IPR: Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in der
Rom III-VO; Vorlagebeschluss an den EuGH
BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2023 - XII ZB 117/23 - KG
Berlin
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Tenor:
Dem Gerichtshof der Europäischen
Union wird zur Auslegung von Art. 8 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des
Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne
Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-VO) folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
Nach welchen Kriterien ist der gewöhnliche
Aufenthalt der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO zu bestimmen,
insbesondere
-
- beeinflusst die Entsendung als Diplomat die
Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat oder steht sie
einer solchen sogar entgegen?
-
- muss die physische Präsenz der Ehegatten in
einem Staat von gewisser Dauer gewesen sein, bevor davon ausgegangen
werden kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wurde?
-
- setzt die Begründung eines gewöhnlichen
Aufenthalts ein gewisses Maß an sozialer und familiärer Integration in
dem betreffenden Staat voraus?
Zentrale Probleme:
Ein schöner IPR-Fall, der möglicherweise etwas Klärung
für den gesetzlich nicht definierten Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts"
bringen wird. Dieser ist nämlich - neben der Möglichkeit einer Rechtswahl -
zentrales Anknüpfungskriterium in den Europäischen Regelungen des
Internationalen Privatrechts (den sog. "Rom-Verordnungen), die auch in Art.
3 Nr. 1 EGBGB (deklaratorisch) aufgezählt sind. Allerdings wird nirgends der
Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts definiert. Der BGH nimmt das im
vorliegenden Fall zum Anlass eines Vorlagebeschlusses an den EuGH nach Art.
267 AEUV. Zwar hat sich der EuGH im Rahmen der internationalen Zuständigkeit
nach der Brüssel IIa-VO zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts geäußert,
jedoch sieht der BGH zu recht, dass dieser - im Rahmen des europäischen
Kollisionsrechts autonom auszulegende Begriff - möglicherweise je nach
Kontext teleologisch anders auszulegen ist. So ginge es bei der Rom II-VO
vor allem darum, eine Rechtsordnung zu finden, welcher die Ehegatten
(gemeinsam) eng verbunden sind. Daran kann man im vorliegenden Fall in
der Tat zweifeln: Der Ehemann ist
Diplomat und war zuletzt in der deutschen Botschaft in Moskau beschäftigt.
Dazu zog er mit seiner Familie nach Moskau, wo die Familie eine Wohnung auf
dem Botschaftsgelände bezog. Eine Mietwohnung in Berlin wurde aber
beibehalten. Im Rahmen einer Trennung zog die Ehefrau nach Deutschland
zurück. Der Ehemann begehrt nun die Ehescheidung, die Ehefrau beruft sich
darauf, dass das sog. Trennungsjahr (§ 1565 BGB) noch nicht abgelaufen ist.
Hatten die Beteiligten allerdings ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalt in Moskau, wäre gem. Art. 8 Buchst. b der EU-Verordnung zum auf
Scheidungen anwendbaren Recht (sog.
Rom III-VO) russisches Recht anwendbar, welches - wie zu unterstellen
ist - eine Ehescheidung erlauben würde. Die Relevanz der IPR-Frage ergibt
sich weiter daraus, dass, wenn russisches Recht auf die Ehescheidung
anwendbar wäre, der Versorgungsausgleich nach Art. 17 IV S. 2 EGBGB nur auf
Antrag vorzunehmen ist, während der bei Anwendung deutschen Rechts im
Verbundverfahren von Amts wegen vorzunehmen ist. Verneinte man einen
(letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, käme nämlich nach Art. 8
Buchst. c Rom III-VO deutsches Recht als das Recht des Heimatstaates der
Beteiligten zur Anwendung. Im autonomen deutschen IPR findet sich auch keine
gesetzliche Definition des gewöhnlichen Aufenthalts, Art. 5 Abs. 3 EGBGB
regelt nur Randfragen. Im allgemeinen wird hier der gewöhnliche Aufenthalt
definiert als der Ort, wo eine Person "den Schwerpunkt
ihrer Bindungen, ihren Daseinsmittelpunkt hat. Zu fordern ist hierfür nicht
nur ein auf eine gewisse Dauer angelegter Aufenthalt, der im Unterschied zum
einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur vorübergehend sein darf,
sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in
familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst
in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der
betreffenden Person zu sehen ist." (S. etwa BGH v.
24.8.2016 - XII ZB 351/15 Rn. 24). Es bleibt spannend, wie viel der EuGH zur Klärung dieser Frage
beitragen wird. Auf den Fall bezogen dürfte ein (letzter) gemeinsamer
gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in Russland wohl zu verneinen sein. Zu
hoffen bleibt, dass die Entscheidung des EuGH etwas mehr allgemeine Klärung
des Begriffs über den konkreten Fall hinaus bringt.
©sl 2024
Gründe:
1 A. Sachverhalt
2 Das Verfahren betrifft die
Scheidung der Ehe zwischen dem 1965 geborenen Antragsteller (im Folgenden:
Ehemann) und der 1964 geborenen Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau).
3 Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige und schlossen im
Jahr 1989 die Ehe. Aus dieser sind zwei inzwischen volljährige Kinder
hervorgegangen.
4 Im Jahr 2006 mieteten die Beteiligten eine Wohnung
in Berlin an, in der sie dann gemeinsam lebten. Im Juni 2017 zogen sie mit
nahezu ihrem gesamten Hausstand nach Schweden, wo der Ehemann an der
Deutschen Botschaft Stockholm beschäftigt war. Ihren inländischen Wohnsitz
meldeten die Beteiligten im Juni 2017 ab. Als der Ehemann an die Deutsche
Botschaft Moskau (Russland) versetzt wurde, zogen die Beteiligten im
September 2019 mit ihrem Hausstand von Stockholm nach Moskau in eine Wohnung
auf dem Compound der Botschaft. Der Ehemann ist Botschaftsrat und beherrscht
- anders als die Ehefrau - die russische Sprache. Die Ehefrau war als
Angehörige eines Botschaftsmitarbeiters ebenfalls in der Wohnung auf dem
Compound gemeldet; sie meldete auch ihr Auto in Russland an. Die Beteiligten
besitzen beide einen Diplomatenpass.
5 Ihre Mietwohnung in Berlin
behielten die Beteiligten bei, um nach der Auslandstätigkeit des Ehemanns
wieder dorthin zurückkehren zu können. Seit September 2019 lebte die
volljährige Tochter der Beteiligten in dieser Mietwohnung. Ab diesem
Zeitpunkt hatten die Beteiligten auch Teile der Wohnung untervermietet,
wobei diese Mietverträge Ende Mai bzw. Juni 2020 endeten.
6 Im Januar
2020 reiste die Ehefrau nach Berlin, um sich dort einer Operation zu
unterziehen; eine ärztliche Behandlung in Moskau lehnte sie ab. Sie wohnte
in der Folgezeit in der Berliner Mietwohnung der Beteiligten und ließ
sich später Sommerbekleidung von Moskau nach Berlin schicken. Im
August/Septem-ber 2020 reiste auch der Ehemann nach Berlin und wohnte für
die Dauer seines Aufenthalts ebenfalls in der Mietwohnung. Die Beteiligten
trafen sich in Berlin gemeinsam mit Freunden. Weihnachten 2020 und den
Jahreswechsel 2020/2021 verbrachte der Ehemann zusammen mit dem Sohn der
Beteiligten bei seinen Eltern in Koblenz.
7 Im Februar 2021 kehrte
die Ehefrau nach Moskau zurück und wohnte in der Wohnung auf dem Compound
der Botschaft. Nach Angaben des Ehemanns teilten die Beteiligten ihren
Kindern am 17. März 2021 mit, dass sie sich scheiden lassen wollten. Die
Ehefrau verbrachte während ihres Aufenthalts alle Gegenstände, die sie mit
nach Berlin nehmen wollte, in ein separates Zimmer der Moskauer Wohnung. Sie
reiste am 23. Mai 2021 nach Berlin und lebt seither in der dortigen
Mietwohnung der Beteiligten. Der Ehemann lebt weiterhin in der Wohnung auf
dem Compound der Botschaft.
8 Am 8. Juli 2021 hat der Ehemann
beim Amtsgericht einen Scheidungsantrag gestellt. Er hat
vorgetragen, dass die Beteiligten seit Januar 2020 getrennt gelebt hätten,
die Ehefrau im März 2021 nur für einen kurzen Zeitraum nach Moskau gereist
sei und die Beteiligten sich dann endgültig getrennt hätten.
9 Die
Ehefrau ist dem Scheidungsantrag mit der Begründung entgegengetreten, dass
eine Trennung der Ehegatten frühestens im Mai 2021 erfolgt sei. Aufgrund der
medizinischen Behandlung habe sie sich vom 15. Januar 2020 bis zum 26.
Februar 2021 in Berlin aufgehalten. Eine frühere Rückkehr nach Moskau sei
wegen ihres Gesundheitszustands und der Corona-Beschränkungen nicht möglich
gewesen. Bis zu ihrer Abreise aus Moskau am 23. Mai 2021 habe sie sich um
den dortigen Haushalt der Beteiligten gekümmert. Zudem habe sie den Ehemann,
der sich aufgrund eines Schlaganfalls in einem russischen Krankenhaus bzw.
Sanatorium befunden habe, mit Kleidung versorgt.
10 Das Amtsgericht
hat den Scheidungsantrag durch Beschluss vom 26. Januar 2022 zurückgewiesen,
weil das (nach deutschem Recht erforderliche) Trennungsjahr noch
nicht abgelaufen sei und Gründe für eine Härtefallscheidung nicht vorlägen
(§ 1565 Abs. 2 BGB). Auf die Beschwerde des Ehemanns hat
das Kammergericht nach vorherigem rechtlichen Hinweis die Ehe der
Beteiligten nach russischem Sachrecht geschieden. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass sich das auf die Ehescheidung
anzuwendende Recht nach Art. 8 Rom III-VO richte, weil eine Rechtswahl gemäß
Art. 5 Rom III-VO nicht erfolgt sei. Vorliegend finde Art. 8 lit. b Rom
III-VO und damit das russische Sachrecht Anwendung; eine Rück- und
Weiterverweisung sei gemäß Art. 11 Rom III-VO ausgeschlossen.
Nach dem Vortrag der Beteiligten sei davon auszugehen, dass der
gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns weiterhin in Moskau sei, während
der dortige gewöhnliche Aufenthalt der Ehefrau erst mit ihrer Abreise nach
Deutschland am 23. Mai 2021 geendet habe, also weniger als ein Jahr vor
Anrufung des Amtsgerichts am 8. Juli 2021.
11 Hiergegen
richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die eine
Scheidung nach deutschem Sachrecht und zusammen mit dem Scheidungsausspruch
eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung über den Versorgungsausgleich
erstrebt.
12 B. Zur Rechtslage
13 I. Art. 8
Rom III-VO lautet wie folgt:
„Mangels einer Rechtswahl gemäß Artikel
5 unterliegen die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des
Ehebandes: a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt
der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder
anderenfalls b) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren
gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr
vor Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der
Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
anderenfalls c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide
Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen, oder
anderenfalls d) dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts.“
14 II. Würde die Scheidung der Ehe der Beteiligten dem russischen Sachrecht
unterliegen, wäre sie gemäß Art. 23 Nr. 1 des Familiengesetzbuchs
der Russischen Föderation vom 29. Dezember 1995 (abgedruckt bei
Bergmann/ Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand:
10. März 2021] Länderteil Russische Föderation S. 52) als einverständliche
Scheidung ohne Feststellung von Scheidungsgründen auszusprechen, weil die
Ehefrau nicht die Zurückweisung der Beschwerde des Ehemanns beantragt hat
und daher der Scheidung als solcher nicht mehr entgegentritt. Im Falle der
Anwendbarkeit des russischen Scheidungsstatuts wäre ein
Versorgungsausgleich, den das russische Recht nicht kennt, nur nach
Maßgabe von Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB durchzuführen, der folgenden
Wortlaut hat:
„Im Übrigen ist der Versorgungsausgleich auf Antrag
eines Ehegatten nach deutschem Recht durchzuführen, wenn einer der Ehegatten
in der Ehezeit ein Anrecht bei einem inländischen Versorgungsträger
erworben hat, soweit die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere
im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während
der gesamten Ehezeit der Billigkeit nicht widerspricht.“
15 Ein
Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs nach deutschem Recht ist
im vorliegenden Verfahren nicht gestellt worden, so dass die Ehescheidung
nach russischem Recht isoliert auszusprechen wäre.
16 III.
Würde auf die Ehescheidung hingegen das deutsche Sachrecht anzuwenden sein,
wäre die Ehe der Beteiligten nach § 1565 BGB zu scheiden. Denn die Ehe ist
gescheitert, weil die Lebensgemeinschaft der Ehegatten seit mehr als einem
Jahr nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten
sie wiederherstellen. Im Falle der Anwendbarkeit des deutschen
Scheidungsstatuts wäre der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht gemäß
Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB durchzuführen, der wie folgt lautet:
„Der Versorgungsausgleich unterliegt dem nach der Verordnung
(EU) Nr. 1259/2010 auf die Scheidung anzuwendenden Recht; er ist nur
durchzuführen, wenn danach deutsches Recht anzuwenden ist und ihn das Recht
eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der
Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören.“
17 Über den
Versorgungsausgleich wäre bei Anwendbarkeit des deutschen Scheidungsstatuts
von Amts wegen - also ohne dass es insoweit eines Antrags eines Ehegatten
bedürfte - im Rahmen des Scheidungsverbunds nach §§ 137 Abs. 1 und 2, 142
Abs. 1 Satz 1 FamFG zu entscheiden.
18 § 137 FamFG hat folgenden
(auszugsweisen) Wortlaut:
„(1) Über Scheidung und Folgesachen ist
zusammen zu verhandeln und zu entscheiden (Verbund). (2) Folgesachen sind
1. Versorgungsausgleichssachen, [...] wenn eine Entscheidung für den
Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei
Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der
Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird. Für den
Versorgungsausgleich ist in den Fällen der §§ 6 bis 19 und 28 des
Versorgungsausgleichsgesetzes kein Antrag notwendig.“
19 § 142 Abs. 1
Satz 1 FamFG lautet:
„Im Fall der Scheidung ist über sämtliche im
Verbund stehenden Familiensachen durch einheitlichen Beschluss zu
entscheiden.“
20 C. Zur Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union
21 Der Erfolg der
Rechtsbeschwerde hängt von der Auslegung des Begriffs des „gewöhnlichen
Aufenthalts“ in Art. 8 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des
Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne
Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (im Folgenden: Rom III-VO) ab.
Dazu liegt bislang eine Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nicht vor, und das
Begriffsverständnis ist auch nicht von vornherein eindeutig oder
zweifelsfrei im Sinne eines acte clair. Deshalb ist das
Beschwerdeverfahren auszusetzen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 148 Abs. 1 ZPO
analog) und gemäß Art. 19 Abs. 3 lit. b EUV, Art. 267 Abs. 1 lit. a und b,
Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen.
I.
22 Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch
sonst zulässig; insbesondere ist die Ehefrau rechtsbeschwerdebefugt.
23 Eine materiell-rechtliche Rechtsbeeinträchtigung der Ehefrau
folgt allerdings nicht bereits daraus, dass das Beschwerdegericht die Ehe
der Beteiligten nach russischem (und nicht wie von der Ehefrau gewünscht
nach deutschem) Recht geschieden hat (vgl. BGH Urteil vom 17.
Februar 2023 - V ZR 212/21 -NJW 2023, 2281 Rn. 12 mwN; Staudinger/Mankowski
BGB [2010] Art. 17 EGBGB Rn. 256). Die Ehefrau ist jedoch aus
verfahrensrechtlichen Gründen durch die angefochtene Entscheidung beschwert.
Zwar hat sie sich schon im Beschwerdeverfahren nicht mehr gegen die
Ehescheidung als solche gewandt. Denn sie hat nicht (mit dem eindeutigen
Ziel der Aufrechterhaltung der Ehe) eine Zurückweisung der Beschwerde des
Ehemanns beantragt, sondern lediglich - nachdem das (nach deutschem Recht
erforderliche) Trennungsjahr zwischenzeitlich auch nach ihrem Vortrag
abgelaufen war - gemäß § 146 FamFG eine Zurückverweisung der Sache an das
Amtsgericht zur erneuten Verhandlung begehrt. Allerdings macht sie
mit ihrer Rechtsbeschwerde geltend, dass die Ehe der Beteiligten nach
deutschem Sachrecht hätte geschieden werden müssen, was zur Folge gehabt
hätte, dass der Versorgungsausgleich automatisch in den Scheidungsverbund
gelangt wäre (§ 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Über ihn wäre nach §§ 137
Abs. 1, 142 Abs. 1 FamFG zusammen mit der Scheidung zu verhandeln und zu
entscheiden gewesen, so dass ein isolierter Scheidungsausspruch, wie ihn das
Beschwerdegericht vorgenommen habe, unzulässig gewesen wäre.
24
Der Verbund von Scheidungssachen und Folgesachen dient dem Schutz
des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten (vgl. Senatsbeschluss vom
21. Juli 2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 19 ff. mwN).
Durch ihn soll erreicht werden, dass die Scheidung erst dann ausgesprochen
wird, wenn die mit ihr zusammenhängenden Folgefragen geklärt sind
(Senatsbeschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZR 133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn.
16). Wird einem Scheidungsantrag zu Unrecht vor der Entscheidung über eine
Folgesache stattgegeben, schafft dies nach ständiger Rechtsprechung des
Senats eine selbständige Beschwer, die mit der (Erst-)Beschwerde gegen den
Scheidungsbeschluss gerügt werden kann. In diesen Fällen verfolgt der
Rechtsmittelführer mit einem auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteten
Beschwerdeantrag in zulässiger Weise das Ziel, dass nach der von ihm
begehrten Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zugleich mit dem
Scheidungsausspruch über die von ihm geltend gemachten Ansprüche in
Folgesachen entschieden wird (vgl. etwa SenatsbeSchluss vom 4. September
2013 - XII ZB 87/12 - FamRZ 2013, 1879 Rn. 12 mwN). Nichts anderes kann für
den Fall gelten, dass die Scheidung der Ehe erstmals durch das
Beschwerdegericht ausgesprochen wird und die dagegen gerichtete
Rechtsbeschwerde das Ziel verfolgt, dass zugleich mit dem
Scheidungsausspruch über von Amts wegen einzuleitende Folgesachen
entschieden wird. Daher begründet die vom Beschwerdegericht isoliert
ausgesprochene Scheidung für die Ehefrau, die am Verhandlungs- und
Entscheidungsverbund festhalten möchte, indem sie eine Scheidung nach
deutschem Sachrecht und zusammen mit dem Scheidungsausspruch eine amtswegige
Entscheidung über den Versorgungsausgleich erstrebt, eine selbständige
Beschwer, auch wenn sie dem Scheidungsbegehren des Ehemanns in der Sache
nicht (mehr) entgegentritt.
II.
25 Die Begründetheit
der Rechtsbeschwerde hängt davon ab, ob das Beschwerdegericht
rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass die Scheidung der Ehe der Beteiligten
gemäß Art. 8 lit. b Rom III-VO dem russischen Recht unterliegt.
26 Wäre die Auffassung des Beschwerdegerichts unrichtig, müsste die Ehe
gemäß Art. 8 lit. a oder c Rom III-VO nach deutschem Sachrecht
geschieden werden, was verfahrensrechtlich zur Folge hätte, dass der
Versorgungsausgleich automatisch in den Scheidungsverbund fiele, ohne dass
insoweit ein Antrag eines Ehegatten erforderlich wäre (§ 137 Abs. 2 Satz 2
FamFG). Über die Scheidung und den Versorgungsausgleich müsste dann gemäß §§
137 Abs. 1, 142 Abs. 1 FamFG zusammen verhandelt und in einem Beschluss
entschieden werden. Dafür müssten zunächst die ehezeitlich erworbenen
Versorgungsanrechte der Beteiligten (§ 1 Abs. 1 VersAusglG) ermittelt
werden, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache
zurückzuverweisen wäre.
27 Hätte das Beschwerdegericht die Ehe der
Beteiligten hingegen zutreffend gemäß Art. 8 lit. b Rom III-VO nach
russischem Sachrecht geschieden, wäre die Rechtsbeschwerde der Ehefrau
zurückzuweisen. Denn in diesem Fall wäre der Versorgungsausgleich nicht
automatisch, sondern nach Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB nur auf Antrag eines
Ehegatten in den Scheidungsverbund gelangt. Die Ehefrau hat einen solchen
Antrag - von ihrem Standpunkt aus folgerichtig - jedoch nicht gestellt, weil
sie von der Anwendbarkeit deutschen Scheidungsrechts und damit von der
automatischen Einbeziehung des Versorgungsausgleichs in den
Scheidungsverbund ausgegangen ist. In Ermangelung eines entsprechenden
Antrags wäre über den Versorgungsausgleich also nicht zusammen mit
der Scheidung zu entscheiden gewesen, so dass der isolierte
Scheidungsausspruch durch das Beschwerdegericht nicht zu beanstanden wäre.
28
1. Richtig sind die rechtlichen Ausgangspunkte des Beschwerdegerichts.
29 a)
Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass sich die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall aus Art. 3 Abs. 1 lit. a
dritter Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.
November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche
Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im
Folgenden: Brüssel IIa-VO) iVm Art. 100 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2019/1111
des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend
die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen
(Brüssel Ilb-VO) ergibt. Danach sind für Entscheidungen über die
Ehescheidung in vor dem 1. August 2022 eingeleiteten Verfahren die Gerichte
des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Antragsgegner
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das Beschwerdegericht ist davon
ausgegangen, dass die Ehefrau als Antragsgegnerin bei Anrufung des
Amtsgerichts am 8. Juli 2021 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland
hatte. Die Rechtsbeschwerde erinnert hiergegen nichts. Im Übrigen ergibt
sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte unabhängig vom
gewöhnlichen Aufenthalt aufgrund der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der
Beteiligten aus Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO.
30 b)
Ebenfalls zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass sich
das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht aus Art. 8 Rom III-VO ergibt,
weil die Beteiligten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten
Rechtszug (vgl. Art. 46 e Abs. 2 Satz 1 EGBGB iVm Art. 5 Abs. 2 und 3 Rom
III-VO) keine Rechtswahl nach Art. 5 Rom III-VO getroffen haben. Art. 8 Rom
III-VO bestimmt das anzuwendende Recht, indem die Vorschrift als
Anknüpfungspunkte der Reihe nach den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten
zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, anderenfalls unter bestimmten
Voraussetzungen den letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten,
anderenfalls ihre gemeinsame Staatsangehörigkeit oder anderenfalls den Sitz
des angerufenen Gerichts heranzieht (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts
Saugmandsgaard 0e vom 14. September 2017 - C-372/16 - juris Rn. 12; vgl.
auch Senatsbeschluss BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 Rn. 30).
31 2.
Aufgrund der Anknüpfungsleiter in Art. 8 Rom III-VO
kommt es zunächst darauf an, ob die Beteiligten - wie das Beschwerdegericht
angenommen hat - in Russland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben.
Dies könnte schon deshalb fraglich erscheinen, weil der Ehemann als Diplomat
nach Russland entsandt wurde und seinen Wohnsitz auf dem Compound der
Deutschen Botschaft Moskau nicht freiwillig angemeldet hat, sondern aufgrund
dienstrechtlicher Bestimmungen dazu gezwungen war, wie die Ehefrau
unbestritten vorgetragen hat. Daher stellt sich die Frage, nach welchen
Kriterien der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b
Rom III-VO zu bestimmen ist, insbesondere ob die Entsendung als Diplomat die
Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat beeinflusst oder sie
einer solchen sogar entgegensteht. Diese Frage ist schon deshalb
entscheidungserheblich, weil die Scheidung nicht dem russischen Sachrecht
unterliegen würde, wenn die Beteiligten in Russland keinen gewöhnlichen
Aufenthalt hätten begründen können.
32 a) Der Umstand, dass die Beteiligten
wegen der beruflichen Tätigkeit des Ehemanns als Diplomat nach Moskau
gezogen sind, hat nach Auffassung des Beschwerdegerichts keinen Einfluss auf
die Beurteilung eines dort begründeten gewöhnlichen Aufenthalts der
Beteiligten iSv Art. 8 Rom III-VO. Denn dieser Aufenthalt sei auf
unbestimmte Dauer angelegt gewesen, wie der Vortrag der Ehefrau, die
Beteiligten hätten ihre Berliner Mietwohnung im Jahr 2021
vollständig renoviert, um dort im Alter ihren Wohnsitz zu begründen, belege.
33
b) Die Frage, ob Diplomaten im Empfangsstaat grundsätzlich einen
gewöhnlichen Aufenthalt begründen können, hat die Cour d'appel de
Luxembourg in einer Entscheidung verneint (vgl. Urteil vom 6. Juni 2007 -
31642 - The European Legal Forum 2007 II-145; deutsche Zusammenfassung
abrufbar unter www.unalex.eu
[Entscheidung LU-26]), die allerdings zu Art. 2 Abs. 1 lit. a der
Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die
gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Brüssel II-VO) ergangen ist.
34 Dieser Entscheidung lag ein dem vorliegenden Fall vergleichbarer
Sachverhalt zugrunde. Der dortige Ehemann wurde zum luxemburgischen
Botschafter in Griechenland ernannt und zog einige Jahre vor Einreichung des
Scheidungsantrags mit seiner Familie nach Athen. Die Cour d'appel de
Luxembourg hat ausgeführt, es könne nicht angenommen werden, dass der
Ehemann den Willen gehabt habe, im Empfangsstaat den gewöhnlichen
Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen. Die Dauer seines Aufenthalts im
Empfangsstaat hänge ausschließlich von der Dauer der Ausübung der
diplomatischen Funktionen ab; die Zuweisung dieser Funktionen unterliege der
ausschließlichen Bestimmung durch die Regierung des Entsendestaats. Sein
Aufenthalt im Empfangsstaat sei zufällig, weil die Regierung ihn auf jeden
anderen Posten versetzen könne, zeitlich begrenzt, weil generell auf einige
Jahre beschränkt, und ungewiss, weil die Regierung ihm jederzeit eine neue
Position oder Funktion zuweisen könne. Soweit sich nicht nur das berufliche,
sondern auch das familiäre und soziale Leben des Ehemanns hauptsächlich im
Empfangsstaat abspiele, sei dies lediglich die Konsequenz aus der Betrauung
mit der Funktion als Diplomat. Eine Absicht des Diplomaten, sich im
Empfangsstaat zu integrieren, bestehe nicht. Eine solche Integration im
Empfangsstaat könnte auch als unvereinbar mit der diplomatischen Funktion
angesehen werden, die es erfordere, die Unabhängigkeit gegenüber
dem Empfangsstaat zu wahren.
35 c) Die Rechtsbeschwerde stützt sich auf die
genannte Entscheidung und ist der Auffassung, dass auch im Rahmen von Art. 8
Rom III-VO die Voraussetzungen für die Begründung eines gewöhnlichen
Aufenthalts im Empfangsstaat bei Angehörigen des diplomatischen Dienstes
von vornherein nicht erfüllt seien. Vielmehr stehe die berufliche Stellung
des Ehemanns als Diplomat an der Deutschen Botschaft Moskau der Begründung
eines gewöhnlichen Aufenthalts in Russland entgegen. Der Aufenthalt der
Beteiligten in Moskau sei zwar nicht für eine bestimmte Dauer (im Sinne
einer festen Befristung) geplant, seiner Natur nach aber doch vorübergehend
und nicht auf Dauer angelegt gewesen. Die Beteiligten hätten spätestens nach
Beendigung der Tätigkeit des Ehemanns an der Deutschen Botschaft Moskau
(oder einer anderen Auslandvertretung) nach Deutschland zurückkehren wollen,
was sich schon daraus ergebe, dass sie ihre Mietwohnung in Berlin
aufrechterhalten hätten, auch wenn diese teilweise untervermietet worden
sei. Bei Aufenthalten in Berlin hätten sie die Wohnung auch weiterhin nutzen
können. Ferner hätten sie sich nicht aus freiem Willen für den Aufenthalt in
Moskau entschieden, sondern dieser sei dadurch bedingt gewesen, dass der
Ehemann als Diplomat von seinem Dienstherrn dorthin versetzt worden sei. Die
Beteiligten hätten zudem in Moskau keine von ihnen frei zu wählende Wohnung
anmieten können; sie seien vielmehr aus dienstrechtlichen Gründen gehalten
gewesen, eine Wohnung auf dem Compound der Deutschen Botschaft zu nehmen.
Sie hätten also - wie andere deutsche Diplomaten auch - in einem räumlich
abgegrenzten Bereich gelebt, der zwar rechtlich nicht als
extraterritorial gewertet werden möge, jedenfalls aber in beruflicher,
sozialer und kultureller Hinsicht faktisch eine Art „deutsche Enklave“
bilde. Dies relativiere die Bedeutung der physischen Anwesenheit der
Beteiligten in Russland und stehe der Begründung sozialer Bindungen in
diesem Staat entgegen. Auch nach der Begründung ihres Wohnsitzes in Moskau
hätten sie intensive Bindungen zu Deutschland aufrechterhalten. So hätten
familiäre Verbindungen zu ihrer volljährigen Tochter bestanden, die seit
September 2019 in der Mietwohnung der Beteiligten lebe.
36 Der Ehemann macht im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend, Sinn und
Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
könne nicht sein, dass Diplomaten, die aufgrund ihrer dienstlichen
Verwendung nach Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961
über diplomatische Beziehungen (BGBl. II 1964 S. 957, 977) im Empfangsstaat
Immunität genießen, infolge allfälliger Versetzung an einen neuen
Verwendungsort regelmäßig dem (Scheidungs-)Recht des neuen Wohnsitzstaates
unterlägen.
37 d) Diese Frage ist bislang in der Rechtsprechung des
Gerichtshofs nicht geklärt. Zwar hat der Gerichtshof Art. 3 Abs. 1 lit. a
Brüssel IIa-VO sowie Art. 3 lit. a und b der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des
Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht,
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit
in Unterhaltssachen (im Folgenden: Europäische Unterhaltsverordnung) dahin
ausgelegt, dass die Eigenschaft der betreffenden Ehegatten als
Vertragsbedienstete der Union, die in einer Delegation der Europäischen
Union in einem Drittstaat beschäftigt sind und hinsichtlich derer behauptet
wird, dass sie in diesem Drittstaat den Diplomatenstatus innehätten, keinen
entscheidenden Gesichtspunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts
im Sinne dieser Vorschrift darstellen könne (vgl. EuGH Urteil vom 1. August
2022 - C-501/20 - FamRZ 2022, 1466 Rn. 58 ff.). Vorliegend geht es indes um
die Rom III-VO, auf die sich die zur Brüssel IIa-VO und zur Europäischen
Unterhaltsverordnung ergangene Rechtsprechung nicht ohne Weiteres übertragen
lässt. Insbesondere kommt es für die Bestimmung des maßgeblichen
Scheidungsstatuts nicht in gleicher Weise wie bei der Beurteilung
des Bestehens und der Höhe eines Unterhaltsanspruchs auf die rechtlichen und
tatsächlichen Bedingungen des sozialen Umfelds des Aufenthaltsstaates an.
Überdies ist die genannte Entscheidung gerade nicht zu Diplomaten ergangen,
sondern zu Vertragsbediensteten der Europäischen Union, die am Sitz in
Brüssel keiner Rotation unterlagen und bei denen ein Rückkehrwille in ihren
Heimatstaat nicht festzustellen war. Im Übrigen macht die
Rechtsbeschwerde geltend, dass vorliegend nicht entscheidend sei, ob ein
Diplomatenstatus als solcher (und eine daraus folgende Immunität) der
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat entgegenstehen
könne, sondern vielmehr die Frage aufgeworfen sei, ob die Natur und die
Eigenart der Tätigkeit eines an einer Auslandsvertretung eingesetzten
Diplomaten aufgrund der in dieser Funktion begründeten Umstände der Annahme
eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat entgegenstehe.
38 e) Aus Sicht des Senats ist zweifelhaft, welchen Einfluss der
Umstand, dass die Beteiligten wegen der beruflichen Tätigkeit des Ehemanns
als Diplomat für unbestimmte Zeit nach Moskau ziehen mussten, auf die
dortige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts hat. Im Rahmen der
Beurteilung könnte jedenfalls auch zu berücksichtigen sein, dass sich die
Beteiligten nicht aus freiem Willen für einen Umzug nach Moskau entschieden
haben, sondern dieser durch die berufliche Versetzung des Ehemanns bedingt
war. Gleiches dürfte für den Umstand gelten, dass auch die (ohnehin
begrenzte) Dauer seiner dortigen Tätigkeit nicht entscheidend vom Willen des
Ehemanns abhängig ist. Hinzu kommt, dass die Beteiligten ihren Wohnsitz in
Russland nicht frei wählen durften und dass sie ihre Wohnung in Berlin
beibehalten haben, um nach der Beendigung der Auslandstätigkeit des Ehemanns
wieder dorthin zurückkehren zu können. Wenn diese Umstände im Rahmen der
Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären, könnte die Frage, ob die
Beteiligten in Russland ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründen konnten, zu
verneinen sein. In Ermangelung einschlägiger Rechtsprechung des Gerichtshofs
ist aus Sicht des Senats jedenfalls nicht eindeutig, wie sich die Entsendung
als Diplomat auf die Bestimmung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“
iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO auswirkt.
39
3. Auch im Übrigen ist offen, nach welchen Kriterien der gewöhnliche
Aufenthalt der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO zu bestimmen
ist. Insbesondere ist klärungsbedürftig, ob die physische Präsenz der
Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer gewesen sein muss, bevor davon
ausgegangen werden kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet
wurde, und ob die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein gewisses Maß
an sozialer und familiärer Integration in dem betreffenden Staat
voraussetzt. Diese Fragen sind entscheidungserheblich, weil auf die
Scheidung der Beteiligten nur dann das russische Sachrecht Anwendung finden
würde, wenn (auch) die Ehefrau ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Russland
begründet hätte und dieser nicht mehr als ein Jahr vor Anrufung des
Amtsgerichts am 8. Juli 2021 beendet gewesen wäre.
Die Entscheidungserheblichkeit der genannten Fragen entfiele selbst dann
nicht, wenn man - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts -
annehmen würde, dass die Ehefrau aufgrund ihrer physischen Präsenz in Berlin
von Januar 2020 bis Februar 2021 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland (wieder)begründet hätte. Denn auch in diesem Fall könnte ihre
Rückkehr nach Moskau im Februar 2021, als sie noch Chancen für die
Fortführung ihrer Ehe sah, sofort zu einer (Neu-)Begründung ihres
gewöhnlichen Aufenthalts in Russland geführt haben, wenn man hierfür eine
Mindestverweildauer und eine soziale sowie familiäre Integration nicht für
erforderlich hielte.
40 a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der
Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ unter Berücksichtigung des Wortlauts
und des Kontexts der Bestimmungen, in denen er genannt wird, sowie der Ziele
der jeweiligen Verordnung autonom auszulegen (vgl. EuGH Urteile vom 6. Juli
2023 - C-462/22 -FamRZ 2023, 1479 Rn. 26; vom 25. November 2021 - C-289/20 -
FamRZ 2022, 215 Rn. 39 und vom 28. Juni 2018 - C-512/17 - FamRZ 2018, 1426
Rn. 40, jeweils zur Brüssel IIa-VO). Zur Auslegung dieses Begriffs in der
Rom III-VO hat sich der Gerichtshof hingegen bislang nicht geäußert.
41 b) Darüber, wie der gewöhnliche
Aufenthalt in Art. 8 lit. a und b Rom III-VO zu verstehen ist, besteht im
deutschsprachigen Schrifttum Uneinigkeit.
42 aa) Erwägungsgrund 10 Abs. 1
der Rom III-VO sieht vor, dass der sachliche Anwendungsbereich und die
Bestimmungen dieser Verordnung mit der Brüssel IIa-VO im Einklang stehen
sollten. Daraus folgern - wie das Beschwerdegericht - Teile der deutschen
Rechtsliteratur, dass der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in der Rom
III-VO ebenso zu verstehen sei wie der gleiche Begriff in der Brüssel IIa-VO
(vgl. Althammer/Mayer Art. 5 Rom III-VO Rn. 12; Althammer/ Tolani Art. 8 Rom
III-VO Rn. 6 f.; Jauernig/Budzikiewicz BGB 19. Aufl. Art. 5-16 VO (EU)
1259/2010 Rn. 9 und 2; NK-BGB/Gruber 3. Aufl. Art. 3 Rom III Rn.
15; Grüneberg/Thorn BGB 83. Aufl. Art. 5 Rom III Rn. 3; Andrae
Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 3 Rn. 26 und § 2 Rn. 64; Hausmann
Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. Rn. A 370 und A 424;
Winter Internationales Familienrecht bei Fällen mit Auslandsbezug Rn. 181;
Gruber IPRax 2012, 381, 385).
43 Unter Heranziehung der Rechtsprechung des
Gerichtshofs zu Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO (vgl. EuGH Urteile vom
1. August 2022 - C-501/20 -FamRZ 2022, 1466 Rn. 44 und vom 25. November 2021
- C-289/20 - FamRZ 2022, 215 Rn. 57 f.) hat das Beschwerdegericht den
Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in Art. 8 lit. a bzw. b Rom III-VO
dementsprechend dahingehend ausgelegt, dass er grundsätzlich durch zwei
Elemente gekennzeichnet sei, nämlich zum einen subjektiv
durch den Willen
des Ehegatten, den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen an einen
bestimmten Ort zu legen (animus manendi), und zum anderen
objektiv durch
eine hinreichend dauerhafte Anwesenheit im Hoheitsgebiet dieses Staates.
Maßgebend für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts sei vor allem
der
Wille des Betreffenden, in diesem Staat den ständigen oder gewöhnlichen
Mittelpunkt seiner Interessen in der Absicht zu begründen, ihm Beständigkeit
zu verleihen. Eine Mindestdauer sei nicht vorgesehen, so dass die Dauer des
Aufenthalts allenfalls als Indiz im Rahmen der Beurteilung der Beständigkeit
dienen könne (vgl. EuGH Urteil vom 22. Dezember 2010 - C-497/10 PPU - FamRZ
2011,617 Rn. 51). Das bislang dritte Element der sozialen Integration trete
dagegen in den Hintergrund.
44 bb) Demgegenüber vertreten
andere Stimmen im deutschsprachigen Schrifttum die Auffassung, dass eine
völlige Deckungsgleichheit bei der Auslegung des Begriffs des „gewöhnlichen
Aufenthalts“ zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach der
Brüssel IIa-VO und des kollisionsrechtlichen Scheidungsstatuts nach der Rom
III-VO nicht bestehe, weil die Ratio der beiden Anknüpfungen unterschiedlich
sei. Vielmehr könne der gewöhnliche Aufenthalt bei der Rom III-VO in
Grenzfällen durchaus anders zu beurteilen sein als bei der Brüssel IIa-VO
(jurisPK-BGB/Johanson 10. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn. 5 und Art. 5 Rom
III-VO Rn. 13; NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 8 Rom III Rn. 10 und Art. 5 Rom
III Rn. 47 ff.; Rauscher/Helms EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn. 19
und 26; Helms FamRZ 2011, 1765, 1769 f.). Insbesondere sei bei der Rom
III-VO eine intensivere Beziehung zum Aufenthaltsstaat erforderlich als
bei der Brüssel IIa-VO, wo regelmäßig intendiert sei, dass der Antragsteller
die Wahl zwischen alternativen Gerichtsständen habe (jurisPK-BGB/Johanson
10. Aufl. Art. 5 Rom III-VO Rn. 13). Daher könne selbst nach Ablauf geraumer
Zeit eine Entscheidung darüber, ob der gewöhnliche Aufenthalt eines
Ehepaares iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO bereits in einem anderen Staat
liege, erst nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls
getroffen werden (Rauscher/Helms EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn.
19; Helms FamRZ 2011, 1765, 1770; vgl. auch Henrich Internationales
Scheidungsrecht 5. Aufl. Rn. 86 f.).
45 cc) Nach
Erwägungsgrund 14 der Rom III-VO sollte im Falle einer fehlenden Rechtswahl
dasjenige Recht auf die Ehescheidung angewendet werden, zu dem die Ehegatten
einen engen Bezug haben, weshalb dieses Recht auch dann zum Tragen kommen
sollte, wenn es nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaats ist. Dem
Erwägungsgrund 21 ist zudem zu entnehmen, dass die Rom III-VO im Interesse
der Rechtssicherheit und Berechenbarkeit harmonisierte Kollisionsnormen
einführen sollte, die sich auf Anknüpfungspunkte stützen, welche einen engen
Bezug der Ehegatten zum anzuwendenden Recht gewährleisten. Die
Anknüpfungspunkte sollten so gewählt werden, dass sichergestellt ist,
dass
Ehescheidungen nach einer Rechtsordnung erfolgen, zu der die Ehegatten einen
engen Bezug haben.
46 Das Abstellen in den Erwägungsgründen 14 und 21 auf
ein Scheidungsrecht, zu dem die Ehegatten einen engen Bezug haben, könnte
dafür sprechen, den Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in Art. 8 lit. a
und b Rom III-VO anders auszulegen als in der Brüssel IIa-VO. Denn die
Ehegatten werden in der Regel nicht sofort mit ihrem Umzug in einen anderen
Staat einen engen Bezug zu dessen Rechtsordnung haben, selbst wenn ihr
dortiger Aufenthalt auf unbestimmte Dauer angelegt ist. Etwas anderes mag
etwa gelten, wenn es sich dabei um ihren Heimatstaat handelt. Bei einem
Umzug in einen den Ehegatten bislang fremden Staat könnte jedoch -
insbesondere wenn die Ehegatten zu ihrem Heimatstaat weiterhin intensive
Bindungen aufrechterhalten - grundsätzlich zunächst lediglich ein schlichter
Aufenthalt vorliegen, der sich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zu einem
gewöhnlichen Aufenthalt verfestigt.
47 Für die Frage, ob die Ehegatten zu
dem Recht des betreffenden Staates bereits einen engen Bezug haben, könnte
weiter von Relevanz sein, ob bereits eine gewisse soziale und familiäre
Integration in diesem Staat stattgefunden hat. Der Gerichtshof hat
jedenfalls zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der Brüssel
IIa-VO darauf abgestellt, dass der gewöhnliche Aufenthalt Ausdruck einer
gewissen sozialen und familiären Integration einer Person sein müsse
(EuGH
Urteile vom 9. Oktober 2014 - C-376/14 PPU - FamRZ 2015, 107 Rn. 51; vom 22.
Dezember 2010 - C-497/10 PPU - FamRZ 2011,617 Rn. 47 und vom 2. April 2009 -
C-523/07 - FamRZ 2009, 843 Rn. 38 und 44). Dieses Kriterium ließe sich
ebenso zur Bestimmung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in der Rom
III-VO heranziehen (so auch NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 5 Rom III Rn. 54;
Rauscher/Helms EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn. 20), wobei
angesichts der in den Erwägungsgründen 14 und 21 zum Ausdruck kommenden
Ziele der Rom III-VO ein deutlich stärkeres Maß an sozialer und familiärer
Integration als bei der Brüssel IIa-VO erforderlich sein könnte, um einen
gewöhnlichen Aufenthalt nach der Rom III-VO bejahen zu können.
III.
48 In der Gesamtschau lässt sich die richtige Auslegung des Begriffs
des „gewöhnlichen Aufenthalts“ in Art. 8 lit. a und b Rom III-VO weder der
Verordnung selbst entnehmen noch aus der bisherigen Rechtsprechung des
Gerichtshofs eindeutig ableiten. Vielmehr bleiben vernünftige Zweifel bei
der Auslegung, so dass es eines Vorabentscheidungsverfahrens bedarf.
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