgeglichen.
3 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg
geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die
Beklagte entgegentritt, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die zulässige Revision ist nicht begründet.
5 I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Anspruch auf
Ausgleichszahlung gemäß Art. 4 Abs. 3 i.V. mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der
Verordnung nicht zu. Hinsichtlich des Teilflugs von Washington nach Phoenix
liege keine Nichtbeförderung i.S. des Art. 4 der Verordnung vor. Diese setze
die Weigerung voraus, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in
Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden
haben. Die rein faktische Nichtweiterbeförderung wegen Verspätung des
Zubringerflugs reiche nicht aus. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus §§
634 Nr. 3, 638 BGB wegen Minderung des Flugpreises zu. Bei dem
Flugbeförderungsvertrag handele sich nicht um ein absolutes Fixgeschäft.
Auch durch die verspätete Leistung werde der Vertragszweck noch erreicht.
Die Flugbeförderung sei auch nicht mangelhaft i.S. von § 633 Abs. 2 Satz 1
BGB, wenn sie verspätet erfolge. Die verspätete Leistung führe vielmehr zu
Ansprüchen aus §§ 286, 280 BGB sowie aus der Verordnung; ein unangemessener
Nachteil für den Fluggast entstehe hierdurch nicht. Dem Kläger stünden
schließlich keine Ansprüche auf Zahlung der von ihm begehrten vorgerichtlich
entstandenen Rechtsanwaltskosten zu. Er habe weder dargelegt, dass sich die
Beklagte in Verzug befunden habe, noch, dass die Inanspruchnahme eines
Rechtsanwalts erforderlich gewesen sei. Dies sei in einfach gelagerten
Fällen nur dann anzunehmen, wenn der Geschädigte geschäftlich ungewandt sei
oder die Schadensregulierung verzögert werde; diese Voraussetzungen habe der
Kläger nicht dargelegt.
6 II. Dies hält den Angriffen der Revision stand:
7 1. Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch der Reisenden aus Art.
4 Abs. 3 der Verordnung verneint.
8 a) Auf den Flug von Washington nach Phoenix ist die Verordnung nicht
anwendbar. Nach Art. 3 Abs. 1 gilt die Verordnung für Fluggäste, die
entweder einen Flug auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats
antreten, oder - sofern ausführendes Luftfahrtunternehmen ein
Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist - für Fluggäste, die von einem
Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen in einem
Mitgliedstaat antreten. Da es sich bei dem Flug von Washington nach Phoenix
um einen inneramerikanischen Flug mit einem amerikanischen
Luftfahrtunternehmen gehandelt hat, liegen diese Voraussetzungen nicht vor.
Daran ändert es auch nichts, dass der Kläger und seine Familie eine
Flugreise von Frankfurt nach Phoenix gebucht haben. Denn der Flug i.S. der
Verordnung ist nicht mit der Flugreise gleichzusetzen, die die Fluggäste
unternehmen (EuGH, Urt. v. 10.7.2008 - C-173/07, RRa 2008, 237 Tz. 32 -
Emirates Airlines/Schenkel). Flug ist vielmehr, wie auch Art. 2 Buchst. h
der Verordnung zeigt, auch bei einem einheitlichen Beförderungsvertrag die
einzelne "Einheit" an der Luftbeförderung, die von einem
Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute
festlegt (EuGH, aaO Tz. 40). Dass der Fluggast eine einheitliche Buchung
vornimmt, wirkt sich hierauf nicht aus (EuGH, aaO Tz. 51).
9 b) Der Anspruch aus Art. 4 Abs. 3 der Verordnung richtet sich zudem gegen
das ausführende Luftfahrtunternehmen. Dies ist nach Art. 2 Buchst. b der
Verordnung das Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem
Fluggast oder im Namen einer anderen Person, die mit dem betreffenden
Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder
durchzuführen beabsichtigt. Luftfahrtunternehmen in diesem Sinne war für den
Flug von Washington nach Phoenix nicht die Beklagte, sondern United
Airlines. Denn nach der Legaldefinition des Art. 2 Buchst. b der Verordnung
ist allein entscheidend, welches Luftfahrtunternehmen den Flug tatsächlich
durchführt, nicht hingegen, mit welchem Luftfahrtunternehmen der Vertrag
über die Flugreise geschlossen worden ist.
10 c) Schließlich hat der Senat entschieden, dass einem Fluggast, der einen
Flug wegen eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreicht, kein Anspruch
auf eine Ausgleichsleistung nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 der Verordnung
zusteht, und zwar auch dann nicht, wenn beide Flüge gemeinsam gebucht sind
und von demselben Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden (Sen.Urt. v.
30.4.2009 - Xa ZR 78/08, zur Veröffentlichung bestimmt).
11 2. Das Berufungsgericht hat weiter zu Recht einen Anspruch des Klägers
auf Minderung des Flugpreises verneint.
12 a) Bei dem Flugbeförderungsvertrag handelt es sich entgegen der
Auffassung der Revision (ebenso OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 930; OLG
Frankfurt am Main NJW-RR 1997, 1136; AG Bad Homburg v.d.H. RRa 2001, 13; AG
Düsseldorf RRa 1997, 183; AG Simmern RRa 2005, 279; Tonner in Ge-bauer/Wiedmann,
Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 13a Rdn. 61) in der Regel
nicht um ein absolutes Fixgeschäft, bei dem sich die Ansprüche des
Fluggastes nach §§ 275, 283, 326 BGB richten. Beim absoluten Fixgeschäft
begründet die Nichteinhaltung der Leistungszeit Unmöglichkeit der Leistung (BGHZ
60, 14, 16). Die Qualifikation eines Rechtsgeschäfts als absolutes
Fixgeschäft erfordert daher, dass der Leistungszeitpunkt nach Sinn und Zweck
des Vertrags und nach der Interessenlage der Parteien so wesentlich ist,
dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr darstellt. Diese
Voraussetzung trifft auf die verspätet durchgeführte Beförderungsleistung
jedoch nicht zu. Das Interesse des Fluggastes, sein Ziel möglichst schnell
zu erreichen, entfällt bei einer Verspätung des Fluges regelmäßig nicht. Der
Vertragszweck kann vielmehr auch durch eine verspätete Beförderung noch
erreicht werden. Der Wegfall der primären Leistungspflicht des
Luftfahrtunternehmens nach § 275 Abs. 1 BGB, der bedeutete, dass der
Fluggast seinen Anspruch auf Beförderung jedenfalls bei einer mehr als nur
geringfügigen Verspätung verlöre, entspricht mithin regelmäßig nicht der
Interessenlage des Gläubigers (so auch A. Staudinger, RRa 2005, 249,
251; Führich, Sonderbeilage MDR 7/2007, S. 8). Dies gilt auch, wenn die
verspätete Beförderung dazu führt, dass der Anschlussflug nicht mehr
erreicht wird. Auch in diesem Fall besteht die Interessenlage des
Gläubigers regelmäßig darin, gleichwohl so schnell wie möglich an das
Reiseziel befördert zu werden. Dieser Beurteilung steht es nicht
entgegen, dass der Bundesgerichtshof einen Luftbeförderungsvertrag in einem
besonders gelagerten Einzelfall als Fixgeschäft qualifiziert hat (BGH, Urt.
v. 28.9.1978 - VII ZR 116/77, NJW 1979, 495).
13 Auch im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, dass der zwischen den
Parteien geschlossene Beförderungsvertrag ausnahmsweise als absolutes
Fixgeschäft gewollt gewesen wäre, bei dem bei einer Verspätung des
Erstfluges die Beförderungsverpflichtung der Beklagten wegfallen sollte.
14 b) Die Flugverspätung stellt auch keinen Mangel der
Beförderungsleistung dar.
15 Allerdings wird in der amts- und landgerichtlichen Rechtsprechung (LG
Frankfurt am Main NJW-RR 1993, 1270, 1271; AG Frankfurt am Main NJW-RR 1996,
238; AG Bad Homburg v.d.H. RRa 2002, 88; AG Rüsselsheim RRa 2006, 136) und
in der Literatur (Führich, Reiserecht, 5. Aufl. Rdn. 1059; Sonderbeilage MDR
7/2007, S. 11; R. Schmid, RRa 2005, 151, 156; Wagner, RRa 2004, 102, 105)
die Flugverspätung häufig als Mangel der Beförderungsleistung qualifiziert.
Sofern hierfür überhaupt eine Begründung gegeben wird, wird sie darin
gesehen, dass die Einhaltung der Pünktlichkeit eines Flugs zu den
wesentlichen Leistungspflichten des Luftfahrtunternehmens gehöre und den
Luftbeförderungsvertrag geradezu präge (Führich, aaO).
16 Damit kann jedoch die Annahme eines Werkmangels nicht begründet
werden. Bei jeder Werkleistung, die nicht zu dem geschuldeten Zeitpunkt
erbracht wird, verletzt der Werkunternehmer seine vertragliche
Leistungspflicht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Verzug des
Werkunternehmers nicht ohne weiteres einen Mangel des schließlich erstellten
Werks begründet, sondern vom Gesetz eigenständig geregelt ist. Für eine
verspätete Leistungserbringung hat der Schuldner nach den Regeln der §§ 286,
280 BGB einzustehen. Diese eigenständige Regelung schließt zwar nicht aus,
dass für die Eignung des Werks zum üblichen oder vereinbarten Gebrauch auch
der Leistungszeitpunkt eine Rolle spielen kann (in diesem Sinne
Staudinger/Peters, BGB, Bearb. 2003, § 633 Rdn. 175). Ein Mangel setzt
jedoch voraus, dass das Werk selbst infolge der Zeitverzögerung nicht die
geschuldete Beschaffenheit aufweist.
17 Bei einer Flugreise oder einer sonstigen Beförderungsleistung ist dies
regelmäßig nicht der Fall (ebenso A. Staudinger, RRa 2005, 249, 255).
Die Beförderungsleistung wird nicht dadurch schlechter, dass sie erst zu
einem späteren Zeitpunkt erbracht wird. Ob dem Fluggast durch eine
Verspätung ein Nachteil entsteht und welcher Art dieser ist, hängt vielmehr
ganz von seinen persönlichen Verhältnissen ab. Ihm kann ein Geschäft
entgehen; für ihn kann die Verspätung eine bloße Unbequemlichkeit
darstellen; sie kann ihm sogar willkommen sein, etwa weil er selbst
verspätet am Flughafen erscheint. Dies macht deutlich, dass es einen
objektiven Minderwert einer verspäteten Beförderungsleistung nicht geben
kann. Er lässt sich auch nicht aus den Dispositionen des Fluggastes
ableiten, weil diese weder Bestandteil des Beförderungsvertrags noch auch
nur dessen Geschäftsgrundlage sind. Anderes gilt auch nicht deshalb, weil
der verspätete Zubringerflug das Erreichen des Anschlussflugs verhindert
hat. Auch damit wird nicht die Beförderungsleistung schlechter, vielmehr
kann sich im Einzelfall durch die Verzögerung ein Schaden einstellen, den
das Gesetz durch die Regeln über den Verzug erfasst.
18 3. Dem Kläger steht schließlich auch kein Anspruch auf Ersatz der
vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten zu. Hinsichtlich der vorstehenden
Hauptansprüche folgt dies bereits daraus, dass diese nicht begründet sind.
Hinsichtlich der übrigen, von der Beklagten ausgeglichenen Ansprüche hat das
Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Notwendigkeit der Inanspruchnahme
anwaltlicher Hilfe verneint.
19 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. |